Himmel und Erde im Zimmer

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Textdaten
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Autor: H. B.
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Titel: Himmel und Erde im Zimmer
Untertitel:
aus: Die Gartenlaube
Herausgeber: Ernst Keil
Auflage:
Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1863
Verlag: Verlag von Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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Quelle: Scans bei Commons
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Himmel und Erde im Zimmer.

„Wie schwer sind nicht die Mittel zu erwerben,
Durch die man zu den Quellen steigt!
Und eh’ man noch den halben Weg erreicht,
Muß wohl ein armer Teufel sterben.“

Dieser Jammer Wagner’s im Faust ist alt, aber noch lange nicht verstummt. Es muß anders, besser werden. Wir sind allerdings tüchtig auf dem Wege, werden aber durch „Schulregulative“ und Pedanterie unserer eigenen Schulmeister und Examinations-Perückenstöcke noch gar zu ärgerlich aufgehalten. Pestalozzi, Fichte, Diesterweg und deren Jünger, das sind unsere wahren Schulmeister und Jugendbildner. Aber wie werden sie noch beengt und von sogenannten bessern, d. h. theuersten Schulanstalten ferngehalten! Wenn ich mir die Kinder in der „Stadt der Intelligenz“, Knaben und Mädchen der berühmtesten „Schulen“ und ihre Schularbeiten, ihre Bücher, Dutzende von „Schreibebüchern“ für 10–11jährige Mädchen und deren tägliche Masse von Arbeiten zum Schreiben und Auswendiglernen ansehe und sie manchmal frage, was sie eigentlich wirklich wissen und können – welch ein Wirrwarr von mechanischen Stückchen! Während auf der einen Seite alle Tage neue Stückchen eingetrichtert werden, fallen auf der anderen eben so viele wieder heraus.

Woran fehlt’s denn? An lebendigem Lehren und Lernen, am Zusammenhange, an Uebersicht, Anschauung. Der Unterricht für die Jugend, deren ganze Natur auf wirkliches Begreifen, Betasten, Besehen angewiesen ist, muß zunächst mit abstracten, d. h. gegenstandslosen Lehren und Worten ganz verschont bleiben und erst allmählich selbst lernen, das sinnlich Wahrgenommene zu allgemeiner Wahrheit zu erheben.

Unser Unterricht muß Anschauungsunterricht werden und etwa mit Fröbel’schen Spielsachen und Kindergärten anfangen. So bekommen sie heitere, lebendige und klare Vorstellungen von Körpern, Raum- und Zeitverhältnissen. Und dann geht’s mit dem weiteren, genaueren Lernen schnell, gründlich und praktisch, wenn nur hübsch auf Grund des Anschauungsunterrichts fortgefahren wird.

Sie sollen dann Eigenschaften der Körper, innere und äußere, physikalische und chemische, unsere Erde, ihre geographischen und planetarischen Gestaltungen und Bewegungen, Sonnen- und Mondfinsternisse u. s. w. begreifen, nicht auswendig lernen. Zu diesem Zweck muß wenigstens der Schulmeister, die Anstalt, physikalische und chemische Apparate, Bilder der Erdoberfläche, der Erde selbst, ihrer Bewegungen und Veränderungen im Himmelsraume, Karten und Globen und zwar in Relief haben. Diese nothwendigen Mittel für den Anschauungsunterricht sollten in keiner Schule fehlen, auch nicht in der ärmsten Dorfschule. Selbst die ärmste gehört einer ganzen Gemeinde an, die nie mehr so arm sein kann, daß sie etwa 20–30 Thaler für das Wissen und Wohl aller ihrer Kinder nicht erschwingen könnte. Nun, und dafür kann sie sich schon eine Relief-Erdkugel und physikalische wie chemische Apparate kaufen, hinreichend für die dauerndste, wesentlichste Reform und Belebung alles Lernens und Wissens.

Es machte dem Eigenthümer der Gartenlaube persönlich und im Interesse seiner Hunderttausende von Lesern die lebhafteste Freude, als er vor einiger Zeit zum ersten Male die neuesten und vollkommensten Apparate für den Anschauungsunterricht in der Geographie kennen lernte. In seinem Auftrage macht es uns Freude, hier diese Relief-Globen und Tellurien zur nähern Kenntniß in den weitesten Kreisen zu bringen.

Die Geographie ist auf unserer elektrotelegraphisch, durch Dampf, Handel und Wandel engverbundenen und zusammenhängenden Erde eine der nothwendigsten und interessantesten, vollkommensten Wissenschaften geworden. Man lernt nicht mehr Länder und Grenzen und Flüsse und Berge und Städte auswendig, sondern zeigt und lehrt, wie unsere ganze Erde auf den einzelnen Stellen wirklich aussieht, wo und wie sie lebt und wirkt und in das Ganze eingreift.

Was kann es Anregenderes und Belehrenderes geben, als diese ganze Erde rund und vollständig mit allen ihren Bergen und Thälern in getreuer Nachahmung der wirklichen Gestalt vor uns zu sehen, die verschiedenen Gebirgshöhen, ihre Züge und Gestaltungen, dazu die sonst so schwer zu begreifenden Kreislinien, die Horizonte, die Achse, den Aequator, die Meridiane, die Wendekreise. die Polarcirkel, die Zonen, die Ekliptik, den Thierkreis, die Aequinoctien, die Solstitien, die Parallellinien alle in ihren wirklichen Lagen, Richtungen und Bedeutungen!

Gewöhnliche Karten und Globen sind so lange gut, als es nichts Besseres giebt. Die neuen Relief-Globen aber, wie sie jetzt vorzüglich in Berlin gefertigt werden, erheben das Studium der Geographie zum anmuthigsten Genusse. Die ganze Erdoberfläche wird lebendig vor uns, die wirklichen Formen der Gebirge und Thäler mit ihren Flußnetzen dazwischen, die bestimmten Farben, Schatten und Lichter, wodurch Land und Meer, Gebirg und Thal sich vor unserem Blick deutlich zur Erdkugel runden, die genaue politische Eintheilung dazu, die Meeresströmungen, die mit genauer Druckschrift in Thäler und Ebenen, auf Höhen und Bergen eingeklebten Städtenamen, die Beweglichkeit der besseren Sorten dieser Globen mit messingenen, genau gradeingetheilten Halb-Meridianen u. s. w. verwandeln unsere alten, traurigen geographischen Lernereien beinahe in wirkliche Reisen. Man reist auch wirklich mit den Augen und klettert bis auf schneebedeckte Gebirgshäupter und steigt wieder hinunter und eilt in Thälern an Flüssen entlang und fährt über Meere und Oceane und kommt im Nu von der anderen Seite her wieder nach Hause und hat, wie der edle Odysseus, der dazu zehn Jahre brauchte, in einigen Minuten „die Städte vieler Menschen gesehen und ihren Sinn erkannt“. Wenigstens weiß man genau, wer heiß oder kalt, eben, tief oder hoch wohnt, und kann daraus schon schließen, was für verschiedene Charaktere und Farben diese verschieden einquartierten Bewohner haben mögen. Die Lagen, Formen, Umhänge, Fernen- und Größenverhältnisse der Erdtheile und Länder zu einander prägen sich in klaren Umrissen und körperlichen Massen in unsere Vorstellung hinein. Die Flüsse, deren Gebiete und Netze, deren Ursprung, Verlauf und Mündung, auf Plankarten ein wirres Umherirren, eben so wie das krause Gestrichle von Gebirgen, werden auf der Reliefkarte sofort erklärliche und klare Gewinde. Man kennt die Flußscheiden, man sieht, warum der eine so und nicht anders, der eine dahin, der andere dorthin fließen muß – nachdem man das Alles einmal recht genau gesehen, weiß man für immer, wo alle die Flüsse entspringen, wie sie laufen und wohin sie münden.

Daß der Reliefglobus zugleich der beste Körper zur Veranschaulichung und leichten, genauen Lösung schwieriger geographischer und astronomischer Aufgaben ist, Aufgaben, die sonst nur durch schwere trigonometrische Berechnungen gefunden, also den Kindern in gewöhnlichen Schulen gar nicht begreiflich gemacht werden können, mag hier eben nur angedeutet bleiben.

Wir wollen lieber etwas genauer erzählen, wie man in der Stube vor allen Kindern diese unsere runde Erde auch um die Sonne und dabei den Mond um die Erde sich drehen, so alle vier Jahreszeiten, Tag und Nacht, das Sonnenjahr darstellen und dabei sogar wirkliche Sonnen- und Mondfinsternisse machen kann. Dieser wundervolle wissenschaftliche Apparat, der zugleich so heiter und leicht wie ein Spielzeug behandelt werden kann, heißt ein Tellurium (von dem lateinischen tellus, gen. telluris: die Erde).

Wir sehen ein solches Tellurium abgebildet, d. h. auf einem starken, polirten Gestelle (a) eine metallene, glatte Scheibe (b) mit einem Lichte oder einer Lampe aus deren Mitte empor (c), dahinter einen sehr blank polirten Hohl- oder Reflections-Spiegel (d), auf der Scheibe einen beweglichen Querbalken (e), der in einen Kasten ausläuft (f), worin sich ein Feder- oder Uhrwerk befindet, das man aufziehen kann. Darüber befindet sich ein uhrenartiges Räderwerk (g), aus welchem eine Kugel, ein Globus, die Erde (h), an einem beweglichen Stiele hervorragt, daneben an einem durch das Uhrwerk beweglichen Drahte eine kleinere Kugel, der Mond (i). Um die Scheibe und ein Rad unter dem Uhrwerke läuft eine Kette (k). Die Handhabe, dem Balken gegenüber (l), dient blos dazu, der Schwere des Balkens und seines Apparats das Gleichgewicht zu halten. Das sind die in die Augen fallenden Bestandtheile des Telluriums, die wir ohne alle wissenschaftlichen Erklärungen eben nur angegeben haben, um die Vorstellung des in voller Körperlichkeit vor uns stehenden Instrumentes oder Apparates zu erleichtern.

Wir haben damit in der Mitte (Licht und Hohlspiegel) die Sonne, und auf dem Ende des Querbalkens Mond und Erde. Wenn man nun das Uhrwerk unten aufzieht, dreht sich der Balken [793] um die Scheibe herum, dabei die Erde um sich selbst und um die Sonne, und der Mond um die Erde. Dabei kommen folgende geographische und astronomische Lehren und Thatsachen zu voller Anschauung und wirklichem Vorgange:

1) Wirkung der Sonne auf Erde und Mond mit ihrem Lichte,

2) Bewegung der Erde um ihre Achse und um die Sonne,

3) Bewegung des Mondes um die Erde,

4) Sonnen- und Mondfinsternisse.

Das Tellurium steht vor uns auf dem Tische. Wir stecken die Lampe oder Sonne an, machen das Zimmer dunkel und


Das Tellurium.

lassen durch den Druck auf eine Feder das aufgezogene starke Federwerk wirken. Und nun haben wir den bewegten Himmel in unserer Stube. Die Sonne scheint auf die um sich selbst rollende und sich um die Sonne drehende Erde hinüber. Der Mond muß immer mit und dabei auch nicht versäumen, immer zu rechter Zeit um die Erde herumzukommen und zwölf Mal „neu“ und „voll“ zu werden. Auf der Scheibe ist rundum der Thierkreis bezeichnet, wodurch wir sehen und begreifen lernen, wie die vier Jahreszeiten und die Monate verlaufen, während die Erde einmal um die Sonne sich bewegt.

Dabei dreht sich die Erde 365mal um sich selbst. Wir sehen, wie Tag und Nacht sich damit um die Erde jagen; wir sehen, wie es immer zugleich (nur auf verschiedenen Stellen) Morgen, Mittag, Abend und Nacht wird auf der Erde.

Mit diesen beiden Bewegungen kommt auch der Mondumlauf zur genauen Auschauung. Der Draht, der ihn bewegt, wird durch eine genau regulirte excentrische Scheibe (die Mondbahn) so bewegt, daß die sonst schwer deutlich zu machende Mondbahn wirklich durchlaufen wird und der Mond während jeder 29½ maliger Erdumdrehung (also eines Monats) einmal um die Erde geht. Gleichzeitig werden die Mondwechsel in Raum und Zeit, Licht und Schatten wirklich verauschaulicht. Nun gilt es aber noch das Interessanteste, nämlich Sonnen- und Mondfinsternisse zu machen. Bei den besten und theuersten Tellurien entstehen sie von selber. Um die gewöhnlichen auch dazu zu benutzen, stellt man nur die excentrische Scheibe danach, indem man mit der einen Hand das Gestell der Erdachse festhält, während man mit der andern die Scheibe dreht. So kann man beliebig eine Sonnen- oder Mondfinsterniß machen, totale und theilweise, auch deren Wege, Richtungen, Anfänge und Ausläufe. Sobald die Mondkugel sich zwischen dem Erdglobus und der Sonne (Lampe) befindet, bedarf es nur einer richtigen Stellung der excentrischen Scheibe, um den Mondschatten über die Erde gleiten zu lassen. Die in dem Schatten stehen, sehen dann natürlich die Sonne nicht, also eine Sonnenfinsternis. Befindet sich die Mondkugel auf der entgegengesetzten Seite des Erdballs, so läßt sie sich leicht in den Erdschatten drehen, wir sehen also eine Mondfinsterniß.

So haben wir mit einem wunderbar einfachen Mechanismus, der für Kinder und allgemeinste Anschauung schon von vier Thaler an zu haben ist (aber blos zum Drehen mit der Hand, ohne Uhrwerk) das prächtigste, plastische Unterrichtsmittel in der sonst so schwer begreiflichen mathematischen Geographie. Es wird Tag und Nacht vor unseren Augen, Voll- und Neumond, Frühling, Sommer, Herbst und Winter, und wir erfahren und sehen, warum und wie.

Die Reliefgloben, auch Reliefkarten, die Tellurien, auch physikalische, chemische und elektrische Apparate, hemisphärische Sonnenuhren (patentirte Erfindung des Herrn A. Schmeißer) sind eine ganz besondere, sich täglich vervollkommnende und erweiternde Kunstindustrie der geographisch-artistischen Anstalt von Ernst Schotte und Comp. in Berlin, Potsdamer Straße 36. Ich lernte die Anfänge der Reliefgloben vor 25 Jahren beim Commissionsrath Kummer in Berlin kennen. Dieser starb und mit ihm auch weiterer Fortschritt auf dessen Gebiete auf lange Zeit. Erst ganz neuerdings hat der junge, intelligente, thatkräftige Eigenthümer der erwähnten Anstalt Alles vereinigt, was Wissenschaft, Kunst und Technik zur vollkommensten Ausbildung dieser herrlichen Anschauungs-Unterrichtsmittel irgend leisten können. Reliefgloben in allen Größen und in den meisten gebildeten Sprachen werden zu Preisen von acht bis zu mehreren hundert Thalern gefertigt, wobei wir bemerken, daß Nr. 10 mit politischer Eintheilung, Meeresströmungen, vollständiger Druckschrift für Schulen und für Privatgebrauch für den schönsten und empfehlenswerthesten gehalten wird (kostet 12 Thlr.). Ich denke aber, daß derselbe mit beweglichem, graduirtem, messingenem Halbmeridian (15 Thlr.) vorzuziehen sei. Relief-Kugel-Abschnitte und specielle Reliefkarten eignen sich für genauere Studien, aber auch als würdige Wandverzierungen in Goldrahmen. Von den Tellurien empfehlen sich die einfacheren (ohne Uhrwerk) für Kinder zu Geschenken, genauere mit Uhrwerk (20 Thaler) für alle größeren Schulen, da mit ihnen in einer Stunde mehr mathematisch-geographische Wissenschaft verbreitet werden kann, als sonst durch Lehren und Auswendiglernen in Monaten.

Eltern, Lehrer, Schulvorsteher, „Behörden“ sollten bedenken, daß sie durch Anschaffung solcher Unterrichtsmittel dem nothwendigsten und unerläßlichsten Wissen einen Reiz, eine Leichtigkeit und einen Genuß verschaffen, der belebend und verschönernd auf die ganze Schulstube und auf alle Gesichter aus- und niederstrahlen wird. Es liegt ein wundervoller Zauber in diesen neuen, praktischen, technisch und künstlerisch schönen, gebirgigen Erdkörpern und den geheimnißvoll schnurrenden Drehungen, die Tag und Nacht, Frühling, Sommer, Herbst und Winter, Sonnen- und Mondfinsternisse in unserer engen Zelle mit freundlicher Lampe machen.

H. B.