Hyperion an Bellarmin LV
[63] HYPERION AN BELLARMIN.
Ich hatt’ es lange nicht mit reiner Seele genossen, das kindliche Leben der Welt, nun that mein Auge sich auf mit aller Freude des Wiedersehens und die seelige Natur war wandellos in ihrer Schöne geblieben. Meine Thränen flossen, wie ein Sühnopfer, vor ihr, und [64-65] schaudernd stieg ein frisches Herz mir aus dem alten Unmuth auf. O heilige Pflanzenwelt! rief ich, wir streben und sinnen und haben doch dich! wir ringen mit sterblichen Kräften Schönes zu baun, und es wächst doch sorglos neben uns auf! nicht wahr, Alabanda? für die Noth zu sorgen, sind die Menschen gemacht, das übrige gibt sich selber. Und doch - ich kann es nicht vergessen, wie viel mehr ich gewollt. Lass dir genug seyn, Lieber! dass du bist, rief Alabanda, und störe dein stilles Wirken durch die Trauer nicht mehr. Ich will auch ruhen, sagt’ ich. O ich will die Entwürfe, die Fodrungen alle, wie Schuldbriefe, zerreissen. Ich will mich rein erhalten, wie ein Künstler sich hält, dich will ich lieben harmlos Leben, Leben des Hains und des Quells! dich will ich ehren o Sonnenlicht! an dir mich stillen, schöner Aether, der die Sterne beseelt, und hier auch diese Bäume umathmet und hier im Innern der Brust uns berührt! o Eigensinn der Menschen! wie ein Bettler, hab ich den Naken gesenkt und es sahen die schweigenden Götter der Natur mit allen ihren Gaaben mich an! - Du lächelst, Alabanda? o wie oft, in unsern ersten Zeiten, hast du so gelächelt, wann dein Knabe vor dir plauderte, im trunknen Jugendmuth, indess du da, wie eine stille Tempelsäule standst, im Schutt der Welt, und leiden musstest, dass die wilden Ranken meiner Liebe dich umwuchsen - sieh! wie eine Binde fällts von meinen Augen und die alten goldenen Tage sind lebendig wieder da. Ach! rief er, dieser Ernst, in dem wir lebten und diese Lebenslust! Wenn wir jagten im Forst, rief ich, wenn in der Meersfluth wir uns baadeten, wenn wir sangen und tranken, wo durch den Lorbeerschatten die Sonn’ und der Wein und Augen und Lippen uns glänzten - es war ein einzig Leben und unser Geist umleuchtete, wie ein glänzender Himmel, unser jugendlich Glük. Drum lässt auch keiner von dem andern, sagte Alabanda. O ich habe dir ein schwer Bekenntniss abzulegen, sagt’ ich. Wirst du mir es glauben, dass ich fort gewollt? von dir! dass ich gewaltsam meinen Tod gesucht! war das nicht herzlos? rasend? ach und meine Diotima! sie soll mich lassen, schrieb ich ihr und drauf noch einen Brief, den Abend vor der Schlacht - [66] und da schriebst du, rief er, dass du in der Schlacht dein Ende finden wolltest? o Hyperion! Doch hat sie wohl den lezten Brief noch nicht. Du must nur eilen, ihr zu schreiben, dass du lebst. Bester Alabanda! rief ich, das ist Trost! Ich schreibe gleich und schike meinen Diener fort damit. O ich will ihm alles, was ich habe, bieten, dass er eilt und noch zu rechter Zeit nach Kalaurea kömmt. - Und den andern Brief, wo vom Entsagen die Rede war, versteht, vergiebt die gute Seele dir leicht, sezt’ er hinzu. Vergiebt sie? rief ich; o ihr Hoffnungen alle! ja! wenn ich noch glüklich mit dem Engel würde! Noch wirst du glüklich seyn, rief Alabanda; noch ist die schönste Lebenszeit dir übrig. Ein Held ist der Jüngling, der Mann ein Gott, wenn ers erleben kann. Es dämmerte mir wunderbar in der Seele bei seiner Rede. Der Bäume Gipfel schauerten leise; wie Blumen aus der dunklen Erde, sprossten Sterne aus dem Schoose der Nacht und des Himmels Frühling glänzt’ in heiliger Freude mich an. |