Hyperion an Bellarmin XXVI

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Autor: Friedrich Hölderlin
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Titel: Hyperion – Hyperion an Bellarmin XXVI
Untertitel: oder der Eremit in Griechenland – Erster Band
aus: Hyperion oder der Eremit in Griechenland von Friedrich Hölderlin. Erster Band. Tübingen 1797; S. 110–113
Herausgeber:
Auflage: 1
Entstehungsdatum: o. A.
Erscheinungsdatum: 1797
Verlag: J. G. Cotta'sche Buchhandlung
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Erscheinungsort: Tübingen
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Quelle: www.hoelderlin.de
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[110-111]
HYPERION AN BELLARMIN.


     Ich baue meinem Herzen ein Grab, damit es ruhen möge; ich spinne mich ein, weil überall es Winter ist; in seeligen Erinnerungen hüll’ ich vor dem Sturme mich ein.

     Wir sassen einst mit Notara - so hiess der Freund, bei dem ich lebte - und einigen andern, die auch, wie wir, zu den Sonderlingen in Kalaurea gehörten, in Diotima’s Garten, unter blühenden Mandelbäumen, und sprachen unter andrem über die Freundschaft.

     Ich hatte wenig mitgesprochen, ich hütete mich seit einiger Zeit, viel Worte zu machen von Dingen, die das Herz zunächst angehn, meine Diotima hatte mich so einsylbig gemacht -

     Da Harmodius und Aristogiton lebten, rief endlich einer, da war noch Freundschaft in der Welt. Das freute mich zu sehr, als dass ich hätte schweigen mögen.

     Man sollte Dir eine Krone flechten um dieses Wortes willen! rief ich ihm zu; hast du denn wirklich eine Ahnung davon, hast du ein Gleichniss für die Freundschaft des Aristogiton und Harmodius? Verzeih mir! Aber bei’m Aether! man muss Aristogiton seyn, um nachzufühlen, wie Aristogiton liebte, und die Blize durfte wohl der Mann nicht fürchten, der geliebt seyn wollte mit Harmodius Liebe, denn es täuscht mich alles, wenn der furchtbare Jüngling nicht mit Minos Strenge liebte. Wenige sind in solcher Probe bestanden, und es ist nicht leichter, eines Halbgotts Freund zu seyn, als an der Götter Tische, wie Tantalus, zu sizen. [112-113] Aber es ist auch nichts herrlicheres auf Erden, als wenn ein stolzes Paar, wie diese, so sich unterthan ist.

     Das ist auch meine Hoffnung, meine Lust in einsamen Stunden, dass solche grosse Töne und grössere einst wiederkehren müssen in der Symphonie des Weltlaufs. Die Liebe gebahr Jahrtausende voll lebendiger Menschen; die Freundschaft wird sie wiedergebähren. Von Kinderharmonie sind einst die Völker ausgegangen, die Harmonie der Geister wird der Anfang einer neuen Weltgeschichte seyn. Von Pflanzenglük begannen die Menschen und wuchsen auf, und wuchsen, bis sie reiften; von nun an gährten sie unaufhörlich fort, von innen und aussen, bis jezt das Menschengeschlecht, unendlich aufgelöst, wie ein Chaos daliegt, dass alle, die noch fühlen und sehen, Schwindel ergreift; aber die Schönheit flüchtet aus dem Leben der Menschen sich herauf in den Geist; Ideal wird, was Natur war, und wenn von unten gleich der Baum verdorrt ist und verwittert, ein frischer Gipfel ist noch hervorgegangen aus ihm, und grünt im Sonnenglanze, wie einst der Stamm in den Tagen der Jugend; Ideal ist, was Natur war. Daran, an diesem Ideale, dieser verjüngten Gottheit, erkennen die Wenigen sich und Eins sind sie, denn es ist Eines in ihnen, und von diesen, diesen beginnt das zweite Lebensalter der Welt - ich habe genug gesagt, um klar zu machen, was ich denke.

     Da hättest du Diotima sehen sollen, wie sie aufsprang und die beeden Hände mir reichte und rief: ich hab’ es verstanden, Lieber, ganz verstanden, so viel es sagt.

     Die Liebe gebahr die Welt, die Freundschaft wird sie wieder gebähren.

     O dann, ihr künftigen, ihr neuen Dioskuren, dann weilt ein wenig, wenn ihr vorüberkömmt, da, wo Hyperion schläft, weilt ahnend über des vergessnen Mannes Asche, und sprecht: er wäre, wie unser einer, wär’ er jezt da.

     Das hab’ ich gehört, mein Bellarmin! das hab’ ich erfahren, und gehe nicht willig in den Tod.

     Ja! ja! ich bin vorausbezahlt, ich habe gelebt. Mehr Freude konnt’ ein Gott ertragen, aber ich nicht.