Hyperion an Diotima XLV
[36-37] HYPERION AN DIOTIMA.
Der Vulkan bricht los. In Koron und Modon werden die Türken belagert und wir rüken mit unserem Bergvolk gegen den Pelopones hinauf. Nun hat die Schwermuth all’ ein Ende, Diotima, und mein Geist ist vester und schneller, seit ich in lebendiger Arbeit bin und sieh! ich habe nun auch eine Tagesordnung. Mit der Sonne beginn’ ich. Da geh’ ich hinaus, wo im Schatten des Walds mein Kriegsvolk liegt und grüsse die tausend hellen Augen, die jezt vor mir mit wilder Freundlichkeit sich aufthun. Ein erwachendes Heer! ich kenne nichts gleiches und alles Leben in Städten und Dörfern ist, wie ein Bienenschwarm, dagegen. Der Mensch kans nicht verläugnen, dass er einst glüklich war, wie die Hirsche des Forsts und nach unzähligen Jahren klimmt noch in uns ein Sehnen nach den Tagen der Urwelt, wo jeder die Erde durchstreifte, wie ein Gott, ach, ich weiss nicht was? den Menschen zahm gemacht; und noch, statt Mauern und todtem Holz, die Seele der Welt, die heilige Luft allgegenwärtig ihn umfieng. Diotima! mir geschieht oft wunderbar, wenn ich mein unbekümmert Volk durchgehe und, wie aus der Erde gewachsen, einer um den andern aufsteht und dem Morgenlicht’ entgegen sich dehnt, und unter den Haufen der Männer die knatternde Flamme emporsteigt, wo die Mutter sizt mit dem frierenden Kindlein, wo die erquikende Speise kocht, indess die Rosse, den Tag witternd, schnauben und schrein, und der Wald ertönt von allerschütternder Kriegsmusik, und rings von Waffen schimmert und rauscht - aber das sind Worte und die eigne Lust von solchem Leben erzählt sich nicht. Dann sammelt mein Hauffe sich um mich her, mit Lust, und es ist wunderbar, wie auch die Ältesten und Trozigsten in aller meiner Jugend mich ehren. Wir werden vertrauter und mancher erzählt wies ihm ergieng im Leben und mein Herz schwillt oft von mancherlei Schiksaal. Dann fang’ ich an, von besseren Tagen zu reden, und glänzend gehn die Augen ihnen auf, wenn sie des Bundes gedenken, der uns einigen soll, und das stolze Bild des werdenden Freistaats dämmert vor ihnen. Alles für jeden und jeder für alle! Es ist ein freudiger Geist in den Worten und er ergreift [38-39] auch immer meine Menschen, wie Göttergebot. O Diotima! so zu sehn, wie von Hoffnungen da die starre Natur erwaicht und all’ ihre Pulse mächtiger schlagen und von Entwürfen die verdüsterte Stirne sich entfaltet und glänzt, so da zu stehn in einer Sphäre von Menschen, umrungen von Glauben und Lust, das ist doch mehr, als Erd’ und Himmel und Meer in aller ihrer Glorie zu schaun. Dann üb’ ich sie in Waffen und Märschen bis um Mittag. Der frohe Muth macht sie gelehrig, wie er zum Meister mich macht. Bald stehn sie dichtgedrängt in macedonischer Ruh’ und regen den Arm nur, bald fliegen sie, wie Stralen, auseinander zum gewagteren Streit in einzelnen Hauffen, wo die geschmeidige Kraft in jeder Stelle sich ändert und jeder selbst sein Feldherr ist und sammeln sich wieder in sicherem Punkt - und immer, wo sie gehen und stehn in solchem Waffentanze, schwebt ihnen und mir das Bild der Tyrannenknechte und der ernstere Wahlplaz vor Augen. Drauf, wenn die Sonne heisser scheint, wird Rath gehalten im Innern des Walds und es ist Freude, so mit stillen Sinnen über der grossen Zukunft zu walten. Wir nehmen dem Zufall die Kraft, wir meistern das Schiksal. Wir lassen Widerstand nach unserem Willen entstehn, wir reizen den Gegner zu dem, worauf wir gerüstet sind. Oder sehen wir zu und scheinen furchtsam und lassen ihn näher kommen, bis er das Haupt zum Schlag uns reicht, auch nehmen wir ihm mit Schnelle die Fassung und das ist meine Panacee. Doch halten die erfahrneren Ärzte nichts auf solche allesheilende Mittel. Wie wohl ist dann des Abends mir bei meinem Alabanda, wenn wir zur Lust auf muntern Rossen die sonnenrothen Hügel umschweifen, und auf den Gipfeln, wo wir weilen, die Luft in den Mähnen unserer Thiere spielt, und das freundliche Säuseln in unsere Gespräche sich mischt, indess wir hinaussehn in die Fernen von Sparta, die unser Kampfpreis sind! und wenn wir nun zurük sind und zusammensizen in lieblicher Kühle der Nacht, wo uns der Becher duftet und das Mondlicht unser spärlich Mahl bescheint und mitten in unsrer lächelnden Stille die Geschichte der Alten, wie eine Wolke aufsteigt aus dem heiligen Boden, der uns trägt, wie seelig ists da, in solchem Momente sich die Hände zu reichen! Dann spricht wohl Alabanda noch von manchem, den die Langeweile des Jahrhunderts [40] peinigt, von so mancher wunderbaren krummen Bahn, die sich das Leben bricht, seitdem sein grader Gang gehemmt ist, dann fällt mir auch mein Adamas ein, mit seinen Reisen, seiner eignen Sehnsucht in das innere Asien hinein - das sind nur Nothbehelfe, guter Alter! möcht’ ich dann ihm rufen, komm! und baue deine Welt! mit uns! denn unsre Welt ist auch die deine. Auch die deine, Diotima, denn sie ist die Kopie von dir. O du, mit deiner Elysiumsstille, könnten wir das schaffen, was du bist! |