Ideen über Glük und Glükseligkeit
[5] Glükseligkeit, ist so wie Tugend eine Sache, wovon
jedermann spricht, – welche sich viele zu besizen schmeicheln,
– welche einige besizen, – und wovon die wenigsten
einen wahren Begriff haben. Ich glaube dieses kömmt daher;
weil die meisten Menschen sich ganz falsche Vorstellungen,
ganz irrige und immer noch zu sinnliche Begriffe von
den Mitteln zur Glükseligkeit, ich meine vom sogenannten
Glük machen. Denn das Glük war – und ist noch
immer so ein Untergott der meisten Sterblichen, von dem
sie alles erwarten, um selbst desto weniger thun zu dürfen,
und den sie verehren oder tadlen, je nachdem er mehr
oder weniger gerecht, wie sie wähnen, seine Güter verteilt
hat. Fast jeder Weltbürger entwirft sich davon ein Bild,
jeder trägt aus seinen Schiksalen eigene Farben auf; –
und dennoch wird es kein Gemälde, sondern nur ein mehr
oder minder feines Gespinste, der verschiedentlich lebhaften
Einbildungskraft.
[6] Die Alten hatten auch schon davon mancherlei Begriffe. Sie beteten das Glük als eine blinde, mächtige und unerbittliche Göttin an. Sie errichteten ihr Ehrensäulen. Sie sezten ihr den Polarstern auf das Haupt, und gaben ihr in die linke Hand das Horn des Ueberflusses. Homer besingt sie als Ozeans Tochter, in deren Schoos Zeus an der Juno Brust gesäugt worden. Pindar rechnet sie zu den Parzen, und Euripides nennt sie die Beherrscherin aller vergänglichen Dinge.
Noch mannigfaltiger waren die Sinnbilder der Griechen. Bald eigneten sie ihr einen geflügelten Liebesgott zur Gesellschaft zu, bald legten sie den Plutus oder den Gott des Reichthums an ihre Mutterbrust. Auch gaben sie ihr in die rechte Hand ein flammendes Feuer und in die linke ein Gefäs mit Wasser. Die Römer fragten sie als ein Orakel um Rath und verewigten sie durch Denkmähler und Münzen. Bald ward sie mit verbundenen Augen auf einen Wagen, den blinde Pferde ziehen musten, vorgestellt; bald in der Gestalt eines greisen bärtigen Mannes mit einem Steuerruder; bald wie eine ehrwürdige Matrone mit Amaltheens Fruchthorn. Entweder bezeichnete man dadurch ihre grenzenlose willkürliche Macht, oder ihre auszuteilenden Schäze. Das einstimmige Bild aber war das Sinnbild des Unbestandes: – [7] ein Rad oder eine Kugel. Ovid und Tibull brauchen es. Doch Horaz schildert ihren Mutwillen, ihre Unstätigkeit und ihre unsichere Wahl schon mit stärkeren Farben. –
Warlich, wäre Glük und Glükseligkeit nicht von einander unterschieden, und würde also Beides durch dasjenige unvermeidliche Verhängnis bezeichnet, welches den Menschen vom ersten Geburtshauche an, durch alle Lebensscenen begleiten, und welches gleichsam – wie man sagt, – seiner Stirne eingedrükt seyn, und mit dem milden oder widrigen Einflus der Gestirne in Verbindung stehen soll; nun so dürften die meisten Schilderungen der Alten überaus treffend und selbst am Schlusse des so ganz für Schwärmerei und Leichtglauben gestimmten Achtzehnten Jahrhunderts, noch hie und da anwendbar seyn. Denn noch immer seufzt der kurzsichtige Sterbliche über die Kaprizen des Glüks. Bald ist es ihm ein Tyrann, bald ein gefälliger Freund, heute einem mürrischen Greise, und morgen einem tändelnden Kinde ähnlich. Es schläft und wacht wieder, lächelt und murrt, liebkoset und spöttelt, verwundet und heilt, bauet und reist nieder, umarmt – gleich einem leichtsinnigen Mädchen den Liebling, und verläst ihn flügelschnell gegen einen andern. – Wie oft hebt es [8] Weise – ich wollte sagen Thoren empor? – Gilt nicht bei vielen ein Quentchen äusseres Glük mehr, als ein Zentner Klugheit? Und kan nicht mancher wenn das Glük schwärmt, es wie Bienen mit blechernem Klange lokken? mancher hingegen, sollte er es auch geharnischt erobern wollen, bebt mit empfindlichen Stichen zurük! Wie oft zerbricht es die Bande der Menschengeselligkeit, verfolgt mit stiefmütterlichem Has den Rechtschaffnen, und befriedigt die schwarzen Künste des krichenden Schleichgängers! – Doch, so mannigfaltig und oft sogar grausam und unabänderlich auch hier das Glük in vielen Abbildungen erscheint, so empfängt es dennoch sogleich eine ganz andere Gestalt, wenn (wie ich bald zeigen werde) man äusseres und inneres Glük, wahres Glük und Scheinglük, Glük und Glükseligkeit gehörig von einander unterscheidet. Denn das wahre, wesentliche, ich meine das innere Glük; bleibt immer in unserer Gewalt.
Es würde aber lächerlich seyn, wenn man die bildenden Künste für die alleinige Mutter so mancher Irrthümer bei der Schilderung des Glüks halten wolte; obgleich ich einräumen kann, daß sie bisweilen eine zufällige Ursache davon mögen gewesen seyn: wenn [9] sie nämlich von den eigentlich sogenannten Professionisten behandelt, oder von solchen seichten Köpfen beurteilt wurden, die nicht Fähigkeit genug hatten, die Idee von ihrer sinnlichen Bezeichnung zu unterscheiden und abzuziehen. Das Glük ist in den meisten Fällen noch ein Wort ohne Sinn, in einigen andern bezeichnet es die äussere vortheilhafte Lage eines Menschen, dann wird es dem Verdienste und der Tugend entgegengesezt, und endlich mit der Glükseligkeit verwechselt. Auf die Bestimmung des lezteren Falls kömt es am meisten an. Im eigentlichen Verstande genommen, kan es, wenn man sich etwas dabei denken soll, nichts anders; als das Zusammentreffen, die Konkurrenz verschiedener äusseren Umstände zum Vorteile einer Sache, oder dieser und jener Person anzeigen. Glük und Glükseligkeit stehen nach diesem Begriff in der Verbindung mit einander, daß das erste ein Mittel zur leztern werden kan, wenn nämlich die Aussendinge etwas dazu beitragen, die angenehmen Empfindungen in uns zu erhalten, oder zu vermehren. Nur muß man sich dafür hüten, daß man diese Aussendinge nicht zum Grunde seiner Glükseligkeit machen wolle; – denn das können sie nie werden, weil sie gröstenteils so vergänglich und selbst oft mit unangenehmen Folgen verbunden sind. [10] Hieraus läst sich nun zugleich das Verhalten des weisen Mannes gegen sie herleiten, und aus diesem Gesichtspunkte ist es auch ferner wahr, wenn man sagt: Ein jeder ist seines Glükes Meister. – Es werden dem Menschen nämlich gewisse Mittel zu seiner Volkommenheit angewiesen, deren Anwendung von der Benutzung seiner Fähigkeiten abhängt. Man sollte es daher wenn man das Wort brauchen wollte, ein verdientes Glük nennen, wo der Erfolg gewisser Handlungen der Klugheit entspricht, mit welcher die Menschen sie unternamen und ausführten. Davon ist der Zufall unterschieden, der nicht in unsrer Gewalt steht, und welchen man ein unverdientes blindes Glük zu nennen gewohnt ist; wenn besonders ein weniger kluges Verhalten einen guten Fortgang hat. Ich will nur noch einen andern Unterschied berüren, den man zwischen dem Scheinglük und dem wahren wesentlichen Glük zu machen hat. Das Scheinglük ist wie ich glaube dasjenige; welches uns in der Zukunft mehr schädlich wird. Gewis würden wir oft, wenn der Plan des Ganzen vor uns aufgedekt da läge, unsre Wünsche und Urteile zurüknehmen. Und sollte uns dazu nicht schon unsre Erfahrung aufmuntern, die uns lehrt; daß wir uns schon so oft betrogen haben? – Wahres, wesentliches [11] Glük nenne ich das, welches mit unserer Glükseligkeit in näherem Verhältnisse steht, und ganz zunächst davon abzwekt. Ein weiser Gebrauch, eine geschikte Anwendung des Beschiedenen, zu unserem und anderer Wohl; der süsse Wink unseres Gewissens, daß wir unsre Bestimmung erfüllen, das Bewustseyn ädler Handlungen, die Stimmung angeborner Leidenschaften zur Ordnung, die Natur und Gesez uns vorschreiben; – das ist wahres, wesentliches Glük. Stets handelt der Weise nach dem Maasstabe richtiger und geprüfter Grundsäze. Wohlangewandte Zeit, die doch endlich alle Dinge, wie Saturn seine Kinder frist, bleibt seine Schazkammer lehrreicher Erfahrungen. Sein äusseres Schiksal erwartet er mit furchtloser Stirne von der unverkürzten Hand der Vorsehung. Die Zukunft, ist sie gleich mit nächtlicher Finsternis umhüllt, beunruhigt ihn nicht. Denn ununterbrochene Freuden werden endlich schaal und unschmakhaft. Ist nicht die ganze Natur blos durch die Abwechselung schön? Fortwärende Einförmigkeiten der Akkorden würden das Ohr und unübersehbare Ebenen das Auge ermüden. Dissonanzen sind für die Harmonie, und Gebürge für die Simmetrie nothwendig. Die Musik braucht Mistöne, die Dichtkunst dann und wann rauhe Verse. Ein Werk, worin eine ununterbrochne Reihe [12] erhabner und schöner Gedanken sich befände, würde nicht gefallen, wenn es nicht hin und wieder dunkel wäre. Unvermutete und unverschuldete Leiden sind freilich nicht selten sehr strenge. Denn wann Gewitter das Meer schwellen, wann wirbelnde Wogen sich aufthürmen, und der Mastbaum von Orkanen kracht, dann wird auch wohl der standhafteste Steuermann muthlos. Allein drükt gleich das widrige Glük den Weisen, es erdrükt ihn nicht: er hebt sich wie die gedrukte Palme empor und sein treuster Lebensgefährte – sein Schuzengel stärkt ihn. – Er denkt wie Horaz: Schwingt das Glük seinen Fittig zur Flucht; so gebe ich ihm willig seine Geschenke zurük, und wähle; eingehüllt in meine Tugend – redliches Bedürfnis!
Innere Unschuld, ist also nach meinen Begriffen die erste Grundlage der ganzen Menschenglükseligkeit. – Man denke sich ein Arkadien, wo die Kabalistik der Welt mit ewigem Banne verscheucht ist, wo keine Brut des Eigennuzes, der Lieblosigkeit umherwült; wo kein Mensch, kein Arzt den andern verschwazt, wo kein Fanfaron auf dem Dreifusse das Wort führt, wo der schleichende Neid und die unädle Rache keine Freistadt finden, wo kein Gift der Wollust, kein thierischer Magnetismus, [13] Jesuitismus, Martinismus, wo kein Illuminations- und Divinationsvermögen, keine halsbrechende oder sonst anderweitig erkünstelte Luftart, – kurz keine Charlatanerie, unter welcher Maske sie auch immer auftreten mag; Herz und Gehirn verpesten. – Da strömen in wonnereichen Gefilden dem Bewohner erquikende Bäche hin, die der Schwelger verachtet. Da säuseln ihm gesprächige Zephire bei kühlen Sommerabenden, die der Weltsklave am Spieltisch entweihet. Da tönen ihm unverschnittne Luftsänger in zahllosen Konzerten, die der taube Wizling nur angafft. Da entzüken ihn Perlen des Morgenthaues, kleereiche Wiesen, sprossende Saaten, balsamduftende Blumen; die der Geldhungrige nicht schäzen kan. – Da zeigen sich recht die Verbrüderungen der Nerven im schönsten Einklange jeglicher Kräfte, durch laute Gefühle des Wohlseins und sanfte Ahndungen der möglich längsten Fortdauer; die der Süsling aus feiner Porzellanerde und wohlriechendem Thierleim zusammengefügt, – die das ganze Heer der in der grossen Welt lebendig herumwandelnden Potpourris an sich selbst nie erprüft, – höchstens nur par renommée zu kennen die Ehre hat. – Da windelt sich reine simpathetische Liebe und Freundschaft in die Falten [14] des Herzens ein, die kein Wollüstler und Modefreund fühlt. Da wallt die Seele in Regungen zum Wesen der Wesen, wie ein sanftrieselnder Flus zum Ozean hinüber. – Und solch ein Paradies bewohnten wahrscheinlich unsere Stammeltern; und ihre Nachkömlinge? – Ach wären sie das was sie seyn sollten, – könnten es zum Theil noch besizen!
Weisheit, ist nach meinem Urtheil die zweite Grundsäule der Menschenglükseligkeit. Ich verstehe aber unter Weisheit nichts anders; als nur Vervollkomnung seiner Selbst, streng und richtig gewälter Standpunkt, zur genauen Beobachtung und Beurtheilung der Aussendinge und ihre Beziehung auf uns und andere. Denn alle unsere Empfindungen sind doch nur von der Lage unseres Körpers abhängig, und alle unsere Urtheile arten nach dem Medium, wodurch wir die Dinge in der Welt zu beobachten pflegen. Sich auszeichnender Rang, prachtvoller Aufwand und hohe Geburt, blenden oft nur mehr, als sie erleuchten. Reichthümer und sogenannte Schäze werden von ihrem hohen Preise herabgewürdigt, sobald sie aufhören Hülfsmittel zu seyn; Darbende zu erquiken und die Tränen der Leidenden und Bedrängten zu troknen. [15] Selbstkentnis, Weltklugheit, Geselligkeit, Wisbegierde und auf eigne Rechtschaffenheit sich stüzende Hoffnung und frohe Aussicht in die Zukunft, – dieses sind die einzelnen seligen Zweige der Menschenweisheit und Liebe. Der grössere Menschenteil freilich schäzt Glükseligkeit mehr nach ihrer Lebhaftigkeit als nach ihrer Dauer, und zieht daher dieselbe Quantität von Vergnügen in wenige Augenblike konzentrirt, einer gleich grossen, aber durch einen längern Zeitraum verteilten Summe vor. Allein je mehr Menschen denken, und je weiser sie denken und gedacht haben, desto bessere Rechenmeister des Vergnügens werden sie, und vergleichen Vergnügungen nicht blos der Lebhaftigkeit, sondern auch der Dauer nach. Alle Menschen wollen zwar glüklicher seyn, aber die wenigsten vollkommner. – Daher gibt es denn auch wohl mehr Freunde vom Glük, weit weniger vom Verdienste anderer. Daher werden auch wohl die meisten Güter in der Welt mit grösserer Lebhaftigkeit erjagt, als genossen. Also ohne genaue Erkenntnis und Erprüfung dessen, was angenehm und lebhaft nicht nur, sondern auch dauerhaft vergnügt; ohne kluge Auswahl der besten Mittel, einen gewissen Endzweck zu erreichen, ohne Begränzung und Mässigung seiner Leidenschaften, ohne Studium der Nazion und des Zirkels von Menschen, unter denen wir leben, ist keine Vervollkomnung, [16] keine Menschenweisheit, keine Glükseligkeit möglich. Denn weise seyn und glükselig seyn, ist in meinem Wörterbuche eins.
Endlich so sind denn noch gewisse Feinheiten im Betragen des Menschen selbst, die zu seiner Glükseligkeit ungemein beisteuren. Dazu gehört erstens: Man muß sich einmal entschliessen, was man eigentlich seyn und anfangen will. – Den meisten Menschen mangelt dieser Endschlus, und doch ist er eine Bedingung, ohne die sie nicht glükselig seyn können. Ohne diesen Endschlus treiben sie sonst blindlings auf einem Meere von Ungewisheit herum, und reissen Abends wiederum ein, was sie nur Morgends gebaut hatten. Sie bringen die eine Hälfte des Lebens hin, dumme Streiche zu machen, und die andere, sie zu bereuen. Lehrt einen jeden nicht schon die Erfahrung, daß es eine Art von Ebbe und Fluth in den menschlichen Schiksalen gäbe? Bedient man sich der Fluth, so führt sie oft zum Glük; versäumt man sie aber, so endigt sich oft die ganze Fahrt unsers Lebens in Sandbänken und Schiffbruch. –
Traurige Ideen so viel möglich entfernen und durch angenehme ersezen; ist anderns auch einer [17] der wichtigsten Gegenstände und Hülfsmittel zur Glükseligkeit. Wir haben es in unserer Gewalt, wenigstens bis zu einem gewissen Grade. Und so sehr ich auch sonst ein abgesagter Feind von allen Präservatifkuren bin, so möchte ich sie dennoch hier wohl selbst anempfehlen. Ich weis wohl, daß es bei einer heftigen Leidenschaft nicht ganz von uns abhängt, die Vorstellungen aus unserer Seele zu verbannen, die uns ängstigen. – Aber man ist nicht immer in einer heftigen Lage, und die kleinen Unfälle, die unangenehme, obgleich unbedeutende Empfindungen erregen, sind immer gut auszuweichen.
Das Glük ist also ausser uns und die Glükseligkeit in uns. Der Weise allein ist glükselig, glüklich kan auch der Thor seyn, – und ist es nur gar zu oft!
Der Besiz daurender angenehmer Empfindungen aber erhebt den Glükseligen weit über den blos Glüklichen. Es ist freilich wahr, die äusserlichen sowohl, als die innerlichen Vergnügungen gehören für unsern gegenwärtigen Zustand und tragen beide zur Glükseligkeit das Ihrige bei. Geld zum Beispiel, – giebt uns gemeiniglich ein äusseres Ansehen, Rang und Würde, – eine Stelle in der Welt. Weisheit, erwirbt uns Schäzung; – bei Kennern wenigstens. [18] Ich glaube, jedes hat seinen Werth und ist dem Menschen zur Erhaltung des Gleichgewichts zwischen Seele und Körper oft mehr und minder nothwendig. Nur auf geschikten Gebrauch und auf zwekmässige Anwendung kömmt alles dabei an. Die herrschendsten Ideen der Menschen endlich, stehen allemal in den ausgebreitesten Verbindungen mit andern, werden folglich durch Veranlassung der Sinne oder der Einbildungskraft am ersten erwekt. Je weniger thierisch diese herrschenden Ideen sind, je minder sie blos auf Natur und Erhaltungstriebe, auf gewisse mechanische Bedürfnisse der bequemern Stellung und Lage, – wie bei Thieren, – kurz auf alleinige Behaglichkeit abzweken; je mehr sie Grundsäze von Warheit, Möglichkeit, Grund und Folge der Dinge, Schiklichkeit, Befördernis des gemeinen und besondern Bestens zum Gegenstande haben, um desto ungestörter ist ihre Aufmerksamkeit, um desto deutlicher ihre Einsicht und um desto weniger entfernen sich Menschen dadurch von dem Endzweke des Schöpfers und ihrer eigentlichen Bestimmung – ich meine von Glükseligkeit. Aber sobald sich Sorgen der Erhaltung, oder andere Naturtriebe mit einmischen, so wird die Aufmerksamkeit sogleich dadurch geschwächt und vom Hauptzweke abgeneigt. Dies beweisen uns die Jahrbücher der Menschheit, in der Schilderung [19] des Looses der Männer von Genie, Einsicht und Betriebsamkeit, die aus übergrosser Sorge fürs gemeine Beste, leider von der andern Seite zu sehr durch Narungssorgen gepeitscht wurden; und über den Kampf der Lebensbedürfnisse mit den Anstrengungen ihrer Vernunftkräfte und Geistesfähigkeiten, durch gegenwärtigen Mangel, oder doch wenigstens durch natürliche Besorgnis für ihre Subsistenz einst im Alter; – mitten in ihrer Laufbahn an der Auszehrung starben, – wie Gelehrte zu sterben pflegen; die entweder ihre Gelehrsamkeit nicht blos in Schränken aufbewahren, und zur allgemeinen Bewunderung ausstellen, – oder deren Herz weniger mit dem Geldbeutel anderer simpathisirt, – oder denen besonders wenn sie Aerzte sind, ein wärmeres Gefühl es nicht verstattet; troz aller affektirten Heiligkeit, (Quäkerei, Herrnhutismus!) dennoch ach so feindselig, bei der oft zwiefach leidenden Menschheit zu brandschazzen. – (Beispiele finden sich nicht im Pope). Allein wenn man denn auch schon die sogenannten äusseren Vergnügungen nicht so ganz von allem Anteil zur Glükseligkeit ausschliessen darf, so muß man doch den wichtigen Grundsaz dabei festsezen: daß das Vergnügen oder Misvergnügen welches von äusseren Dingen abhängt, niemals so dauerhaft ist, als jene innere Empfindungen, von denen die [20] Quelle in uns selbst sich befindet, und die durch das Gefühl unserer Vollkommenheit, unseres Rechtverhaltens, und unserer Ehre, durch die Einsicht in nüzliche Warheiten, durch die Vorstellung des freundschaftlichen Verhältnisses anderer mit uns, und durch das Gefühl der Harmonie und Schönheit entstehen. So verachtet der Glükselige nun zwar das äussere Vergnügen nicht, aber er sucht es auch nie mit Verlust des inneren.
Und welch ein Vortheil, daß er die Mittel zur Erhaltung des leztern nicht allein in seiner Gewalt hat, sondern daß die Ergözungen dieser Art zugleich die wohlfeilsten und ihrer Natur nach die vorzüglichsten sind! Ich rechne besonders dahin die über alles reizende Beobachtung und das Studium der Natur und des Menschen, – die selige Empfindung der Freundschaft, – und die nie zu versiegende Quelle von angenehmen Empfindungen, die aus der Beschäftigung mit den Wissenschaften entspringt. Durch diese verschiedene Mittel erhält denn der Glükselige zugleich das seltenste und ädelste Loos der Menschheit: – inneres Wohlgefallen an sich und seinen Handlungen, welches wir eigentlich Selbstzufriedenheit und Gemüthsruhe nennen, die verbunden mit der Sorge für die Gesundheit und längstmöglichste Fortdauer der gegenwärtigen Verbindungen, [21] – mit der Einschränkung der Begierden, und mit dem Bestreben nach Trostgründen auf gewisse unvermeidliche Widerwärtigkeiten des Lebens gerichtet, seine Wonne vermehren, und selbst für die Ewigkeit dauerhaft gründen. –
Bedarf es nun also wohl jener süssen, schwärmerischen und enthusiastischen Träume von Glük und Glükseligkeit? – Ist es nicht genug, daß wir glükselig seyn können, wenn wir es seyn wollen? Und erwartet unser bei einem eingeschränkten mässigen äussern Glük nicht oft mehr Vergnügen als bei einem völligen Ueberflus? Unser Geschmak, unsere Begierden werden durch immerwärende Sätigungen nur stumpf, nur das Entbehren, das Beraubtseyn giebt ihnen wieder Schwung und Schärfe. Selbst die Götter der Erde, wenn Sie auch sonst alles besässen und nichts entbehren dürften, würden nur oft Langeweile fühlen und selten zufrieden sein. Darum empfiengen Sie von der Gottheit den überschwenglichen Reichthum von Mitteln, die leidende sowohl als thätige Menschheit nicht nur äusserlich glüklich, – sondern wie ich gezeigt habe, auch wahrhaft glükselig zu machen. – und eben dadurch Ihre eigene Glükseligkeit bis zur möglichsten Stufe der Vollkommenheit zu erhöhen.
[22] Und diese bis jezt angestellten Betrachtungen, geben mir besonders durch die Feier des bevorstehenden frohen Tages Gelegenheit, sie annoch auf eine dem Erhabnen Gegenstande desselben würdigste Weise anzuwenden. Dieser Tag, der der Scheitel unserer Allerdurchlauchtigsten Monarchin vor sechs und zwanzig glorreichst verstrichenen Regierungs-Jahren die Krone aufsezte, die Sie mit unverwelklichen Loorbeeren zum Vortheile Ihres Reichs während diesem Zeitraume schmükte, berechtigt auch uns, die Erhabenste Majestät dieser Weisen Regiererin unter so vielen und allbekannten Zeugnissen Ihrer durchaus rastlosen Bemühungen, Menschenglükseligkeit zu befördern, durch eigne Erfahrungen selbst unserer Pflanzschule bewiesen, in tiefster Unterthänigkeit zu bewundern. Denn nicht wollte Sie nur – die Einzige Ihres Zeitalters; – eine weise Gesezgeberin, – eine getreue Beschüzerin Ihrer glüklichen Reiche, – eine Pflegerin und Selbstbeförderin der Wissenschaften und Künste; – und so durch die dem Handel verschiedentlich neu eröfneten Wege, – durch Aufmunterungen des Landmannes und noch endlich durch die Errichtung eigner Volksschulen, eine allgemein bewunderte Vervollkomnerin Ihrer weitläuftigen Staaten, – nein auch eine Schöpferin, – eine Wiederbringerin der [23] ädelsten Geschenke der Gottheit: Leben und Gesundheit, – eine Minderin und Milderin der menschlichen Leiden wollte Sie werden. Dahin zwekken so viele grosse neuerliche Medizinalanstalten, und selbst die, unseres Instituts. – Eilfhundert und einige zwanzig Glükliche, die wärend der fünfjährigen Dauer dieser Allerhöchsten Kaiserlichen Veranstaltung, in dem damit zur praktischen Anweisung der Zöglinge verbundenen kleinen Krankenhause, ihr Leben und ihre Gesundheit wiederempfiengen; erheben an diesem hohen Feste ihre Hände zu Gott, und opfern aus voller Seele Ihrer Grossen Lebenserhalterin lauten und stillen Dank. –
Wir sind überzeugt die hohe Feier dieses allbeglükenden Tages nicht angemesner und dankergebner begehen zu können, als wenn wir in einer öffentlichen Prüfung, den gegenwärtigen Zustand dieser Pflanzschule und die Fähigkeiten unserer Zöglinge, einem Vornehmen und Gelehrten Publikum zur höchstgeneigten Beurteilung vor Augen legen; – als welches wir hiedurch, so wie alle Gönner und Freunde unseres Instituts, auf das ehrerbietigste und ergebenste dazu einladen.