In Constantinopel
In Constantinopel.
Kronprinz Erzherzog Rudolf von Oesterreich ist ein begeisterter Verehrer des Morgenlandes und besitzt ein theilnehmendes Verständniß für seine Bewohner und deren Sitten. Bereits vor drei Jahren, kurz bevor er die Königstochter Stephanie von Belgien heimführte, unternahm er eine Reise nach dem Orient. Er besuchte die Stätten, welche das Heiligthum der gesammten Christenheit geworden sind, und ging von dort nach Aegypten, um in Kairo die Metropole arabischen Culturlebens kennen zu lernen. Die Ergebnisse jener Reise hat der fürstliche Autor in seinem Buche „Eine Orientreise“ niedergelegt. Wichtiger als diese war jedoch die zweite im verflossenen April unternommene Orientreise, auf welcher der Kronprinz in Begleitung seiner anmuthigen Gemahlin den Sultan in Constantinopel und die Höfe der kleinen Balkanfürsten besuchte. Dem freudigen Empfang, welcher dem österreichischen Kaisersohn in jenen Ländern von den Höfen wie von den Völkern bereitet wurde, ist allseitig, und wohl mit Recht, eine über den Charakter bloßer Höflichkeitsbezeugungen hinausgehende Bedeutung zugeschrieben worden.
Das kronprinzliche Paar hatte für seine Reise die denkbar günstigste Zeit auserwählt. Die zweite Hälfte des April ist die Wonnezeit Stambuls, und es erstrahlt da die unvergleichliche Stadt in schönerem Glanze als je. Am Ostermontage Nachts verließ der Hofzug Wien und brauste, in großen Absätzen nur die bedeutendsten Städte, Budapest, Szegedin, Orsova, Verciorova, berührend, Varna zu. Im Hafen dieser Stadt harrte die kaiserliche Yacht „Miramar“ der Gäste, um sie nach Constantinopel zu bringen. Diese Yacht ist ausschließlich für Mitglieder des Kaiserhauses bei Fahrten auf hoher See bestimmt und mit größter Pracht und Eleganz eingerichtet. Mittwoch den 16. Abends dampfte die „Miramar“ von Varna ab und erreichte bei Tagesgrauen die Mündung des Bosporus.
Die Ufer von Asien und Europa rückten immer näher an einander, und von beiden Seiten grüßten malerische Landschaften die Gäste. Aus Cypressenhainen, aus den mit Lorbeerbäumen und Platanen beschatteten Buchten lugten Paläste, Kiosken und Dörfer hervor, tauchten von Zeit zu Zeit Schlösser und alte Ruinen auf, und an vorgeschobenen Punkten erhoben sich Castelle und Strandbatterien, mit schwerem Geschütz armirt. Die eisernen Schlünde entsandten heute kein Verderben, willkommenen Gästen zu Ehren drang der Donner ihrer Salven zu der „Miramar“ hinüber.
Diese „Ochsen“- oder „Rinderfuhrt“, so heißt auf deutsch der Bosporus, ist in der That eine der herrlichsten Landschaften des Orients. Und ihr Reiz wird noch erhöht durch die Bilder aus Sage und Geschichte, die hier vor der Seele des Wanderers auftauchen. Erinnert uns doch schon der Name dieser Meerenge an die griechische Sage von der schönen Io, die hier, in eine Kuh verwandelt, durch das Meer geschwommen. Dort tauchen in der Nähe des europäischen Leuchtthurmes die Kyanäischen Felsen auf, die Symplegaden
[353][354] der Argonauten, die Alles, was zwischen ihnen schwamm oder flog, unbarmherzig zermalmten. Hier muß auch die Stelle liegen, an welcher einst der Perserkönig Darius mit seinem ungeheueren Heere über den Bosporus zog, um das freie Hellas mit Krieg zu überziehen.
Wahrlich, diese Fahrt durch die berühmte Meerenge ist eine würdige Vorbereitung zum ersten Anblicke Constantinopels, jener Wunderstadt, welche, wie einst vor Jahrhunderten, noch heute das heiß ersehnte Ziel gewaltiger Eroberer bildet.
Am Eingange zum Bosporus erwartete eine kleine Flottille von acht Lloydschiffen das kaiserliche Fahrzeug. Die österreichische Colonie war an Bord und brachte dem Kaisersohne den ersten Willkommensgruß entgegen. Von den Forts und den Strandbatterien längs den beiden Ufern donnerten die Salutschüsse: die Mannschaften traten unter das Gewehr, wenn die Yacht vorüberkam. Immer mehr Schiffe schlossen sich dem Gefolge an; die fremden Kriegsfahrzeuge leisteten in voller Flaggengala die Honneurs, dann kam der österreichische Gesandte in Constantinopel, Baron Calice, an Bord. Man näherte sich der Stadt; jetzt gab das türkische Wachtschiff den Salut ab, und sämmtliche Geschütze aller Forts verkündeten nun dem Großherrn die Ankunft seiner Gäste. Um zehn Uhr hielt die Yacht vor der Marmortreppe von Dolma-Bagdsche an. Die Gäste befanden sich in Constantinopel.
Es kann nicht unsere Absicht sein, dem Leser einen vollständigen Bericht dieser Reise zu bieten, welche zwei Wochen hindurch währte und während welcher die Lustbarkeiten, Ausflüge, Besuche, Festtafeln etc. in rascher Folge und großer Zahl einander ablösten. Vielmehr werden wir bei Einhaltung der chronologischen Ordnung nur die bemerkenswerthesten Momente hervorheben und bei jenen länger verweilen, welche der Stift unseres Zeichners illustrirt hat.
Besonders glänzend war der Empfang, der dem kronprinzlichen Paare bei seiner Ankunft in Stambul bereitet wurde. Die „Miramar“ hielt, wie bereits erwähnt, an dem Quai vor dem kaiserlichen Palast von Dolma-Bagdsche an, das – ehemals eine Lieblingsresidenz der Chalifen – mit großer Pracht und verschwenderischem Reichthume eingerichtet ist. Der gegenwärtige Sultan Abdul-Hamid bewohnte es jedoch nie. Eben dieses prachtvolle Schloß war anfangs dazu ausersehen, den kaiserlichen Gästen als Wohnung zu dienen, der Sultan jedoch bestand darauf, daß dieselben in seiner Residenz Yldiz-Kiosk (Sternpalast) untergebracht würden. Und so geschah es auch.
An der Marmortreppe des Schlosses Dolma-Bagdsche harrten nun der Großvezier Said Pascha, der neuernannte Minister des Aeußeren Assym Pascha, der oberste Ceremonienmeister Munir Bey und zahlreiche Spitzen des Civil- und Militärstaats der Ankunft des kaiserlichen Schiffes. Der Großvezier begab sich zuerst an Bord der „Miramar“ und begrüßte die Gäste Namens seines Herrn. Kronprinz Rudolf und seine Gemahlin bestiegen sodann den Kaïk des Sultans – ein reichvergoldetes Boot, mit zwölf in weißrother Seide gekleideten Ruderern bemannt – und setzten an’s Land, wo ihnen seitens der ausgerückten Ehrencompagnie die Honneurs dargebracht und die Würdenträger vorgestellt wurden. In sechsspänniger Galacarosse, welcher noch viele zweispännige nachfolgten, geschah die Fahrt nach der Residenz des Sultans. Der Weg dahin ist steil, steinig. Auf Befehl des Sultans war in wenigen Tagen eine neue geradlinige Straße gezogen worden. Es verschlug Nichts dabei, daß unzählige Baracken, die Wohnungen armer, genügsamer Leute, ganz oder zum Theil niedergerissen werden mußten: – der Sultan hatte es befohlen, und die Leute duldeten es ohne Murren. Bei der Fahrt des kronprinzlichen Paares that dieser neue Weg seine Schuldigkeit; in Gold gekleidete Lakaien gingen zu Fuß neben den Wägen einher, Hofbeamte schritten ihnen voran. Als der Zug die Ringmauer des Yldiz-Kiosk überschritt, stimmte eine dort aufgestellte Musikcapelle die österreichische Volkshymne an.
Yldiz-Kiosk ist als Residenz des Großherrn ganz jungen Datums und erst von dem gegenwärtigen Sultan zu einer solchen auserkoren worden. Noch unter Abdul-Aziz war es nur ein kleines Häuschen, in welchem der Sultan ausruhte, wenn ihn sein Weg nach Dolma-Bagdsche führte. Nun umfaßt dieser Lustsitz eine Menge Paläste, Casernen, Cypressen- und Lorbeerhaine, von denen aus das Auge eine entzückende Aussicht über den Bosporus, das Marmarameer, Stambul, Scutari und bis zum schneeigen [355] Gipfel des Olymp hin genießt. Hier verträumt der Sultan sein monotones Leben, im wahren Sinne des Wortes ein armer Mann, von einer unüberwindlichen Furcht vor Meuchelmördern gefoltert. Niemand betritt Yldiz-Kiosk ohne seine Erlaubniß. Daß er also darauf bestand, das kronprinzliche Paar bei sich wohnen zu lassen, war eine höchst bemerkenswerthe Artigkeit. Er ließ seinen Gästen ein neues Haus – Jeni-Kiosk – in nächster Nähe des Harems erbauen und auf das Prächtigste einrichten. Sie selbst erwartete er mit seinem gesammten Hofstaate am Tage der Ankunft im Thronsaale und empfing sie auf das Freundlichste. Die Kronprinzessin geleitete der Sultan zu einem Ehrensitze, stellte seinen Hof vor und ließ dann seine Gäste in feierlichem Zuge nach den für sie bestimmten Gemächern geleiten. Eine Rundfahrt durch die Straßen Constantinopels, welche die fürstlichen Gäste Nachmittags unternahmen, wobei einige Bazare besichtigt wurden, beschloß den ersten Tag in Stambul.
Der darauffolgende Freitag brachte den Gästen gleich eine imposante Ueberraschung, da sie dem „Selâmlik“, das ist dem Moscheengang, welchen der Sultan an jedem Freitage unternimmt, beiwohnten. Es ist dieser Gang eine religiöse Ceremonie, welcher der Sultan sich absolut nicht entziehen kann. Selbst der menschenscheue und ängstliche Abdul-Hamid wagt es nicht, hierin seinen eigenen Wünschen zu folgen, und zeigt sich an jedem Freitage, welcher der türkische Sonntag ist, dem Volke. Eine Art Truppen-Revue geht mit der religiösen Ceremonie Hand in Hand, indem zu beiden Seiten des Weges, welchen der Padischah nimmt, Truppen Spalier bilden. Sonst besucht der Sultan die Beschiktasch-Moschee: diesmal kam aber und zwar im letzten Augenblicke die Weisung, die Medschidje-Moschee herzurichten. Die Truppen bildeten längs des Weges Spalier, um die tausendköpfige drängende Menge abzuhalten. Gegenüber der Moscheenthür wurden Teppiche ausgebreitet und Möbel aufgestellt, auf welchen die Gäste Platz nahmen, weiter südwärts hatten einige Carossen mit der Sultanin-Valide und Damen des Harems Aufstellung genommen. Der Sultan ritt auf einem Araberschimmel durch die Reihe der Truppen und betrat dann die Moschee, in welcher er mehr als eine halbe Stunde im Gebete verweilte. Sodann ließ er die Truppen vor den Gästen defiliren, und damit war die Feierlichkeit zu Ende.
Das kronprinzliche Paar benützte seinen siebentägigen Aufenthalt in Constantinopel hauptsächlich zu Ausflügen und Besuchen. Mit dem Sultan kam es nur bei den Galadiners und dann bei dem Abschiede zusammen; sonst genoß es die vollste und ungebundenste Freiheit. Keine Stadt der Welt, Rom vielleicht ausgenommen, bietet soviel des Interessanten und Sehenswürdigen als Stambul. Fast zwei Jahrtausende ununterbrochenen Culturlebens haben dort ihre Spuren zurückgelassen, denen das Auge nun auf Schritt und Tritt begegnet. Die Aja Sophia, das „Wunder der Erde“, allein verlohnt der Mühe gesehen zu werden. Und wem wäre es nicht bekannt, daß Constantinopel unbestritten, was die Lage anbelangt, als die schönste Stadt Europas gilt?
Die fürstlichen Gäste genossen denn auch reichlich von den Freuden, welche die paradiesische Umgebung darbietet, und durchstreiften sie nach allen Seiten. Sie besuchten Scutari, die Friedhofstadt Stambuls, setzten nach den Genueser Schlössern am Bosporus über, bestiegen den Mont Géant mit seinem Hünengrabe, besichtigten Beikos und noch viele andere der reizend gelegenen Umgebungen der Stadt. In nachhaltiger Erinnerung wird dem hohen Paare jedoch der Ausflug nach den „Süßen Wässern von Europa“ bleiben, welchen sie am Freitage Nachmittags unternahmen. Es sind diese „süßen Wässer“ für Stambul das, was der Prater für Wien, der Prado für Madrid und allenfalls das Bois für Paris ist – alle Welt, jung und alt, reich und arm, wandert an Feiertagen dahin und ergötzt sich nach Landesart. Die „süßen Wässer“ sind eine sehr lange, grün bewaldete Thalschlucht, welche ein schmales Wässerlein durchfließt. An den Ufern desselben sitzen nun die Bewohner Stambuls in Gruppen und sehen in würdevoller Ruhe dem lärmenden Treiben der Kleinen zu. Süße Näschereien und der dampfende Tschibuk, wohl auch einige mitgenommene Früchte bilden die Labung. Es ist ein Bild tiefen Friedens, das sich dem Auge darbietet, und Niemand würde es dem harmlosen Völkchen ansehen, daß es, allem Anscheine nach, dazu ausersehen ist, langsam aus der Liste der Nationen gestrichen zu werden. Nichts erinnert hier an die träge, fast stumpfsinnige Ruhe, welche sonst den Türken kennzeichnet. Hier ist er noch ganz Mensch, fühlender, glücklicher Mensch.
Auch Stambul selbst bot den hohen Gästen fast unerschöpflichen Stoff zur Betrachtung. Aja Sophia und die weltberühmte Achmed-Fontaine davor wurden bewundert, der Atmeidan – der einstige byzantinische Hippodrom mit seinen Obelisken, ferner die Achmedjeh, die größte Moschee Stambuls, sowie das Mausoleum Mahmud’s II. in Augenschein genommen. In den riesigen, von Tausenden von Händlern erfüllten Bazaren machte das kronprinzliche Paar zahlreiche Einkäufe. Kronprinz Rudolph besichtigte auch die großartigen militärischen Etablissements von Tophane und manche andere den übrigen Sterblichen unzugängliche Sehenswürdigkeit; das Schönste blieb aber doch der Prinzessin Stephanie vorbehalten, denn sie durfte das Heiligste des Heiligen – den Harem – betreten. Sie stattete mit ihrer Hofdame, der Gräfin Silva-Toronoza, daselbst einen zwar nur sehr kurzen Besuch ab, über welchen jedoch jeder Bericht fehlt.
Am 22. April schiffte sich das kronprinzliche Paar, nachdem es sich vom Sultan in herzlichster Weise verabschiedet hatte, am Bord der „Miramar“ ein, um nach Mudania, der Hafenstadt Brussas, überzusetzen. Die eintägige Fahrt erfolgte denn auch, aber eine mittlerweile eingetretene Indisposition der Kronprinzessin machte die beschwerliche Tour zu Wagen und zu Pferd bis nach Brussa selbst unmöglich. So dampfte denn die Yacht zurück und langte, ohne Constantinopel auf der Rückfahrt berührt zu haben, wieder in Varna an.