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In Geisterschlingen

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Textdaten
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Autor: St.
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Titel: In Geisterschlingen
Untertitel:
aus: Die Gartenlaube, Heft 3, S. 43–44
Herausgeber: Ernst Ziel
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Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1885
Verlag: Ernst Keil’s Nachfolger in Leipzig
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Erscheinungsort: Leipzig
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Originalherkunft:
Quelle: Scans bei Commons
Kurzbeschreibung: Entfesselungskünstler und Anti-Spiritist Charles Bellini
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In Geisterschlingen.

Mit Abbildungen nach Photographien von Hermann Maas in Frankfurt am Main.

Kaum irgend eine Verirrung des menschlichen Geistes hat in verhältnißmäßig kurzer Zeit so sehr um sich gegriffen und an Anhängerzahl gewonnen, wie der moderne Geisterglaube (vergleiche die „Gartenlaube“, Jahrgang 1876, Nr. 1 bis 3). Es ist bekannt, daß insbesondere in Nordamerika, in England, Frankreich, Belgien und Rußland Hunderte von Spiritistengemeinden bestehen, die ihre Anhänger nach Tausenden zählen. Trotz der mannigfachen Entlarvung der sogenannten Medien, welche Klarstellung nicht nur Männern von wissenschaftlicher Bedeutung zu verdanken ist, sondern wozu auch scharfe Beobachter aus Laienkreisen, ja sogar Mitglieder hoher fürstlicher Familien ihren Einfluß geltend gemacht haben, konnten die fanatischen Anhänger des Spiritismus nicht endgültig davon überzeugt werden, daß sie das Opfer von Schwindlern und Taschenspielern sind und gewesen sind.

Mögen die folgenden Mittheilungen dazu beitragen, Licht in diese Dunkelheit der Täuschungen und Verblendungen zu bringen. Daß es Betrüger und Betrügerinnen nicht nur verstanden haben, sich das Vertrauen gläubiger Seelen zu erwerben, sondern auch hervorragenden Männern der Wissenschaft den Kopf zu verdrehen, geht in erster Linie aus dem Umstande hervor, daß der verstorbene Leipziger Professor der Astrophysik, der berühmte Gelehrte Dr. F. Zöllner, ein umfangreiches, mit vielen Abbildungen und zahlreichen Photographien versehenes, die „Transcendentale Physik“ betiteltes und 1189 Seiten starkes Werk herausgegeben hat, in welchem er es versuchte, dem Spiritismus ein wissenschaftliches Gewand anzulegen. Das Werk ist dem „experimentalen“ Begründer der transcendentalen Physik, dem Professor William Crookes in London, gewidmet.

Fig. 1.0 Die gebundenen und versiegelten Hände.

Während Professor Zöllner durch einen amerikanischen Betrüger, den Taschenspieler Henry Slade, welchen er vertrauensvoll in sein Haus aufgenommen hatte, in der unverantwortlichsten Weise bethört worden war, unterlag Crookes demselben Schicksal durch ein Frauenzimmer, Mrs. Florence Cook, später verehelichte Mrs. Corner. Sie brachte es in ihrer Durchtriebenheit so weit, im verdunkelten Zimmer im Nu ihre Kleider abzuwerfen und als „Geist“ den versammelten Gläubigen zu erscheinen, und zwar als „Kate King“, Tochter eines Mitte des 17. Jahrhundert in England berühmt gewesenen Missionärs. Sie genoß bekanntlich bei den Spiritisten Jahre lang durch ihre „Materialisationen“ großes Ansehen.

Einem in der Londoner fashionablen Welt bekannten Herrn, Sir George Sitwell, gelang es, als Mrs. Corner in einer Soirée wiederum den Geist Kate King’s erscheinen ließ, die im Halbdunkel abgeworfenen Kleider der Mrs. Corner zu erfassen, den Geist festzuhalten und bei sofort angezündeter Gasflamme die entkleidete Betrügerin in eklatantester Weise zu entlarven. In wie weit die Keckheit dieses spiritistischen Mediums einerseits, und die Verblendung selbst großer Männer andererseits gegangen, ist aus einer Originalphotographie ersichtlich, welche von zuverlässigster Seite uns zukam.

Die Photographie stellt den der Frau Corner „frappant ähnlichen“ Geist Kate King dar, sowie das gläubige Mitglied der Royal Society, unsern Professor, beide aufgenommen Nachts zwölf Uhr von H. Russel Wallace, dem großen Biologen. Von dieser Photographie erzählt Zöllner in seinem oben erwähnten Werke: „Als ich Crookes meines aufrichtigen Interesses an der Sache versicherte, zeigte er mir eine Photographie jener Kate King, deren Anblick mich, der ich damals noch nicht von der Wahrheit des Spiritismus überzeugt war, zu der Frage ganz unwillkürlich veranlaßte, ob man nicht einen Abdruck von dieser Photographie erhalten könne und wo dieses Wesen in England anzutreffen sei. Der Leser wird mein Erstaunen und das nur mühsam unterdrückte Lächeln begreifen, als mir Crookes auf meine Frage, wo dieses holdselige Wesen existire, ganz trocken und ernsthaft erwiderte: ‚Two hundred years ago!‘ (‚Zweihundert Jahre früher!‘)“ Kaum glaublich, aber wahr und so geschehen im Jahrhunderte der Elektrizität und im Jahre des Heils 1875 und zu lesen Seite 145 in Zöllner’s „Transcendentaler Physik“. –

Zöllner’s Slade hatte man in England in der gleich eklatanten Weise wie Mistreß Corner entlarvt und nichts mehr von ihm gehört, wie denn überhaupt auch alle anderen vom Jahre 1875 bis 1881 so sehr berühmt gewesenen Medien, wie Firman, Bastian, Home Holmes, Monck u. A. vom Schauplatze ihrer betrügerischen Thätigkeit nun verschwunden sind.

Zu dem Schwindel der modernen Geisterlehre trat im jüngsten und vorjüngsten Jahre noch der aus Amerika eingeführte Humbug des „Gedankenlesens“ hinzu. Ein amerikanischer geschickter Experimentator Mr. Washington Irving Bishop trat mit der Behauptung auf, die Gabe zu besitzen, gewisse Gedanken, welche bestimmte Menschen auf einen Gegenstand richten, errathen zu können, und er erklärt das auffallende Gelingen seiner Vorführungen durch eine angeblich eigenthümliche Beziehung der geistigen Fernwirkungen seiner Gehirnthätigkeit zu dem Gehirne desjenigen, mit welchem er experimentirt.

Bishop erfand unter Anderem die Kunststücke, Nadeln, die an irgend einer Stelle eines Zimmers, eines Hauses, oder in einem dem betreffenden Hause benachbarten Raume von einer bestimmten Person versteckt worden waren, an deren Hand geführt, aufzufinden, ebenso im Verborgenen aufgeschriebene Ziffern zu errathen, oder auch Personen und Gegenstände, welche, ohne daß er dabei gewesen sei, dem „Medium“ bezeichnet wurden, herauszufinden. Später unternahm ein Engländer, welchen Bishop seinen eignen früheren Reisebegleiter in seinen Vorträgen nannte und als einen gewissen Charles Garner bezeichnete, in Oesterreich und Deutschland unter dem Namen Stuart H. Cumberland als Antispiritist Gedankenerrathungs-Kunstreisen, und es gelang ihm auch sowohl in Wien als in Berlin sich bis in die höchsten Kreise Eingang zu verschaffen. Cumberland hat sogar in jüngster Zeit eine höchst amüsante, deutsch geschriebene Autobiographie herausgegeben, in welcher er von seinen Wunderthaten und Entlarvungen spiritistischer Medien erzählt und die Namen aller derartigen einigermaßen bekannten Persönlichkeiten, mit denen er zu thun gehabt, zum Besten giebt.

In den jüngsten Wochen bereist ein anderer Antispiritist und Gedankenleser unter dem Pseudonym Charles Bellini die deutschen Städte. Derselbe, ein intelligenter Hamburger, seines Standes Kaufmann, hat es sich zur Aufgabe gestellt, nicht nur den Schwindel spiritistischer Experimente, welcher so vielen, selbst sehr klugen Menschen den Kopf verdreht hat, auf offener Scene zu entlarven, sondern auch öffentlich darzuthun, daß das „Gedankenlesen“ auf nichts weiterem als auf einer rein mechanischen Thätigkeit, sowie auf Taschenspielerkunststücken beruhe. Die Erfolge, deren sich Bellini in Hamburg, in Berlin, in Frankfurt am Main, Wiesbaden, Karlsruhe, Darmstadt und anderen deutschen Städten zu erfreuen hatte, sind ganz außerordentliche gewesen.

Das Experiment des Gedankenlesens beruht nämlich ausschließlich darauf, daß sensitive Personen, welche der Gedankenleser an der Hand [44] führt, und deren Puls er gleichzeitig unter dem Drucke seiner feinfühligen Finger prüft, in dem Momente, wenn sie sich dem Gegenstande, der versteckt worden ist, oder einer bestimmten Person nähern, in eine gewisse Erregung gerathen, wodurch der Gedankenleser auf den richtigen Weg geleitet wird. Auf diese Weise gelang es z. B. Bellini, im großen Saale des Saalbaues zu Frankfurt am Main unter Hunderten von anwesenden Personen eine Dame zu bezeichnen, auf welche vorher, als Bellini hinausgegangen, von einer dem Publikum bekannten Persönlichkeit als die zu Suchende gedeutet worden war. Weitere Experimente, wie das Nadelsuchen, das Ziffernrathen, das Hervorrufen von Gehörstäuschungen (künstliche Hallucinationen), gelangen ebenfalls vortrefflich.

Fig. 2. Charles Bellini, an einen Stuhl festgebunden und angesiegelt.

Das Hauptexperiment, welches seit Jahren den Spiritisten den Kopf verdreht, ist jenes im ersten Momente verblüffende und fast unerklärlich erscheinende Kunststück, daß sich das Medium mit Händen und Füßen an einen Stuhl anbinden und ansiegeln läßt, hierauf hinter einer spanischen Wand oder aus einem oben offenen Schranke im Momente, nachdem der Schrank geschlossen, eine Anzahl von Gegenständen herauswirft, und stets, wenn auf Kommando der Schrank geöffnet wird, noch wie vorher fest gebunden und angesiegelt auf dem Stuhle gefunden wird. Bellini führte dieses Experiment in der Weise aus, wie es in unseren Abbildungen 1 bis 3 dargestellt ist. In der ersten Figur sehen wir die auf den Rücken des Experimentators festgebundenen Hände; die Knoten der Verschnürungen waren versiegelt und mit dem Petschafte eines Anwesenden, von welchem man überzeugt war, daß er mit dem Experimentator in keinerlei Verbindung stehe, verschlossen worden. Nachdem dieses geschehen, setzte sich der Experimentator auf einen Stuhl. Es wurde derselbe, wie in unserer zweiten Figur, unter Benutzung einer Photographie genau nach der Natur dargestellt, mit einer Anzahl von Stricken festgebunden und in oben geschilderter Weise in einen mit einem Vorhange versehenen großen Schrank hineingeschoben; sofort erklangen aus dem Schranke heraus musikalische Instrumente; Ziehharmonika, Trompete, Flöte wurden in den verschiedensten Weisen im Schranke gespielt und eine große Anzahl von Gegenständen aus demselben durch die obere Oeffnung in das Publikum geworfen. Die „echten“ Medien machten früher dieses Kunststück nur in halb verdunkeltem Raume und wußten den gläubigen Spiritisten die Ueberzeugung beizubringen, daß es sich hier nur um eine Beihilfe von Geistern handeln könne.

Wie wir aus der dritten unserer Abbildungen ersehen, hat sich Bellini, und zwar mit Leichtigkeit, aus seinen Fesseln befreit. Es geschieht dies, wie er selbst erklärte, in einfacher Weise dadurch, daß er während des Bindens der Hände das betreffende Band unter Anspannung seiner Armmuskulatur, welche dadurch stark anschwillt, doppelt um den Puls schlingen läßt. In dem Schranke oder hinter der spanischen Wand läßt er die angespannte Muskulatur erschlaffen, lockert die elastische Bandage und zieht eine der Schlingen auf, um die Hände in geschicktester Weise von ihrer Umhüllung zu befreien.

Durch große Uebung hat Bellini es dazu gebracht, die Hand durch Ineinanderlegen von kleinem Finger und Daumen sehr schmal zusammen zu drücken und durch die aufgezogene Doppelschlinge, welche er auf unserem Bilde, Fig. 3, frei in der Hand hält, sich herauszuwinden. Sind die Hände frei, so ist das Herausschlüpfen aus den übrigen Fesseln ein Leichtes. War, womit Bellini, wenn er zu fest gebunden, sich aushilft, ein Theil der Bande von ihm zerschnitten worden, so verstand es der Zauberkünstler durch eine sehr geschickte Umschlingung die Schnittränder der Schnüre zu verbergen. Bevor der Vorhang aufgezogen wird, schlüpft er rasch wieder in die Schlingen hinein, so daß das begutachtende Auge der Späher die vorgegangenen Manipulationen unmöglich zu bemerken im Stande ist.

Fig. 3. Die Befreiung Bellini’s ohne Verletzung der versiegelten Schnüre.

In ganz ähnlicher Weise wird das bekannte Experiment mit dem Zaubersacke ausgeführt. Bellini läßt sich in einen vorher vom Publikum untersuchten Sack einbinden, dessen obere Oeffnung von verschiedenen der Anwesenden gleichzeitig verschnürt und versiegelt wurde; trotzdem gelang es ihm aus dem Sacke herauszukommen, indem ganz ähnlich, wie dieses bei dem Herausschlüpfen der Hände aus den verknoteten Verbänden geschieht, der Taschenspielkünstler einzelne Schlingen der zugebundenen Schnüre in geschickter Weise löst und sie später, nachdem er den Sack verlassen hat, wieder an ihre ursprüngliche Stelle schiebt. Trotz der Einfachheit der Darstellung, gehört immerhin sehr feines Gefühl und eine bedeutende Fingerfertigkeit dazu, solche Kunststücke zur Ausführung zu bringen, und Manchem, der die Experimente gesehen und glaubt, er könne sie nachahmen, wird trotzdem die Ausführung schwer gelingen.

Es ist immerhin dankens- und lobenswerth, daß dieser Experimentator seine Kunst dazu benutzt, um das leider viele Kreise der Bevölkerung in allen civilisirten Staaten benagende Uebel des Spiritismus an der Wurzel anzufassen und in einer Weise zu bekämpfen, welche neben angenehmer Unterhaltung auch einige Belehrung über die schwierigsten Taschenspielerkunststücke spendet. St.