In Straßburg auf der Schanz’

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Textdaten
<<< >>>
Autor: Robert Heck
Illustrator: {{{ILLUSTRATOR}}}
Titel: In Straßburg auf der Schanz’
Untertitel:
aus: Die Gartenlaube, Heft 40, S. 652–654
Herausgeber: Ernst Keil
Auflage:
Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1870
Verlag: Verlag von Ernst Keil
Drucker: {{{DRUCKER}}}
Erscheinungsort: Leipzig
Übersetzer:
Originaltitel:
Originalsubtitel:
Originalherkunft:
Quelle: Scans bei Commons
Kurzbeschreibung:
Eintrag in der GND: {{{GND}}}
Bild
[[Bild:|250px]]
Bearbeitungsstand
fertig
Fertig! Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle Korrektur gelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Um eine Seite zu bearbeiten, brauchst du nur auf die entsprechende [Seitenzahl] zu klicken. Weitere Informationen findest du hier: Hilfe
Indexseite
[652]

Zu Straßburg auf der Schanz’.

Vom Maler R. Heck aus Stuttgart.

Bei Appenweiher die Melodie des alten Soldatenliedes im Eisenbahnwagen vor mich hinmurmelnd, begleitet von den Tactschlägen der Kanonade rings um die „wunderschöne Stadt“, hörte ich in meiner Nähe von einem muntern badischen Pionnier das Wort „Mundolsheim“ aussprechen; ich redete ihn an: „Wohin reisen Sie, Camerad?“ Antwort: „Ins Hauptquartier.“

„Ich auch.“

„Nu, da gehn wer mitenanner,“ rief er, streckte die Hand her, ich schlug ein und wir waren von da ab Reisecameraden. In Kork war scharfe Visitation; die gute Empfehlung des württembergischen Kriegsministeriums aber gestattete dem mürrischen badischen Gensdarmeriewachtmeister nicht, auch mich abzuweisen wie es den meisten Anderen, eben Angekommenen geschah, und so konnte ich mit Einbruch der Nacht, auf einer Munitionkiste sitzend, mitsammt meinem Pionnier und einem requirirten Elsässer Fuhrmann dem Rhein zufahren. Das von preußischen Landwehrleuten zum Zerplatzen volle Auendorf war bald passirt, und eben wollten wir durch einen dem Strome zuneigenden Landeinschnitt vollends zur Fähre kommen, als ein donnerndes „Halt!“ uns an den Fleck bannte. „Feldgeschrei?“

„Zündschnur!“

„Losung?“

„Heinrich!“

„Kann weiter!“

So klang’s vom Wagen zum Posten hinauf und herunter, und ein paar Augenblicke später standen wir am Ufer. Ein Zeichen über den Rhein hinübergegeben rief aus dem Dunkel der jenseitigen Büsche außer der allmählich zu uns heranschwimmenden Fähre das Blinken einer Reihe von Bajonneten hervor; drüben angekommen, fanden wir die ziemlich starke Wache, ebenfalls preußische Landwehr, noch in großer Aufregung über einen am Abend stattgehabten Vorfall. Noch bebend vor Zorn erzählte uns die Rheinwache, daß einer der Ihrigen, der dritte Mann einer Streifpatrouille, von etwa zwanzig in den Büschen versteckten Franzosen abgeschnitten und gefangen worden sei; das konnte der wackere Landwehrmann um keinen Preis hinunterwinden; lieber in Stücke hätte er sich reißen lassen, meinte er, als den Windbeuteln einen Cameraden zu lassen.

Weiter führte uns aber der Weg; den wallenden, wie dunkles Silber auch in der Nacht leuchtenden Strom verlassend, dagegen fortwährend begleitet von dem Wetterleuchten der fernen Geschützesblitze und dem rollenden Donner derselben, ging’s eine Stunde lang, oft auf Feldwegen, durch Busch und Wald. Der Pionnier hatte seinen Carabiner auf den Knieen, ich die Hand am Revolver, aber es kam uns kein offener Feind in den Weg, und so fuhren wir Nachts in Mundolsheim in einen jener mächtigen, mit stattlichem Steinthor gegen die Straße abgeschlossenen Höfe ein, um mit meinem Genossen in der Scheune ein ganz erträgliches Nachtquartier zu finden. Mein erster Besuch am nächsten Morgen galt dem Hause des Höchstcommandirenden, des Generallieutenants von Werder, und schon nach wenigen Minuten hatte ich einen vom Generalcommando unterzeichneten Paß in Händen, welcher mich berechtigte, überallhin, selbst zu den äußersten deutschen Vorposten zu gehen. Rittmeister von Lepell, preußischer Militärbevollmächtigter in Baden und hier Adjutant des Obergenerals, war der Aussteller, und in ihm lernte ich, wie auch am anderen Tage, in einer Reihe von anderen Trägern der verschiedensten Rangtitel des preußischen Officiercorps eine Reihe von Männern kennen, bei welchen ich nicht wußte, was in erster Linie mehr als rühmenswerth zu nennen wäre: ihre persönliche Liebenswürdigkeit und Gefälligkeit oder ihre in jeder Linie sich aussprechende ritterliche Soldatentüchtigkeit.

Früh am zweiten Morgen schritt ich rüstig fürbaß in schnurgerader Linie über die Felder auf die Straßburger Vorstadt

[653]

In der Schanze der Torgauer Festungsartillerie vor Straßburg.
Nach der Natur aufgenommen von R. Heck.

[654] Schiltigheim zu. Unweit Mundolsheim begegnete mir ein Kanonier mit stark verbundenem Kopfe, dabei aber munter ausschreitend und seine Pfeife rauchend; ich fragte nach seiner Verwundung, und er erzählte, daß er in dem vorgeschobensten Laufgraben gewesen sei, da sei „so ein Luder (eine Granate) über ihm geplatzt“, und habe ihm „was rinngeschmissen“, es schade aber nicht viel, habe dem Auge nichts gethan und in ein paar Tagen wolle er wieder „mit druff!“

Auf der weiten Ebene, die sich rings um die Festung zieht, und welche durchaus von den Geschützen derselben bestrichen werden konnte, wenn ihnen die Unseren nicht schon gar zu nahe auf den Leib gerückt wären, herrschte überall das regste Leben. Hier zogen Hunderte von Schanzarbeitern aus der Umgegend unter militärischer Führung den Laufgräben zu, denn dieselben können nur unter dem Schutze der zahlreichen, trefflich geleiteten Batterieen am Tage weitergeführt werden; dort jagte im vollsten Carrière ein Zug von Wagen mit Bomben zu der nächstliegenden Batterie, geleitet von den schmucken Reiterfiguren der blauen Ziethenhusaren; während an einer dritten Stelle wieder andere Arbeitermassen an Faschinen und Schanzkörben flochten und diese weiter schafften. Aber erst in Schiltigheim selbst entwickelte sich ein Vollbild der Belagerung. Die Bewohner des Ortes, theils scheu, theils stumpf herumstehend oder mit Frauen und Kindern Theile ihrer Habe aus den von der Festung her durch Granatenfeuer am meisten zugerichteten Häusern flüchtend; dann die Soldatenmassen (durchaus preußische Landwehr), welche bald in Zügen, bald in kleineren Truppen rasch und fröhlich an die ihnen angewiesenen Stellen zogen; dann wieder ansprengende Ordonnanzen, berichterstattende Officiere und lange Reihen von Proviantcolonnen. Das Alles bot ein bunt und reich bewegtes Leben und Treiben. Trotzdem aber war nirgends eine Stockung, nirgends eine Unordnung zu bemerken; wie an unsichtbaren Drähten geleitet, griff Alles ineinander, und auf allen Gesichtern der bärtigen Kämpfer lag der gleiche Ausdruck gehobener Kraft und unbedingten Vertrauens in die oberste Leitung und in den schließlichen Erfolg des Kampfes.

Auch hier öffnete mein Talisman aus dem Hauptquartier rasch die Herzen und den guten Willen der Officiere; geleitet von dem liebenswürdigen Oberstlieutenant von Schütz ging ich dieselbe Straße entlang, welche ein paar Stunden früher die französischen Kartätschen durchfegt hatten; Schritt für Schritt wurde die dadurch angerichtete Zerstörung umfassender, und bald waren wir nur noch von Ruinen umgeben. Ganze Häuserfronten lagen, wie sie einst gestanden, nun zerschmettert in der Straße, überall nur noch Trümmer, verkohlte Balken, geborstene und zerschossene Mauern; aus denselben Schießscharten aber, aus welchen noch vor wenigen Stunden französische Kugeln geflogen waren, lugten jetzt die Bajonnete eines preußischen Landwehrbataillons.

Meinen Begleiter rief leider seine Pflicht rückwärts; ich ging allein seitwärts durch Trümmer und Ruinen; erinnerte mich dabei der Worte des Kanoniers vom Morgen, der auf meine Frage, wie sie es machen, wenn sie ganz in Feindesnähe demselben mit einer Batterie näher auf den Leib rücken wollen, geantwortet: „Wir schleichen eben rann wie die Katzen!“ – und schlich, jeden Mauerrest als Deckung benützend, im Zickzack vorwärts; die Mündung eines Laufgrabens begann, ich trat durch dieselbe und stand nach zwanzig Schritten mitten in einer Zwölfpfünderbatterie, deren Bedienung mit fröhlichen Gesichtern am Erdwall saß und lehnte, um nach heißem Kampfe Herz und Kehle mit dem Inhalte eines in der zerschossenen Brauerei nebenan vorgefundenen Bierfäßchens zu kühlen; der Oberfeuerwerker sprang auf und mir entgegen, ich reichte ihm meinen Paß, und ein paar Secunden später gab mir schon einer der riesigen Torgauer Garde-Festungsartilleristen mit schmunzelndem Gesichte das volle Glas.

Wirklich komisch war es, wie die wackeren Leute, mich zeichnen sehend, sich sofort in Positur zu stellen suchten, damit Jeder auf dem Bilde auch recht gut getroffen werde; ich bat sie, ganz zu thun und zu treiben, wie wenn sie allein wären, denn daß in der Schußlinie des Chassepot (dessen Grüße uns über die Köpfe flogen und in die hinter uns liegende Wand eines ehemaligen Wirtschaftsgartens einschlugen) kein „richtiges Licht“ für Portraitsitzungen sei, hätte ich ihnen nicht aus einander setzen können. Mit einem fröhlichen „Auf Wiedersehen in Straßburg!“ schied ich von den Siegern, das waren sie; neun heiße Stunden lang hatten sie das Feuer der gegenüber liegenden weit stärkeren Batterien ausgehalten und erwidert, bis nach links und rechts zwei weitere deutsche Genossinnen enthüllt werden konnten, in den Kampf eingriffen und die Gegnerin spurlos unter Schutt und Trümmer begruben.

Mit nahezu erreichtem Zweck ging ich nun rückwärts den „Katzengang“, um das Treiben in den verbarricadirten Häusern zu sehen. Diejenige Mannschaft, welche Wachdienst hatte, stand wie angegossen an den ihr anvertrauten Stellen; die Uebrigen aber überließen sich dem jubelnden Hochgefühl der Siegeslust, denn eben war die Kunde des Sieges bei Beaumont eingetroffen, und in dem Hause, dessen Fenster von den Franzosen zu Schießscharten umgewandelt, dessen Außenwände aber von Kartätschensplittern zerhackt waren, erklang nun auf dem stehengebliebenen Clavier „Die Wacht am Rhein“; hell schallten die Jubellieder der begeisterten Kämpfer, die, nebenbei bemerkt, fast lauter verheirathete Landwehrleute waren, wie denn z. B. das hier die Wache habende Regiment von zweitausend vierhundert Mann zu Hause mit einander siebentausendunddrei Kinder hatte. Daß es unter solchen Verhältnissen von der obersten Leitung gewiß völlig sachentsprechend gehandelt ist, wenn die Festung nicht im Sturm genommen wird, ist selbstredend; mein freundlicher Begleiter zeigte mir auch vom Kirchhof St. Helena aus zwischen Schiltigheim und Straßburg die offenen Stellen des Glacis, an welchen, wie Jedem ersichtlich war, sofort hätte in die Stadt gestürmt werden können; er fügte aber bei:

„In ähnlicher Weise werden wir in den nächste zwölf bis vierzehn Tagen sämmtliche Batterieen im Umkreis der Stadt matt gelegt haben und die Festung fällt dann erschöpft von selbst; wir verschießen auf diese Weise allerdings noch acht- bis zehntausend Louisd’or (denn einen Louis kostet ungefähr jeder Schuß), aber es ist dies doch gewiß weit richtiger gehandelt, als wenn wir heute oder morgen bei einem Sturme ebenso viel von unseren wackeren Leuten dran wenden müßten.“

Wie der eherne Körper einer Riesenschlange sich enger und enger zusammenzieht und sein Opfer zuletzt in der unentrinnbaren Umarmung erstickt, so rücken Nacht um Nacht die Laufgräben vor, ihnen folgen die Batterien, legen die Gegnerinnen auf den Festungswällen matt, und so wird, vielleicht schon bis diese Zeilen in Ihren Händen sind, das Opfer gefallen sein.

Gründlich ermüdet von geistiger und körperlicher Anspannung der Kräfte langte ich am Abend wieder in Lampertheim an, hätte aber in der eigenen Heimath nicht besser gepflegt werden können, als hier von der Familie meines Quartiergebers, eines Elsässer Bauern, geschah; bis zum späten Abend saßen wir beisammen und sprachen über die alle Welt jetzt bewegenden Fragen, in erster Linie über die dem Elsässer am nächsten liegende, über den Rückfall an Deutschland.

„Wäre es denn nicht schlecht und gewissenlos von uns, wenn wir dem Staate, in dem wir geboren sind, und dessen Regierung wir Treue geschworen haben, nun auf einmal den Rücken kehren, weil er im Unglück ist, und ihn treulos verlassen würden?“

So sagte der wackere Bauer, und ich fand in dieser Aeußerung den Hauptschlüssel für das Verhalten der Elsässer im gegenwärtigen Kriege; denn wie der Stamm durchaus trotz des langen wälschen Regiments in Sprache, Familienleben und Wohnart deutsch geblieben ist, so muß gerade seine Weigerung, sich wieder mit dem deutschen Mutterlande zu vereinigen, als ein an sich hochzuachtendes, wenngleich irregeleitetes Stück deutscher Treue, mannhaften Worthaltens und unbeugsamer Thatkraft angesehen werden. Aber derselbe kerndeutsche Grundtrieb, welcher die kräftigen Menschen zu so sehr gegendeutschen Handlungen trieb, wird – so gewiß, als alle Wasser dem Meere zulaufen – in wenigen Jahren die wiedergefundenen Söhne mit ganzer Seele zu der hehren Mutter zurückführen, wenn sie ihres Gelübdes in der Fremde entlastet sind, wenn dadurch der Zwiespalt in ihrem Rechtsbewußtsein aufgehört hat und wenn sie die Krone der Macht und der Ehre, des Rechtes und der Wahrheit sehen und spüren, welche sich gegenwärtig aus dem Rathe der Vorsehung auf Germaniens Scheitel niedersenkt.