In den Ruhmeshallen Frankreichs

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Autor: Hermann Küchling
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Titel: In den Ruhmeshallen Frankreichs
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aus: Die Gartenlaube, Heft 7, S. 108–111
Herausgeber: Ernst Keil
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Erscheinungsdatum: 1871
Verlag: Verlag von Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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In den Ruhmeshallen Frankreichs.


Nur wenige Monate sind vergangen, seit Frankreichs Stolz nach Malern und Bildhauern suchte, welche die zu gewinnenden Schlachten malen, die Büsten und Statuen der Sieger meißeln sollten; seit man nicht Platz genug zu haben fürchtete, den neuen gewaltigen Zuwachs, den der eben ausgebrochene Krieg versprach, der Menge älterer Ruhmeszeugen anzureihen: und heute liegen in den prangenden Sälen des Schlosses von Versailles, einst Residenz der stolzesten Könige und dann Sammelplatz von tausend und abertausend Gemälden und Statuen, die den Ruhm und nur den Ruhm Frankreichs verkünden, unsere deutschen Krieger, die in siegreichen Schlachten ehrenvolle Wunden empfangen haben; Genesende wandeln umher und bestimmen scherzend die Stellen, an welchen dereinst die Gemälde der Schlachten von Wörth und Sedan aufgehangen werden sollen. Unter Meynier’s großem Bilde, Napoleon’s Einzug in Berlin am 27. October 1806 darstellend, pflegt seine Wunden ein Sohn der Mark, dessen Roß im raschen Siegesfluge die Wasser der Mosel, Marne, Seine und Loire trank; ein deutscher Maler, der Studien sammelte zu Bildern, die den Ruhm des Vaterlandes verewigen sollen, stand neben mir und flüsterte mir, von der wundersamen Scene nicht minder ergriffen, die Worte zu: „Welche Künstlerphantasie vermöchte Aehnliches zu erfinden?“

Es ist allerdings eines jener merkwürdigen und jener bedeutsam zusammentreffenden Momente, an denen der gegenwärtige Krieg so reich ist, daß gerade hier, in dem stolzen Ruhmestempel Frankreichs, unmittelbar vor den Thoren der Hauptstadt deutsche Soldaten von deutschen Aerzten gepflegt werden müssen, jene Wunden zu heilen, die sie sich im siegreichen Kampfe und zur Ehre Deutschlands geholt haben. Diese Thatsache bildet eine ironische Illustration zu der bekannten prahlerischen Inschrift auf dem Gebäude; daß dieses letztere aber in seiner Bestimmung von so vornehmer Höhe herabsinken mußte, deutschen Barbarenhorden als Lazareth zu dienen, das machte sich auf sehr einfache und natürliche Weise.

Als nämlich mit Beginn der Cernirung von Paris die Errichtung größerer stabiler Lazarethe in nicht zu großer Entfernung von den Hauptstationspunkten der einzelnen Truppenkörper nöthig wurde, richtete sich der Blick des Chefarztes des zwölften Feldlazarethes fünften Armeecorps, Dr. Kirchner, auf den Palast zu Versailles, der durch seine Ausdehnung, seine Lage in einer größeren und wenigstens das Allernöthigste darbietenden, überdies vor feindlichen Ausfällen ziemlich gesicherten Stadt, zu diesem Zwecke besonders geeignet erschien. Neben diesen Vortheilen aber, welche für die Wahl des Schlosses sprachen, machten sich nicht geringe Bedenken geltend, welche eben diese Wahl widerriethen.

Der erfahrene Mann, welcher die Aufgabe seines Lebens darin gefunden hat, die allgemeinen Bedingungen, unter denen die menschliche Gesundheit erhalten und nach einer widernatürlichen Störung wiedergewonnen werden kann, zu erforschen, und der sowohl während seiner Wirksamkeit als Universitätslehrer, als auch

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Der deutsche Weihnachtsbaum in den Ruhmeshallen von Versailles. Nach der Natur aufgenommen von Otto Günther.

[110] später in seiner Eigenschaft als Oberstabs- und Regimentsarzt des ersten schlesischen Dragonerregiments Nr. 4 in Lüben durch Wort, Schrift und praktische Thätigkeit sich den Ruf einer Autorität in seinem Fache erworben hat, konnte nicht wohl übersehen, daß die Ausdehnung des ungeheuren Baues, so vortheilhaft sie in einer Hinsicht auch sei, doch zugleich Ursache eines allzugroßen Andranges von Verwundeten werden dürfe; daß die Größe der einzelnen Räumlichkeiten deren gründliche Reinhaltung erheblich zu erschweren und die Ansammlung gasförmiger und staubartiger Ansteckungsstoffe zu begünstigen geeignet sei, und daß endlich der Zusammenhang, in welchem alle diese Säle und Galerien untereinander stehen, der Ausbreitung von unausbleiblichen gefährlichen Uebeln nur förderlich sein müsse.

Aber wohl vertraut mit allen Mitteln, durch welche sich diesen Nachtheilen entgegen treten läßt, und sich einer rastlosen Energie, die ihre Kräfte mit den Schwierigkeiten wachsen fühlt, wohl bewußt, hoffte er aus den günstigen Verhältnissen des Palastes alle nur möglichen Vortheile zu ziehen, der ungünstigen Meister zu werden, und widmete sich der Erfüllung seiner Aufgabe mit dem ganzen Eifer, der einer so großen Sache würdig ist.

Um nicht alle die Uebel alsbald herauf zu beschwören, welche durch übergroße Ansammlung schwer Verwundeter in geschlossenen Räumen nothwendig entstehen, und um sowohl Genesende als hinzukommende Neuverwundete stets der günstigsten Verhältnisse theilhaftig werden lassen zu können, galt es natürlich, so rasch als möglich den ganzen Palast seinem Zwecke dienstbar zu machen, Alles so herzurichten und auszustatten, daß noch unberührte, mit frischer Lebensluft erfüllte, oder gründlich gesäuberte, wohldurchlüftete Räume beständig bereit, neues oder vollkommen gereinigtes Material jeglicher Art in hinreichender Menge baldigst und fortwährend vorhanden und eine genügende Anzahl von Arbeitskräften jederzeit zur Hand sei, die Unmasse von Geschäften zu erledigen, deren pünktlichste Besorgung allein zum gewünschte Ziele führen konnte.

Und während schon die sorglichste Behandlung der zuerst eingetroffenen Verwundeten alle Hände beschäftigte, wurden die Einrichtungen und Ansammlungen, welche den Späterkommenden zum Segen gereichen sollten, mit einer solchen umsichtigen Thätigkeit und solchem Erfolge betrieben, daß man gar bald der Zukunft mit dem ganzen Vertrauen entgegensehen konnte, welches durch glückliche Ueberwindung der ersten, bedeutendsten Schwierigkeiten hervorgerufen wird. Hölzerne Wände und Thüren verschlossen und trennten, wo es wünschenswerth erschien, die zusammenhängenden Säle und Galerien, Latrinen, je nach Lage und Beschaffenheit der benutzten Räumlichkeiten nach verschiedenen Systemen eingerichtet, erstanden an den geeignetsten Plätzen in ausreichender Zahl. Die große, herrliche Galerie des Batailles füllte sich mehr und mehr mit Utensilien aller Art, Matratzen, Strümpfen, Decken und jenen hundert und aber hundert Dingen, die im Kriege so schwer zu beschaffen und doch im Lazarethe so unentbehrlich sind. In dem anstoßenden kleineren Saale regten sich von früh bis spät geschickte Hände, Wäsche und Kleidung auszubessern, zu sortiren und zu ordnen. Apotheke und Bandagenkammer, dicht neben dem Depot der Utensilien eingerichtet, vervollkommneten sich hinsichtlich der Fülle wie der Ordnung, des nöthigsten Materials. Wäschräume in ausreichender Zahl erhielten ihre Ausstattung und Arbeitskräfte genug, um den gesteigertsten Anforderungen gerecht zu werden. Zwei Küchen wurden in verschiedenen Flügeln des Palastes hergestellt, um den Transport der Speisen nach den Krankensälen zu erleichtern und zu beschleunigen. Daß endlich für den leitenden Mittelpunkt des Ganzen, für das Bureau, das im linken Flügel des Hauptgebäudes neben der Eingangshalle sich befindet, sofort die geeignetsten Kräfte aufgefunden waren, die unter der Oberaufsicht des Chefarztes nicht nur alle die zahlreichen Geschäfte, wie sie die Verwaltung eines großen Lazarethes mit sich bringt, sondern auch noch den umfangreichen Brief- und Paketverkehr für die Verwundeten in wünschenswerther Weise erledigten, bedarf wohl kaum besonderer Anführung.

Was der Schöpfer und Leiter der Anstalt vorausgesehen hatte – daß die ausgedehnten und scheinbar nur zum Theil benutzten Räume des Schlosses die Blicke aller Derer auf sich ziehen würden, denen die Unterbringung der ungeheuren, sich fast täglich vermehrenden Zahl von Verwundeten obliegt, erfüllte sich rasch, und die Vortrefflichkeit der Einrichtungen trug nicht wenig dazu bei, den Andrang zu vermehren. Von allen näher gelegenen Punkten des Cernirungsringes, von Orleans und Chartres trafen fast täglich kleinere und größere Transporte ein, so daß schon am Ende des dritten Monats nach Errichtung der Anstalt die Zugangslisten über zwölfhundert Mann aufzuweisen hatten, und an Aerzten, Gehülfen und Wärtern die doppelte Zahl der anfänglich beschäftigten kaum mehr zureichend erschien.

Manches der großen Lazarethe in der Heimath mag noch größere Mengen von aufgenommenen und entlassenen Kranken und Verwundeten aufzuweisen haben, als die Anstalt, von der wir reden, mag an Reinlichkeit und Ordnung dieser gleichgestellt werden können, ohne jedoch ein so hohes Lob zu verdienen, wie Jeder, der mit den Umständen und Verhältnissen der Heimath und des Feindeslandes in gleicher Weise vertraut ist, dem Schloßlazareth in Versailles zollen wird.

Dort sind es hauptsächlich leichter Verwundete, die einer so großen Sorgfalt, eines so großen Materials an Verbandstücken, Wäsche etc. nicht bedürfen. Hier sind es Kranke, die meist an den schwersten Eiterungen leiden, täglich reine Bett- und Leibwäsche nöthig haben, ja oft täglich in ganz frische Betten umgelegt werden müssen und werden.

Dort wetteifern Bewohner von Stadt und Land, entweder selbstthätig oder durch Spenden an Geld, Lebensmitteln und sonstigem Material, dem Arzte seine Aufgabe zu erleichtern. Hier sind allerdings der hohe Führer der dritten Armee und alle übrigen in Versailles versammelten höchsten und hohen Herrschaften unausgesetzt bemüht, zu helfen und zu spenden, so weit es möglich ist; hier leistet allerdings die freiwillige Krankenpflege höchst wichtige Dienste durch freigebige Lieferung von Nahrungsmitteln, Erfrischungen, Verbandsmitteln, Apparaten und anderen nöthigen Dingen – aber gerade die Beschaffung von Gegenständen, an die am wenigsten gedacht wird, die aber zu den unentbehrlichsten gehören und hier kaum zu erledigen sind; gerade die so schwierige Beaufsichtigung eines widerwilligen Miethpersonals, das beständig angetrieben und wohl gar jeden Tag neu zusammengesucht werden muß, fällt hier dem Arzte anheim und giebt seinen ohnehin zahlreichen Geschäften einen Zuwachs, der gar oft über seine Kräfte zu gehen droht.

Es ist geradezu wunderbar, wie es ermöglicht werden kann, ein großes Lazareth so auszustatten, aus nahezu Nichts so herzustellen und mit so schwer zu beschaffenden Materialien und Kräften in solcher Ordnung zu erhalten, wie es beim hiesigen Schloßlazareth der Fall ist.

Man durchschreite diese weiten Säle, die hohen Galerien, in denen Bett an Bett, jedes mit ein und zwei Matratzen, zwei reinen wollenen Decken ausgestattet, gereiht steht; man betrachte die Kranken in ihrer zwar oftmals vielfach ausgebesserten, aber stets höchst reinlichen Wäsche, prüfe die Luft, die überall so beschaffen ist, daß der schärfste Geruchssinn kaum bemerkt, wie viele Verwundete hier an den gräßlichsten Eiterungen leiden; man sehe, wie rasch und vollkommen bei einem plötzlichen bedeutenden Zuwachs von kampfunfähigen Kriegern diese in jeder Hinsicht versorgt werden; man koste die Mahlzeiten, betrachte die Fülle und Verschiedenheit des Dargereichten: und man wird nicht länger anstehen, das Feldlazareth im Palast zu Versailles als eine Musteranstalt, als einen Triumph deutscher Wissenschaft und deutscher Energie zu bezeichnen.

Sogar für das Außergewöhnlichste wird die unvermeidlichste Sorge getragen, sogar für die Wünsche, die nicht laut zu werden wagen, Befriedigung gefunden. Welcher der Kranken hätte wohl gehofft, dem vielbeschäftigten Arzte zu gestehen, daß er sich sehne, den Weihnachtsbaum an seinem Schmerzenslager brennen zu sehen! Und doch dachte man nicht nur daran, das schöne Fest auch im Lazareth zu begehen, sondern fand Zeit und Mittel, die Feier zu einer solchen zu machen, daß selbst der Gesunde, welcher sich des Zutrittes erfreute, gestehen mußte, nicht leicht einen Christabend würdiger begangen zu haben. Eine Sammlung, unter den in Versailles stationirten Officieren veranstaltet und durch den Commandanten Generalmajor von Voigts-Rhetz besonders begünstigt, lieferte die Mittel zur Herstellung einer Anzahl von Weihnachtsbäumen und zum Ankauf einer hinreichenden Menge von Gaben, theils nöthig, theils wünschenswerth für jeden der armen Kranken. Die Musik eines der Regimenter stellte sich zur Verfügung, der Feldgeistliche Herr Wernick aus Görlitz sagte seine gütige Mitwirkung [111] zu und das Gelingen war gesichert. Der Saal Ludwig des Dreizehnten im Parterregeschoß des Hauptgebäudes wurde zur Bescheerung ausersehen, festlich geschmückt und hergerichtet. Eine Anzahl der leichter Verwundeten, aber noch Bettlägrigen wurde herbeigeschafft, Solche, die gehen konnten, auf Bänken und Stühlen um die mit Gaben belasteten Tische gereiht. Als gegen ein Uhr die Zahl der Eingeladenen sich eingefunden hatte, eröffnete die Musik mit einem Choral die Feier, Pastor Wernick sprach tief empfundene und zu den Herzen dringende Worte, worauf die Musik mit dem Choral „Nun danket Alle Gott!“ den religiösen Theil der Feier schloß. Die leuchtenden Augen der umhersitzenden und liegenden Kranken, ihre Dankesworte und Geberden beim Empfange der Gaben, die Wonne, die sich beim Umhertragen der Weihnachtsbäume durch die übrigen mit schwer Verwundeten belegten Räume verbreitete, zu schildern, würde ein vergebliches Unternehmen sein. Der Maler tritt hier in seine Stelle, und mir bleibt nichts zu sagen, als daß Jeder, den ein glückliches Geschick jenen Abend mitgenießen ließ, mag er ein Beschenkender oder ein Beschenkter, ein Gesunder oder ein Kranker gewesen sein, Zeit seines Lebens an den Christabend denken wird, den er verlebt hat in dem Palaste zu Versailles, der, wie seine stolze Aufschrift lautet, gewidmet ist

à toutes les gloires de la France.
Versailles, am 30. December 1870.
Hermann Küchling.