In den Schlössern der Maria Stuart
In den Schlössern der Maria Stuart.
Warum ist das Interesse an Maria Stuart noch nicht erloschen? Weshalb suchen nicht nur Dichter und Maler, sondern auch Geschichtschreiber immer wieder die Gestalt der unglücklichen Königin aus Jahrhunderte langem Schlummer zu wecken? War sie etwa eine große Fürstin? Zeichnete sie sich durch Seelenadel und Tugenden vor ihren Zeitgenossen aus? Kann ihre Schönheit den Antheil erklären, den wir Alle an ihr nehmen? Sind wir vielleicht Sclaven des romantischen Hauches, welcher die harten, alltäglichen Linien in den Zügen der Männer und Frauen des Hauses Stuart verhüllt? Verdeckt uns nicht der süße, sentimentale Nebel die nüchterne Wahrheit, daß ein Element des scheinbar auf der Königsfamilie lastenden Fluches nichts anderes ist, als die naturgemäße Strafe für alle die Fehler, welche aus den geistigen und sittlichen Mängeln ihrer Glieder entspringen: aus der Unfähigkeit, ihre Zeit zu begreifen, aus überspanntem Idealismus, falscher Ritterlichkeit, unkluger Hartnäckigkeit und der Vorliebe für krumme Wege? Läßt das Unglück der schönen Frau eine Saite in unserem Herzen anklingen? Spricht das Geheimniß, welches noch immer ihr Leben umschwebt, zu unserer Phantasie? Oder verlangt es eine Lösung von unserem Verstande? Ja, was bewegt mich denn, die schmutzige Hauptstraße des schottischen Städtchens hinabzuwandern?
Ich beantworte diese Fragen nicht nur nicht, sondern ich stelle mir obendrein die neue, ob diese Umgebung der Ehre würdig ist, der Geburtsort Maria Stuart’s zu sein …
Dort stand das Haus, aus welchem Hamilton den Regenten erschoß, sagt mein Begleiter, im Begriff, mich zu verlassen. Wie ich mir die Begebenheit recht lebendig vorstelle: ein Haufen Gewappneter reitet hinab die schmale, vom Pferdegetrappel widerhallende Straße; der Regent, inmitten schottischer Ritter, schaut hinauf zu den Fenstern, aus denen sich neugierige Gesichter drängen; jetzt übertönt ein Schuß das Rauschen des Zuges, der Regent taumelt, Verwirrung in den stockenden Reihen, Edle drängen sich um Murray, Andere springen vom Pferde, schlagen die Hausthür ein – da erblicke ich an eben dieser Thür, sanft an die steinerne Einfassung gelehnt, ein Mädchen von fremdartiger Schönheit. Schwarzes Haar umrahmt die breite Stirn. Die Augenbrauen beschreiben einen klar gezeichneten Bogen um die großen, tief leuchtenden Augen. So üppig der rosige Mund! Und wie das großcarrirte Tuch, welches sie um die runden Schultern hält, zu den kräftigen Farben ihres gebräunten Gesichtes paßt! Eine echt keltische Erscheinung, die man selten in Norfolk und Suffolk finden würde. Und vielleicht bildet die schmutzige Stadt mit den dunkeläugigen Keltenmädchen und der Erinnerung an ein Verbrechen doch den passenden Eingang zum Stuart-Schlosse Linlithgow.
Jetzt erblicke ich zum ersten Mal seine düsteren Umrisse. Den Kiesweg hinaufschreitend, an der alten Kirche vorüber, werde ich den massenhaften Charakter des viereckigen Gebäudes gewahr. Noch stehen die Mauern des ausgebrannten Schlosses unerschüttert, aber es kann auch dem flüchtigsten Beschauer das Gepräge des Ruinenhaften nicht verbergen. Die hohen Fensteröffnungen sind nicht leer, denn Dohlen und Krähen, die gewöhnliche Beigabe alter Schlösser, fliegen dort krächzend ein und aus. Eigenthümlich ruhig erscheint neben dem schweren, starren Gemäuer der glatte See, der sich zur Linken an den sanft abfallenden Rasengrund schmiegt und sich still zu den gegenüberliegenden Hügeln dehnt. Welches bunte Gewoge von Damen und Rittern, von schlanken Schotten und anmuthigen Französinnen in diesem Parke, auf jenem See, als Jakob V. und Maria von Guise hier ihren prunkenden Hof hielten! …
Eben bedeutet mir ein Mann in Uniform und mit einem schweren Schlüsselbunde in der Hand, ihm in das Schloß zu folgen. Wir gehen unter einem einfachen Porticus, durch eine dröhnende Halle hinab in den rechteckigen Hof. In der Mitte liegen die Trümmer eines alten Brunnens. Die vier Wände laufen in vier runden Thürmen zusammen, deren schraubenförmig über einander aufsteigende Fenster auf eine im Innern befindliche Treppe hindeuten. Die uns gegenüberliegende nördliche Façade ist am gegliedertsten und leichtesten. Sie wurde erst von Jakob VI., dem Sohne der Maria Stuart, gebaut und enthält zahlreichere Fensteröffnungen als die ältern Theile des Schlosses. Rechts auf der Ostseite befindet sich der ehemalige Haupteingang, ein weites gewölbtes Thor. Die größte Bedeutung desselben verkündet ein verwitterter Schmuck über dem Thorbogen. Der untere Theil der Zierrath, drei leere, hohe Nischen, fesselt einen Augenblick unseren Blick. Dann gleitet er höher hinauf, wo sich verstümmelte Engel auf der Mauer ausbreiten.
Wir gehen durch die Thorhalle und gelangen am anderen Ende vor einen tiefen verwilderten Graben. Ehemals verband eine Zugbrücke das Schloß und das jenseitige Ufer. Auf demselben ist der Weg, welcher in früheren Zeiten auf den Eingang zuführte, noch deutlich erkennbar. Von hohen Bäumen eingefaßt, biegt er nach rechts durch den Park. Links schimmert der See silbern durch’s Gebüsch.
Auf dem Rückwege in das Innere des Schlosses bleibt mein Führer nach einigen Schritten stehen, nimmt ein Döschen aus der Tasche und empfiehlt mir Aufmerksamkeit. Jetzt beugt er sich vornüber, zündet ein Streichhölzchen an und wirft es in einen finsteren Spalt. Wir sehen es eine zeitlang fallen und dann plötzlich verlöschen. Dies war der Kerker des Schlosses, erzählt er, mich bedeutungsvoll ansehend. Wie angenehm mußte es für die [648] Könige des Hauses Stuart gewesen sein, ihre Feinde unter dem Thore ihres Palastes in einer feuchten, dunklen Grube zu wissen!
Erst wenn man die Treppen hinaufsteigt, wird der Zustand der Verwüstung, in welcher sich das Schloß befindet, recht ersichtlich. Der Stein tritt überall nackt an’s Licht; die Decken sind eingestürzt; von oben, von den Seiten blickt der graue, schottische Himmel in die Ruine hinein. Und doch war Linlithgow noch im vorigen Jahrhundert einer der schönsten Paläste Schottlands, bis die Dragoner des englischen Generals Hawley in der Nacht vor der Schlacht bei Falkirk im Jahre 1745 in einem Zimmer ein Feuer ausbrechen ließen, welches das ganze Gebäude zerstörte.
Wir gehen rasch durch den ehemaligen Parlamentssaal, der mehrere Feuerherde von unglaublicher Größe aufzuweisen hat, wir verweilen einen Augenblick in der anstoßenden Capelle, wo, nach der Ueberlieferung, eine Erscheinung den König Jakob IV., den Großvater Maria’s, vor dem Kriege gegen England warnte, und betreten darauf den westlichen, den ältesten Flügel, welcher die Privatgemächer der königlichen Familie enthält. Ein weiter Raum wird als das Wohnzimmer der Königin bezeichnet; in dem anstoßenden etwas kleineren fand die Geburt Maria Stuart’s am 8. December 1542 statt. Beide Zimmer haben eine liebliche Aussicht auf den Rasengrund und den See. Die Wände sind so dick, daß auf den Fensterbänken jedes Fensters vier Personen Platz finden.
Als die Prinzessin hier geboren wurde, lag ihr Vater in einem entfernten Schlosse im Sterben. Auf die Nachricht von der Geburt Maria’s sagte er schwermüthig: „Es kam mit einem Mädchen und es wird mit einem Mädchen zu Ende gehen!“ Das waren die letzten, bitteren Gedanken des noch jugendlichen, unglücklichen Königs. Es fehlt auch selbst hier nicht an der für ein Stuart-Schloß charakteristischen Umgebung. Denn in dem anstoßenden Gemache wird uns eine geheime Treppe gezeigt, auf welcher Jakob III. den Nachstellungen seines rohen Adels, der ihm nach dem Leben trachtete, mit knapper Noth entkam.
Langsam steigen wir nun eine der Wendeltreppen hinan und schauen, auf dem damaligen Dache angekommen, längs der senkrecht emporsteigenden, rauchgeschwärzten Mauern in die stillen, trümmerbedeckten Räume. Eine gewundene Treppe, welche noch höher führt, scheint in der Luft zu schweben. Die Verlockung ist so gewaltig, daß wir rasch hinaufeilen. Mit der letzten Stufe haben wir den höchsten Punkt des Schlosses erreicht. Rings liegt das Land ausgebreitet vor uns. Gegen Norden, hinter den Hügeln, welche den See umgeben, streckt sich die helle Fläche des Meerbusens von Forth (Firth of Forth) in’s Land. Auf dieser Seite begrenzen den Blick die edelgeformten kräftigen Berge der Grafschaften Fife und Kincardine. Südlich erhebt sich schönes, das Städtchen Linlithgow umgrenzendes Hügelland. Und jetzt, wo wir die Aussicht nach einer andern Richtung genießen wollen, verdeckt uns den Blick ein kleines, achteckiges Thürmchen, vor dessen Thür wir stehen und welches wir bisher nicht bemerkt hatten. Wir treten neugierig durch den niedrigen Eingang ein, wir befinden uns im Lieblingsstübchen der Königin Margarethe (Queen Margaret’s bower). Hier saß die Fürstin, die Großmutter Maria Stuart’s, tagelang, nachdem ihr Gemahl Jakob IV. in den Krieg gegen England gezogen war, und schaute sehnsuchtsvoll hinüber nach den Hügeln, in der Hoffnung, den Zug der wiederkehrenden Krieger zu erspähen. Endlich ward ihr die Kunde, daß der Gemahl mit allen seinen Mannen auf dem Schlachtfelde zu Flodden Field erschlagen liege. Einige Verse Walter Scott’s über der Thür deuten die Stimmung der unglücklichen Fürstin an, und wahrlich, wenn man an einem schwermüthigen, schottischen Herbstabend hoch über dieser Trümmerwelt steht, dann flößen die beängstigende Stille, welche auf der Landschaft ruht, und die Bilderkette von Rohheit, Verrath, Mord und Unglück, welche das alte Schloß vor unserer Seele entrollt, etwas von der grenzenlosen Einsamkeit und Trauer der hoffenden und verzweifelnden Königin in das Gemüth. So groß ist sie, daß man sich versucht fühlt, die Geschichte Margarethens für die Erfindung eines Dichters zu halten, der, seine Phantasie entlastend, die Gestalt der unseligen Fürstin aus seinen Empfindungen schuf, um in Anderen einen Nachhall der Gefühle zu wecken, welche ihn hier durchbebten. So stark ist sie, daß man hinuntereilt, um das alte, ungastliche Gemäuer zu verlassen und den düsteren Empfindungen, welche es hervorruft, zu entrinnen.
Und schon dampfen wir durch die hügelige Gegend. Das Land dehnt sich bald zu einer weiten Ebene aus. Rechts erheben sich die Pentland-Hügel. Die Häuser ballen sich allmählich dichter zusammen. Wir fliegen durch einen Tunnel, halten, steigen eine Treppe hinauf und befinden uns in Princes’ Street in Edinburgh. Es giebt vielleicht keine Straße in Europa, welche sich an eigenthümlicher Schönheit mit ihr messen kann. Auf der Nordseite stehen stattliche, hohe Häuser; von der Südseite, welcher neben mehreren öffentlichen Gebäuden besonders das Walter Scott-Denkmal zur Zierde gereicht, hat das Auge einen entzückenden Blick auf ein im üppigsten Grün schimmerndes Thal, dessen gegenüberliegender Abhang schroff und steil zu der ausgedehnten Hochfläche emporsteigt, auf welcher die schweren Massen von Edinburgh Castle lasten. Schöne Brücken überspannen die Schlucht. Eine derselben führt uns aus der eleganten Neustadt, an deren Saume wir uns befanden, [649] in die winklige, steile Altstadt hinauf. Wo die Straße freier wird, erblicken wir den Aufgang zu dem Bergschlosse vor uns. Der Burgberg erscheint hier, wo wir den Südabhang sich fast senkrecht aus der Ebene erheben sehen, höher und steiler, als von Princes’ Street aus.
Edinburgh Castle ist heutigen Tages eine Caserne. Daran gemahnt uns die breitschultrige Schildwache in Hochland-Uniform, die, wie alle englischen Soldaten, auf Wache eilig auf- und abläuft und scharf Kehrt macht. Es ist fast selbstverständlich, daß sich in früherer Zeit auch ein Staatsgefängniß hier befand. Das allererste Gebäude, welches der Besucher betritt und unter welchem der Aufgang zum Schlosse durchführt, enthält den Kerker, in welchem der Marquis von Argyle die letzte Nacht vor seiner Hinrichtung zubrachte.
Nachdem wir, langsam aufsteigend, den Gipfel des Berges erreicht haben, entfaltet sich vor unseren Augen ein Landschaftsbild von überraschender Großartigkeit. Edinburgh Castle ist mit der Akropolis von Athen verglichen worden. Rings um den Burgberg lagert ein schornsteinreiches Häusermeer; an dem malerischen Calton Hill vorbei wogt es nach der in Rauch gehüllten Hafenstadt Leith, dem schottischen Piräus, hinab. Dahinter der glitzernde Meerbusen des Forth, zwischen der nach Norden biegenden Südküste und den edelgeschwungenen Bergen von Fife, dem schottischen Argos, in den deutschen Ocean hinausrollend. Es fällt nicht schwer, sich ein im Meerbusen liegendes Eiland als Aegina vorzustellen. Hinter uns streben die Arthur’s Seat[WS 1] und Salisbury Craigs[WS 2] genannten Hügel empor; in größerer Entfernung thürmen sich die Portlandberge auf.
Wer das Schloß besucht, ist auf den Anblick zweier Zimmer gespannt, welche Maria Stuart als Gemahlin Darnley’s bewohnte. In dem ersten hängt ein in Oel gemaltes Bildniß der Fürstin. Es entspricht nach meiner Meinung am meisten dem Eindrucke, welchen ihre Lebensschicksale hervorrufen. Leider ist es von allen Abbildungen der Königin am wenigsten bekannt. Die Photographien geben auch nicht im Entferntesten den Charakter des Gesichtchens wieder: die Heiterkeit, die Herzensgüte, die unbewußte Sinnlichkeit, kurz, das ewig Weibliche ihrer Erscheinung. Kein Zug, der auf geistige Kraft oder Energie des Charakters schließen ließe! Die Natur hat sie dazu bestimmt, in friedlicher Zeit zu leben, zu lieben und geliebt, bewundert, angebetet zu werden. Welches muß ihr Loos sein, wenn sie ohne den Schutz eines Vaters, eines Bruders, eines Gatten, umgeben von Intriguanten und Schurken, ohne königliche Macht, dem Ehrgeize und der Selbstsucht roher Barone preisgegeben wird!
Sie ist als die Braut des Dauphins dargestellt. Ein reicher Goldschmuck windet sich um das zarte Hälschen, unter dem zierlichen Häubchen drängt sich braunes, fein gekräuseltes Haar hervor. Die Stirn wölbt sich fast kindlich über den braunen, schelmischen Augen; jugendlich zart sind die unberührten weichen Lippen. Es ist schade, daß kein deutscher Maler in einer Copie, welche die verblichenen Farben des Originals aufblühen läßt, uns den ganzen holden Reiz dieses Antlitzes offenbart hat. In dem anstoßenden Zimmer gebar Maria Stuart Jakob VI. von Schottland, bekannter unter dem Namen Jakob I. Die aus dem sechszehnten Jahrhundert stammende, wohl erhaltene, getäfelte Decke ist in Fächer eingetheilt, auf welchen abwechselnd die von einer Krone überragten Initialen J. R. und M. R. angebracht sind. Auf der Wand unter dem schottischen Wappenschild steht eine Inschrift mit dem Datum: „19th IVNII, 1566“.
Beim Verlassen des Schlosses gelangt man in die ziemlich steil abfallende High-Street, die bedeutendste Verkehrsader der [650] Altstadt. Sie wurde im vorigen Jahrhundert für eine der schönsten Straßen Europas gehalten, warum, ist uns heute unverständlich. Die Gebäude sehen vernachlässigt aus, aber der Historiker und Antiquar treibt sich gern in dieser Gegend umher. Dort steht, etwas in die Straße vorspringend, das Haus des schottischen Reformators John Knox. Aus dem Eckfenster des ersten Stockes predigte er oft seinen in High-Street versammelten Anhängern. Es wäre der Mühe werth, die Außentreppe hinaufzusteigen, in die kleinen düsteren Zimmer einzutreten und einen Augenblick auf dem Stuhle des fanatischen Geistlichen auszuruhen, welche Ehre jedem Besucher angeboten wird, aber unser Weg führt uns vorüber. Unser Ziel ist Holyrood Palace, welcher High-Street im Osten abschließt.
Der Palast hat weder eine hervorragende Lage wie Edinburgh Castle, noch besitzt er den Zauber des Alters, wie das Schloß zu Linlithgow. Es ist ein keineswegs imposantes viereckiges Gebäude in ebener Lage, welches erst in der zweiten Hälfte des siebenzehnten Jahrhunderts errichtet wurde. Ein alter, auf dieser Stelle stehender Palast brannte im Jahre 1542 nieder. Das Schloß, welches nach dem Brande wieder aufgebaut wurde, bewohnten Lord Darnley und die Königin nach ihrer Rückkehr aus Frankreich. Ein großer Theil desselben wurde im Jahre 1650 ein Raub der Flammen. Glücklicher Weise blieben die Privatgemächer der Maria Stuart und ihres Gemahls verschont. Beim Neubau wurden sie dem jetzigen Gebäude einverleibt und bilden die Nordwestecke des heutigen Schlosses. Von dem inneren rechteckigen Hofe führt eine Treppe in die Zimmer Darnley’s, in denen nur Eins den phantasievollen Reisenden anzieht: eine schmale offene Thür. Durch diesen Ausgang blickt man auf die berüchtigte steinerne Wendeltreppe, welche in Verbindung mit dem Maria Stuart als Schlafgemach dienenden Raume steht. Auf den schmalen, halb in Dunkel gehüllten Stufen drang Darnley an der Spitze einiger Freunde in die Zimmer der Königin, um ihren Geheimsecretär zu ermorden.
Die Gemächer Maria Stuart’s liegen einen Stock höher. Es sind vier unregelmäßig gebaute Zimmer von ungleicher Größe. Zuerst gelangen wir in das halbdunke Audienzzimmer. Hinter der Thür wird uns auf den Dielen ein großer Fleck gezeigt mit dem Hinzufügen, daß sich hier Rizzio verblutet habe. Der zweite Raum war das Schlafgemach der Königin. In demselben steht noch das vermoderte, zerfetzte Himmelbett Maria’s und einige alte Möbel. Auf der Ostseite mündet die vorher erwähnte Wendeltreppe. Einen Schritt von ihr entfernt, auf der Nordseite, gelangt man durch eine niedrige Thür in ein schmales hohes Zimmer. Hier speiste die Königin mit Rizzio und einigen Freunden an dem Abend, welchen Darnley zur Ausführung seines Verbrechens erwählt hatte. Unbemerkt waren die Mörder in das Schlafgemach gelangt und drangen plötzlich in das enge Zimmer. Der Italiener klammerte sich voller Todesfurcht an das Kleid der Königin. Darnley suchte ihn aus dem Zimmer zu reißen, um ihn vor den Gemächern seiner Gemahlin zu tödten. Aber in der Ungeduld der Mordgier versetzte ihm Einer einen Dolchstoß, worauf auch die Uebrigen über Rizzio herfielen. Halb entseelt ward er durch das Schlafzimmer und das Audienzzimmer geschleppt und sank, aus dreiundfünfzig Wunden blutend, in der Nähe der Treppe todt zusammen. Die vierte, unregelmäßig gebaute Kammer benutzte die Königin als Ankleidezimmer. Es ist ein nüchterner, in keiner Beziehung merkwürdiger Raum.
Man verläßt den Palast gern, wie alle Stuart-Schlösser. Denn fast jedes erweckt schmerzliche, niederdrückende Erinnerungen, welche kein erhebender Gedanke erträglich machen kann. Ueberall unmännliche Gewaltthat oder feige Hinterlist eines rohen, gesetzlosen Adels! Wir athmen auf, wenn wir wieder das offene Land vor uns erblicken, welches der Schnellzug mit uns durchbraust. Noch einmal haben wir Gelegenheit, Linlithgow Castle rechts von uns auf dem Hügel zu sehen. Jetzt eilen wir über das Schlachtfeld, auf welchem der volksthümliche Held Schottlands, William Wallace, die entscheidende Niederlage erlitt, die ihr letztes trauriges Nachspiel in der Hinrichtung des edlen Patrioten fand. Oben links, für das bloße Auge kaum erkennbar, steht ein kleines weißes Denkmal an der Stelle, von welcher er, angesichts des prächtigen Meerbusens und der hochragenden Berge, den Kampf gegen den englischen König leitete.
Nun liegt das Schlachtfeld von Falkirk vor uns. Hier besiegte „Prinz Charlie“, der junge Prätendent, zum letzten Male die englischen Truppen. Schon fliegen wir an Bannockburn vorüber, wo Robert Bruce die Truppen Eduard’s II. vernichtete. Das Schloß, welches wir in diesem Augenblicke auf steiler Höhe schimmern sehen, ist Stirling Castle. Auf jener luftigen Höhe hat Maria Stuart oft residirt und einige ungetrübte Stunden verlebt. Aber da das Schloß keine besonders werthvolle Erinnerung an die Königin birgt, lassen wir uns vom Dampfroß weiter durch stille Thäler, an hohen Bergen vorüber tragen und gelangen nach mehrstündiger Fahrt an die Ufer des Loch Leven. Der weite, schöne See wird im Süden von einer Bergreihe begrenzt, im Norden breitet sich die Ebene von Kinroß aus. Ungefähr eine Viertelstunde vom Ufer entfernt liegt eine keine Insel, über deren Baumkronen ein viereckiger Thurm, an den sich verfallenes Gemäuer lehnt, ein wenig hervorragt. Dort wurde Maria Stuart gefangen gehalten, nachdem sie im Jahre 1567 in die Gewalt der aufständischen Lairds gefallen war. In einem Thurmzimmer verlebte sie neun Monate, Tag und Nacht bewacht, bitter gekränkt und mit erfinderischer Lust erniedrigt von der Mutter des Regenten, welche einstens die Gunst Jakob’s V., des Vaters der Maria Stuart, genossen hatte.
Nach einem Versuche Maria’s, in den Kleidern einer Waschfrau zu entkommen, bei dem sie von den Bootsleuten erkannt und gezwungen worden war, in den Thurm zurückzukehren, gelang es endlich George Douglas, die Schlüssel des Schlosses an sich zu bringen und mit der Königin in der Nacht des 2. Mai 1568 über den See zu entfliehen. Die Schlüssel, welche er in den Loch Leven warf, sowie ein Elfenbeinscepter der Königin wurden im Anfange dieses Jahrhunderts auf dem Boden des Sees wiedergefunden und werden in der Residenz des Grafen von Morton aufbewahrt.
Während wir am Ufer des Sees sitzen, ist die Nacht hereingebrochen. In den Häusern blitzen die Lichter und am Himmel die Sterne auf. Wie die Dunkelheit sich auf die plätschernden Wellen senkt und die stille Außenwelt weniger und weniger das Gemüth beschäftigt, ziehen um so lebensvollere Bilder aus dem ferneren Schicksale der freudlosen Fürstin an dem inneren Auge vorbei. Bald nachdem sie Loch Leven Castle verlassen hatte, trieb sie eine unglückliche Schlacht über die Grenzen ihres Reiches. Den schottischen vertauschte sie mit einem englischen Kerker. Indem unser Blick nach der finsteren dunkelnden Masse ihres ersten Gefängnisses hinüberschweift, steht eine andere Ruine, Hunderte von Meilen entfernt, vor unserer Seele: Fotheringhay Castle in Northhamptonshire.