Ingeborg
[162] Ingeborg. (Zu dem Bilde S. 157.) Längst ist die romantische Dichtung, welche der Schwede Esaias Tegnér aus dem Stoffe der altnordischen „Frithjofs-Sage“ gestaltet hat, durch vortreffliche Uebersetzungen ein Gemeingut der Deutschen geworden. Die poesieverklärten Gestalten des kühnen Heldenjünglings Frithjof und seiner Jugendgeliebten Ingeborg, die ein rauhes Schicksal trennt, bis die Gunst der Götter sie endlich doch vereinigt, genießen bei uns kaum eine geringere Volkstümlichkeit als im Heimatlande Tegnérs. Das stimmungsvolle Landschaftsidyll H. Dahls, das uns auf einsamer Felsenklippe die Tochter König Beles zeigt, vergegenwärtigt uns in getreuer Naturaufnahme die meerumspülte Heimat des berühmten Liebespaars. Das kleine Reich König Beles lag zu beiden Seiten des buchtenreichen Sognefjords im norwegischen Kirchspiel Bergen. Noch heute führt der steile Felsvorsprung am Nordwestgestade den Namen „Balderhöhe“ nach dem Tempel des Gottes Balder, der einst auf seiner Höhe stand. Im Schutze dieses Tempels trafen sich die von den Vätern füreinander bestimmten Heldenkinder heimlich, als nach der Väter Tod Ingeborgs hochmütige Brüder dem Freibauernsohn Frithjof die Hand ihrer Schwester versagt hatten. Von seinem Stammgut Framnäs auf der anderen Seite des Fjords kam der kühne Degen des Nachts auf seinem Schiff Ellide zum traulichen Stelldichein. In diese Zeit heimlichen Liebesglücks versetzt uns der Maler. Das läßt uns getreulich der hoffnungsfrohe Ausdruck der edlen Züge der Nordlandstochter erkennen. Ingeborg weiß: ist der Geliebte auch zur Stunde noch fern jenseit der Flut – wenn erst Sterne und Mond am Himmel stehn, wird sein schnelles Schiff ihn herübertragen zu ihr. Zu den Perlen der Dichtung Tegnérs gehört der Gesang, in welchem er uns seines Helden Gefühle bei solch nächtlicher Meerfahrt durch dessen eigenen Mund schildern läßt:
„Leis gehn die Sterne, wie auf Zehen
Der Liebende zum Mädchen schleicht,
Ellid’ fahr’ zu mit Sturmeswehen,
Ihr blauen Wellen tragt sie leicht!
Es grünen dort des Gottes Haine,
Zu guten Göttern ziehn wir hin;
Der Tempel glänzt im Sternenscheine,
Drin thront der Liebe Königin.“