Jean Piccolo, der Tambour der Fremdenlegion

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Autor: J. v. Wickede
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Titel: Jean Piccolo, der Tambour der Fremdenlegion
Untertitel:
aus: Die Gartenlaube, Heft 48, S. 577–580
Herausgeber: Ferdinand Stolle
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Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1854
Verlag: Verlag von Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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Jean Piccolo, der Tambour der Fremdenlegion.[WS 1]

Wahrlich in einer Grenadier-Compagnie der Fremdenlegion in Algerien, die jetzt im Orient mitkämpft, kann man Originale sehen, wie man sie in der Art nicht so leicht im ganzen Leben wieder zusammenfinden wird. Fast lauter feste, stämmige Gestalten, mit dunkel gebrannten, wildbärtigen Gesichtern, die oft der Kreuz und der Quer mit breiten Narben gezeichnet, sind diese Grenadiere. Was die Fremdenlegion, dies große Asyl sonst aller verlorenen Söhne von halb Europa, an kleinen verkümmerten Kerlen und untüchtigen Soldaten besitzt, das bleibt in den „Compagnies du centre“ zurück, die „Compagnies d’élite“ und gar die Grenadiere nehmen nur tüchtige, vielversuchte Krieger in ihren Reihen auf; fast alle sonst noch so verschiedenen Nationen sind in denselben vertreten. Der blondhaarige, blauäugige, breitschultrige Schwede steht neben dem schlanken, gebräunten Castilier, der lombardische Flüchtling neben dem früheren russischen Kriegsschiffmatrosen, den eine Desertion hierher führte, um ein beschwerliches Leben mit einem anderen nicht minder beschwerlichen zu vertauschen. Und gar Deutschlands verlorene Kinder, wie reich sind dieselben in diesen Compagnien vertreten. Von allen unseren einunddreißig oder zweiunddreißig verschiedenen Vaterländern wird man sicherlich mehrere würdige Repräsentanten hier finden. Altbaiern und Pommern, Pfälzer und Mecklenburger, Schwaben und Schlesier, in bester Eintracht stehen sie beisammen, unter der Trikolor-Fahne Frankreichs. Die Meisten dieser Grenadiere haben bereits in verschiedenen Heeren gedient und gar manche blutige Kämpfe mit durchgefochten, bevor ihr wechselvolles Leben sie hierher in die entlegensten Theile von Algerien führte. Der Eine kam vielleicht aus den holländischen Kolonien in Ostindien und hatte schon so und so viel Jahre den Gift getränkten Waffen der Malayen gegenüber gestanden, sein Nebenmann von Ungarns blutigen Schlachtfeldern, der von den Schleswig-Holstein’schen Feldzügen, der Vierte aus Nordamerika, wo er die mexikanischen Kriege mitgeschlagen, Jener aus Sicilien, sein Kamerad neben ihm aus Baden, während die furchtbaren Narben des Flügelmannes von tscherkessischen Klingen im Kaukasus herrührten, gegen die er als polnischer Soldat des Czaren mehrere Jahre gezwungen gefochten, bis ihm seine gefahrvolle Desertion endlich glückte, ein englischer Kauffahrer am schwarzen Meere ihn aufnahm und er so endlich nach wechselvollen Schicksalen hierher in die Fremdenlegion verschlagen ward. Oft als erbitterte Feinde hatten früher manche dieser Grenadiere, die jetzt friedlich in den Reihen neben einander standen, schon gekämpft.

Der Merkwürdigste aller dieser wilden Kerle der Grenadier-Compagnie, unter deren Eskorte ich mehrere Tage mit marschirte, war aber unbedingt ihr erster Tambour, Jean Piccolo, oder „Jean le Petit“ oder „dee lutje Hanns“ oder „Hanns Dumling“ oder „Rothhans“ oder „Jovanuo Pocco-Poccissimo“ und Gott weiß, wie noch weiter genannt. Wahrlich, dieser Tambour war ein Original, wie man es so leicht nicht wieder auf dieser ganzen großen, weiten Welt finden wird. Zuerst schon sein Aeußeres, was unbedingt Aufsehen erregen mußte. Der ganze Kerl war kaum fünf Fuß hoch, dabei aber von solcher Breite in der Brust und über die Schultern, wie ich nur selten den größten Mann gesehen habe. Auf diesem breiten Brustkasten saß ein ganz kurzer aber dafür sehr dicker Hals und auf diesem wieder ein Kopf, dessen Proportionen kaum für einen 61/2 schuhigen Riesen gepaßt haben würden. Ein ungeheurer Wulst von brandrothen Haars bedeckte diesen großen, dabei seltsam geformten Kopf, wie auch ein langer, fuchsrother, sehr ungepflegter Bart bis weit auf die Brust darniederhing. Pflegte aber „Jean Piccolo“, so ward der Tambour doch am Meisten genannt, und stand auch, irre ich nicht, mit diesem Namen in den Compagnielisten eingetragen, seinen Kinnbart gar nicht, und hatte gewiß seit Monden weder Scheere noch Kamm den üppigen Haarwuchs desselben berührt, so verwandte er dafür desto größere Sorgfalt auf seinen Schnurrbart. Von großer Länge und ebenfalls brandrother Farbe, starrten die beiden Spitzen desselben gleich einem Paar Spießen auf beiden Seiten des Gesichtes weit ab in die Luft. Möglichst fest dieselben zusammenzudrehen und mit Pech oder Honig festzukleben, war mit eine der Hauptsorgen von Jean, die er jeden Morgen im Bivouak getreulich erfüllte, wenn ihm seine Toilette sonst auch sehr wenig Zeit in Anspruch nahm, und er seinen tief innern Abscheu gegen das Wasser auch so weit ausdehnte, daß er sein Gesicht möglichst selten in Berührung mit demselben brachte. Dies Gesicht, soweit man es vor dem Haarwuchs, der es von allen Seiten umzottelte, sehen konnte, hatte aber sonst einen so merkwürdigen Ausdruck, daß leider meine Feder, nicht genugsam ausreichend ist, denselben in seiner ganzen vollen Pracht zu beschreiben. Die Farbe desselben war dunkelbraun gebrannt von den Strahlen der afrikanischen Sonne, unter deren Glut Jean Piccolo nun schon manches Jahr seine Trommelschlägel rührte, brennend roth und glänzend wie der feurigste Rubin hingegen die breitgequetschte Nase. Wie manches Litre von dem dunkelrothen Wein der Provence oder von starkem Eau de vie war auch schon durch Jeans ewig durstige Kehle hinunter geglitten, bis seine Nase in so brennend rothen Farben sich schattirte. Zwei kleine, blaugraue Augen, die tief unter rothborstigen Augenbrauen versteckt lagen, zwickerten mit listigen Blicken [578] in die Welt hinaus. Ein ganz unbeschreibliches Gemisch von Schlauheit, Dreistigkeit, Humor und Griesgrämlichkeit lag in dem Ausdruck dieser Augen. Die kleine niedere Stirn war durch eine breite klaffende Narbe, die sich über die Nase bis weit auf die Backen hinabzog, in zwei Hälften getheilt. Auf diesem Kopfe balancirte, weit auf das Hintertheil gesetzt, ein kleines Käppi, wie es die französische Infanterie trägt, während ein ungemein mitgenommener blauer Uniformsrock der Legion, dessen rothe Franzenepaulettes auf den Schultern nur noch einzelne wenige Franzen aufzuweisen hatten, den dicken und starken Oberkörper umschloß.

Da es bei dem beständigen Felddienst der Compagnie in dem abgelegendsten Theil von Algerien nicht sehr genau mit der reglementsmäßigen Uniformirung der einzelnen Soldaten genommen wird, so hatte Jean Piccolo auch mehrere Veränderungen, wie Bequemlichkeit oder Phantasie ihm solche eingab, bei seinem Anzug sich erlaubt. So trug er um den Leib als Gürtel einen rothen, türkischen Shawl, der einst gewiß einem vornehmen arabischen Scheik gehört und großen Werthe gehabt hatte, jetzt aber schon ungemein schmierig und defekt aussah. Er nannte diesen Gürtel seinen „Magentröster“ oder „Seelenzusammenhalter“ und war ungemein stolz auf den Besitz desselben. Seine im Verhältniß zu der Breite des Oberkörpers nur dünnen und auch sehr kurzen Beine steckten in den Pantalons, wie sie die Fremdenlegion trägt. Aus eigner Machtvollkommenheit hatte er sich aber ein paar Stulpstiefel, die er Gott weiß irgendwo aufgegabelt, zugelegt, und trug diese gewöhnlich bis auf das Knie heraufgezogen. Eine riesig große Branntweinflasche aus einem Flaschenkürbis geschnitzt, hing an einer Schnur ihm über die Schulter, wie auch aus seinem Gürtel der Knauf einer alten, sehr langen Reiterpistole herausschaute.

Seitengewehr und Trommel trug er auf die gewöhnliche Art der Tamboure. Auf Letzterer war übrigens Jean Piccolo in seincr Art ein Virtuose, und so viele Tamboure der schönsten Regimenter in fast ganz Europa ich auch schon schlagen hörte, so hörte ich doch nie so kraftvolle und dabei wirklich kunstfertig geschlagene Wirbel wie von ihm. Seine übermäßig langen Arme mit den breiten knochigen Pratzen daran, schienen wirklich aus Stahlfedern zu bestehen, mit solcher Kraft und Ausdauer führten sie die Schlägel. Ganze Stunden lang auf dem Marsche, Berg auf, Berg ab, in der glühendsten Hitze, konnte er forttrommeln und wirbeln, wenn man ihm einige Litre Wein als Extrabelohnung dafür versprach, ohne daß man ihm eine Ermüdung nur im Mindesten anmerkte.

Es ist faktisch, daß Jean Piccolo einst eine Wette eingegangen war, die drei Tamboure einer französischen Grenadier-Compagnie unmittelbar nach einander müde zu trommeln, und nach mehrstündigem heißen Kampfe als vollständiger Sieger aus demselben hervorging. Seine Freude darüber, gerade die übermüthgen Franzosen auf solche Weise geschlagen zu haben, war sehr groß, denn obschon Jean Piccolo nun schon an ein Dutzend Jahre unter der Trikolorfahne trommelte, war er doch der größte Franzosenfeind, der mir jemals vorgekommen ist. Nichts, aber auch gar nichts war seiner Ansicht nach bei den Franzosen gut, alles mögliche Schlechte aber bei ihnen in Hülle und Fülle vereinigt. Grade seiner Franzosenfeindschaft wegen hatte er schon zahllose Streitigkeiten und Raufereien aller Art, und wie es sich gehörte, auch nicht geringe Strafen gehabt, war aber natürlich nicht im Mindesten dadurch geheilt worden. Dabei hatte er sich aber stets vortrefflich für die französische Sache in Algerien geschlagen und mehrfach Verleitungen zur Desertion entschieden abgewiesen. Ueber seine große Bravour und Kaltblütigkeit im Gefecht war nur eine Stimme in der ganzen Compagnie, und wenn nicht sein unbesiegbarer Hang zu Liederlichkeiten aller Art und besonders zur Trunkenheit hindernd dazwischen getreten, hätte man Jean am Ende doch zum Avancement vorgeschlagen.

Unter den vielen Geschichten, die von dem Muthe dieses kleinen häßlichen Tambours circulirten, war besonders die merkwürdig, daß er sich einmal ganz allein mit Erfolg gegen drei beduinische Reiter, die ihn attaquirten, vertheidigte. Er hat stets mit seiner Trommel solchen Lärm gemacht, daß die Pferde der Reiter davor zurückscheuten und sich dieselben ihm nicht nähern konnten. Endlich hat er als letztes Rettungsmittel einem Pferde seine Trommel mit solcher Gewalt an den Kopf geworfen, daß das Thier zurückbäumte und sich mit seinem Reiter überschlug, während Jean rasch seine Pistole aus dem Gürtel zog und damit einen andern Beduinen verwundete, worauf denn alle Drei den Kampf aufgaben, und dem kleinen heldenmüthigen Tambour erlaubten, sich zu retten.

Eine andere Erzählung war, daß derselbe einst mit einem riesigen Kabylen in ein persönliches Handgemenge gerathen sei. Die beiden wüthenden Gegner haben sich ineinander gefaßt und Jeder hat den Andern zu Boden zu werfen versucht. Bei diesem wilden Geringe sind Beide aber ausgeglitten und einen ziemlich steilen und steinigen Felsabhang hinunter gepurzelt. Obgleich arg zerschlagen und zerquetscht, haben Beide, unten angekommen, sich doch nicht losgelassen, sondern in ihrer wilden Wuth zuletzt förmlich wie ein paar Bulldoggen in einander verbissen, in welcher Lage sie endlich von anderen Soldaten der Fremdenlegion aufgefunden worden sind. Die spitzen Zähne des Kabylen haben sich tief in die eine Backe des Jean Piccolo eingegraben gehabt, und noch jetzt konnte man die Narben davon deutlich erkennen, was gerade nicht zur Erhöhung seiner körperlichen Schönheit mit beitrug.

Aber nicht allein gegen Kabylen, Hajuten und Beduinen mochte er sich schlagen; auch mit manchen Grenadieren seiner Compagnie hatte er gar viele Feindseligkeiten. Besonders ein großer Normanne mit dem Beinamen „Robert le diable“ war der erklärte Feind von Jean Piccolo. So klein und häßlich wie Jean, eben so schön und stattlich war dieser Robert. Von mehr als gewöhnlicher Größe, dabei ganz ebenmäßig gewachsen, mit einem regelmäßigen Gesicht, was durch einen prächtigen Schnurr- und Knebelbart geziert war, fehlte diesem Grenadier wirklich kein äußerlicher Vorzug, um für einen ausgezeichnet schönen Soldaten, der in der auserlesensten Gardetruppe selbst Aufsehen gemacht hätte, zu gelten. In seinen dunkeln Augen blitzte Muth und Feuer, zugleich aber auch Roheit, ja selbst Grausamkeit. Wegen letzterer, die er besonders auch oft auf empörende Weise an den Feinden, denen er nie Pardon gab, ausgeübt haben soll, hatte dieser Normanne auch den Beinamen Robert le diable in der Compagnie erhalten und sein ganzes Verhalten soll auch denselben vollkommen gerechtfertigt haben. Schon mehrfach wegen seines Muthes im Gefecht und seiner sonstigen militairischen Brauchbarkeit zum Korporal befördert, hat man ihn seiner Grausamkeit, Roheit und Trunksucht wegen stets wieder die Galons nehmen müssen, und der Capitain seiner Compagnie sagte mir, daß er die feste Ueberzeugung habe, dieser sonst so sittliche und auch muthige Soldat werde sein Leben wahrscheinlich im Bagno von Toulon beschließen. Robert und Jean haßten sich nun gegenseitig wie sich nur zwei Männer hassen können und versäumten gewiß keine Gelegenheit, diesen Haß durch Worte und wo sie auch nur konnten durch Thaten Luft zu machen. Wiederholt schon hatten sie sich mit ihren kurzen Seitengewehren, wie sie die französischen Grenadiere tragen, gegenübergestanden und in wüthenden Zweikämpfen ihrem gegenseitigen Haß Luft gemacht. Beide waren aber gleich muthige, gewandte und starke Fechter und wenn auch Jean durch seine Kleinheit im bedeutenden Nachtheil war, so soll er dies durch eine katzenartige Schnelligkeit und Gewandtheit stets wieder ausgeglichen haben. Ein ganz eigenthümliches Schauspiel mögen aber diese wüthenden Zweikämpfe des riesigen Grenadiers mit dem gnomenartigen Tambour stets abgegeben haben. Jetzt wo wegen des letzten Zweikampfes jeder mit vierzehn Tagen strengem Arrest bestraft worden war, gingen sie wie zwei bissige Hunde zähnefletschend und zürnend neben einander herum und versäumten gewiß keine Gelegenheit, sich wenigstens durch höhnische Worte und spöttische Redensarten zu reizen und zu kränken, da es ihnen auf andere Weise streng untersagt war. Hatte Jean Piccolo noch so lange kunstvolle Wirbel auf seiner Trommel geschlagen und wirklich das Mögliche an Ausdauer und Geschicklichkeit hierin geleistet, dann stichelte Robert le diable gewiß darüber und meinte, bei ihm zu Hause verständen die Knaben, die mit Grenadiermützen von Zuckerpapier auf dem Kopf Soldat spielten, schon besser die Trommel zu rühren[WS 2]; und umgekehrt wieder verglich Jean Piccolo den Gesang seines Nebenbuhlers, der wirklich eine recht gute Stimme hatte und es liebte, am Abend bei den nächtlichen Bivouakfeuern, die mit Myrthenholz genährt wurden, seine Chansons und Couplets vorzutragen, mit dem Krähen eines Hahnes oder dem Miauen einer Katze. Hatte der Grenadier ein kriegerisches Lied mit vielem Pathos vorgetragen, sogleich parodirte sein unermüdlicher Quälgeist ihn wieder und that dies mit solchem Geschick und so viel [579] natürlicher Komik, daß er stets die Lacher auf seine Seite zu bekommen wußte und der Eindruck, den der Grenadier mit seinem Gesange hervorbringen wollte, gänzlich verloren ging. Ungemein komische Scenen kamen hierbei vor und selten in meinem Leben entsinne ich mich so viel und so herzlich gelacht zu haben, als wenn ich hier des Abends an das Bivouakfeuer ging, um diesem Streit der beiden Nebenbuhler zuzuhören.

Der erste Grund des Hasses zwischen diesen beiden Originalen war Eifersucht gewesen. Beide liebten feurig und zwar Jeannette d’Arc, die Marketenderin oder richtiger Vivandière der Compagnie. So eine Marketenderin einer Grenadier-Compagnie der Fremdenlegion ist gar vielfacher Anfechtungen aller Art ausgesetzt und es bedarf schon einer resoluten Persönlichkeit, um diesen schwierigen Posten nur einigermaßen auszufüllen. Eine reizend poetische Erscheinung, so eine zweite Art von Regimentstochter darf man sich unter einer solchen Vivandière wahrlich nicht vorstellen. In vielfachen Richtungen hat dieselbe gewöhnlich schon das Leben kennen gelernt und besonders auch in dem Kapitel der Liebe gar mannigfache Erfahrungen sammeln können, ohne es deshalb verlernt zu haben, den süßen Regungen ihres Herzens nachzugeben. Diese Jeanne d’Arc, wie ihr Spitzname, bei dem sie nur allgemein genannt wurde, konnte wirklich als ein wahres Modell einer tüchtigen Vivandière gelten. Ueber die erste Blüthezeit ihres Lebens, die sie nach ihrer Versicherung als Mitglied einer Kunstreitergesellschaft verlebt hatte, war sie jetzt vorüber und gewiß über dreißig Lenze waren seit ihrer Geburt verstrichen.

Hatte auch das Gesicht schon manche schärfere Linien erhalten, war der süße Zauber der reinen Jungfräulichkeit bereits längst aus demselben verschwunden, so lag doch noch immer so viel Reiz darin, um die leicht empfänglichen Herzen vieler Grenadiere in Feuer und Flamme zu versetzen. In den großen dunkeln Augen dieser Amazone brannte eine lebhafte Gluth, ihr Mund war wie zum Küssen geschaffen und der nicht zu kleine schwarze Schnurrbart, der sich über der Oberlippe kräuselte, und um den mancher deutsche Fähnrich die Dame gewiß beneidet hätte, trug nur noch mehr dazu bei, ihr ein pikantes Ansehen zu geben. Die Gestalt war groß und kräftig und der kurze rothe Rock, die Halbstiefeln, die mit Schnüren besetzte kurze Spenzerjacke und der breiträndrige, niedrige Hut von Glanzleder, was zusammen den Anzug der Vivandière bildete, kleideten dieselbe nicht schlecht. Und wie trefflich verstand dieselbe ihr wahrlich nicht leichtes Amt zu versehen und die oft etwas zu ungestümen Begierden mancher Grenadiere nach ihren Reizen oder mehr eigentlich wohl noch nach dem Eau de vie und dem Cognac, in den kleinen grünen Fässern, die vorn am Sattelknopf des Mulets hingen, zu zügeln. Wahrlich, reichten ihre Worte nicht aus und Jeanne d’Arc hatte einen gar reichen Vorrath der spitzigsten Redensarten und höhnischsten Schimpfnamen, welche die französische Sprache nur besitzt in ihrem Vorrathe und theilte solchen gar freigebig aus, dann nahm sie auch zu handgreiflichen Zurechtweisungen ihre Zuflucht. Das „je vous donnerai une sofflet polisson imbecille“ u. s. w. „que vous êtes“ was sie gar oft hören ließ, wenn die Grenadiere ihren Anordnungen nicht Folge leisten wollten, blieb nicht immer eine leere Drohung, sondern ward nur zu oft zur vollen Wirklichkeit.

Ich habe dieselbe einst gesehen, wie sie einem riesigen Grenadier, einem gebornen Wallonen, der ohne ihre Erlaubniß sich ein Litre Wein aus ihrem Fäßlein gezapft hatte, rechts und links mit einem solchem Hagel der gewaltigsten und dabei geschickt angebrachten Ohrfeigen überschüttete, daß der so Gestrafte wahrlich nicht wußte, wohin er nur den Kopf wenden sollte, um diesen klatschenden Streichen, die seine Backen mit noch dunklerem Roth wie gewöhnlich färbten, zu entgehen. Mit einem wüthenden „sacre dieu maudite soscière“ riß der so Geprügelte sich endlich aus den kräftigen Händen seiner Züchterin los und wollte auf dieselbe zur Wiedervergeltung ausschwingen, aber Jean Piccolo trat sogleich zum Schutze seiner Freundin vor und da dessen Körperkraft allgemein bekannt und gefürchtet war, so wollte der Wallone es mit zwei solchen gefährlichen Gegnern nicht aufnehmen und zog sich daher unter dem schallenden Gelächter vieler Kameraden wieder zurück.

Der weibliche Geschmack ist im Punkte der Liebe oft gar seltsam, und obgleich man gar nicht glauben sollte, daß Jeannette d’Arc in der Wahl ihres Liebhabers zwischen dem großen, schönen Robert le diable und dem kleinen, häßlichen Tambour, Jean Piccolo, die beide gleich feurig sich um ihre Gunst bewarben, auch nur einen Augenblick hatte schwanken können, so hatte sie sich doch Letzteren erwählt. So war derselbe denn für den Augenblick der primo amoroso der Vivandière geworden und hatte für die vielfachen Gunstbezeugungen derselben sich den feindlichen Haß seines besiegten Nebenbuhlers eingehandelt, was er aber ziemlich leicht auf die Achsel nahm, ja selbst noch durch Spötteleien aller Art zu vermehren suchte. Außer der Liebe seiner Vivandière und der Zuneigung der meisten Grenadiere, die den kleinen, stets lustigen Tambour gern mochten, erfreute sich derselbe auch noch der besonderen Anhänglichkeit zweier mächtiger Thiere, die seiner Compagnie stets folgten. Das Eine derselben war ein ungemein häßlicher, kleiner, krummbeiniger Dachshund, der dem „Capitain“ gehörte und von den Soldaten Cäsar le grand genannt wurde. Eben so häßlich in seiner Art wie der Tambour war dieser Dachshund, und wirklich diese große Aehnlichkeit in der äußeren Erscheinung Beider mochte auch die lebhafte Freundschaft zwischen denselben hervorgerufen haben. Nur von seinem Herrn, dem alten Capitaine und dann von Jean Piccolo, ließ sich dieser alte, knurrige Dachshund streicheln, ja, nur berühren, jeden andern Soldaten, der dies wagen wollte, fuhr er gewiß zähnefletschend an. Auf den Märschen ging Cäsar le grand mit unveränderlicher Gravität unmittelbar hinter seinem Freunde Jean Piccolo und so wie der Tambour die Trommel zu rühren anfing, stieß der Hund, sei es aus Vergnügen oder Aerger darüber, ein kurzes, scharfes Geheul aus. Dies Geheul dauerte aber nur so lange, wie der erste Wirbel anhielt, dann schwieg der Hund beharrlich während des ganzen Getrommels, bis er zuletzt, sobald er sah, daß der Tambour die Schlägel wegsteckte, wieder ein kurzes Geheul ausstieß. In diese Töne brach derselbe aber nur aus, sobald er sah, daß sein Freund, Jean Piccolo, der Trommler war, denn von den Uebungen der andern Tamboure nahm er nicht die mindeste Notiz und konnte selbst ruhig schlafen und nur hin und wieder mit den Augen blinzelnd fortliegen bleiben, mochten dieselben auf ihren Trommelfellen noch so viel rasseln.

Diesen Platz neben Jean Piccolo behauptete Cäsar le grand auf dem Marsche aber unerschütterlich, mochte es zur Parade oder in das Gefecht gehen. Bei einem sehr hitzigen Gefechte mit den Kabylen ist derselbe vor mehreren Jahren von einer feindlichen Kugel ziemlich bedeutend am Halse verwundet worden, ohne deshalb seinen Posten auch nur einen Augenblick zu verlassen. Sobald übrigens die Compagnie auf Vorposten im Bivouak stand, war es das erste Geschäft des Hundes, die Patrouillen, welche die äußersten Vedetten auszustellen hatten, zu begleiten, und so gleichsam Kunde von der Aufstellung derselben zu nehmen. Sobald er die Postenchaine kannte, visitirte er dieselbe regelmäßig die ganze Nacht hindurch von Stunde zu Stunde. Schon wiederholt hatte dieser so kluge und wachsame Hund einige Posten vor heimlichen mörderischen Beschleichungen der Kabylen geschützt, denn bei der leisesten verdächtigen Annäherung, die er mit scharfem Sinne witterte, warnte er die Posten durch sein lautes Gebelle. Aber nur für die Grenadiere seiner Compagnie hatte dieser seltsame Hund solche Wachsamkeit, um alle übrigen Vedetten kümmerte er sich nicht im Mindesten, und soll es schon mit angesehen haben, daß solche von Kabylen beschlichen und ermordet worden sind, ohne sie durch sein Gebelle vorher zu warnen. Wegen dieses Hundes kam es übrigens, während ich mich noch in Algerien befand, in einem Lager hinter Constantine zu einer heftigen Prügelei zwischen den Soldaten eines Chasseurs d’Orleans-Bataillons und den Grenadieren. Ein Chasseur hatte Cäsar le grand streicheln wollen, der Hund diese Aufmerksamkeit aber nach seiner Gewohnheit durch einen Biß in die Hand belohnt, und nun von dem erzürnten Jäger dafür einen Fußtritt erhalten. Grenadiere der Compagnie, die dies sahen, nahmen natürlich sogleich Partei für ihren Hund und gingen dem Thäter zu Leibe, andere Kameraden eilten diesem wieder zur Hülfe, und da zwischen den Chasseurs d’Orleans und den Grenadiern und Voltigeurs der Legion ein beständiger bitterer Haß herrscht, so war bald der heftigste Kampf in vollem Gange, und Säbel, Hirschfänger, ja selbst Bajonnette wütheten gegen einander. Schon hatten die Chasseurs, die in der Minderheit waren, sich theilweise ihre Büchsen geholt und wollten scharf feuern, als es endlich der Energie einiger Offiziere [580] gelang, die Wüthenden wieder auseinander zu bringen. Ein Dutzend leicht und schwer Verwundete, unter denen Einige später sogar noch gestorben sein sollen, bedeckte von beiden Seiten den Kampfplatz. Unter den heftigsten Kämpfern zeichnete sich wie immer bei solchen Gelegenheiten auch dieses Mal wieder Jean Piccolo am Meisten aus, der nicht allein die Ungebühr, die seinem Freunde Cäsar le grand widerfahren war, rächen mußte, sondern auch gewiß keine Gelegenheit vorbeigehen lassen konnte, wo er seinem Zorn gegen die nationalfranzösischen Regimenter Luft zu machen sich Gelegenheit verschaffte. Sein Kampfeseifer ward aber mit einem 14tägigen strengen Arrest belohnt, eine Strafe, an die unser Tambour schon viel zu sehr gewöhnt war, als daß sie ihn besonders aus der Fassung gebracht hätte.

Ein anderer vierfüßiger Freund, den unser Jean in der Compagnie hatte, war Monsieur Robineau, so hatten die Grenadiere den alten, dummen, einäugigen und einohrigen Maulesel, den ihr Capitain häufig auf dem Marsche ritt, getauft. Dieser Maulesel war unbedingt das häßlichste, dabei aber auch das ausdauerndste Thier seiner ganzen Gattung, was man nur finden konnte. Hunger und Durst, die angestrengtesten Märsche bei glühendster Sonnenhitze über die steilen Schieferberge des Atlasgebirges oder durch den Sand der Wüste, Alles glitt spurlos an ihm vorüber. Den Kopf gesenkt, und mit dem haarlosen Schweif hin und her wedelnd, trabte er unermüdlich fort, mochte der Marsch auch noch so lang und beschwerlich sein. Wehe dem Soldaten aber, der sich unbesorgt ihm nähern wollte, er erhielt gewiß einen Hufschlag je nach Umständen mit den Hinter- oder Vorderfüßen für diesen Versuch. Denn außer seinem Herrn und dem Bedienten desselben, einem alten Neger, litt Monsieur Robineau nur die Annäherung von Jean Piccolo. Diesem folgte er aber mit der Anhänglichkeit eines Hundes, und wenn der Maulesel auf der Weide war, so brauchte der Tambour nur auf den Fingern zu pfeifen und das Thier kam gewiß angetrabt, um sich satteln und zäumen zu lassen. Von der Klugheit und dem Muthe dieses Esels, der Aug’ und Ohr übrigens schon im Kampfe verloren hatte, wußten die Grenadiere gar viele Geschichten zu erzählen, die wirklich oft an das Fabelhafte grenzten, obgleich ihre Glaubwürdigkeit mir von mehrfachen Seiten versichert ward. So war derselbe einst bei einem nächtlichen Ueberfall von den Beduinen erbeutet worden und mehrere Tage fort gewesen, bis er zur Freude der ganzen Compagnie, die den Maulesel trotz seiner vielen Tücken doch gerne leiden mochte, ganz plötzlich wieder bei den Vorposten erschien, und mit allgemeinem Jubel empfangen ward. Er hatte sich, wie man zu sagen pflegt, selbst ranzionirt, und mit einem für einen Esel wirklich sehr achtbaren Instinkt den Weg zu seiner Compagnie allein zurückgefunden. Auch einen in den Annalen der Compagnie berühmten Kampf mit einer hungrigen Hyäne, die ihn des Nachts auf der Weide angegriffen, hatte Monsieur Robineau einst siegreich bestanden. Man fand das Thier am anderen Morgen ganz lahm auf dem Platze liegen, solch’ kräftige Hufschläge mit den Hinterfüßen hatte ihm der Esel versetzt. Die Grenadiere hatten daher ihm, wie auch dem Hunde Cäsar le grand, einen Orden zuerkannt, den Beide bei besonders festlichen Gelegenheiten an einem rothen Bande um den Hals trugen. Für gewöhnlich hatte Jean Piccolo diese aus glänzenden Messingkreuzen bestehenden Ordensdekorationen seiner beiden vierfüßigen Freunde in Verwahrung.

Wie das frühere Leben des Tambours, bevor er zur Legion trat, so war auch sein Geburtsland ein Geheimniß, dessen Schleier noch kein Grenadier je ganz gelüftet hatte. Daß er ein Deutscher war und auch früher schon, bevor er zur Fremdenlegion kam, irgendwo als Trommelschläger gedient haben müsse, war bekannt, und wurde auch von dem Betreffenden selbst niemals ganz geläugnet, in welchem Vaterländchen unseres Vaterlandes unser Held aber zur Welt gekommen und für welche Herrscher er früher schon die Trommel gerührt hatte, wußte Niemand in der ganzen Compagnie anzugeben. Der Tambour mußte irgendwie einen Grund haben, seine früheren Schicksale geheim zu halten, oder vielleicht machte es ihm auch nur Vergnügen, die Neugierde seiner Kameraden zu reizen; denn wenn er, wie häufig geschah, nach Geburtsland und früheres Leben gefragt wurde, vergnügte er sich, dem Fragenden allerlei Unsinn mit der ernsthaftesten Miene und dem treuherzigsten Gesicht von der Welt aufzubinden. Er erzählte dann oft mit pathetischer Wichtigkeit, er wolle seinen treuen Kameraden es jetzt nicht länger vorenthalten, daß er von echt prinzlichem Geblüte und der älteste Sohn eines mächtigen deutschen Fürsten sei, und schon als Knabe das Leibgarde-Grenadier-Füsselier-Regiment seines Vaters, was 17 Gemeine und 13 Offiziere stark wäre, befehligt habe. Nur die Liebe habe ihm, den Erbprinzen, in seine jetzige, für seine Geburt so unwürdige Stellung gebracht. Sein Vater habe ihn nämlich aus Standesrücksichten mit einer alten reichen aber sehr häßlichen Prinzessin verheirathen wollen, während sein Herz für ein bildschönes Müllermädel geschlagen. Da der hartherzige Vater seinen Bitten nicht nachgegeben, so habe er sich endlich auf das Auskratzen gelegt, sei den 21/4 Husaren, aus denen die ganze hochfürstliche Reiterei bestanden, die man zum Nachsetzen geschickt, glücklich entwischt, und so endlich Tambour in der „sakrischen französischen Republik“ wie Jean sich stets ausdrückte, geworden. Wenn er diese Erzählung in seinem Kauderwelsch unter dem schallenden Gelächter der Grenadiere vorgetragen hatte, so schloß er dieselbe stets mit den Worten: „Und nun Kameraden seid dankbar für die hohe Ehre, daß Ihr selbst einen Fürstensohn zum Tambour habt, und zahlt mir eine Chopine: „Allons buvons une chopine.“

Sein Feind und Nebenbuhler Robert le diable wollte übrigens in Erfahrung gebracht haben, Jean Piccolo sei das hinter der Hecke zur Welt gekommene Kind einer Landstreicherfamilie und früher seiner Häßlichkeit wegen in einem Menageriekäfig als Bastard von einem Affen und einem Negermädchen für Geld gezeigt worden. Wüthende Kämpfe hat übrigens diese spöttische Angabe des eifersüchtigen Grenadiers wiederholt hervorgerufen. Uebrigens wich der Tambour selbst meinem Fragen nach seiner Heimath mit großer diplomatischer Geschicklichkeit aus, obgleich ich selbst bei ihm in hohem Ansehen stand, da ich seine Dienstleistungen für mich und mein Pferd, so lange ich mich bei der Compagnie befand, sehr reichlich bezahlte und seine ewig durstige Kehle überdies mit manchem Extra-Schoppen Wein regalirte.

Jetzt ist Jean Piccolo der lustige Tambour der Grenadiere der Fremdenlegion nicht mehr am Leben; denn eine Kugel eines Kabylen gab ihm bei einem Gefechte den Tod. Lustig und unverzagt, wie er stets gelebt, soll der kleine Kerl auch gestorben sein. Als ihm der Chirurgier-Major achselzuckend gesagt hatte, es sei für ihn keine Rettung mehr zu hoffen, so ließ Jean sein gewöhnliches „Allons camerades, buvons encore une chopine“ noch einmal hören. Eine große Kürbißflasche setzte er dann an die Lippen, leerte sie mit seinen langen Zügen bis auf den Grund, strich sich dann seinen Schnurrbart und sagte:

„Adieu, Cameraden, lange wird es nicht mehr dauern, bis mir der letzte Appell getrommelt wird.“

Dann hat er sich umgedreht, sich noch einige Mal gereckt und gestreckt und ist eine Leiche gewesen. So leicht wird sein Andenken in der Compagnie, in der er gestanden, nicht erlöschen, und noch gar oft werden die alten Grenadiere derselben sich bei ihren flammenden Bivouakfeuern in den Schluchten der Krim von den vielen Streichen Jean Piccolo’s, ihres lustigen Tambours, zu erzählen wissen.
J. v. Wickede. 

Anmerkungen (Wikisource)

  1. Vorlage ohne Komma
  2. Vorlage: rühmen