Jefferson’s Grab
Jefferson’s Grab.
[1]Ich verließ die Straße von Charlottesville nach Monticello, und betrat einen Fußweg, der mich nach einer Wanderung von dreiviertel Stunden an den Eingang einer Verzäunung brachte, welche die Krone eines Hügels umschließt. Auf einem der Pfade, die sich in allen Richtungen durch herrliche Baumgruppen schlängeln, stieg ich den Gipfel hinan. Ich stand vor Jefferson’s Landhause. Es ist in edlem Stile gebaut. Die auf zwei Säulen ruhende Gallerie, die sich von einem Flügel zum andern erstreckt, und das darunter befindliche hohe Portal, geben dem Gebäude ein sehr stattliches Aussehen. In der innern Einrichtung herrscht mehr Eleganz als Pracht. Der schönste Schmuck der Zimmer sind Büsten, Statuen, Porträts und amerikanische Nationalwerkwürdigkeiten, mit republikanischem Geiste ausgewählt; man sieht, daß der Bewohner ein Mann war, der sein Vaterland liebte, aber auch ein Mann von großer Gesinnung, dem von den schönsten Erscheinungen in der Geschichte des Menschengeschlechts keine so fremd geblieben war, daß er sie sich nicht gerne in einem Bilde vergegenwärtigte, und sie so in die Gesellschaft der Einsamkeit seiner letzten Lebenstage einführte. Die Lage des Landhauses ist die lieblichste, die man sich denken kann: ländliche Natur, reine Gebirgsluft, entzückende Aussicht – ein würdiger Ruhesitz für den Staatsmann und Philosophen, der, grau geworden im rastlosen Bürgerdienste, hier von diesen freien Höhen herab mit stiller Lust die Staaten seiner uneigennützigen Thätigkeit wachsen, blühen und reifen sah. In mir selbst stieg eine dunkle Ahnung jenes göttlichen Stolzes auf, der manchmal die Brust eines Jefferson’s bewegen mochte, als ich hinabblickte auf die zahllosen Hügel und Thäler, alle mit Urwald bewachsen, oder mit üppigen Fluren bedeckt. In der Ferne erhob sich mit ihrem Dome, ihren Hallen und Colonnaden gleich einem Feenschlosse die Universität Monticello; Charlottesville lag zu meinen Füßen. Amerika, rief ich aus, das bist du, und was wirst du dereinst werden! Eine weite Zukunft that sich meinem geistigen Auge auf. Monticello hatte sich in eine große Stadt verwandelt. Welch kräftiges, geistvolles Leben! Ich trat in die Werkstätte der Künstler, in die Hörsäle der Lehrer, in die Gymnasien einer wißbegierigen Jugend. Ich hörte die Lieder der Sänger und die Reden der Weisen, ich sah die Bürgerkronen, die die Stirne der Helden schmückten, die Denkmale, die den Ruhm eines edlen begeisterten Volks verkündigten. Jetzt müssen sie verstummen, dachte ich, sie, denen wir als kalte interesselose Menschen erscheinen, als Republikaner ohne die Imaginationen der Freiheit. Unter diesen Träumen hätte ich beinahe vergessen, warum ich mich auf diesem Hügel befand. Der Schöpfer von Monticello hatte der Zukunft Amerika’s den Abend seines thatenreichen Lebens gewidmet; mit demselben Eifer, mit dem er für die Unabhängigkeit seines Vaterlandes gewirkt, suchte er das Wohl der Republik auf den Grundlagen der Humanität zu [310] befestigen; jeden Tag begab er sich nach der unter seinen Augen aufblühenden Pflanzschule der Wissenschaft – ich war gekommen, sein Grab zu sehen. Hinter dem Landsitze liegt ein einsames, dicht beschattetes Plätzchen; ein Viereck, das mit einer aus Quadern aufgeführten Mauer umgeben ist: die Begräbnisstätte der Familie Jefferson. Ich bemerkte fünfzehn Gräber. Keines hat ein Grabmal, zuweilen eines einen Denkstein. An einer Seite des Vierecks befindet sich das Grab des großen Staatsmann, Patrioten und Philosophen. Als ich es sah, war die Rasenwölbung so eben vollendet, und der einfache Stein, der sie bedecken sollte, lag bereit. Keine Inschfit war auf dem Steine. Sol sollte es jedoch seyn; denn es wäre ein trauriges Zeichen, wenn je das Grab Jefferson’s einer Inschrift bedürfte, um der Vergessenheit entrissen zu werden!
- ↑ Jefferson, der Verfasser der Unabhängigkeitserklärung der Vereinigten Staaten, war geboren den 2ten April 1743 zu Shadewell in der virginischen Grafschaft Albermarle. An allen durch die Einführung der republikanischen Staatsform nothwendig gewordenen Reformen der amerikanischen Gesetzgebung hatte er großen Antheil. Das Verbot der Sklaveneinfuhr, die Herstellung der natürlichen Erbschaftsrechte, die allgemeine Religions-Freiheit war sein Werk. Während der acht Jahre seiner Präsidentur, 1801–1809, führte er das Ruder des Staats mit einer Kraft des Willens, einer Reinheit der Gesinnung und einer Achtung für constitutionelle Grundsätze, wodurch er allen seinen Nachfolgern als Muster dienen konnte. Er erwarb Louisiana. In seinem vierundachtzigsten Lebens-Jahre, wovon einundsechzig dem Dienste seines Vaterlandes gewidmet waren, am 4ten Juli des vorigen Jahres, am Tage der Jahrsfeier der Unabhängigkeitserklärung starb er. Außer einer Schrift „Bemerkungen über Virginien,“ die 1781 erschien, und mit großem Beifall aufgenommen wurde, sind sein diplomatischer Briefwechsel mit den englischen und französischen Ministerien, seine Berichte auf den Congressen über Handel und Gewerbe, über Münze, Maß und Gewicht, so wie seine legislatorischen Arbeiten ein unverwerfliches Zeugniß für die Größe und Unbefangenheit seiner Ansichten, für die Tiefe seines Geistes und den edlen Sinn seines Charakters. Er hat einen Aufsatz über die merkwürdigsten Momente seines Lebens hinterlassen, der wahrscheinlich dem Druck übergeben wird. Seine letzten Worte waren: „Ich that für mein Vaterland und die Menschheit, was ich konnte; ohne Furcht übergebe ich nun meine Seele Gott, und meine Tochter dem Vaterlande.“ Wohl hatte er ein Recht auf die Dankbarkeit dieses Vaterlands dem er sein ganzes Vermögen zum Opfer dargebracht hatte. Seine Mitbürger ehrten seinen letzten Wunsch an seiner Tochter und ihren eilf Kindern.