Johannes Brahms (Nachruf Gartenlaube)
Johannes Brahms.
Und er ist gekommen, an dessen Wiege Grazien und Helden Wache hielten – er heißt Johannes Brahms.“ Also schrieb im Jahre 1853 Robert Schumann in der bahnbrechenden „Neuen Zeitschrift für Musik“ über einen jungen, kaum zwanzigjährigen Tonkünstler, der, auf einer Kunstreise begriffen, auch Düsseldorf, den damaligen Wohnort Schumanns, berührt hatte. Der Meister erblickte in dem Jünger einen Berufenen, er pries sein „geniales Spiel, das aus dem Klavier ein Orchester von wehklagenden und laut jubelnden Stimmen machte“, er verhieß ihm Ruhm, Lorbeeren und Palmen, er sah in ihm einen Mann, „in dessen Namen einst der gesamte musikalische Inhalt der Zeit zusammengefaßt sein würde“ – er hieß ihn willkommen „als starken Streiter“.
Mehr als vier Jahrzehnte sind seit jenen Tagen dahingerauscht. Der Jünger hat seine Lebenslaufbahn vollendet, er weilt nicht mehr unter den Lebenden. Am 3. April hat ihn der Tod von schwerem Leiden erlöst und abgeschlossen liegt nunmehr Brahms’ Schaffen und Wirken vor den Augen der Nachwelt, die als ein gerechter Richter wird entscheiden können, ob der Jünger die Hoffnungen voll erfüllt hat, die der Meister einst in ihn gesetzt hatte.
Während seines Lebens hatte Johannes Brahms wie jeder hervorragende Mann seine glühenden Verehrer und seine scharfen Kritiker. Die ersteren erhoben ihn unter die Unsterblichen und stellten ihn auf gleiche Stufe mit Bach und Beethoven, die letzteren wollten ihn verkleinern, da er so sehr gerühmt wurde, alle aber mußten den tiefen Ernst, die große Meisterschaft seiner Schöpfungen anerkennen, alle sind darin einig, daß der Tod in die Reihe der Musiker unsrer Zeit eine tiefe Lücke gerissen hat, da er Johannes Brahms aus diesem Leben nahm. Fürwahr, Lorbeeren und Palmen, die Robert Schumann dem jungen Freunde verhieß, hat dieser in reichstem Maße geerntet, aber nicht in raschem Siegesfluge hatte er sie errungen, es währte lange, bis ihm die allgemeine Anerkennung zu teil, bis sein Name in weitesten Kreisen rühmlichst bekannt wurde.
Johannes Brahms erblickte am 7. Mai 1833 zu Hamburg das Licht der Welt. Sein Vater war Kontrabassist, der an verschiedenen Orchestern wirkte. Frühzeitig regte sich in dem Kinde das musikalische Talent, an dessen Ausbildung sich O. Classel und Ed. Marxsen in Altona beteiligten. Schon als Knabe trat Brahms in seiner Vaterstadt in öffentlichen Konzerten auf und entzückte die Zuhörer nicht nur als Pianist, sondern auch als Komponist. Ueber die Grenzpfähle seiner Heimat war aber sein Ruf nicht gedrungen. Da machte er im Jahre 1853 die Bekanntschaft des ungarischen Violinspielers Remenyi und unternahm mit diesem eine Kunstreise durch verschiedene deutsche Städte. Auf dieser kam er mit Robert Schumann zusammen. Bald vereinte ein Band inniger Freundschaft Brahms und Schumann, der dem jungen Manne als Geleite in die Oeffentlichkeit nun die erwähnte, schier überschwengliche Würdigung mit auf den Weg gab. Fast unmittelbar darauf wurde Schumanns Geist dauernd umnachtet, aber der junge Freund hielt treu zu ihm, er besuchte den Kranken in der Nervenheilanstalt zu Endenich, und ein rührendes Bild war es, zu sehen und zu hören, wie dort die beiden Meister am Klavier saßen und in ergreifenden Tönen ihre Gedanken und Gefühle austauschten.
Für die Welt der breiten Oeffentlichkeit blieb indessen Johannes Brahms lange verschollen. Jahre vergingen, bis sein Name nur annähernd mit einer solchen Wärme genannt wurde, wie es Schumann gethan hatte. Brahms nahm eine Stellung beim Fürsten von Detmold an, erteilte Unterricht am Hofe, leitete einen Gesangverein, machte dabei Reisen und fühlte sich so zufrieden in den stillen kleinen Verhältnissen, daß er einen Ruf nach Köln, wo er als Professor wirken sollte, ausschlug. Er blieb nicht müßig während dieser Zeit. Er komponierte rüstig, und seinem ersten Werke, „Klavierstücke und Lieder“, das er 1854 in Leipzig herausgab, folgten andere Sonaten, Balladen, Sinfonien und Lieder besonders für Klavier und Kammermusik. Es waren dies Schöpfungen einer jugendlichen Sturm- und Drangperiode, nicht frei von Ueberschwang, aber doch mit einem gehaltvollen Kern. Allmählich klärte sich jedoch das Schaffen des Meisters, immer erhabener wurde der Aufbau, abgerundeter und vollendeter die Form, dabei ging aber die jugendliche Begeisterung nicht verloren, frisch klang sie hindurch, und auch der Humor blieb seinen Weisen nicht fremd.
Trotzdem war Johannes Brahms keineswegs ein weltberühmter Mann, als er im Jahre 1862 nach Wien übersiedelte, das nunmehr zu seiner zweiten Vaterstadt werden sollte. Wenige Jahre darauf trat er mit einem seiner ergreifendsten Werke hervor – es war „Ein deutsches Requiem“. Als vor siebzehn Jahren Hermann Kretzschmar über Johannes Brahms „Eine Charakterstudie aus der Komponistenwelt der Gegenwart“ in der „Gartenlaube“ (vgl. Jahrg. 1880, S. 220) veröffentlichte, schrieb er über dieses meisterhaste Tonwerk: „Das ‚Requiem‘ ist eine Art Doppelgemälde von dem Paradiese und einem anderen Orte, den man nicht gerade Hölle nennen kann; denn der Tondichter schildert ihn mit unendlichem Mitleid und mit einem engelmilden Trostbemühem: nämlich unsere Erde, den großen Friedhof, und uns, die zum Tode bestimmten Menschen. Wir besitzen dadurch in dem ‚Requiem‘ eines der allerchristlichsten und schön-menschlichsten Werke, welche die Kunst je hervorgebracht hat, eine Schöpfung, vor deren wohlthuender Seelenwirkung zunächst sogar die Bewunderung schweigt, welche ihrem Urheber gezollt werden muß.“ Durch dieses mächtige, für Soli, Chor und Orchester komponierte Tonwerk begründete Brahms seinen Weltruf. Nun drangen auch seine herrlichen Liederkompositionen in weitere Volkskreise und unvergessen werden seine Gesänge „Von ewiger Liebe“ und vom „Herrn von Falkenstein“, „Wie bist du meine Königin“ und „Die Mainacht“ bleiben. Groß ist ferner Brahms als Sinfoniker, in welcher Hinsicht er als der würdigste Nachfolger Beethovens bezeichnet werden muß. Besonders volkstümlich wurde er durch seine „Ungarischen Tänze“, magyarische Melodien, die er für Klavier gesetzt hatte.
Nun fehlte es dem ernst strebenden Tondichter, der inmitten der Strömungen der Zeit seine Eigenart zu bewahren wußte, auch nicht mehr an äußeren Ehrenbezeigungen. Die englische Universität von Cambridge und die deutsche zu Breslau ernannten ihn zum Ehrendoktor, er dankte der letzteren durch die Widmung seiner „Akademischen Festouverture“. Die Erhebung Deutschlands, die großen Siege in den Jahren 1870 und 1871 verherrlichte er durch sein prachtvolles „Triumphlied“, wie er denn, obwohl seit mehr als dreißig Jahren in Wien lebend und der neuen österreichischen Heimat von Herzen zugethan, seinem deutschen Vaterlande doch bis zum Tode in unwandelbarer Liebe und Treue ergeben blieb.
Mehr als hundert Werke hat Meister Johannes Brahms als ein köstliches Erbe der Nachwelt hinterlassen, sein letztes, op. 121, sein Schwanengesang sind „Vier ernste Gesänge“, deren Texte auf den Tod Bezug haben.
Durch männliche Kraft zeichnen sich Brahms’ Schöpfungen aus und männlich kraftvoll war auch seine äußere Erscheinung. Er war ein echter Sohn seiner niedersächsischen Heimat, mit blonden Haaren, blauen Augen und rosiger Gesichtsfarbe, eine breitschulterige Gestalt, auf der ein prächtiger Charakterkopf mit freier schöngeformter Stirne saß. Als Junggeselle suchte Brahms gern gesellschaftlichen Umgang; geräuschvolle Feste mied er zwar, aber im Freundeskreise bei gutbesetzter Tafel war der Doktor der Musik ein lebensfroher heiterer Unterhalter.
Im vorigen Sommer konnte Brahms noch zum Begräbnis seiner treuen Freundin Clara Schumann nach Frankfnrt a. M. reisen. Dann stellte sich bei ihm ein Leberleiden ein, das unaufhaltsam fortschritt und dem Vierundsechzigjährigen ein schweres Siechtum brachte.
Im Tonkünstlerboskett des Centralfriedhofs in Wien ruht
nun Brahms’ sterbliche Hülle in einem Ehrengrabe, das die
Stadt Wien ihm bewilligt hat. In seinen Werken lebt aber der
Meister fort und immer wird ihn die Nachwelt preisen als einen
der ersten unter den Tondichtern unserer Zeit. B. J.