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Johannes Drändorff, der erste mit Namen bekannte Kreuzschüler

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Ein Brief Ludwig Richters Johannes Drändorff, der erste mit Namen bekannte Kreuzschüler (1901) von Otto Meltzer
Erschienen in: Dresdner Geschichtsblätter Band 3 (1901 bis 1904)
Zur Geschichte der Hofmühle in Plauen bei Dresden
  Dieser Text wurde anhand der angegebenen Quelle einmal Korrektur gelesen. Die Schreibweise sollte dem Originaltext folgen. Es ist noch ein weiterer Korrekturdurchgang nötig.
[21]
Johannes Drändorff,
der erste mit Namen bekannte Kreuzschüler.
Von Rektor Prof. Dr. Otto Meltzer.

Das Bestehen der Schule in unserer Stadt, aus welcher das heutige Gymnasium zum Heiligen Kreuz hervorgegangen ist, wird bekanntlich zuerst durch eine urkundliche Nennung ihres Leiters aus dem Jahre 1300 bezeugt. Aus beträchtlich späterer Zeit allerdings erfahren wir zum ersten Male auch den Namen eines ihrer Schüler. Dieser aber ist zugleich eine in mancher Hinsicht bedeutsame, für die Zeit bezeichnende Persönlichkeit geworden; und mag sein Aufenthalt in Dresden nur von kurzer Dauer gewesen sein, so waren die Anregungen, die er nach seinem eignen Bekenntniß hier empfing, doch von so entscheidendem Einfluß auf seinen merkwürdigen weiteren Lebensgang, daß wohl auch an dieser Stelle einmal von ihm die Rede sein darf.

Es war Johannes Drändorff[1], der am 17. Februar 1425 zu Heidelberg als Ketzer den Scheiterhaufen besteigen mußte.

Näheres über ihn ist, nachdem schon Luther und Melanchthon ihn als Blutzeugen des Evangeliums vor der großen Kirchenreformation in Kürze rühmend erwähnt hatten, allerdings erst seit 1730 bekannt geworden, wo J. E. Kapp einen größeren Theil der Akten des Heidelberger Inquisitionsprozesses veröffentlichte. Durch weitere Funde und Forschungen, insbesondere diejenigen des Gießener Oberbibliothekars Prof. Dr. H. Haupt[2], ist dann der vorliegende Stoff erheblich bereichert und geklärt worden. Auf ihnen beruht in allen wesentlichen Theilen, was ich hier zu bieten vermag.

Es war ein verworrener Zustand in Deutschland um die Wende des 14. und 15. Jahrhunderts, Zerklüftung und Zersplitterung überall: eine einheitliche Leitung des Reichs, zeitweilig selbst der Form nach, nicht vorhanden, – in einzelnen Herrschaftsgebieten wohl ab und zu ein straffer zusammengefaßtes Regiment, doch in der Regel zugleich nur auf die Befriedigung von Sonderinteressen abzielend, – größere Machthaber den kleineren nach ihrer Selbständigkeit trachtend und beide zusammen den Städten, die, während der letztvergangenen Jahrhunderte als ein neues, that- und wehrkräftiges Element im Reiche emporgewachsen, doch auch selbst wieder vielfach innerlich gespalten waren, indem von unten her sich Kräfte bemerklich machten, die Antheil an der Leitung der öffentlichen Dinge, wenn nicht noch mehr, begehrten und nach einer gründlichen Umgestaltung der bestehenden Eigenthumsverhältnisse mit stürmischem Eifer trachteten. Demokratische, sozialistische, kommunistische Bestrebungen fanden in den unteren Schichten der städtischen Gemeinden und auch in der Bauernschaft mannigfache Vertretung.

Daneben aber ging her und floß vielfach damit zusammen eine tiefgreifende religiöse Bewegung, die unter Berufung auf die allein als maßgebend anerkannte [22] Autorität der Heiligen Schrift theils gegen die Lehre der Kirche, wie sie damals war, theils und nicht zum wenigsten gegen ihre Einrichtungen, insbesondere gegen ihren weltlichen Besitz und dessen Folgeerscheinungen scharfe Angriffe richtete.

Auch über das deutsche Reich hatte sich während des 13. und 14. Jahrhunderts in der Stille ein ganzes Netz von Waldenser-Gemeinden verbreitet. Unter einander in steter, lebendiger Verbindung, übten sie auch über ihren engeren Kreis hinaus eine nicht zu unterschätzende Wirkung auf die Gemüther aus, mochte die unter päpstlicher Oberleitung stehende und zugleich dem römischen Zentralismus als wirksames Werkzeug dienende Inquisition noch so unerbittlich zugreifen, sobald ihr irgendwelche Erscheinungen dieser Art zur Kenntniß gelangten.

Dazu kamen nun von England herüber die Lehrsätze Wiclifs, die namentlich in Böhmen Wiederhall fanden und sich dort nicht nur mit politisch-sozialen, sondern auch national-czechischen Bestrebungen der kühnsten Art in eigenthümlicher Weise vereinigten.

Um aber das Ansehen der bestehenden Kirche aufs tiefste zu erschüttern, hätte schon der eine Umstand reichlich genügt, daß fast vier Jahrzehnte lang erst zwei, dann sogar drei Päpste und ihre Anhänger einander mit allen Mitteln bekämpften und sich gegenseitig in den Staub zu ziehen suchten.

Dieser bewegten Zeit entstammte Johannes Drändorff, geboren 1391 als Abkömmling eines adeligen, wohlbegüterten Geschlechts zu Schlieben, einer kleinen Landstadt von jetzt annähernd 2000 Einwohnern im Kreise Schweinitz, nicht weit östlich von Herzberg an der Schwarzen Elster. Der Sitte der Zeit gemäß ist er daher später zeitweilig auch unter dem Namen Johannes von Schlieben gegangen. Der Ort gehörte politisch zu dem damals für sich bestehenden Kurstaat und Herzogthum Sachsen-Wittenberg, in kirchlicher Beziehung unterstand er dem Bisthum Meißen.

Eine Schule hat Drändorff zuerst in der damals Erzbischöflich Magdeburgischen Stadt Aken am linken Elbufer, etwa halbwegs zwischen der Mündung der Mulde und Saale, besucht.

Von dort ist er nach Dresden gekommen, – man ersieht allerdings nicht, ob zunächst etwa nur vom Zufall geleitet auf einer jener Fahrten, wie sie die Schüler jener Zeit hinaus ins Weite führten, oder angezogen von dem Ruf der Lehrer, die damals an der hiesigen Stadtschule wirkten.

Jedenfalls ist deren Einwirkung für seine weitere religiöse Richtung maßgebend geworden, insbesondere diejenige eines sonst leider ganz unbekannten Magisters Friedrich. Im ersten Theile seines späteren Verhöres vor dem Inquisitionsgericht, wo es sich um seinen Bildungsgang handelt, sagt er zwar nur aus, er habe den Grund zu seiner gelehrten Bildung gelegt in Dresden unter dem Magister Friedrich, einem Genossen des Magisters Peter von Dresden, einem demüthigen und frommen Manne, der übrigens nicht zur Sekte der Husiten gehört habe. Weiterhin aber, nachdem seine von der herrschenden Kirche abweichenden Lehrmeinungen und seine für sie entwickelte Thätigkeit in der Hauptsache festgestellt sind, beantwortet er die Frage danach, wer ihn in diese Lehre eingeführt habe, in folgender Weise: er habe sie vom Heiligen Geist überkommen, mittelbar aber von seinem Lehrer Friedrich und von Magister Peter von Dresden; ihre Lehre sei heilig und wahr, und sie seien auf dem Pfade und im Glauben Christi gestorben, und er möchte nur wünschen, selbst so sterben zu können.

Peter von Dresden, wie sein Beiname bezeugt, ein Sohn unserer Stadt, wenn nicht etwa ihrer nächsten Umgebung, ist die älteste bekannte Persönlichkeit bürgerlicher Abkunft aus diesem Kreise, die eine höhere geschichtliche Bedeutung erlangt hat. Er tritt uns zuerst entgegen als betheiligt an dem bekannten Auszuge der deutschen Professoren und Studenten aus Prag im Jahre 1409, der unter anderem zur Gründung der Leipziger Universität führte. Er muß bald darauf Schulmeister hier geworden sein. Als Lokat wirkte unter ihm gleich dem schon genannten Magister Friedrich und in demselben Sinne auch ein Magister Nicolaus, von dem sich gleichfalls nichts weiter feststellen läßt.

Ihrer Thätigkeit wurde allerdings schon nach kurzer Frist ein Ziel gesetzt. Durch bischöflichen Befehl wurden sie 1412 oder spätestens bald nach Beginn des nächsten Jahres aus der Meißner Diöcese ausgewiesen. Ob die geistliche Oberbehörde keinen recht faßbaren Anhalt gefunden hat, um schärfer zuzugreifen, oder ob sie wegen irgendwelcher sonstigen Umstände darauf verzichtete, läßt sich nicht erkennen. Für die folgende Zeit weisen dagegen mancherlei Zeugnisse auf ein energisches Einschreiten der weltlichen Gewalt gegen ketzerische Meinungen hin, das doch eben von kirchlicher Seite veranlaßt wurde; und manche von den Unglücklichen, die hier in den nächsten Jahrzehnten ihren „Unglauben“ mit dem Tode büßen mußten, mögen von jenen Männern angeregt gewesen sein. Allerdings waren auch inzwischen die Gegensätze durch die weitere Entwickelung der Dinge, wie sie vor Allem in Böhmen vor sich ging, wesentlich verschärft worden.

Die vertriebenen Magister wandten sich nach Prag. Unter den Schülern, die sich ihnen – gezwungen oder freiwillig – angeschlossen, ist ohne Zweifel Drändorff gewesen. Peter und Nicolaus eröffneten in der Prager Neustadt am Graben, bei der Schwarzen Rose, eine Schule, während wir von Magister Friedrich nichts [23] weiter mehr erfahren, als daß er, wie oben erwähnt, bei Drändorffs Verhör im Jahre 1425 bereits verstorben war. Angeblich insbesondere auf Peters Betrieb wurde in Prag gegen Ende des Jahres 1414 damit begonnen, den Laien das Heilige Abendmahl unter beiderlei Gestalt auszutheilen. Die darauf bezügliche Ueberlieferung ist zwar nicht in jeder Hinsicht unbestritten. Wenn sie aber in einigen Verzweigungen besagt, daß Peter mit seinen Genossen schon zuvor hier in Dresden für den Utraquismus eingetreten sei, so scheint mir dies durch eine Mittheilung O. Richters in seiner jüngst erschienenen Geschichte der Stadt Dresden (Bd. 1, S. 56) eine Bestätigung zu finden. Widerspruch gegen die von der herrschenden Kirche durchgesetzte Form der Austheilung des Sakraments unter einerlei Gestalt war ja immer lebendig geblieben.

Als waldensisch oder auch wiclifitisch werden die Lehrmeinungen der von hier Vertriebenen bezeichnet, und wir sahen bereits, daß Drändorff später ausdrücklich hervorhob, sein so hoch verehrter Lehrer Magister Friedrich sei kein Husit gewesen, wie er ihn denn auch mit einem Beiwort (humilis) bezeichnet, das so recht dem Gedankenkreise der Waldenser entnommen ist. Und jene religiösen Richtungen fielen ja mit dem Husitismus, wie er sich in Böhmen herausbildete, trotz zahlreicher Berührungspunkte keineswegs ohne Weiteres zusammen. Andererseits war zu der Zeit, wo jene Männer hier in Dresden wirkten, allerdings auch in Böhmen noch nicht dasjenige zu völliger Ausbildung gekommen, was später, in der Zeit von Drändorffs Prozeß, speziell unter dem Namen Husitismus gefürchtet und verfolgt ward. Somit bezöge sich Drändorffs Aussage vielleicht auch nur darauf und wäre zugleich entsprungen seinem noch weiter zu erwähnenden Bestreben, Personen, mit denen er in Berührung und Wirkungsgemeinschaft getreten war, gegenüber seinen fanatischen Richtern möglichst zu decken.

Jedenfalls hat Drändorffs Ueberzeugung sich in Böhmen nach der husitischen und zwar nach der strengeren, taboritischen Richtung hin weiter entwickelt. In allen drei genannten Gedankenkreisen wurzeln denn auch die Lehren, die wir ihn weiterhin vertreten sehen; sie kommen in der Hauptsache auf Folgendes hinaus.

Die einzige Quelle des Glaubens ist die Heilige Schrift. Die Kirche besteht allein aus den wahrhaft Gläubigen, nicht aus dem Papst mit den Kardinälen, Erzbischöfen, Bischöfen oder andren Prälaten; ihr Haupt ist allein Christus, kein sterblicher Mensch kann es sein, auch Petrus ist es nicht gewesen. Der Papst kann höchstens als ein minder wesentliches Haupt der Kirche anerkannt werden, es steht demselben aber keine Gewalt über diese zu, mag er gleich thatsächlich über Diener, Schätze und Rosse in höherem Grade verfügen können, als z. B. Drändorff selbst. Die Beschlüsse allgemeiner Konzilien können nur insoweit Gültigkeit beanspruchen, als sie in der Heiligen Schrift begründet sind. Die Messe kann unter Verwendung des Vaterunsers oder irgendwelches andern Gebets und der Einsetzungsworte nach dem Texte irgend eines unter den Evangelisten gültig vollzogen werden. Das Heilige Abendmahl ist allen Laien, auch Kindern jeglichen Alters, sofern sie nur getauft sind, unter beiderlei Gestalt zu reichen. Jedweder Eid ist schriftwidrig. Verwerflich ist jeglicher Ablaß und kommt nur auf eine Täuschung der Laien durch die Geistlichkeit hinaus. Verwerflich sind alle theologischen Grade, wie sie an Universitäten erworben werden, verwerflich ferner die Bettelorden. Wohl ist es zulässig, daß Geistliche Zinsen und Einkünfte von weltlichen Gütern beziehen, aber alles, was darüber hinausgeht, insbesondere die Ausübung weltlicher Herrschaft und Gerichtsbarkeit durch sie, ist sündhaft und führt in den Stand der Verdammniß. Auch wenn Kaiser Constantin der Große – so faßt Drändorff die Sache nach dem Kenntnißstande seiner Zeit – dem Papst Sylvester weltlichen Besitz schenkte, so konnte er ihm doch keine weltliche Herrschaft schenken; wenn Sylvester diese übernahm, so that er damit Unrecht. Und ist nicht jede Exkommunikation an sich zu verwerfen, so ist es doch unbedingt diejenige, die vom Papst oder sonst irgendwelchem Geistlichen mit Bezug auf Temporalien ausgesprochen wird; eine solche ist vielmehr den von ihr Betroffenen zu ihrem Seelenheil förderlich, anstatt ihnen daran zu schaden. Ueberhaupt sind geistliche Untergebene gegenüber geistlichen Oberen nicht zu blindem Gehorsam verpflichtet, wie er von diesen verlangt wird, d. h. zum Gehorsam in unerlaubten und unehrbaren Dingen, die sich nicht aus der Heiligen Schrift erweisen lassen.

Wir erfahren nicht, ob Drändorff erst noch irgendwelche Zeit lang die von den vertriebenen Dresdner Magistern in Prag gegründete Schule besucht hat. Von Universitäten hat er seiner Aussage nach zunächst diejenige in Prag besucht, wo sich übrigens bei der Immatrikulation der Rektor damit begnügte, statt des Eides ein Versprechen von ihm entgegenzunehmen. Dann ist er nach Leipzig gegangen. Die Matrikel dieser Universität weist seinen Namen allerdings nicht auf. Indeß steht fest, daß dort, wie anderwärts, so Mancher zwar thatsächlich studiert, aber sich doch der Inskription und damit zugleich der Eidesleistung und der Unterstellung unter die Disciplinarordnung der Universität entzogen hat. Wie die Dinge lagen, wird Drändorff auch gerade in Leipzig mit seinen Ansichten vorsichtig haben zurückhalten müssen.

Im Jahre 1416 oder 1417 erlangte er dann durch einen Suffragan des Prager Erzbischofs, der auch sonst vielfach utraquistische Geistliche geweiht hat, die Priesterweihe, [24] bei der er gleichfalls keinen Eid, sondern nur das Gelübde der Armuth und Keuschheit ablegte. Sein Vermögen gewährte ihm hinreichende Mittel, daß er nicht auf die Erlangung eines kirchlichen Benefiziums auszugehen brauchte, sondern sich frei und unabhängig von den Verpflichtungen eines solchen der Nachfolge des armen Lebens Christi, d. h. der Ausübung des geistlichen Berufs, wie er und seine Gesinnungsverwandten ihn auffaßten, widmen konnte. Messe und Abendmahl hielt er nach der oben erwähnten Form ab, – nur im letzten Jahre seines Lebens ist er seiner Aussage nach nicht mehr dazu gekommen, weil er fortwährend unterwegs war. Die Befugniß zu dem von ihm ausgeübten Predigtamt, für welches er seinen Richtern allerdings keine amtliche Ermächtigung vorweisen konnte, leitete er ab aus dem ihm bei seiner Weihung zugerufenen Spruch Ev. Matth. 28, 19. Der priesterlichen Verpflichtung zum Lesen der Horen meinte er am besten durch Lesen der Heiligen Schrift zu genügen, der ja doch die liturgischen Formeln nur entnommen seien.

Drändorff hat nach empfangener Weihe in Neuhaus und in Prag über drei Jahre lang gepredigt. Neuhaus liegt im südöstlichen Böhmen, nahe der Grenze Mährens und Niederösterreichs, und hat in der religiösen Bewegung jener Zeit eine gewisse Bedeutung gehabt. Daß er sich dort im Herbst 1421 aufgehalten hat, erfahren wir aus seiner Antwort auf die Frage seiner Richter: wo er gewesen sei, als das Kreuzheer vor Saaz lag. Man hatte ihn wohl im Verdacht, irgendwie an den Ereignissen betheiligt gewesen zu sein, die eben damals zu der schmählichen Flucht jenes in das nordwestliche Böhmen eingerückten Heeres führten.

Wahrscheinlich bald darauf hat sich dann Drändorff zu der Reise aufgemacht, auf der wir ihn noch zu begleiten haben. Sie führte ihn zunächst nach Meißen und Sachsen, wo er auch seinen Heimathsort noch einmal besucht haben mag. Wenn er sagt, seine Verwandten und Freunde daheim seien ihm nicht entgegengetreten, als er sich dem armen Leben Christi zuwandte, so darf man vielleicht annehmen, daß er auch hier Gesinnungsgenossen fand, wenn nicht sogar schon von Kindheit an nach dieser Richtung hin Anregungen empfangen hatte. Daß waldensische Anschauungen auch im nördlichen Deutschland verbreitet waren, ist nachgewiesen. Im Uebrigen möchte ich vermuthen, daß er sich erst später, als man gewöhnlich annimmt, von dort nach dem südwestlichen Deutschland gewendet hat. Denn wenn er zu Ostern 1424 in einem Dorfe des Vogtlandes, wo die religiösen Neuerer gleichfalls Fuß gefaßt hatten, gepredigt und gebeichtet hat, so geschah das wohl eben anläßlich dieser Reise. Den Namen des vogtländischen Orts und des betheiligten Geistlichen hat Drändorff in wohlgemeinter Absicht seinen Richtern verschwiegen.

Der Umstand, daß die böhmische Bewegung sich zugleich insbesondere gegen das Deutschthum im Lande und gegen das anerkannte Reichsoberhaupt richtete, die Furcht vor den bösen Husiten hatte zwar in den anderen Reichsgebieten eine merkliche Rückwirkung zur Folge. Nicht bloß die Kreise, die zunächst an der Erhaltung der bestehenden Verhältnisse interessirt waren, Klerus, Fürsten, Ritterschaft, städtische Aristokratie, schlossen sich unter einander und mit der herrschenden Kirche enger zusammen. Trotzdem war eine husitische Propaganda in Deutschland keineswegs aussichtslos. In mehrfach erwähnter Art kamen ihr religiöse Meinungen entgegen, boten ihr politische und soziale Uebelstände und Begehrlichkeiten Anknüpfungspunkte; und sie ist, wie namentlich neuere Forschungen dies festgestellt haben, in ziemlich weitem Umfange versucht worden.

Man geht wohl nicht fehl, wenn man annimmt, daß unter Anderen auch Peter von Dresden in solcher Absicht aus Böhmen aufgebrochen sei. Denn die überwiegende Wahrscheinlichkeit spricht durchaus dafür, daß er mit dem „Petrus de Dräsen“ gleichzusetzen ist, der 1421 in Regensburg wegen wiclifitischer Irrlehren verbrannt wurde. Eine nach anderer Richtung hinweisende Aussage Drändorffs in dem Verhörsprotokoll, wie es uns gedruckt vorliegt, steht dem meines Erachtens nicht unbedingt entgegen.

Drändorff, den wir im Vogtland verließen, hat die Würzburger Diöcese nur durchreist, übrigens bei dieser Gelegenheit wohl den einen der beiden Diener mit sich genommen, die später mit ihm verhaftet wurden, einen Schneider aus Franken namens Henselin, während der andere, ein Weber namens Martin, aus seiner Heimath stammte und wohl von längerer Zeit her in seinem Dienste stand.

Dann ist er weiter durch Schwaben gezogen. Er ist später bei seinem Verhör speziell nach dem Grunde seines Erscheinens hier gefragt worden und hat daraufhin ausgesagt: er habe sich von dem Zustande der Geistlichkeit in diesem Lande überzeugen und sehen wollen, ob er Kleriker finde, die nach der Regel Christi lebten. Freilich habe er wahrgenommen, daß dies nur wenige von ihnen thun wollten, vielmehr Simonie, Habsucht und Verschwendung in ihrer Mitte herrschten. Es liegt nahe genug, Drändorffs Angabe über jene Absicht auf die ganze Reise überhaupt zu beziehen, und sie weist mit aller Deutlichkeit darauf hin, daß die Anknüpfung von Beziehungen zu Anhängern des Waldenserthums die Grundlage seiner Thätigkeit abgeben sollte. Die Bemessung seines Aufenthalts in den verschiedenen Gegenden stand jedenfalls im Zusammenhang mit der Zahl und Ergiebigkeit der Anknüpfungspunkte, die er fand.

Weiterhin hat er am oberen Rhein gepredigt, wo er sich in den Diöcesen von Straßburg und Basel und [25] in anderen benachbarten Orten aufhielt. In Basel und dessen Umgegend hat er allerdings seiner Angabe nach nur die Leute wegen des Schwörens getadelt, sonst jedoch keine Lehrthätigkeit in Glaubenssachen ausgeübt.

Dann aber wandte er sich nach Speier, dessen Verhältnisse damals besonders dazu angethan waren, einem Manne seiner Art eine fruchtbare Wirksamkeit für seine Geistesrichtung in Aussicht zu stellen. Zudem wirkte dort bereits als Schulrektor ein eifriger Gesinnungsgenosse, mit dem er einst studirt hatte: Peter Turnow aus Tolkemit am Frischen Haff.

Die Reichsstadt Speier lag, wie so manche andere ihres Zeichens, in fast unaufhörlichen Zwistigkeiten mit ihren Bischöfen, denen gegenüber sie die erworbenen und zum großen Theil ihnen abgerungenen Rechte und Freiheiten ebenso kräftig zu wahren und zu erweitern suchte, wie jene das entgegengesetzte Ziel mit allen Mitteln verfolgten. Im Sommer 1422 hatte Bischof Raban der Stadt die Fehde angesagt, dabei unterstützt von einer zahlreichen Bundesgenossenschaft geistlicher und weltlicher Fürsten und Herren. Eine besonders hervorragende Stellung in dieser nahm Kurfürst Ludwig III. von der Pfalz ein, der schon lange mit dem Bischof in naher Beziehung stand; hatten sie ja doch nicht wenige Interessen gemeinsam.

Die Bürger hatten damals ein nahe vor der Stadt gelegenes Stift zerstört, das den demnächst zu erwartenden Belagerern hätte als Stützpunkt dienen können. Darauf war das Domkapitel und die Weltgeistlichkeit theils, wie schon früher in ähnlichen Lagen, aus der Stadt geflohen, theils vertrieben worden, und ihr Besitz war der Plünderung verfallen. Zwar zu einer völligen Einstellung des Gottesdienstes, die eines der wirksamsten Mittel zur Bändigung aufsässiger Gemüther war, kam es damit nicht, da die Bettelmönche, die es auch sonst mit der Bürgerschaft gehalten hatten, in der Stadt blieben. Und für die Hauptmasse der letzteren kam auch ein Abfall von der Kirchenlehre als solcher gewiß nicht in Betracht. Ergab sich doch sogar eine merkwürdige Thatsache: als nämlich draußen im Reiche die Rede entstand, die Speierer seien zur husitischen Ketzerei abgefallen, und als daraufhin König Sigismund vom Reichstage in Nürnberg den Markgrafen Friedrich von Brandenburg eigens zur Untersuchung der Sache in die Stadt sandte, gewann dieser den Eindruck, daß an ihrer Rechtgläubigkeit nicht zu zweifeln sei. Aber wenn beispielsweise in früheren Verhandlungen von den amtlichen Vertretern der Bürgerschaft betont worden war, der Bischof sei nur ihr geistlicher Oberer und habe als solcher schlechterdings keine Herrschaftsrechte über sie zu beanspruchen, so berührte sich das doch unmittelbar mit Meinungen, wie sie weiter oben gekennzeichnet wurden, und in der breiten Masse wurden solche Gedankengänge gewiß noch weiter fortgesponnen.

Die bezeichnete Fehde war nach kurzer Dauer durch einen königlichen Schiedsspruch beendet worden, der, wenn er auch die Selbständigkeit der Stadt nicht brach, doch sonst wesentlich zu ihren Ungunsten ausfiel. Kein Wunder also, wenn die Stimmung in der Bürgerschaft eine gereizte blieb oder nun erst recht wurde, mochte sie gleich thatsächlich auf längere Zeit hinaus nicht wieder zu einem gewaltsamen Ausbruch gelangen können.

Drändorff hat im Einvernehmen mit Peter Turnow ein längeres Manifest in lateinischer Sprache ausgearbeitet, welches mit reichlichen Belegen insbesondere aus der Bibel und aus Kirchenvätern nachzuweisen sucht, daß eine ungerechtfertigte Exkommunikation unwirksam sei, daß ferner die Laien in keiner Weise zu dem geforderten blinden Gehorsam gegenüber dem Klerus verpflichtet seien, daß endlich der letztere keinerlei Befugniß zur Ausübung weltlicher Herrschaft besitze. Diese Fesseln gelte es zu brechen, dieses Joch abzuschütteln. Interessant ist am Schluß noch die Aufforderung an die Leser, selbst die in Klöstern und Kirchen an Ketten angeschlossenen Bücher nachzuschlagen, in denen sie finden würden, daß alles Dargelegte wohl begründet sei.

War nun zwar in Speier für den Augenblick keine rechte Gelegenheit mehr, solche Grundsätze auch in die Wirklichkeit zu übertragen, so bot sich eine desto aussichtsreichere in einem schwäbischen Streithandel, dessen Mittelpunkt nur ungefähr zehn Meilen gegen Osten hin entfernt lag, und der die Gemüther in weiten Kreisen heftig bewegte.

Die Stadt Weinsberg hatte ihre Reichsfreiheit gegen Konrad, den Herrn der dortigen Burg, zu vertheidigen. König Sigismunds Gunst hatte sie diesem zu eigen gegeben, und Richtersprüche hatten die Verleihung bestätigt. Um den nichtsdestoweniger fortgesetzten Widerstand der Stadt zu brechen, die sich auf ein Bündnis von 33 Reichsstädten mit Augsburg, Ulm und Constanz an der Spitze stützte, war 1422 die Reichsacht über sie verhängt worden, und zu dieser gesellte sich 1424 noch die beim Papste erwirkte Exkommunikation durch den Würzburger Bischof, zu dessen Sprengel sie gehörte.

Dorthin sandte nun Drändorff aus Speier – und von jetzt an bedient er sich der deutschen Sprache – einen ebenfalls auf die weitere Oeffentlichkeit berechneten Brief, in dem er mit markigen Worten Bürgermeister, Rath und die ganze Gemeinde auffordert, sich durch den Bann nicht in ihrem gerechten Kampfe beirren zu lassen. Denn nach der Heiligen Schrift stehe der Geistlichkeit durchaus keine Befugniß zu, sich in weltliche Angelegenheiten einzumischen oder über sie zu urtheilen. Etwas abseits liegt ein Punkt, der am Schluß berührt wird, ist aber gerade recht geschickt ausgewählt, [26] um die Gemüther auf eine gleichfalls tiefempfundene Beschwerde gegen den Klerus hinzulenken. Wenn das Reich, so heißt es da, unthätig zusehe und sich Städte, Land und Leute durch Bannsprüche abnehmen lasse, so werde es zuletzt auch noch dahin kommen, daß die Geistlichkeit den Bürgern ihre Frauen abbanne.

Beigegeben war ein kürzeres Begleitschreiben, in welchem Drändorff der Stadtobrigkeit in Weinsberg anheimstellt, den soeben erwähnten Sendbrief von der Kanzel vor der Gemeinde verlesen, auch abschriftlich in andern Städten verbreiten zu lassen, und sich erbietet, selbst hinzukommen, wenn er auf Schutz rechnen könne. Noch müsse er sich allerdings gleich vielen andern gesinnungsverwandten Priestern zurückhalten, „es wäre denn, daß gemein Volk und Reichsstädte die Augen baß aufthäten“. Man möge es ihm daher nicht verübeln, daß er seinen Namen und Aufenthaltsort vorläufig noch verschweige, und möge seinen Diener, den Ueberbringer, insgeheim hin- und hergehen lassen.

Außer seinem Insiegel hat er unter beide Schriftstücke nur eine nicht ohne Weiteres erkennbare Andeutung seines Namens gesetzt mit dem lateinischen Zusatz: ein Priester in der Hoffnung Jesu Christi und Prediger der heiligen Gottesgelahrtheit.

Nun ist von Weinsberg eine Einladung an ihn gekommen, allerdings anscheinend noch mit einem gewissen Vorbehalt, wie dies mit Rücksicht auf die von ihm gewahrte Anonymität wohl begreiflich erscheint. Daraufhin antwortete er, jetzt mit voller Namensunterschrift: er warte bloß einer nochmaligen Kundgebung darüber, daß man ihn zu haben wünsche, um dann zu kommen, ungeachtet aller ihm drohenden Gefahr. Nur möge man ebendeswegen die Sache geheim halten; zugleich aber möge man auch andere besenden, die der Sache Weinsbergs von Nutzen sein könnten. Er dachte dabei augenscheinlich an die schon früher andeutungsweise bezeichneten Priester seiner Richtung. Jedenfalls hat er beabsichtigt, solche dort um sich zu versammeln, hat vielleicht auch schon Aufforderungen in solchem Sinne ergehen lassen.

Und dann ist er von Speier aufgebrochen. Kühne Hoffnungen mögen ihn erfüllt haben: jetzt bot sich die Möglichkeit, breite Volksmassen für seine Ideale zu gewinnen und günstigen Falls zu offener, bewaffneter Erhebung gegen den Klerus fortzureißen. Die Reise führte ihn anscheinend zunächst nach Wimpfen. In dieser Stadt und in Heilbronn, die beiderseits mit Weinsberg besonders eng verbunden waren, war vielleicht sein Sendschreiben an die Weinsberger bereits bekannt geworden, und er trat hier mit seiner Lehre anscheinend offen hervor.

Aber gerade in Heilbronn, kaum noch eine Meile von Weinsberg, sollte ihn das Verhängniß ereilen. Er wurde hier, jedenfalls im Laufe des Januars 1425, verhaftet und erfuhr vom Bürgermeister, daß seinen Freund Peter Turnow in Speier das gleiche Schicksal betroffen habe.

Die Machthaber, die sich durch die Bewegung gleichmäßig aufs empfindlichste bedroht fühlten, griffen augenscheinlich nach gemeinsamem Plane zu. In Speier that es der Bischof. Zur Verhaftung Drändorffs hat allen Anzeichen nach Kurfürst Ludwig III. von der Pfalz, mit dessen politischem Interesse sich ein besonders reger Glaubenseifer vereinigte, den entscheidenden Anstoß gegeben, ja er ist, so zu sagen, die Seele des ganzen Verfahrens gewesen. Einen äußeren Anhalt zum Eingreifen gewährte eine Schutzherrschaft, die ihm über Heilbronn, wie auch über Wimpfen und Weinsberg, zustand. Vielleicht kam ihm aber auch die Gemeindebehörde in Heilbronn auf halbem Wege entgegen. Es ließe sich wohl denken, daß den Herren im Stadtregiment vor den Kräften, die sich von unten her regten, und ihren Führern mit der Zeit bange geworden wäre. Hält es doch H. Haupt sogar nicht für unbedingt ausgeschlossen, daß die Einladung des Weinsberger Raths nur eine Falle gewesen wäre, die Drändorff gestellt wurde.

Von der Verhaftung Drändorffs wurde alsbald der Würzburger Bischof Johann II. benachrichtigt, zu dessen Sprengel auch Heilbronn gehörte. Dieser aber bestimmte unter dem 4. Februar 1425, daß der Gefangene von der Stadtbehörde an den Kurfürsten ausgeliefert und nach dessen Residenz Heidelberg gebracht werde, indem er zugleich die ihm zustehende Befugniß zur Untersuchung und Aburtheilung des Falls dem Bischof Johann von Worms, in dessen Diöcese Heidelberg lag, und den Professoren der Theologie und des kanonischen Rechts an der dortigen Universität übertrug.

Das dringende Interesse, das alle betheiligten Vertreter der geistlichen und weltlichen Macht an der Unterdrückung der Bewegung hatten, giebt sich deutlich in der Raschheit kund, mit welcher in der Angelegenheit gehandelt worden ist.

Am Morgen des 13. Februars wurde das Verfahren vor dem Inquisitionsgericht eröffnet, das in der bezeichneten Zusammensetzung unter dem Vorsitz des Bischofs Johann von Worms in der Heidelberger Behausung des Speierer Bischofs zusammengetreten war. Der letztere, der früher erwähnte Raban, wohnte nebst noch andern Geistlichen und Rechtsgelehrten der Verhandlung als Zuhörer bei. Vor Allem aber war auch der Kurfürst-Pfalzgraf gegenwärtig und hat sich nach Ausweis des Protokolls sogar persönlich an dem Verhör Drändorffs betheiligt.

Drändorff war sich vollkommen darüber klar, was ihm bevorstand. Wenn es möglich wäre – so sagt er bei der Befragung über seine Vermögensverhältnisse – sich für 1000 Gulden vom Tode loszukaufen, so könne [27] er diese Summe recht wohl zahlen, aber er wisse nur zu gut, daß man nicht sein Geld, sondern seinen Tod wolle. Bitter beklagt er sich, daß die Richter zugleich seine Ankläger seien. Eigenthümlich genug giebt er seiner Ueberzeugung davon Ausdruck, daß die Doktoren, die Universitätslehrer, ihm feindlicher gesinnt seien, als sogar die Bischöfe. Nicht in der Hoffnung, sein Schicksal dadurch irgendwie zu mildern, kann es geschehen sein, daß er gelegentlich auch aussagte, er habe in seinen Predigten eine Lehre der herrschenden Kirche gegen Angriffe vertheidigt, die Lehre nämlich, daß Christus wahrer Gott und Mensch zugleich und das einzige Kind seiner Mutter gewesen sei. Vielmehr wird sie ihm eben als schriftmäßig begründet erschienen sein. Denn auf diesem Grunde fußend bekannte er sich im Uebrigen völlig frei und unerschrocken zu den Sätzen, die ihm als abweichend von der Kirchenlehre vorgehalten wurden; sie brauchen hier, soweit sie ihrer allgemeinen Bedeutung wegen schon früher erwähnt wurden, nicht wiederholt zu werden. Es konnte nicht fehlen, daß er insbesondere auch mit Bezug auf das Konzil zu Konstanz und die von diesem verurtheilten Glaubenssätze und Personen befragt wurde. Er erklärte, die ersteren kenne er nicht hinreichend, glaube übrigens nur, was die Heilige Schrift lehre; ob die Verurtheilungen, insbesondere die des Hus und Hieronymus, zu Recht beständen, wisse Gott allein, und es werde sich am Tage des jüngsten Gerichts herausstellen.

Den ihm angesonnenen üblichen Inquisiteneid lehnte Drändorff seiner Ueberzeugung gemäß ab. Wollte er übrigens lügen, sagte er, so könnte er das auch vereidet thun. Immerhin wäre er, wie er weiterhin erklärte, bereit, seine Eigenschaft als Priester zu beschwören, wenn er damit alles ins Reine bringen und seine Richter vor Sünde bewahren könnte; aber er sehe ja doch, daß das nicht möglich sei und daß er auf solchem Wege ihren Händen nicht entrinnen könne. Die Feststellung dieser seiner Eigenschaft, die er äußerlich durch Kleidung und Tonsur bekundete, aber sonst nur durch seine Versicherung, nicht durch ein amtliches Schriftstück zu beglaubigen vermochte, war ja von Bedeutung für den Fall. Der Nachweis galt natürlich den Richtern nicht für ausreichend erbracht. Doch ward, wie es unter solchen Umständen üblich war, Drändorff bei seiner Verurtheilung auf alle Fälle vorsichtshalber degradirt, gerade so, wie dies später Peter Turnow erfuhr, der angab, wenigstens die niederen Weihen erhalten zu haben, und daneben Baccalaureus des Kirchenrechts war. Die sonst in Inquisitionsurtheilen gewöhnliche, wenn auch thatsächlich nur auf eine Heuchelei hinauskommende Fürbitte an die weltliche Gewalt, mit den aus der Kirche Ausgestoßenen, die ihr übergeben wurden, mild zu verfahren, ist wohl nicht bloß zufällig beiden Männern durch ihre Richter versagt geblieben.

Bei aller Festigkeit und Ueberzeugungstreue zeigt Drändorff doch in dem Verhör eine würdevolle Bescheidenheit. Für die Bischöfe, die wegen Ausübung weltlicher Herrschaft im Stande der Verdammniß seien, müsse man trotzdem beten, und er thue das. Gewisse Versäumnisse in seinen äußeren priesterlichen Obliegenheiten nachzuholen sei er bereit. An der Wahrheit der drei in dem Manifest verkündeten Sätze halte er fest, aber nicht hartnäckig, d. h. allerdings wohl, sofern ihm nicht deren Schriftwidrigkeit nachgewiesen werde. Die Pflicht, in zweifelhaften Dingen den Prälaten zu gehorchen, giebt er zu.

Geradezu rührend ist aber sein Bestreben, seine Gesinnungsgenossen zu decken, deren man selbstverständlich gern möglichst viele durch ihn erkundet und dann gefaßt hätte. Hier sagt er absolut nichts aus, als was augenscheinlich überhaupt nicht mehr zu verheimlichen war. Einiges derartige wurde schon früher erwähnt. Die Frage, ob er Priester gefunden habe, die nach der Regel Christi lebten – also im Sinne seiner Richter Ketzer, gleich ihm selbst – beantwortete er: er hoffe, daß es viele solche gebe, aber sonst wisse er nichts von ihnen. Von den Priestern, die er in Weinsberg um sich zu versammeln gedacht habe, sei ein ihm dem Namen nach unbekannter, der sich übrigens von dem Verdacht des Husitismus gereinigt habe, in Köln; von den anderen wisse er nichts auszusagen. Begreiflicherweise legte man besonderen Werth darauf, von ihm weitere Aufschlüsse über die Verhältnisse in Speier zu erhalten. Er habe dort, sagt Drändorff, in drei verschiedenen Herbergen gewohnt und mit Peter Turnow verkehrt, und er nennt eine davon (Kesselhof), aber gewiß nur, weil sie dem Gericht ohnedies bekannt war; daß er sich auf die Namen der beiden anderen nicht mehr habe besinnen können, wird man kaum glauben. Ueber das Manifest habe Peter mit ihm konferirt; ob dieser die darin behaupteten drei Sätze für wahr halte, darüber möge er selbst aussagen, denn er habe das Alter dazu. Von den nach Weinsberg gesandten Briefen habe Peter gewußt, ohne jedoch die Sache zu billigen. Peter sei ein Mann untadeligen Lebens, wie dies Viele in Speier bezeugen könnten, und ebendeswegen habe er, Drändorff, sich zu ihm begeben. Daß derselbe nach der Regel Christi lebe, hoffe er, fenne aber sonst Niemanden in Speier, der dies thue. Endlich unterläßt Drändorff nicht, sich insbesondere noch des einen unter seinen Dienern anzunehmen, der seine Briefe nach Weinsberg gebracht habe, aber außerdem an der Sache ganz unbetheiligt sei.

Das erhaltene – leider durch mannigfache Lese- und Druckfehler entstellte – Protokoll bricht im Verlauf der zweiten Sitzung ab, die am Nachmittag des 13. Februars abgehalten wurde. Ob die Verhandlung noch [28] über diesen Tag hinaus fortgesetzt worden ist, läßt sich nicht erkennen.

Das Urtheil lautete, da Drändorff jedweden Widerruf ablehnte, selbstverständlich verdammend. Es liegt uns in seiner ganzen Ausführlichkeit vor und wird Drändorff etwa am 15. Februar verkündet worden sein. Am 17. hat er dann den Feuertod erlitten.

Das Verfahren war eigentlich nicht vollkommen rechtsbeständig, und dessen sind sich die Mitglieder des Gerichtshofs wohl bewußt gewesen. Nach den bestehenden kirchlichen Vorschriften durfte ein bischöfliches Gericht das Endurtheil in einer solchen Sache nur mit Genehmigung des vom Papst für die betreffende, also in diesem Falle für die Mainzer Erzdiöcese bestellten Inquisitors fällen. Diese zu erlangen ist aber hier entweder gar nicht versucht worden, oder sie wurde wenigstens nicht abgewartet. Die im Text des Urtheils dafür gegebene Erklärung ist sehr fragwürdiger Natur. Um so einleuchtender wirkt der ausführliche Hinweis auf die große Gefahr, die der Rechtgläubigkeit durch die Verbreitung der wiclifitischen und husitischen Ketzereien drohe, auf die verwüstenden Ausbrüche der Husiten aus Böhmen und darauf, daß Drändorff verkündigt habe, demnächst werde eine große Verfolgung über die Prälaten kommen.

Daß der Fall doch viel zu denken gab, beweist eine merkwürdige Thatsache. Auf Befehl des Kurfürsten wurde alsbald an Papst Martin V. nach Rom nicht nur ein Verzeichniß der Irrlehren Drändorffs gesandt, sondern es wurden daran auch drei Vorschläge geknüpft. Erstens sei im Hinblick auf die drohende Husitengefahr und im Interesse möglichster Beschleunigung des Verfahrens gegen die Verbreiter von Irrlehren eine Abänderung der erwähnten Bestimmungen wegen der Theilnahme der päpstlichen Inquisitoren an diesem Verfahren in Erwägung zu ziehen. Zweitens möchte es räthlich sein, mindestens den Erzbischöfen und Universitäten ein authentisches Verzeichniß der in Konstanz verdammten Lehren des Joh. Hus zukommen zu lassen. Um endlich drittens dem Verlangen der Utraquisten mit Erfolg entgegentreten zu können, empfehle es sich, Nachforschungen darüber anzustellen, ob vielleicht bisher nicht veröffentlichte Bestimmungen von Päpsten oder allgemeinen Konzilien vorhanden seien, welche die Austheilung des Heiligen Abendmahls nur unter einer Gestalt ausdrücklich geböten.

Ueber den Erfolg dieser Anregungen ist nichts bekannt. Das Verfahren gegen Peter Turnow hat Bischof Raban von Speier in Vollmacht des päpstlichen Inquisitors für die Mainzer Kirchenprovinz und wesentlich langsamer, als dies in Heidelberg geschehen war, zu Ende geführt. Der Verlauf des Prozesses wird sonst sehr ähnlich gewesen sein. Das Verdammungsurtheil, das auf Turnows Beziehungen zu Drändorff stark Bezug nimmt, ist unter dem 3. April 1426 ausgestellt und jedenfalls sehr kurz darauf vollzogen worden.


  1. Er selbst nennt sich bei seinem Verhöre und unterschreibt sich so; die Akten nennen ihn gewöhnlich gleichfalls so, daneben aber auch Johannes von Drändorff.
  2. Seine neuesten Veröffentlichungen über Drändorff in der Realencyklopädie f. protest. Theologie und Kirche, 3. Aufl., herausg. von A. Hauck, Bd. 5, Leipzig 1898, S. 17 f., und in der Zeitschr. für die Geschichte des Oberrheins, neue F. 15, Karlsruhe 1900, S. 479 ff., geben zugleich alle erwünschten weiteren Nachweise.