Josef Kainz
Josef Kainz.
Der Künstler, welchen wir in einer seiner Glanzrollen, als „Don Carlos“, unsern Lesern im Bilde vorführen, wurde am Neujahrsmorgen des Jahres 1858 in dem ungarischen Städtchen Wieselburg geboren. Die erste Jugend des Knaben floß so gleichmäßig dahin, wie die anderer Kinder, die nicht zur Darstellung eines Don Carlos und Romeo berufen sind. Erst später auf dem Realgymnasium in Wien traten bei dem kleinen Josef theatralische Neigungen zu Tage, welche jedoch den Enthusiasmus seiner Lehrer noch nicht erregten.
Im fürstlich Sulkowsky’schen Liebhabertheater fand Josef Kainz zuerst die Bretter, welche seine „Welt“ bedeuteten. Als er am 5. Oktober 1873 in dem Lustspiele „Für nervöse Frauen“ zum ersten Male auftrat, ward ihm der erste ermuthigende Beifall eines wirklichen Publikums. Trotz der fortgesetzten Triumphe konnte der Vertreter des „Sonnenthal-Faches“ bei Sulkowsky sich nicht verhehlen, daß ihm zum Bühnenhelden noch Vieles fehlte. „Mit heißem Bemüh’n“ wurde nun studirt; die Theaterschule der Hofschauspielerin Frau Kupfer-Gomansky fleißig besucht, und nach kurzer Zeit schon konnte die treffliche Lehrerin es wagen, ihren Zögling dem Direktor Dingelstedt zu einem Probespiel vorzuführen. Der Erfolg war ein derart günstiger, daß der anwesende Dr. August Förster, der spätere Direktor des Leipziger Stadttheaters, den talentvollen Anfänger für seine Bühne engagirte.
In der Seele des feurigen Jünglings gährte es nun gewaltig. Einem kühnen Schwimmer gleich, der sich bisher in den engen Grenzen eines Flusses gehalten, drängte es ihn hinaus in die weite wogende See einer großen Bühne. Er sollte die Gefahren des tückischen Elementes bald genug kennen lernen. Ein Gastspiel am Kasseler Hoftheater hatte das Schicksal eines gründlichen Fiasko. Obgleich der Regisseur dieser Bühne ihm jegliches Talent absprach, ließ sich Kainz nicht entmuthigen; er ging an das Theater nach Marburg, und hier, wo er Alles spielen durfte, war er an der rechten Stätte.
Diese vielumfassende Thätigkeit hatte indessen auch ihre üblen Folgen, denn künstlerisch verwildert kam Kainz nach Leipzig in seine neue Stellung. Dem Direktor Förster schien es daher ein Wagniß, dem jungen Schauspieler die Rolle des Ferdinand in „Kabale und Liebe“ für die Eröffnungsvorstellung anzuvertrauen, und seine Befürchtung war nur zu begründet. Das erste Auftreten Kainz’ als Advokat Edmond in der „Kameraderie“ von Scribe war ein „Durchfall“ sans phrase. Ein auf dies Debut bezügliches Vorkommniß ist charakteristisch genug, um es hier einzuschalten.
Im Zuschauerraume des Theaters hatte sich allabendlich eine Anzahl auf Engagement gastirender junger Schauspieler zusammengefunden, die den jeweiligen Gast in ihrer Weise kritisirten und ihrer Freude unverhohlen Ausdruck gaben, wenn dieser Gast durchfiel. Als Kainz am Abend nach seinem verunglückten Debut im Kreise seiner Genossen wieder erschien, wurde er gefragt, wo er denn gestern gewesen.
„Ich hatte ein wenig zu thun,“ war seine ausweichende Antwort.
„O, das ist schade, daß Sie nicht hier waren,“ meinten die liebreichen Kollegen. „Gestern trat in der ‚Kameraderie‘ ein junger Liebhaber auf; den hätten Sie sehen müssen. Es war das Entsetzlichste, was uns je vorgekommen! ...“
Vielleicht war es eine der größten schauspielerischen Leistungen des Künstlers, daß er die Kritik seiner Kollegen lächelnden Antlitzes entgegennehmen konnte.
Durch Fleiß und Ausdauer gelang es dem jungen Künstler doch, vorwärts zu kommen, und vielleicht würde er sich in seiner Stellung schließlich befestigt haben, wenn nicht eine Differenz mit dem Direktor zu einer Lösung des Kontrakts geführt hätte. Der heißblütige Künstler, der sich schon für unentbehrlich hielt, forderte seine Entlassung und – erhielt sie. Das hatte er nicht erwartet. Er stand nun ohne Engagement und – auch ohne Geldmittel. Er reiste nach Berlin, um daselbst eine andere Stellung zu suchen; doch „Alles besetzt!“ hieß es dort. Bekümmert um die Zukunft kehrte er zurück und – o Jubel! – fand die Ankündigung eines Kontrakts vom Hoftheater in Meiningen.
Nun wurde die Situation idyllisch. Leicht im Herzen und im Geldbeutel marschirte der junge Menschendarsteller, das Ränzlein auf dem Rücken, zu Fuß durch den Thüringer Wald. Freundliche Bauerntöchter sorgten für Speise und Trank, und gastliche Heuböden boten die herrlichsten Nachtlager. Die Fahrt war etwas zigeunerhaft, aber man „deklamirte“ sich lustig durch und glücklich kam man an das Hoftheater, nach Liebenstein. Am 26. August 1877 gastirte der Künstler als Ferdinand in „Kabale und Liebe“ und war nach dem zweiten Akte engagirt.
In der Gesellschaft der „Meininger“ wurden nun jene großen Gastspielreisen unternommen, auf welchen das Talent des Künstlers in ungeahnter Weise sich entwickelte. Da, wo das Wort des Philipp:
„Ich mag es gern leiden, wenn auch der Becher überschäumt,“
nur bedingt gelten darf, lernte der Künstler sein noch ungezügeltes Temperament beherrschen, und so war es möglich, daß er anläßlich eines Gastspiels der „Meininger“ in Leipzig sich glänzend rehabilitirte und in der Rolle des Melchthal in Wien sogar enthusiastischen Beifall fand. Ein mit dem Stadttheater darauf abgeschlossener Kontrakt trat zwar nicht in Kraft, dafür erging vom Münchener Hoftheater an ihn die Aufforderung zu einem Gastspiel, das, von Erfolg gekrönt, zum Engagement des Künstlers führte.
Ein großer Schritt vorwärts war gethan. Unter der Leitung Possart’s reifte seine Kunst zu immer schönerer Blüthe. Bald war er der Liebling des Publikums und der Kritik, und auch die Gunst des Königs ward dem Künstler in ungewöhnlichem Maße zu Theil.
Am 30. April 1881 trat Kainz in Viktor Hugo’s „Marion Delorme“ zum ersten Mal in einer Separatvorstellung vor dem Könige auf und unmittelbar nach derselben wurde ihm mit Worten der wärmsten Anerkennung im Auftrage Sr. Majestät ein Sapphir-Ring überreicht – Auszeichnungen, die sich noch öfter wiederholten. Nun galt Kainz allgemein als der erklärte Liebling des Königs, und das war er in der That. In einer der folgenden Nächte wurde er durch den Kammerdiener des Königs aus dem Schlafe geweckt.
„Sie müssen sofort mit mir nach dem Linderhof fahren,“ hieß es, „Se. Majestät wünscht Sie zu sehen.“
Noch schlaftrunken, halb im Traume, freudig und zugleich bestürzt, raffte der Künstler das Nothwendigste in aller Hast zusammen und fuhr, von den Segenswünschen der Mutter begleitet, nach dem Linderhof. Aber ach! in der Eile hatte man das Allernothwendigste vergessen – ein wärmendes Kleidungsstück. Die Nacht war eisigkalt, der Wagen offen, der Weg führte ins Hochgebirge, und in seinem luftigen Frack gelangte der Künstler halb erstarrt auf den Linderhof. Ein wenig erbaulicher Zustand vor einer königlichen Audienz ... Doch in der Sonne der königlichen Huld war das körperliche Mißbehagen schnell überwunden. Mit bezaubernder Liebenswürdigkeit empfing ihn der Monarch in seiner von magischem Lichte erhellten Grotte der von jedem Weltverkehr abgeschlossenen Einsiedelei. Eine Woche über durfte Kainz in der unmittelbaren Nähe des Königs weilen.
Das durch die Fülle der Auszeichnungen von Anfang an beängstigende Verhältniß sollte indessen nicht von langer Dauer sein. Eine gewisse Trübung, die dasselbe, nicht ohne Schuld des Künstlers, schon bei einer Reise in der Schweiz erlitt, wohin er den König begleitete, führte dann zur Lösung der Verbindung. Obgleich der Monarch dem einstigen Liebling noch ferner Zeichen seines Wohlwollens gab, hatte letzterer doch das Gefühl, daß er an dem Hoftheater des Königs nicht mehr an der rechten Stelle sei. Als das „Deutsche Theater“ in Berlin seiner Verwirklichung entgegenging und ein günstiger Engagementsantrag an den Künstler gelangte, folgte er willig dem Rufe – zu seinem Besten und dem des Deutschen Theaters.
Getragen von der Gunst des Publikums und der Presse hat Kainz sich mit dem ersten Auftreten Berlin erobert und seinen Besitz mit jeder neuen Rolle befestigt. Sein Carlos, sein Romeo, sein Ferdinand und Prinz von Homburg sind bedeutsame, zum Theil hinreißende Leistungen, und unbestritten zählt Kainz zu den festesten Stützen des „Deutschen Theaters“. Was seine Darstellung so lebensvoll, so hinreißend macht, ist das edle Feuer jugendlicher Kraft, das aus seinen Worten lodert, ist das echte Pathos der Empfindung, die Gluth der Leidenschaft, die Größe der Auffassung und, bei all seinen reichen Mitteln, das ernste Streben nach Wahrheit. Nicht minder aber ist es die Schönheit seiner Diktion, die beneidenswerthe Gabe, die Sprache des Dichters als die Sprache der Natur erklingen zu lassen.
Eine reiche, befriedigende Thätigkeit ist dem jungen, unablässig und ernst an sich arbeitenden Künstler eröffnet. Möge er sie fortsetzen zum Nutzen der deutschen Bühne! Gelingt es ihm allmählich, seinen Gestalten eine noch größere künstlerische Einheit und Geschlossenheit zu geben, so wird der Name Josef Kainz unter den Ersten seiner Kunst genannt werden.