Joseph Gay-Lussac

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Textdaten
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Autor: Carus Sterne
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Titel: Joseph Gay-Lussac
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aus: Die Gartenlaube, Heft 49, S. 807–809
Herausgeber: Ernst Ziel
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Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1878
Verlag: Verlag von Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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[807]
Joseph Gay-Lussac.
Zum hundertjährigen Geburtstage desselben.

Heutzutage, wo der Krieg, welcher die Nationen entzweit, auch in das friedliche Reich der Wissenschaft eingedrungen ist und französische Eroberer auf dem Gebiete des Geistes ihre deutschen Waffenbrüder befehden, als hätten diese die verhängnißvolle Kriegserklärung Napoleon’s verschuldet, ist es doppelt geboten, an Zeiten zu erinnern, in denen Beide trotz Krieg und Völkerzwist treu zu einander hielten, und dazu wird uns die bevorstehende Säcularfeier eines der größten Chemiker Frankreichs und der Welt eine willkommene Gelegenheit bieten.

Joseph Louis Gay ist am 6. December 1778 in St. Leonard, einer kleinen alten Stadt der französischen Provinz Limousin geboren, woselbst sein Vater Richter und Procurator des Königs war. Reich begütert bei dem nahen Dorfe Lussac, fügte er diesen Namen dem seinigen zur Unterscheidung bei, da die Familie der „Heiteren“ – gaya, gay, gai heißt: lustig, froh – in Frankreich sehr verbreitet ist. Und lustig, ja sogar ein wenig wild und tollkühn war auch Joseph, der älteste Sohn, in seiner Jugend. Man erzählt, daß er einst eine Stange aus seinem Dachfenster nach demjenigen des benachbarten Pfarrhauses legte, um auf derselben reitend mit Lebensgefahr die verbotene Frucht des Paradieses, das vortreffliche Obst eines Baumes im Pfarrgarten zu pflücken. Bei einer dieser Luftfahrten stieß er das geistliche Dachfenster ein, wurde auf die Anklagebank versetzt, leugnete – aber wurde seines Vergehens so vollkommen überführt, daß er sich in seiner großen Beschämung gelobte, nie wieder die kleinste Unwahrheit zu sagen. Wahrscheinlich hat sich mit aus dieser Affaire der strenge Gerechtigkeitssinn entwickelt, der den großen Mann sein Lebelang auszeichnete.

Nur zu bald begann der Ernst des Lebens für unseren Helden, denn in der Revolutionszeit wurde der Vater als Procurator des Königs und als Gutsbesitzer natürlich in das Gefängniß geworfen. Joseph Gay, wie er sich jetzt schlechthin nannte, wußte durch seine geduldigen Bitten bei dem Commissionär des Convents und sein kluges Benehmen wenigstens die drohende Abführung nach Paris, die mit Hinrichtung gleichbedeutend gewesen wäre, zu hintertreiben und die Gefangenschaft am Orte bis zum Tode Robespierre’s hinzuziehen, wo dann die schlimmste Gefahr vorüber war. Natürlich war in dieser Zeit der Besitzstand der Familie sehr zurückgegangen, und Joseph wurde zu der wenig kostspieligen Laufbahn eines Advocaten bestimmt.

Er kam mit guter Vorbildung 1794 nach Paris, um sich für den Stand seines Vaters vorzubereiten, aber die damals herrschende und namentlich in der Hauptstadt empfindliche Theuerung veranlaßte die Auflösung der Pension, in welcher er sich befand, und er suchte in Nanterre, später zu Passy bei Paris, wo die Theuerung nicht ganz so empfindlich war, bei einem gewissen Sensier ein Unterkommen. Aber die Theuerung steigerte sich zu einer Hungersnoth, und auch Sensier entließ alle seine Pensionäre bis auf Gay-Lussac, den er wegen seiner Aufrichtigkeit wie ein eigenes Kind liebgewonnen hatte. Seine Pension wurde mit Mehl bezahlt, welches die Schwestern so verpackten, daß man es einschmuggeln konnte. Damals, über sechszehn Jahre alt, hatte Joseph sich noch nicht mit Mathematik und Naturwissenschaften beschäftigt, aber die Neigung begann sich stark zu regen. Seine ersten mathematischen Studien begann er, nach seiner Erzählung, auf dem Milchkarren der Madame Sensier, die er, als sie in der Noth der Zeit einen Milchhandel nach Paris angefangen hatte, zu ihrem Schutze bewaffnet zu begleiten pflegte.

Inzwischen hatte er sich für das Studium der Naturwissenschaften entschieden und fand nach mehrjährigen fleißigen Vorbereitungen und glänzend bestandener Prüfung Ende 1797 Aufnahme in die Polytechnische Schule. Es war dies jene drei Jahre vorher ins Leben gerufene Musteranstalt, welche als Urbild der polytechnischen Schulen überhaupt betrachtet wird, die einzige ruhmvolle Schöpfung, welche aus den Zeiten der ersten Republik noch übrig ist. Gay-Lussac wurde bald „Chef der Brigade“, die da auf Staatskosten in den exacten Wissenschaften unterrichtet wurde, und bezog als solcher ein doppeltes Monatsgeld, sodaß er seiner Familie keine weiteren Kosten verursachte. Mit ihm zugleich gingen aus dieser Anstalt die meisten jener berühmten Männer hervor, welche in den ersten Jahrzehnten unseres Jahrhunderts Paris wie niemals vorher oder nachher, zu einem Brennpunkte der Wissenschaften erhoben, und später, als der im November 1800 mit Ruhm entlassene Professor an dieser Schule geworden war, blieb es einer seiner Lieblingsträume, den längst verblichenen Glanz derselben wiederherzustellen.

Mit seinen Kenntnissen und Zeugnissen wäre es ihm leicht gewesen, bald eine einträgliche Anstellung im Staatsdienste zu erhalten. Aber da die Chemie seine Lieblingswissenschaft geworden war, zog er es vor, als Assistent des berühmten Chemikers Grafen Berthollet und in dessen wohlausgestattetem Laboratorium sich weiter auszubilden. Schon in einer der ersten Untersuchungen, die ihm der Meister überließ, kam er zu Ergebnissen, die den von diesem erwarteten vollkommen entgegengesetzt, aber so richtig waren, daß Berthollet ihm sagte: „Junger Mann, Ihre Bestimmung ist, Entdeckungen zu machen, Sie werden von nun ab mein Tischgenosse sein; ich will, sicher, daß dies einst ein Ruhmestitel für mich sein wird, ‚Ihr Vater in der Wissenschaft‘ sein.“

[808] Die ersten Untersuchungen, durch die er sich der Welt bekannt machte, waren sozusagen die Abkömmlinge jenes kühnen Luftrittes, als ihm noch der Himmel über seinem Dache voll Aepfel hing; es waren Luftreisen, die mit einer kaum heute übertroffenen Kühnheit zu rein wissenschaftlichen Zwecken unternommen wurden. In den Jahren 1803 und 1804 hatte nämlich der Physiker Robertson die ersten wissenschaftlichen Luftreisen unternommen, und wollte dabei unter Anderem beobachtet haben, daß die Kraft der Magnetnadel in den höhern Regionen reißend schnell abnähme. Laplace schlug daher im Jahre 1804 der Pariser Akademie die Unterstützung einer physikalischen und chemischen Erforschung der Atmosphäre mittelst des Luftballons vor. Gay-Lussac und der später berühmt gewordene Physiker Biot wurden mit der Ausführung betraut und stiegen am 24. August 1804 zu einer Höhe von 3000 Fuß auf, aber die beständig kreisende Bewegung des Ballons verhindere sichere Beobachtungen. Daher wiederholte Gay-Lussac seine Versuche mit unerhörter Kühnheit drei Wochen später und stieg am 16. September, mit allen möglichen wissenschaftlichen Apparaten ausgerüstet, allein empor. Fortwährend die Magnetnadel, Barometer, Thermometer und Hygrometer (einen Apparat zum Messen der Luftfeuchtigkeit) beobachtend, erreichte er die bis dahin noch nie besuchte und ein halbes Jahrhundert lang nach ihm vergeblich angestrebte Höhe von 7016 Meter über dem Meere, weshalb wir seinen Luftballon auf älteren Bergkarten gewöhnlich über dem Gipfel des Montblanc schwebend abgebildet finden. Obwohl ihm die Athmung bereits erschwert und die Kehle sehr trocken war, beschloß der muthige Forscher seine Entdeckungsreisen noch weiter empor auszudehnen und warf das letzte entbehrliche Ballaststück, einen alten Stuhl, aus der Gondel, um immer noch höher zu steigen. Es half aber nicht viel, er merkte, daß er den Gipfelpunkt seines Ausflugs erreicht hatte, und verstopfte eilig seine Ballons, in denen er Luft aus diesen Regionen hinabbrachte, wie die Pilger sonst Jordanwasser mit in ihre Heimath trugen. Nach einer sechsstündigen Luftfahrt, während welcher er einen Temperaturwechsel von 37 Grad durchgemacht hatte, landete er wohlbehalten bei einem Dorfe zwischen Rouen und Dieppe, vierzig Meilen von Paris.

Er glaubte gefunden zu haben, daß die Magnetnadel sich dort oben ebenso verhält wie auf der Erdoberfläche, ein Ergebniß, das nicht mehr für völlig genau gehalten wird, wichtiger war sein Nachweis, daß die Luft in einer Höhe von 20,000 Fuß genau ebenso zusammengesetzt ist, wie an der Erdoberfläche, und durchaus keine Beimischung von Wasserstoffgas enthält, wie man vermuthet hatte. Zu seiner nicht geringen Ueberraschung mußte er später erfahren, daß sein Stuhl zu einem langen frommen Streite darüber Anlaß gegeben habe, ob man denselben für einen „Stuhl aus dem Paradiese“ halten müsse oder nicht. Derselbe war nämlich bei ruhiger Luft unmittelbar vor den Augen einer Schäferin aus den Wolken gefallen, und da man derartige Stühle auf den Altarbildern zuweilen auf Wolken ruhend sieht, so war diese Deutung nicht so leicht von der Hand zu weisen. Die Gläubigen hätten den schlechten Stuhl am liebsten gleich in ihre Dorfkirche zur Anbetung gestellt, aber die Ungläubigen hatten darauf hingewiesen, daß die Arbeit sehr ungeschickt sei und daß man da oben wohl geschicktere Tischler voraussetzen müßte. Der Streit dauerte eine geraume Zeit in den Localblättern der Gegend, aber der Bericht Gay-Lussac’s über seine Reise bereitete der Freude der Wundergläubigen bald ein tragikomisches Ende.

Um diese Zeit und an eben diese Luftuntersuchungen knüpfte sich die lebenslängliche Freundschaft mit Alexander von Humboldt an. Gay-Lussac war demselben vor einer Reihe von Jahren gewissermaßen feindlich entgegengetreten[WS 1]. Vor Beginn seiner großen Reise nach Amerika hatte Humboldt nämlich unter seinen eiligen Vorbereitungsstudien eine allerdings nicht sehr vollendete Arbeit über Luftuntersuchungen veröffentlicht, und diese Arbeit war von dem damals noch sehr jungen Gay-Lussac nicht ohne Grund scharf kritisirt worden. Als darauf Humboldt zurückgekehrt war, sah er eines Tages im Hause Berthollet’s zu Arcueil bei Paris den jungen schlanken Mann, dem man nachrühmte, es trotz seiner Jugend weitaus am höchsten gebracht zu haben. „Ah, der Verfasser jener bitteren Kritik,“ sagte Humboldt leise, näherte sich Gay-Lussac und bat ihn um seine Freundschaft.

Sie weihten dieselbe mit einer gemeinschaftlichen Arbeit über die Zusammensetzung der Luft und des Wassers ein, welche am 1. Januar 1805 der Akademie der Wissenschaften vorgelegt wurde und der später zahlreiche gemeinschaftliche Arbeiten der Beiden gefolgt sind. Es war dies dieselbe Arbeit, in welcher Gay-Lussac seine für die Chemie folgenschwere Entdeckung, daß die Gase sich in einfachen Maßverhältnissen verbinden, zuerst andeutete. Auf Humboldt’s Andrängen nahm Gay-Lussac im März desselben Jahres einen Jahresurlaub, um mit seinem Freunde einen großen Theil Europas zu bereisen. Mit ausgezeichneten Instrumenten für meteorologische und magnetische Beobachtungen versehen, reisten sie durch einen Theil Frankreichs und dann über den Mont Cenis nach Italien, wo sie in dem Hause Wilhelm von Humboldt’s, der damals preußischer Geschäftsträger am päpstlichen Hofe war, einige Zeit verweilten und sich des anregenden Umgangs mit Rauch und Thorwaldsen erfreuen durften. Aber selbst dort konnte der Chemiker das Arbeiten nicht lassen, und hier war es, wo er die Flußsäure als einen regelmäßigen Bestandtheil der Knochen und Zähne erkannte.

Von Rom gingen sie, nachdem sich ihnen Leopold von Buch angeschlossen, nach Neapel, woselbst der Vesuv, der sich bis dahin sehr ruhig verhalten, zur Begrüßung der drei berühmten Naturforscher ein großartiges Feuerwerk veranstaltete: Lavaströme, Aschenregen, vulcanische Gewitter begleiteten die Eruption, und damit nichts fehle, hatten die Reisenden – wie einer derselben sich ausdrückte – das „Glück“, eines der schrecklichsten Erdbeben, das Neapel je erlebt hat, mitzumachen. Auf diesen Besuch namentlich bezogen sich die von dem Forscherkleeblatt ausgegangenen Theorien über den Vulcanismus, die einen bedeutenden Nachhall fanden, aber durch die neuere Forschung, namentlich was die angenommenen Bergerhebungen durch vulcanisches Feuer anbetrifft, beträchtlich eingeschränkt worden sind.

Nach einem nochmaligen Aufenthalt in Rom, Florenz, Bologna und Mailand, wobei unablässig Beobachtungen und Entdeckungen gemacht wurden, kehrten die Reisenden über den Gotthard nach Deutschland zurück, woselbst Gay-Lussac den mehrmonatlichen Rest seines Urlaubs zu Berlin im Humboldt’schen Hause verbrachte. Es war ein reiches Jahr, dessen namentlich den Erdmagnetismus betreffende gemeinschaftliche Untersuchungen im ersten Bande der Schriften einer von Berthollet neu gestifteten wissenschaftlichen Vereinigung, der „Gesellschaft von Arcueil“, veröffentlicht wurden. Der zweite Band derselben Zeitschrift brachte aus den Jahren 1806 und 1807 die weiter ausgeführten Untersuchungen über die Ausdehnung, Verbindung in einfachen Verhältnissen und dabei stattfindende Verdichtung der Gase, welche den Ruhm des jungen Chemikers begründeten und deren Ergebnisse unter dem Namen der „Gay-Lussac’schen Gesetze“ zu dem eigentlichen Fundamente der physikalischen und theoretischen Chemie geworden sind. Wir können diese Entdeckungen, wie auch die späteren, hier nur kurz andeuten; sie füllen lange Capitel in der Geschichte der Chemie, Physik und Technik.

Jetzt endlich hatte nun die französische Regierung sich überzeugt, daß der junge Naturforscher der Anstellung im Staatsdienste würdig sei; er wurde 1808 zum Professor der Physik an der Sorbonne ernannt, erhielt 1809 den Lehrstuhl für Chemie an der Polytechnischen Schule und wurde zum Mitgliede der Akademie der Wissenschaften etc. erwählt. Obwohl er auch im Lehrfache Ausgezeichnetes geleistet hat, so erschien ihm dasselbe doch eher als ein Hemmschuh für seinen Forschungstrieb; seine wahre Befriedigung fand er stets nur darin, der Natur neue Geheimnisse abzulauschen und sie zum Besten der Menschheit zu verwerthen. Zunächst bereicherte er die Chemie durch die Erkenntniß einer Reihe neuer Elementarstoffe, deren Darstellung durch den englischen Chemiker Davy in dem ersten Jahrzehnt unseres Jahrhunderts mit dem größten Erfolge begonnen worden war. In Gemeinschaft mit dem Chemiker Thénard stellte er zuerst 1809 aus dem Borax ein der Kohle ähnliches Element dar: das Bor, beschrieb 1811 zuerst die Eigenschaften des Jod, eines von ihm benannten Stoffes, den ein französischer Fabrikant in seinen Kesseln durch Zufall erhalten hatte, und enträthselte zuerst die Natur des Chlors und Fluors und ihrer Verbindungen.

Aber viel folgenschwerer für die Wissenschaft wurde seine Entdeckung von Stoffen, die man „zusammengesetzte Elemente“ zu nennen versucht ist. Im Jahre 1815 machte er sich trotz der vorangegangenen und noch andauernden Kriege mit Preußen an die Untersuchung eines bekannten Farbstoffes, den sein bloßer [809] Name nach 1871 vor jeder Untersuchung seitens französischer Chemiker geschützt haben würde. Es war das bisher allen Chemikern räthselhaft gebliebene Berliner Blau, oder preußische Blau, wie es die Franzosen nennen. In diesem Stoffe, sowie in der daraus herstellbaren sehr giftigen Blausäure, welche die Franzosen acide prussique, das heißt preußische Säure nennen, wies er als specifischen Bestandtheil eine Verbindung von Kohlenstoff und Stickstoff nach, die er Cyan nannte, und die sich, obwohl zusammengesetzt, ganz wie ein einfacher Stoff, ein sogenanntes Element verhält. Diese Entdeckung bezeichnet einen wichtigen Wendepunkt in der Entwickelung der Chemie; man kann sie den Geburtstag der „organischen Chemie“, das heißt der Chemie des Pflanzen- und Thierkörpers nennen. Die das Cyan betreffenden Untersuchungen sind später insbesondere durch Justus von Liebig weitergeführt worden, der 1822 nach Paris, damals der hohen Schule der Chemie, kam und durch Alexander von Humboldt mit Gay-Lussac bekannt gemacht wurde, mit dem er dann mehrere wichtige Arbeiten gemeinschaftlich unternahm und ausführte. Immer wieder diese innige Verbindung mit deutschen Forschern, deren Sprache Gay-Lussac, was bei einem Franzosen besonders bemerkt werden darf, ebenso vollkommen mächtig war, wie der italienischen und englischen.

Neben diesen Verdiensten um die reine Chemie und Physik, in welcher er besonders noch die Gährungstheorie und die Wärmelehre förderte, hat er auch der Industrie und gewerblichen Chemie erhebliche Dienste geleistet, namentlich durch seine musterhaften Bestimmungsmethoden des Werthgehaltes chemischer Producte und des Feingehaltes der Legirungen. Seine Vorschriften zur Prüfung des Alkohols, der Soda und Potasche (Alkalimetrie), des Schießpulvers, des Chlorkalks etc. waren von dem größten Einfluß auf die Entwickelung der chemischen Industrie, seine Methoden, den Feingehalt der Münzlegirungen auf nassem Wege genauer zu ermitteln, als es früher durch die sogenannte Kupellation möglich war, brachten eine Umwälzung im Münzwesen hervor. Die chemischen Fragen des öffentlichen Lebens, namentlich das unsterbliche Capitel von der Verfälschung der Weine und Nahrungsmittel, die Salzfrage etc., fanden an ihm in den Kammern einen unbestechlichen Kritiker, der seine Ueberzeugungen eifrig verfocht, aber auch seine Irrthümer, wenn er sie als solche erkannte, gern eingestand. Als Mitglied vieler wissenschaftlicher Commissionen und wiederholt zum Abgeordneten gewählt, hatte er Gelegenheit, oft seine freimüthige Ansicht herauszusagen, und er that es stets ohne Scheu und Rücksichten.

Als man seinen Freund Arago einst wegen der politischen Ansichten desselben von der Professur an der Polytechnischen Schule verdrängen wollte, erklärte er in der Berathung laut, daß man mit ihm anfangen möge, denn er habe dasselbe gethan wie jener und theile dessen politische Ansichten. Diese Gradheit und Lauterkeit seines Charakters zog ihm natürlich auch manche Feinde und Gegner zu, und als ihm Berthollet bei seinem Tode (1822) die in Frankreich verdienten Gelehrten als Anerkennung vorbehaltene Pairswürde gleichsam testamentarisch vermachte, wußten seine Gegner die Belehnung lange zu hintertreiben, wie man sagt unter dem lächerlichen Vorgeben, Gay-Lussac pflege im Laboratorium mit den Händen zu arbeiten, und ein Handwerker könne nicht Pair von Frankreich werden. In der That wurde ihm diese Würde erst 1839 verliehen.

Seine Einfachheit sprach sich besonders auch in seinem Gemüthsleben aus, und seine Herzensgeschichte hatte sogar einen Beigeschmack von Romantik. Ganz der französischen Sitte entgegen, hatte er sich bereits 1808, ehe er eine feste Anstellung erhielt, mit einer jungen Dame verheirathet, die er mehrere Jahre vorher in einem Weißzeuggeschäft kennen gelernt hatte. Er war dort zufällig hingekommen, um Wäsche zu kaufen, und hatte in den Händen der Verkäuferin sehr unerwarteter Weise ein Buch über – Chemie gesehen. Das mußte ihn natürlich mächtig anziehen; er verbrauchte deshalb mehr Leinenzeug als je, um öfter wieder kommen zu können, und bald war Josephine Rogeot, die Tochter eines talentvollen aber unbemittelten Musikers, seine Braut. Ihrem Wunsche gemäß, brachte er sie vorher in eine Pension, wo sie die Chemie nicht vernachlässigt haben wird, und erzog sich so eine Gattin, die bis zu seinem letzten Athemzuge – er unterlag am 9. Mai 1850 zu Paris einem Herzleiden – das Glück seines Lebens ausgemacht hat. Denn in ihr besaß er, was so selten einem Forscher beschieden ist, eine Frau, mit der er über seine Pläne und Arbeiten sprechen, die an seiner Entdeckerfreude Theil nehmen konnte.

Dem Laien wird es nicht leicht, sich das Glück und die Freude vorzustellen, welche das schrittweise Vordringen in die Geheimnisse der Natur dem Forscher gewährt. Bei Gay-Lussac war diese Entdeckerfreude in dem Augenblicke, der ihm ein neues Räthsel entschleierte, so mächtig, daß der ernste und ruhige Mann, wie Pelonze, einer seiner Lieblingsschüler, verrathen hat, dann wohl zu tanzen und springen begann, trotz der Holzschuhe, die er wegen der Feuchtigkeit des in der Erde belegenen Laboratoriums überzuziehen pflegte. Und selbst die Gefahren, denen er auf seinem Wege begnete, konnten ihn nicht zurückschrecken. Im Juni 1808 brachten ihn Humboldt und Thénard eines Tages aus dem Laboratorium zu seiner jungen Frau mit aller Besorgniß, daß er das Augenlicht verlieren könnte. Eine Explosion bei der Handhabung des von Davy neu entdeckten Kaliummetalles, dessen explosive Neigungen man damals noch nicht kannte, hatte ihn schlimm zugerichtet, und trotz der sorgfältigsten Behandlung und eines Jahresaufenthaltes im finsteren Zimmer blieben die Augen stets entzündet und schwach. In späteren Jahren wurde er nochmals durch eine von fremder Unvorsichtigkeit verschuldete Explosion gefährlich verwundet, und es hat somit wenig daran gefehlt, daß er, wie ein Soldat auf dem Schlachtfelde, im unablässigen Kriege gegen die ungebändigten Naturgewalten unterlegen wäre.

Seinen Charaktervorzügen hat Humboldt das schönste Zeugniß gegeben, das sich denken läßt, durch die rührenden Zeilen, die der achtzigjährige Greis einige Tage nach dem Hinscheiden des Freundes an dessen Wittwe richtete. „Die Freundschaft, durch welche dieser große und schöne Charakter mich ausgezeichnet hat,“ sagt er darin, „hat einen schönen Theil meines Lebens erfüllt. Niemand hat stärker, ich sage nicht allein auf meine Studien, welche der Unterstützung bedurften, sondern auch auf die Vervollkommnung meiner Empfindungsweise, meines Inneren gewirkt. Welche Erinnerungen! jenes erste Zusammentreffen bei Berthollet in Arcueil; – meine tägliche Arbeit in der alten Polytechnischen Schule – meine immer zunehmende Bewunderung – meine Vorhersagungen seiner künftigen Berühmtheit, von denen meine damaligen Werke den Stempel tragen, – meine Hoffnungen, daß mein Name lange mit dem seinigen genannt werden, daß von seinem Ruhme einiger Abglanz auf mich fallen würde … alle diese Momente meines Lebens stellen sich meiner Erinnerung mit unbeschreiblichem Reize dar. Ich habe nicht nöthig, von meiner Bewunderung und meiner ewigen Dankbarkeit zu sprechen. Es giebt keinen Menschen, dem ich mehr verpflichtet wäre für die Lauterkeit meiner Studien, meines Verstandes und meines moralischen Charakters, als derjenige, dessen Glück Sie durch Ihre edlen Herzens- und Geisteseigenschaften begründet haben …“ Diesen Zeilen, die für den Schreiber nicht minder ehrenvoll sind wie für Gay-Lussac, ist nichts weiter hinzuzusetzen als der Wunsch, daß die Naturforscher der beiden Nationen, die vor andern bestimmt sind, das Banner der Wissenschaft gemeinschaftlich vorwärts zu tragen, sich an Gay-Lussac und Humboldt ein Beispiel nehmen möchten.

Carus Sterne.

Anmerkungen (Wikisource)

  1. Vorlage: entgegentreten