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Jugendleben und Wanderbilder:Band 1:Kapitel 3

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Johanna Schopenhauer: Jugendleben und Wanderbilder
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Drittes Kapitel.

[27] Nach Sevilla, nach Sevilla!
– – wo sich Nachbarn freundlich grußen.
Mädchen aus den Fenstern sehen,
Ihre Blumen zu begießen,

5
Ach! da sehnt mein Herz sich hin!

Brentano.

Das Gepräge ehemaligen hohen Wohlstandes, und der aus diesem entspringenden soliden Prachtliebe ist meiner Vaterstadt so tief aufgedrückt und dermaßen mit ihrem ganzen Wesen verzweigt und verwachsen, daß es unmöglich wäre, sie zu modernisiren, ohne sie ganz zu zerstören und ein neues Danzig auf der Stelle des alten zu erbauen.

Wie in allen einst durch den alten Hanseatischen Bund vereinigten Städten, stehen auch in dieser alle Häuser mit der Giebelseite der Straße zugewendet, und erscheinen daher nicht nur, im Vergleich zu ihrer Breite, von unverhältnißmäßiger Höhe, sondern sind es auch wirklich, und müssen es sein, um den ihren Bewohnern nothwendigen Raum der Luft abzugewinnen, [28] welchen der durch die Festungswerke beschränkte feste Boden zu karg ihnen gewährte.

Auch wühlten unsere Vorfahren zum nämlichen Zwecke sich tief in die Erde hinein; weitläufige Keller, oft zwei Stock über einander, ziehen unter den Häusern sich hin, deren Gewölbe einige Fuß über die Oberfläche sich erhebt und eine Art Souterrain bildet, das häufig zu ziemlich bequemen, weder feuchten noch sehr dunkeln Wohnungen eingerichtet ist, zu denen man von der Straße aus hinabsteigt, und die von Bürstenmachern, Korbflechtern, besonders aber von Obst-, Gemüse- und Milchverkäufern vorzugsweise gesucht werden.

Hierin scheint mir die erste Veranlassung der ganz eigenthümlichen Bauart zu liegen, durch welche meine Vaterstadt von allen andern ihr sonst so ähnlichen alten Städten sich unterscheidet. Die Hauptstraßen in Danzig sind weit breiter als in jenen; in dem Raum zwischen den beiden einander gegenüberliegenden Häuserreihen könnten zwei, ja drei Kutschen bequem neben einander hin fahren und zu beiden Seiten bliebe noch Platz für einen mit Platten belegten Fußweg. Und dennoch ist die eigentliche fahr- und gangbare Straße durchweg so enge, daß ein recht gut eingefahrner Kutscher es nicht immer vermeiden [29] kann, mit seinem ihm entgegenkommenden Kollegen in unangenehme Kollision zu gerathen. Die in solch einen Wirrwarr hineinkommenden Fußgänger aber haben genug zu thun, um nur ihre gesunden Gliedmaßen zu salviren.

Die Beischläge vor allen Häusern, von denen aber das, was man in Hamburg oder Lübeck mitunter so nennt, nicht den Schatten eines Schatten bietet, sind die alleinige Ursache dieser seltsamen Erscheinung. Doch womit soll ich sie vergleichen, um nur eine einigermaßen anschauliche Idee von diesen wunderlichen Propyläen zu geben, durch welche die alte nordische Stadt ein fast südliches Ansehen gewinnt, und in denen in meiner frühen Jugendzeit ein großer Theil des häuslichen Lebens mit jetzt unglaublicher Offenherzigkeit, fast so gut als auf freier Straße, betrieben wurde.

Balkone sind diese Beischläge nicht, eher möchte ich geräumige, ziemlich breite Terrassen sie nennen, die, mit großen Steinplatten belegt, längs der Fronte des Hauses sich hinziehen, zu denen einige breite bequeme Stufen hinaufführen und die straßenwärts mit steinernen Brustwehren versehen sind.

Zwischen den aneinanderstoßenden Beischlägen der zunächst benachbarten Häuser bilden vier bis fünf [30] Fuß hohe Mauern die Grenze; blecherne Röhren führen der auf derselben ruhenden steinernen Rinne das Regenwasser von den Dächern zu, die diese durch den Rachen kolossaler, zuweilen recht kunstreich in Stein gehauener Wallfisch- oder Delphinköpfe wieder ausströmen läßt.

Die launigste aller Herrscherinnen, die Mode, nimmt seit einiger Zeit alles, was sonst als altfränkisch verschmäht wurde, unter dem Namen Rokoko in ihren mächtigen Schutz; möge es ihr gefallen, diesen auch den Danziger Beischlägen angedeihen zu lassen! Schwerlich giebt es ein grandioseres Rokoko, das dessen würdiger wäre.

Häuser von mehr als drei Fenstern in der Fronte gab es in meiner Jugend in Danzig nur wenige; und sie gehören wohl noch zu den Ausnahmen; weit häufiger sind die, welche nur zwei Fenster aufzuweisen haben, und wie kahl, wie jämmerlich vereinzelt müßten diese vier bis fünf Stock hohen Häuserstreifen ohne dem sie dem Auge zu einem Ganzen verbindenden Vorhof der Beischläge dastehen.

Die unbeschadet der Vorliebe für Rokoko immer weiter um sich greifende Verschönerungs- oder vielmehr Modernisirungssucht unserer Tage droht aber schon seit geraumer Zeit ihnen den nahenden Untergang. [31] Schon sind die alten herrlichen Kastanienbäume vor den Häusern verschwunden, deren weit sich ausbreitende Zweige Kühlung und Schatten gewährten, unter welchen der arbeitsmüde Bürger in der Mitte der Seinen oder im Gespräch mit dem zu ihm sich herüber beugenden Nachbar einer Art leidlichen Genusses sich erfreute.

Denen, die durch ihre Verhältnisse die ganze Woche hindurch in der Stadt festgehalten wurden, brachten die aufbrechenden Knospen dieser schönen Bäume alljährlich Kunde von dem draußen eben angelangten Frühling, und seine Einladung, am nächsten Sonntage ihn vor dem Thore aufzusuchen, wo er in aller Pracht und Herrlichkeit sie erwarte.

Und welch’ einen Spielplatz bot in meiner Jugend der Beischlag den Kindern! so sicher, so bequem! Dicht unter den Augen der oben am Fenster nähenden und strickenden Mutter, die zuweilen es nicht verschmähte, mitten unter ihnen des milden Abends zu genießen. Bei leidlichem Wetter brachten wir mit unsern Gespielen alle unsere Freistunden in diesem Asyl zu, das noch den unschätzbaren Vorzug besaß, daß wir unsers lärmenden Treibens wegen weniger gescholten wurden, weil es hier bei weitem nicht so lästig wurde, als im Hause selbst.

[32] Mehrere Häuser, deren Giebel mit Statüen und andern architektonischen Verzierungen von Bildhauerarbeit geschmückt sind, zeugen noch heute sowohl von dem Reichthum als von der Kunstliebe unserer Vorfahren, welche bei deren Erbauung mit nicht unbedeutendem Geldaufwande diese Kunstwerke von guten Meistern in Italien verfertigen und nach Danzig kommen ließen. – Andere, früheren Tagen angehörende Häusergiebel stehen noch in ihrer, fast noch aus der Zeit der Tempelherren stammenden Alterthümlichkeit da, doch neigen sich diese ganz ihrem Verfalle zu, und ihre Anzahl wird immer geringer.

Das schönste und merkwürdigste derselben, welches ehemals meinem Onkel Lehmann angehörte und auch von ihm bewohnt wurde, ist, wie ich höre, vor einigen Jahren auf Höchsten Befehl gekauft, sorgfältig abgebrochen und auf die Pfaueninsel bei Potsdam verpflanzt worden. Allerdings ist dies eine sehr ehrenvolle Bestimmung, doch fürchte ich, daß es dort bei weitem so gut sich nicht ausnimmt, als in seinen ehemaligen, ihm angemesseneren Umgebungen in der Brotbäcker-Gasse.