Jugendlust (Gartenlaube 1886)

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Textdaten
<<< >>>
Autor: Victor Blüthgen
Illustrator: {{{ILLUSTRATOR}}}
Titel: Jugendlust
Untertitel:
aus: Die Gartenlaube, Heft 34, S. 597, 608
Herausgeber: Adolf Kröner
Auflage:
Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1886
Verlag: Ernst Keil’s Nachfolger in Leipzig
Drucker: {{{DRUCKER}}}
Erscheinungsort: Leipzig
Übersetzer:
Originaltitel:
Originalsubtitel:
Originalherkunft:
Quelle: Scans bei Commons
Kurzbeschreibung:
Eintrag in der GND: {{{GND}}}
Bild
[[Bild:|250px]]
Bearbeitungsstand
fertig
Fertig! Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle Korrektur gelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Um eine Seite zu bearbeiten, brauchst du nur auf die entsprechende [Seitenzahl] zu klicken. Weitere Informationen findest du hier: Hilfe
Indexseite
[597]

Jugendlust.0 Nach dem Oelgemälde von E. Keyser.

[608] Jugendlust. (Mit Illustration Seite 593.) Ich möchte behaupten, daß Kinder mit verborgenen Flügeln zur Welt kommen. Dieselben gelangen nie an das Licht, aber sie wachsen, und sie drängen heimlich sich zu entfalten, und es kommt doch nichts dabei heraus, als der immerwährende Drang, irgendwo zu fliegen. Stelle ein Kind hin, das soeben laufen gelernt hat, und breite die Arme aus: kommt es nicht an, als ob es auffliegen wolle wie ein flügger Vogel? Unter meinem Fenster jagt sich eine schreiende Schar: ich habe das Gefühl, als ob ihr Laufen das Produkt eines durch die Schwere in die Richtung der Horizontale gebannten Auffliegens sei. Sie springen – vergebliche Flugversuche, immer und immer wieder; das giebt eine Genugthuung: es ist doch eine Art Fliegen. Sie tanzen, sie lieben schwärmerisch den Flug auf dem Karrousel. Vor allem sie schaukeln leidenschaftlich gern. Das ist das wahre Fliegen, und das ganze Wesen fliegt mit – in die Luft, in das Unermeßliche.

Dies Gefühl bleibt der Prüfstein für die innere Jugend. Ihm genug thun, darin besteht der Reiz des Tanzens, des Fahrens und des Reitens. Eines Tages merkst du, daß dein inneres Wesen diesen Bewegungen nicht mehr folgt, und du hörst auf mit Tanzen; du fährst nur noch, weil es bequemer ist, und du reitest, weil es Pflicht ist oder um der Gesundheit willen. Du suchst nach frommen Pferden.

Die schönen Flügel – schade um sie! Wohl dem, der sie im Dienst seiner Gedanken hat, und der sie gewöhnt hat, dem Willen zu gehorchen. Er rührt sie länger als jeder Andere. Das ist die ewige Jugend des Künstlers. Nicht umsonst führt der Dichter den Pegasus im Wappen, und nicht bloß deßhalb, weil, wie ein geistreicher Mann halbwahr gesagt hat, Dichten „Pferde-Arbeit“ sei. Victor Blüthgen.