König Carl sieht seine Vorfahren in der Hölle und im Paradies

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Autor: Brüder Grimm
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Titel: König Carl sieht seine Vorfahren in der Hölle und im Paradies
Untertitel:
aus: Deutsche Sagen, Band 2, S. 148–150
Herausgeber:
Auflage: 1. Auflage
Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1818
Verlag: Nicolai
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Erscheinungsort: Berlin
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Quelle: Commons, Google
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[148]
461.
König Carl sieht seine Vorfahren in der Hölle und im Paradies.

Chroniques de S. Denys ap. D. Bouquet VII. p. 148. 149. Vergl. 255.
Vergl. Crusius ann. suev. dodecas II. p. 70.



König Carl (der dicke), als er auf Weihnachten nach der Mette früh morgens ruhen wollte, und fast schlummerte, vernahm eine schreckliche Stimme, die zu ihm sprach: „Carl, jetzt soll dein Geist aus deinem Leibe gehen, das Gericht des Herrn zu schauen, und dann wieder, zurückkehren!“ Und alsobald wurde sein Geist entzückt, und der ihn wegzuckte, war ein ganz weißes Wesen, welches einen leuchtenden Faden, ähnlich dem fallender Sterne, hielt und sagte: „fasse das Ende dieses Fadens, binde ihn fest an den Daumen deiner rechten Hand, ich will dich daran führen zu dem Ort der höllischen Pein.“ Nach diesen Worten schritt es vor ihm her, indem es den Faden von dem leuchtenden Knäuel abwickelte, und leitete ihn durch tiefe Thäler voll feuriger Brunnen; in diesen Brunnen war Schwefel, Pech, Blei und Wachs. Er erblickte darin die Bischöfe und Geistlichen aus der Zeit seines Vaters und seiner Ahnen; Carl fragte furchtsam: „warum sie also leiden müßten?“ „ Weil wir – sprachen sie – Krieg und Zwietracht unter die Fürsten streuten, statt sie zum Frieden zu mahnen.“ Während sie noch redeten, flogen schwarze Teufel auf glühenden Haken heran, die sich sehr mühten, den [149] Faden, woran sich der König hielt, zu ihnen zu ziehen; allein sie vermochten nicht, seiner großen Klarheit wegen, und fuhren davor zurück. Darauf kamen sie von hinten, und wollten Carl mit langen Haken ziehen und fallen machen; allein der, welcher ihn führte, warf ihm den Faden doppelt um die Schulter, und hielt ihn stark zurück.

Hierauf bestiegen sie hohe Berge, zu deren Füßen glühende Flüsse und Seen lagen. In diese fand er die Seelen der Leute seines Vaters, seiner Vorfahren und Brüder bis zu den Haupthaaren, einige bis zum Kinn, andere bis zum Nabel getaucht. Sie huben an ihm entgegen zu schreien, und heulten: „Carl, Carl, weil wir Mordthaten begingen, Krieg und Raub, müssen wir in diesen Qualen bleiben!“ Und hinter ihm jammerten andre; da wandte er sich um, und sah an den Ufern des Flusses Eisenöfen, voll Drachen und Schlangen, in denen er andere bekannte Fürsten leiden sah. Einer der Drachen flog herzu, und wollte ihn schlingen: aber sein Führer wand ihm den dritten Schleif des Fadens um die Schulter.

Nächstdem gelangten sie in ein ungeheuer großes Thal, welches auf der einen Seite licht, auf der andern dunkel war. In der dunkeln lagen einige Könige, seine Vorfahren, in schrecklichen Peinen; und am Lichte, das der Faden warf, erkannte Carl in einem Faß, mit siedendem Wasser, seinen eigenen Vater, König Ludwig, der ihn kläglich ermahnte, und ihm links zwei gleiche Kufen zeigte, die ihm selber [150] zubereitet wären, wenn er nicht Buße für seine Sünden thun würde. Da erschrak er heftig, der Führer aber brachte ihn auf die lichte Seite des Thals; da sah Carl seinen Oheim Lothar sitzen auf einem großen Edelstein, andere Könige um ihn her, gekrönt und in Wonnen, die ermahnten ihn, und verkündigten, daß sein Reich nicht mehr lange dauern werden; aber es solle fallen an Ludwig, Lothars Tochtersohn. Und indem sah Carl dieses Kind, Ludwig, da stehen, Lothar, sein Ahnherr sprach: „hier ist Ludwig, das unschuldige Kind, dem übergib jetzo deines Reiches Gewalt durch den Faden, den du in deiner Hand hältst.“ Da wand Carl den Faden vom Daumen, und übergab dem Kind das Reich; augenblicklich knäuelte sich der Faden, glänzend wie ein Strahl der Sonne, in des Kindes Hand.

Hierauf kehrte Carls Geist in den Leib zurück, ganz müde und abgearbeitet.