Königs-Wusterhausen

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Textdaten
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Autor: Fedor von Köppen
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Titel: Königs-Wusterhausen
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aus: Die Gartenlaube, Heft 33, S. 538–542
Herausgeber: Ernst Ziel
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Erscheinungsdatum: 1880
Verlag: Verlag von Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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Königs-Wusterhausen.
Von Fedor von Köppen.


Es muß ein seltsamer Herr gewesen sein, der sich auf der wüsten Landscholle an der Vereinigung der Nolte und Dahme zwischen Sumpf und Haide vor Jahrhunderten sein festes Haus erbaute. Seltsamlich, fast mürrisch starrte auch bei unserem Besuche, den wir von Berlin aus mittels der Görlitzer Eisenbahn dem etwa drei Meilen in südöstlicher Richtung entfernten Flecken Königs-Wusterhausen abstatteten, der alte Schloßbau auf uns herab. Die beiden hohen Ziegeldächer zu beiden Seiten des hervorspringenden runden Thorthurms trugen eine mächtige Schneelast; auch die Bäume, welche theils in größeren und kleineren Gruppen, theils einzeln, sich von dem nahen Forste bis an das Schloß hinziehen, ließen ihre beschneiten und mit Eiszapfen behangenen Zweige schwer herniederhängen und sahen aus wie bezopfte Riesen. Ringsum herrschte tiefe Stille und der alle Bau glich in dieser Vereinsamung mehr einer verzauberten alten Burg, als einem kaiserlichen Lust- und Jagdschlosse der Gegenwart.

Als die Hohenzollern von der Mark Brandenburg Besitz ergriffen, fanden sie das Schloß – das, wie die Tradition berichtet, zur Zeit des Lützelburger Karl's des Vierten als einstöckiger fester Bau mit Zinnen und Wartthurm dem jetzt ausgestorbenen Geschlechte von Torgau gehörte – bereits in der jetzigen Gestalt und im Besitze der Familie von Schlieben. Ob auch die Schlieben von dieser Burg aus ähnlichen Neigungen nachgingen, wie ihre Zeit- und Standesgenossen, die Quitzow, die Rochow und die Edlen Gänse zu Putlitz oder wie jene späteren, die das Volkssprüchlein nennt: die Köckeritz und Lüderitz, die Itzenplitz und Kracht – darüber verlautet nichts Gewisses. Jedenfalls änderten sich die Zeilen bald, und Wusterhausen ging gegen Erde des fünfzehnten Jahrhunderts in die Hände der Schenk von Schweinsberg über. Allmählich hatten aber auch die Hohenzollern die herrlichen Wusterhäuser Forsten und ihren Wildreichthum schätzen gelernt. König Friedrich der Erste kaufte die Herrschaft Wusterhausen (1697) von seinem Staatsminister von Jena, um dieselbe seinem damals zehn Jahre alten Sohne, dem Kronprinzen Friedrich Wilhelm, zu schenken, der sich schon in seiner Jugend als ein tüchtiger Jäger erwies und manches schöne Stück Wildpret in den Wusterhäuser Forsten erlegte.

Das stille Wusterhausen wurde der Lieblingsaufenthalt des Prinzen. Hier war er nicht mehr an das lästige Ceremoniell gebunden, welches ihm am Hofe seines Vaters verhaßt war. Hier konnte er die zierlich gekräuselte Allonge-Perrücke, die von Goldbrokat strotzenden Kleider der Berliner Hoftracht von sich werfen und im einfachen Jagdkleide durch Wald und Fluren streifen oder dem edlen Waidwerke nachgehen; hier fand er in einem großen, wohlverschlossenen Schranke in langen Linien seine Gewehre aufgestellt, die, sämmtlich spiegelblank, von vorzüglicher Güte und Schönheit waren. Hier errichtete sich der Prinz seine eigene Jagdcompagnie, auf deren militärische Ausbildung er bald seine ganze Sorgfalt verwandte. Die zu den größeren Jagden aufgebotenen Treiber aus Wusterhausen und den Nachbardörfern – meistens junge, zehn- bis fünfzehnjährige Bursche – wurden militärisch in Reih und Glied gestellt. Sie vertauschten die Stöcke, mit denen sie sonst durch die Waldungen klapperten, mit kleinen hölzernen Gewehren und empfingen den Prinzen beim Beginn der Jagd, indem sie nach den unzähligen künstlichen Tempos des damaligen Reglements das Gewehr präsentirten. Dreißig der größten und ansehnlichsten Bursche wurden militärisch bekleidet mit weißen Stiefeletten, Beinkleidern und Kamisolen und von dem Prinzen selbst einexercirt. Fehler im Exerciren oder in der Propretät wurden von ihm mit Arrest oder mit dem Stocke bestraft, den er bald meisterlich handhaben lernte.

Diese dreißig jungen Jagdgardisten wurden in drei Glieder rangirt; das erste Glied, in welchem die größten standen, erhielt Grenadiermützen, das zweite und dritte Füsiliermützen. So bildete sich an dieser Duodezarmee jener soldatische Sinn heran, der Friedrich Wilhelm’s Regierung zu einer, wenn auch nicht vorzugsweise kriegerischen, doch zu einer durchweg militärischen gestalten sollte. Unter jenen dreißig Wusterhäuser Jagdsoldaten wuchsen fünf zu einer ungewöhnlichen Leibesgröße heran. Diese bevorzugte der Kronprinz ganz besonders, stellte sie seinem königlichen Vater, wenn dieser zur Jagd nach Wusterhausen kam, mit Stolz vor, und an ihnen zeigte sich zuerst seine merkwürdige Vorliebe für „lange Kerle“, die nach und nach sich zu einer ihn völlig beherrschenden Leidenschaft entwickelte. Als Friedrich Wilhelm (im Jahre 1709) den Feldzug in Flandern mitmachte, nahm er einen Theil dieser seiner Spielsoldaten mit in’s Feld, und als er (1713) den Thron bestieg, wurden die sämmtlichen dreißig Wusterhäuser dem ersten Bataillon des Leibregiments einverleibt, desselben Regiments, welches unter der Bezeichnung der „großen Potsdamer Garde“ bald eine europäische Berühmtheit erlangte. Die Tradition hat auch die Namen Einiger der ersten großen Wusterhäuser Jagdsoldaten aufbewahrt. Sie nennt vor Anderen den langen Strux und den lange Rasemann, deren Nachkommen noch heute in Gräbendorf bei Wusterhausen leben, unter den Stammvätern jener weltberühmten Potsdamer Riesengarde.

Unter König Friedrich Wilhelm dem Ersten änderte der Ort auch seinen Namen. Das alte Wendisch-Wusterhausen ward nun in Königs-Wusterhausen umgetauft und zugleich zum Hauptorte des Kirchspiels erhoben – eine Neuerung, mit welcher sich übrigens der Particularismus der Nachbardörfer nicht einverstanden erklärte; ja, die Einwohner der letzteren wollten lieber ganz vom Gottesdienste zurückbleiben, als nach Königs-Wusterhausen in die Kirche gehen. So geschah es, daß der König mit der königlichen Familie und den wenigen Personen seines Hofstaates einige Sonntage außer dem Pfarrer und dem Küster die einzigen Anwesenden beim Gottesdienste waren. Aber Friedrich Wilhelm hatte seine Mittel, um die Leute zum Kirchenbesuche anzuhalten. Er ließ einige Compagnien Grenadiere in die übrigen Dörfer des Kirchspiels – Schenkendorf, Deutsch-Wusterhausen, Hoher-Löhme, Nieder-Löhme, Senzig und Zeesen – als Einquartierung legen und befahl, daß am nächsten Sonntag die Grenadiere sämmtlich ihre Wirthsleute mit in die Kirche bringen sollten. So geschah es, daß die Leute buchstäblich in die Kirche „getrommelt“ wurden. Nachdem dies einige Sonntage nach einander wiederholt worden, gewöhnten sie sich [539] allmählich daran, die Königs-Wusterhäuser Kirche als ihre Hauptkirche anzusehen, und kamen nun auch von selber, ohne auf die Trommel zu warten.

Obschon Lieblingsaufenthalt Friedrich Wilhelm’s des Ersten, scheint Schloß Wusterhausen zu seiner Zeit in seiner inneren Einrichtung noch wenig Behagen und namentlich wenig Befriedigung für den ästhetischen Geschmack geboten zu haben, auch wenn wir den Schilderungen der feinsinnigen und geistvollen, aber etwas zur Uebertreibung neigenden Prinzessin Wilhelmine, späteren Markgräfin von Bayreuth, nicht ganz unbedingten Glauben beimessen möchten.

„Das Gebäude“ – so erzählt die Markgräfin in ihren Denkwürdigkeiten – „war von einem Erdwall und einem Graben umgeben, dessen schwarzes und fauliges Wasser dem Styxe glich.[1] Drei Brücken verbanden dasselbe mit dem Hofe, mit dem Garten und mit einer gegenüberliegenden Mühle. Der nach vornhin gelegene Hof war durch zwei Flügel flankirt, in denen die Herren von des Königs Gefolge wohnten, auf der dritten durch ein Staket geschlossen, an dessen Eingange man zwei Bären – beiläufig gesagt, sehr böse Thiere, welche Jedermann anfielen und erschreckten – als Schildwachen angebunden hatte. Mitten im Hofe befand sich ein mit vieler Kunst angelegter Springbrunnen zum Gebrauche für die Küche. Meine Schwester[2] und ich hatten für uns und unser ganzes Gefolge nur zwei Zimmer oder vielmehr zwei Dachstübchen. Wie auch das Wetter sein mochte, wir aßen zu Mittag immer im Freien unter einem Zelte, das unter einer großen Linde aufgeschlagen war. Bei starkem Regen saßen wir bis an die Waden im Wasser, da der Platz vertieft war. Wir waren immer vierundzwanzig Personen zu Tische, von denen drei Viertel jeder Zeit fasteten; denn es wurden gewöhnlich nur sechs Schüsseln aufgetragen, und diese waren so schmal zugeschnitten, daß ein nur halbwegs hungriger Mensch sie mit vieler Bequemlichkeit allein aufzehren konnte. Der König saß nie länger bei Tische als bis ein Uhr; er schlief dann bis zweieinhalb Uhr auf einem Großvaterstuhl im Freien, der ärgsten Sonnenhitze ausgesetzt. Wir hatten dieses Vergnügen mit ihm zu theilen und mußten auf der Erde zu seinen Füßen liegen … In Berlin hatte ich das Fegefeuer, in Wusterhausen aber die Hölle zu erdulden …“

Es ist lange her, seitdem Prinzessin Wilhelmine so geschrieben, aber noch heute werden wir bei Betrachtung der inneren Räume des Schlosses und ihrer einfachen, beinahe kasernenhaften Einrichtung lebhaft in die Zeit Friedrich Wilhelm’s des Ersten zurückversetzt. Geräumige, etwas düstere Hallen (weil das Tageslicht nur durch die tiefen Fenster an einer der schmalen Seiten Einlaß findet) durchziehen das Schloß seiner ganzen Länge nach. Aus denselben führen an den beiden langen Seiten Thüren in die angrenzenden Logirzimmer.

Eine uralte Linde, wahrscheinlich dieselbe, unter welcher Prinzessin Wilhelmine sich nasse Füße holte, steht auf der dem Schloßgarten zugekehrten Seite. Die Bären am Eingange des Schloßhofes, welche die Prinzessin erschreckten, sind seit lange nicht mehr zu erblicken; dafür steht am Eingange einer der Jagdhallen ein ausgestopfter gewaltiger Bär mit gefletschtem Rachen hoch aufgerichtet; er ist wohl angethan, dem arglos eintretenden Besucher für den ersten Augenblick Schrecken einzuflößen; er ist ein Geschenk des in Berlin wohnenden Hoflieferanten Ewest für Kaiser Wilhelm. Die Wände der Hallen sind mit Geweihen geschmückt; eine Merkwürdigkeit für Jäger in einer derselben ist das große Geweih eines Hirsches, der mit diesem zwischen den Aesten eines Baumes hängen geblieben. Während das arme Thier qualvoll verenden mußte, wuchsen die grünen Zweige um das Geweih herum lustig weiter und haben sich allmählich der Art mit dem Geweih verschlungen, daß das letztere aus dem Baume selbst hervorzuwachsen scheint.

Auf den Consoletischen – außer einigen Stühlen den einzigen Möbels in diesen Räumen – sieht man die mächtigen Schädel einiger Keiler mit den gewaltigen Fangzähnen, ihrer furchtbaren Waffe gegen die verfolgende Meute. Nach dem Umfange dieser Schädel zu schließen, scheint auch die thierische Generation, welche zu Friedrich Wilhelm's Zeiten in den Wusterhäuser Wäldern hauste, eine ungewöhnliche Größe erreicht zu haben. Heutzutage schießt man so große Keiler hier nicht mehr. Ein merkwürdiges Möbel finden wir in dem ehemaligen Schlafgemache des Königs, nämlich seine „Waschtoilette“ oder vielmehr – wie der uns führende Diener richtiger sagte – seinen „Waschstein“, einen großen Sandsteinblock mit hölzerner Umkleidung und mit einer tiefen, muldenartigen Aushöhlung, auf deren Boden sich eine Oeffnung zum Abfluß des Wassers mit einem Verschlußsteine oder Verschlußzapfen befindet. Man sagt, daß der König, welcher bekanntlich einer der reinlichsten Menschen war, diese Toilette wohl zwanzigmal des Tages benutzte. Das Mittagsmahl wurde unter Friedrich Wilhelm dem Ersten, wie schon Prinzessin Wilhelmine berichtet, nach der Jagd gewöhnlich im Freien, im Schloßgarten, eingenommen:

„Dann saß vor dem Schlosse der fürstliche Jäger
Bei fröhlicher Tafel, das Wildpret darauf;
Die Treiber vom Dorfe, die Hüter und Heger,
Sie füllten die Krüge und warteten auf“ –

Der König pflegte einen starken, waidmännischen Appetit zur Tafel mitzubringen, und es ist nicht erklärlich, wie er mit demselben bei der schmalen Kost – wie Prinzessin Wilhelmine sie schildert – bestehen konnte.

In einem Saale des oberen Stockwerks versammelte sich die berühmte Abendgesellschaft des Königs, das „Tabakscollegium“. Von den hölzernen Stühlen, die an der langen hölzernen Tafel stehen, sind einige von dem Könige selbst gezimmert worden; er hatte es in diesem Gewerbe zu einer gewissen Fertigkeit gebracht; die übrigen sind in späterer Zeit den ersteren nachgebildet worden. Auch die Köpfe, welche aus den Rahmen an den Wänden mit größtentheils sehr nüchternen Mienen herabschauen, sind Portraits von dem Pinsel dieses Königs, die er zum Theil „in tormentis pinxit“ (unter gichtischen Leiden gemalt), obgleich wir nach dieser Unterschrift, die wir unter den lebensgroßen Portraitfiguren seiner Leibriesen im Potsdamer Schlosse häufig erblicken, hier vergebens suchten. Die Originale besaßen übrigens sonst keine andere Berühmtheit, als daß sie eben einmal vom Könige gemalt zu werden die Ehre hatten. In einem anderen Zimmer des Wusterhäuser Schlosses finden wir von des Königs Hand das Bild einer badenden Susanna, über einem Ruhebette hängend, an welches sich eine kleine Anekdote knüpft. König Friedrich Wilhelm dachte nämlich nicht gerade gering von seiner Kunst und sprach öfters selbstgefällig die Ansicht aus, daß er von derselben ganz gut würde leben können, wenn er auch nicht König wäre. Um den Beweis beizubringen, ließ er jenes Bild der badenden Susanna einem Berliner Kunsthändler zum Kaufe anbieten. Dieser zögerte auch nicht, dem Könige den Preis von hundert Thalern dafür zu bieten und wirklich zu zahlen. Er stellte dasselbe darauf in seinem Schauladen zum Verkaufe aus, nachdem er ein Plakat daran befestigt mit der Aufschrift: „Gemalt von Seiner Majestät, dem Könige Friedrich Wilhelm dem Ersten.“ Diese Unterschrift zu diesem Bilde schien dem Könige doch bedenklich, um so mehr, weil sich nun täglich eine Menge Menschen vor dem Schauladen sammelte, um an der badenden Susanna die Kunstfertigkeit des königlichen Malers zu bewundern. Er wünschte deshalb, den Handel rückgängig zu machen. Aber der industrielle Kunsthändler erwiderte dem königlichen Kammerdiener, welcher den Auftrag hatte, ihm die hundert Thaler zurückzuzahlen und dafür das Bild wieder abzuholen: er lebe von dem Handel mit Kunstwerken und könne daher das Gemälde nicht zu demselben Preise verkaufen, den er selbst dafür gezahlt habe. Wolle der König das Bild wieder haben, so möge er nun dreihundert Thaler dafür geben. Schwer entschloß sich der sparsame König, einen so hohen Preis für sein eigenes Gemälde zu zahlen, aber er mußte doch wohl oder übel einwilligen und rückte mit den geforderten dreihundert Thalern heraus, um das Aergerniß zu beseitigen. So kam die badende Susanna nach Königs-Wusterhausen zurück.

Zu den gewohnten Genossen des Tabakscollegiums kam in Wusterhausen noch der Schulmeister loci. Dieser hatte sich nämlich bei dem Könige dadurch in große Achtung gesetzt, daß es dem Letzteren nicht gelungen war, die aus der Schule heimkehrenden Jungen zu dem Rufe zu bewegen: „Unser Schulmeister ist ein Esel.“ Die Jungen blieben dabei, daß der Schulmeister ihnen mehr zu sagen habe als der König.

Wenigstens zwei Monate alljährlich wohnte Friedrich Wilhelm in Wusterhausen. Spätestens am 24. August traf er ein und [540] frühestens am 4. oder 5. November brach er auf. Es wurden in jenen Monaten zwei stehende Feste dort gefeiert, die Gedächtnißfeier der Schlacht bei Malplaquet (11. September), der ersten, welcher Friedrich Wilhelm beigewohnt, und das Hubertus-Fest (3. November). Zur Feier des 11. September wurde jedesmal eine große Parforcejagd angestellt, bei welcher zwei Hirsche gehetzt wurden.

„Des Mittags bei Tafel,“ so erzählt Morgenstern, des Königs lustiger Rath nach Gundling’s Tode, in seiner Schilderung des Malplaquet-Festes „mußten sich sowohl die Piqueurs mit ihren Parforcehörnern und Jägergeschrei, als auch das ganze Corps Hautboisten aus Potsdam hören lassen. Man trank scharf, und es gingen große Gläser herum.


Das Tabaks-Collegium: Sonst.
Original-Zeichnung von H. Lüders.


Auch wurden auf dem grünen Platze bei dem alten Schloßgebäude, nahe bei dem türkischen Zelte, einige kleine Kanonen aufgepflanzt und stark bei den Gesundheiten daraus geschossen. Endlich fingen Ihre Majestät der König auch an zu tanzen, aber mit lauter Officiers und absonderlich mit alten Generals. Darunter befand sich der Generallieutenant von Pannewitz, welcher in der Bataille von Malplaquet eine gewaltige Schmarre über den Kopf bekommen. Frauenzimmer befanden sich bei diesem Tanze nicht, sondern der Königin Majestät retirirten sich allemal mit den Prinzessinnen und Dero Damen, sobald das Mittagsmahl vorüber war.“

In ähnlicher Weise wurde das Hubertus-Fest begangen. Aber auch trübe Tage, ja die trübsten Tage seines Lebens, hat Friedrich Wilhelm in seinem Wusterhausen erlebt. Wir heben hier nur zwei Momente hervor, welche dem erschütternden Drama des Conflicts zwischen dem Könige Friedrich Wilhelm und seinem Sohne, dem Kronprinzen Friedrich, angehören.

Es war im Herbst des Jahres 1728. Das Einvernehmen zwischen Vater und Sohn hatte bereits manche Trübungen erfahren. Vor wenigen Wochen hatte jener unerfreuliche Briefwechsel stattgefunden, in welchem Friedrich den Vater bittet, ihm wieder seine Gnade zuzuwenden, wogegen dieser in seiner Antwort ihn einen „efeminirten Kerl“ schilt, „der sich nicht schämt, nicht reiten, noch schießen kann und dabei malpropre an seinem Leibe, seine Haare wie ein Narr sich frisirt und nicht verschneidet“ etc. In Königs-Wusterhausen wurde gerade das Hubertus-Fest gefeiert, bei welcher Gelegenheit es dieses Mal noch lebhafter herging, als gewöhnlich; denn einige Tage vorher hatte der König August der Zweite von Polen aus Dresden dem Könige allerhand Geschenke übersandt. Darunter befand sich ein silberner Mörser, aus dem eine gleichfalls silberne, vergoldete Granate geworfen werden konnte. Er war so schwer, daß nach Morgenstern „die alten Generale ihn wol kaum mit zweyen Händen halten konnten“. Dieser wurde bei der Hubertus-Feier eingeweiht, aber nicht mit Granatenwerfen, sondern – mit Gesundheiten trinken. „Derohalben ging er,“ erzählt Morgenstern, „auf die Gesundheit Sr. Majestät des Königs von Pohlen wacker herum, und so herrlich, wie selbigesmal, habe ich meines Orts das Hubertus-Fest am Königlichen Preußischen Hofe niemalen begehen sehen.“

In der mit grünen Tannen geschmückten Halle war die Tafel gedeckt. Es stand auch Ungar- und alter Rheinwein darauf. In dem großen Kamin, dessen Kacheln die gemalten Figuren der Markgrafen und Kurfürsten von Brandenburg zeigen, flackerte ein lustiges Feuer, und schmetternde Jagdfanfaren schallten durch den Saal. Nicht weit von dem Könige, an der anderen Seite des Tisches, saß der sechszehnjährige Kronprinz, die Wangen vom Weingenuß etwas geröthet, neben ihm der polnische Gesandte von Suhm. Der Kronprinz sprach lauter und lebhafter, als gewöhnlich, ja, er ließ sich fortreißen, zu seinem Nachbar von der Knechtschaft zu sprechen, in der er am Hofe seines Vaters gehalten werde, und fragte den Gesandten, ob König August der Zweite ihm wohl die Erlaubniß zu einer Reise auswirken würde, um ihn wenigstens für einige Zeit aus diesem Zwange zu befreien. Nur wenn der strenge Blick des Vaters ihn traf, unterbrach sich der Kronprinz mit den Worten: „Und ich liebe ihn dennoch.“ Die Königin, welche neben dem Könige saß, ward besorgt, daß der König ihn hören möchte, und athmete auf, als die Tafel aufgehoben ward. Als darauf beim Abschiede der König dem Kronprinzen die Hand reichte, bedeckte dieser sie mit Küssen und warf sich ihm voll überströmenden Gefühls an die Brust. Alle Anwesenden waren tief ergriffen, auch der König schien bewegt, wehrte aber die Liebkosungen seines Sohnes mit den Worten ab: „Schon gut! Werde Du nur ein ehrlicher Kerl!“ – Niemals sah man den König vergnügter, als denselben Abend im Tabakscollegium. – Zwei Jahre später, um dieselbe Jahreszeit, befand sich der König wieder in Wusterhausen, aber die Räume des alten Schlosses blieben öde und finster. Nicht der lustige Schall eines Jagdhorns unterbrach die unheimliche Stille. Die Hubertus-Feier war für dieses Jahr abbestellt worden; auch das Tabakscollegium fand nicht statt. Verhängnißvolle Ereignisse hatten in der königlichen Familie sich zugetragen und die finstere Laune des Königs hervorgerufen. Was vor zwei Jahren flüchtig in der Seele des Kronprinzen aufgetaucht war, die Idee, sich der unwürdigen Behandlung am Hofe seines Vaters durch die Flucht zu entziehen, das war jetzt in der That zur Ausführung gekommen (vergl. Jahrg. 1872, Nr. 39). Im Schlosse zu Köpenick war das Kriegsgericht versammelt, um über den „Oberstlieutenant Fritz“ wegen Desertion das Urtheil zu sprechen, und in Wusterhausen wartete der König Friedrich Wilhelm auf den Spruch. Er wartete auf – das Todesurtheil über seinen Sohn, und der erzürnte König schien ganz in der Stimmung, um der [541] Gerechtigkeit freien Lauf zu lassen. Was sollte aus dem Staate werden, den er auf Disciplin, Ordnung und Unterordnung gegründet hatte, wenn der Nächste zum Throne, wenn sein Sohn und Erbe diese Ordnung zu durchbrechen wagte! Wenn er Officiere aus des Königs Dienst verleitete, ihren Fahneneid zu vergessen und seine Fahnenflucht zu begünstigen! – Am 27. October fiel die Entscheidung in Köpenick. Sie fiel anders aus, als der König erwartet hatte. Die Richter erklärten sich für „unvermögend, in einer Sache einen Spruch zu fällen, so hauptsächlich eines großen Königs Zucht und Potestat über seinen Sohn betreffe; in den Kriegsartikeln sei nichts enthalten, was auf diesen Fall passe“.


Das Tabaks-Collegium: Jetzt.
Original-Zeichnung von H. Lüders.


„Sie wagen es nicht,“ dachte der König; „sie wälzen die Verantwortung auf mich zurück. Ich aber will ein Exempel statuiren, damit die Nachwelt nicht sagen möge, ich habe aus Familienrücksichten die Gerechtigkeit schweigen lassen. Fiat justitia, pereat mundus!

Die königliche Familie, die Hauptstadt, das ganze Land harrten angstvoll auf die königliche Entscheidung. Die sämmtlichen gekrönten Häupter, auch der Kaiser Karl der Sechste, legten Fürsprache für den Prinzen ein – wer vermag zu sagen, was in jenen bangen Tagen zu Wusterhausen in der Seele Friedrich Wilhelm’s vorging? Es mehrten sich die Anzeichen, daß der König in der That entschlossen war, den alten Römerspruch an einem Beispiele aus seinem eigenen Hause zu bewahrheiten. Auch die Verwendung der fremden Mächte würde keinen Einfluß auf den eisernen Willen des Königs gehabt haben, wenn hier nicht andere vaterländische Elemente dazwischen getreten wären, die seinem Herzen näher standen. Es waren dies die alten Generale des Tabakscollegiums, die Natzmer, Buddenbrock, Flanz, der Herzog von Holstein-Beck, der Fürst Leopold von Anhalt-Dessau und Andere mehr. Die Meinung dieser ehrenwerthen alten Herren, welche bei Hochstedt, Turin und Malplaquet ihre Treue für das Vaterland bewährt hatten und dem Könige bis zum letzten Blutstropfen ergeben waren, gewann endlich die Oberhand über jede andere Regung in des Königs Seele. Als ein Zeugniß jener ehrenhaften Treue und des unerschrockenen Muthes, welcher auch den Unwillen des Königs nicht scheute, wo es galt, ihn von einem furchtbaren Schritte zurückzuhalten, durch welchen der Ruhm und das Ansehen des preußischen Königshauses und des Vaterlandes schwer geschädigt worden wären, hat die Geschichte die Worte des Generalmajors von Buddenbrock aufbewahrt, der in edler Aufwallung die Uniform aufriß und dem Könige zurief:

„Wenn Ew. Majestät denn Blut verlangen, so nehmen Sie meins! Jenes bekommen Sie nicht, so lange ich noch sprechen kann.“

Während der König noch schwankte, das Urtheil über seinen Sohn zu sprechen, hatte das Kriegsgericht in Köpenick abermals Sitzung gehalten (1. November), um gegen den Lieutenant von Katte als Mitschuldigen des Kronprinzen an seinem Fluchtversuche zu erkennen. Das Urtheil, auf Cassation und mehrjährigen Festungsarrest lautend, lag in der folgenden Nacht zu Wusterhausen dem Könige zur Bestätigung vor, mit demselben zugleich die Verwendungen aus der Familie des Unglücklichen, auch ein rührendes Begnadigungsgesuch von Katte selber: „Ein verdorrender Baum werde noch eine Weile geschont,“ sagt er darin, „er aber treibe schon neue Knospen der Treue und Anhänglichkeit.“ Aber es schien, als ob des Königs harter Sinn nur durch ein blutiges Sühnopfer erweicht werden könne. Er schleuderte die Feder, die er schon angesetzt, um das ihm zu milde dünkende Urtheil des Kriegsgerichts zu bestätigen, wieder von sich und dictirte die berühmte Cabinetsordre aus Wusterhausen den 1. November 1730, welche schließt:

„Seine Königliche Majestät seynd in der Jugend auch die Schule durchgelauffen und haben lateinische Sprüchwort gelernt: fiat justitia, pereat mundus. Also wollen Sie hiemit von Recht und Rechtswegen, daß der Katte, ob er schon nach denen Rechten verdienet gehabt, wegen des begangenen crimen laesae majestatis mit glühenden Zangen gerissen und aufgehenket zu werden, in Consideration seiner Familie, mit dem Schwerdte vom Leben zum Tode gebracht werden solle. Wenn das Kriegsrecht dem Katte die Sentenz publiciert, soll ihm gesagt werden, daß es Sr. K. M. leydt thäte, es aber besser, daß er stürbe, als daß die Justice aus der Welt käme.
Friedrich Wilhelm.“

Nach dem Tode Friedrich Wilhelm’s trat Wusterhausen für lange Zeit in die Dunkelheit zurück. Der nächste Besitzer, Prinz Heinrich, zog das heitere Rheinsberg als Aufenthalt dem düsteren Wusterhäuser Schlosse vor. Nach seinem Tode (1803) wurde das Schloß ausgeräumt und geleert. Die Herrschaft erbte Prinz Ferdinand, der jüngste Bruder Friedrich’s des Zweiten. Von diesem ging sie (1813) auf seinen Sohn, den Prinzen August, über, der die Herrschaft bis zu seinem Tode (1843) besessen hat. Die Domäne Königs-Wusterhausen, welche nur einen geringen Theil der Herrschaft bildet, wurde im Jahre 1810, als Napoleon der Erste zur Abtragung der rückständigen Contribution drängte, verkauft. Sie war längere Zeit hindurch im Besitze der Familie Menke, welcher die Mutter des Fürsten Bismarck (bekanntlich die Tochter des Cabinetsraths Anastasius Ludwig Menke, der unter König Friedrich Wilhelm dem Dritten eine einflußreiche Stellung bekleidete) verwandt war. Auch der Vater des Fürsten, Rittmeister a. D. Karl Wilhelm Ferdinand von Bismarck, hatte in der Nähe einen Grundbesitz, die sogenannte „neue Ziegelei“, auf welcher der gegenwärtige deutsche Reichskanzler in seiner Kindheit öfters gewesen und – wie Fama sagt – auf Eseln geritten sein [542] soll. Von der Familie Menke, welche den Wandel der Glücksgüter an sich erfahren hat, kaufte die königliche Hofkammer 1868 die Domäne zurück.

Das Schloß zu Wusterhausen schien eine Zeitlang fast ganz in Vergessenheit gekommen zu sein. König Friedrich Wilhelm der Vierte, der bekanntlich kein leidenschaftlicher Jagdliebhaber war, scheint für dasselbe keine Neigung gehabt zu haben.

Erst unter König Wilhelm ist das Schloß in seiner inneren Einrichtung wieder hergestellt und seiner alten Bestimmung zurückgegeben worden, und seit dem Jahre 1863 haben, wie das schon erwähnte Jagdbuch nachweist, hier regelmäßig Jagden stattgefunden. Nur im Jahre 1870 sind dieselben, wie es in des Kaisers eigenhändiger Bemerkung heißt: „aus bekannten Gründen“, ausgefallen. Gewöhnlich im Spätherbst, oft auch erst im Winter wird der Besuch des Kaisers und einiger hohen Gäste in Königs-Wusterhausen angesagt. Dann beleben sich wieder die Räume des alten Schlosses, und es bleibt auch kein Winkelchen unbesetzt. Die hohen Herren müssen sich fast sämmtlich, jeder mit einem nicht einmal sehr geräumigen Zimmer begnügen, und das Jagdgefolge wird in den Cavalierflügeln untergebracht. Auch die beiden Zimmer im unteren Stockwerke, welche der Kaiser bewohnt, zeichnen sich nicht vor den übrigen aus. In das Jagdbuch hat der Kaiser eigenhändig das Datum jedes Jagdtages eingetragen. Unter diesem Datum tragen sich die sämmtlichen Gäste, insofern sie zum ersten Male den kaiserlichen Jagden in Wusterhausen beiwohnen, ein. Da begegnen wir nun freilich anderen Namen, als zu Zeiten König Friedrich Wilhelm’s des Ersten. Das Jagdbuch nennt unter den Theilnehmern der letzten Jagd (21. und 22. December 1879) unter Anderem: Wladimir, General-Duc de Russie, Wilhelm, Prinz von Preußen, den Grafen Oubril, russischen Botschafter am kaiserlichen Hofe zu Berlin, den König Albert und den Prinzen Georg von Sachsen, den Großherzog von Mecklenburg und Andere.

Auch das Tabakscollegium ist in gewissem Sinne wieder auferstanden. In demselben Saale, wo einst der absolute Monarch sein berühmtes „Rauchparlament“ um sich versammelte, finden sich am Abend des Jagdtages der Kaiser und die Theilnehmer der Jagd in ihren einfachen, bequemen Hauskleidern zusammen. An demselben langen hölzernen Tische und auf den Stühlen, welche König Friedrich Wilhelm der Erste und seine Genossen, der Fürst von Dessau, Grumbkow, Seckendorf, seine witzigen Junker, die Gröben und Löben, und sein lustiger Rath Gundling einnahmen, läßt sich auch die heutige Tabaksgesellschaft nieder. Man raucht größtentheils holländischen Tabak. Auch der Kaiser, welcher sonst bekanntlich nicht raucht, bläst hier doch einige Male den Dampf durch das thönerne Rohr. Die Gläser werden aus den irdenen Krügen – nicht mit Ducksteiner oder mit Köpenicker Moll – sondern mit echtem baierischem Bier gefüllt, und die Unterhaltung nimmt ihren heiteren Verlauf, wobei jedoch nicht – wie so häufig in dem Tabakscollegium Friedrich Wilhelm’s des Ersten – die politischen Angelegenheiten, sondern die Ereignisse des Tages, die Ergebnisse der letzten Jagd den Hauptgegenstand bilden. Für diejenigen Herren, welche dem Kartenspiele den Vorzug geben, sind einige Spieltische in Bereitschaft gestellt, und für Befriedigung der leiblichen Bedürfnisse ist durch Aufstellung eines Buffettisches mit kalter Küche in dem Nebenzimmer gesorgt.

Die Ankunft des Kaisers wird in Wusterhausen als ein Fest gefeiert. Möchten die Wusterhäuser sich noch recht oft des Glückes freuen, den Kaiser Wilhelm in dem Schlosse drüben einkehren zu sehen und möchte es dem greisen Helden beschieden sein, noch häufig bei voller Rüstigkeit und Frische in den Wusterhäuser Forsten dem gewohnten Waidwerke nachzugehen!

  1. Der Graben ist erst 1831 zugeschüttet worden, als seine Ausdünstungen Cholerabefürchtungen aufsteigen ließen; von einem Erdwalle ist nichts bekannt.
  2. Prinzessin Charlotte, spätere Herzogin von Braunschweig.