Kaiser Wilhelm II. auf dem Manöverfelde
[647] Kaiser Wilhelm II. auf dem Manöverfelde (Zu dem Bilde S. 632 und 633.) Man weiß, daß Kaiser Wilhelm II. Soldat durch und durch ist, und besonders zeigt sich dies gelegentlich der allherbstlich stattfindenden Manöver. Da tritt die Eigenschaft des Monarchen als „oberster Kriegsherr“ ganz in ihr Recht, und mit ihr zugleich erfüllt sich die Wahrheit des bekannten Wortes: „Willst du Frieden haben, so bereite dich für den Krieg vor.“ Mehr wie jemals sind die Manöver jetzt eine Probe der Leistungsfähigkeit und Tüchtigkeit der Offiziere wie Mannschaften auf den Ernstfall. Der Kaiser hat im Hinblick auf mögliche kriegerische Verwicklungen vielfache Umwandlungen in der Armee geschaffen, und wenn auch häufig der einzelne davon hart betroffen und allen Volksschichten manch schweres Opfer auferlegt wurde, so hat sich entschieden während der letzten Jahre die Schlagfertigkeit der gewaltigen deutschen Heeresmassen ganz bedeutend gehoben, und die fremden Militärbevollmächtigten, welche stets den großen Manövern beiwohnen, sind voll der Anerkennung über all das, was sie in diesem „Krieg im Frieden“ erfahren und beobachtet haben. Nicht zuletzt über die Hingabe des Kaisers an seine militärischen Pflichten – man muß ihn gesehen haben, etwa wie ihn der Maler unseres Bildes darstellt: in der Garde-Kürassier-Uniform auf feurigem Rosse über das Manövergelände sprengend, daß seine Umgebung, zu der auch der Leibgendarm mit der purpurseidenen Kaiserfahne gehört, kaum zu folgen vermag, scharfen Blickes die Truppenbewegungen verfolgend und häufig durch ein kurzes Kommando selbst eingreifend. Um die geringste Einzelheit kümmert er sich dann, er behält jede Compagnie, die im Bereiche seines Blickes ist, im Auge und überzeugt sich oft persönlich, ob seine Befehle auch in den kleinsten Beziehungen richtig ausgeführt wurden. Wiederholt hat er selbst die Vorpostenstellungen noch in den letzten Momenten geändert, wie er sie auch durch nächtliche, sehr überraschende Besuche gelegentlich kontrolliert. Denn persönliche Müdigkeit scheint er in jenen Manövertagen nicht zu kennen, oft verläßt er schon um drei oder vier Uhr morgens sein Quartier, um erst in der sechsten oder siebenten Abendstunde dorthin zurückzukehren. Die dazwischen liegende Zeit bringt er größtenteils auf dem Pferde zu; ein guter und sicherer Reiter, taucht er, meist völlig unvermutet, mit seinem Stabe bald hier und dort auf, greift überall ein und bekümmert sich stets angelegentlich in erster Linie um die Mannschaften, für deren leibliches Wohl er sichtlich Sorge trägt.
In der Kritik ist der Kaiser sachlich und ruhig; so wohlwollend er
tüchtige Leistungen anerkennt, so scharf versteht er auch zu tadeln, und
manch höherer Truppenführer mag dem laut über das Feld ertönenden
Signale, welches zur Kritik ruft, nur bangen Herzens folgen. Denn nicht
immer geht es so gelinde ab wie dereinst bei einer in der Nähe Spandaus
vorgenommenen Manoverübung, wo die Verteidigung einer Stellung
ziemlich verunglückt war und es bei der alsbald folgenden Kritik nicht
an beklommenen Mienen fehlte. „Ja, meine Herren,“ sagte da der Kaiser,
„jene Position ward wenig gut gehalten, ich kann Ihnen nur sagen“ –
erneutes Herzklopfen an verschiedenen Stellen – „daß Sie mit den
Mannschaften im Ernstfalle einfach ... im Wurstkessel gewesen wären!“
Das Berliner Wort, lächelnd vorgebracht, erlöste plötzlich diesen und
jenen sonst so gefürchteten Hauptmann und Major von seinen Beklemmungen
und ließ den schon im Geiste erblickten „blauen Brief“ schnell
wieder verschwinden. So ernst es auch der Kaiser mit seiner
Pflichterfüllung als oberster Kriegsherr nimmt: sein Wunsch ist es sicherlich wie
der des deutschen Volkes, daß es in langer Zeit nicht nötig zu sein braucht,
die „Probe auf das Exempel“ im Kriegsfalle zu machen. P. L-g.