Karl Gussow

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Autor: Hermann Trescher
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Titel: Karl Gussow
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aus: Die Gartenlaube, Heft 45, S. 748–751
Herausgeber: Ernst Ziel
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Erscheinungsdatum: 1881
Verlag: Verlag von Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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Karl Gussow.

Es war im Herbst 1876, als die große akademische Kunstausstellung in Berlin durch drei Bilder eines bisher dem Publicum der Reichshauptstadt nur oberflächlich bekannten junger Künstlers gerade im Jubeljahre ihrer fünfzigsten Wiederkehr einen epochemachenden Charakter aufgeprägt erhielt. Die Anhänger der neuen Schule, welche Karl Gussow mit ungeahnter Kühnheit, mit energischer und zielbewußter Sicherheit und mit glänzendem und verblüffendem Erfolge vertrat, verkündeten mit Jubelfanfaren aller Welt, daß mit diesen drei Thaten des jungen Meisters das modernste Kunstprincip, der Naturalismus, jetzt auch in die deutsche

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Karl Gussow.
Nach einer Photographie auf Holz gezeichnet von Adolf Neumann.

Kunst seinen thrumphirenden Siegeseinzug gehalten habe. Dieses Princip, behauptete man, werde. von nun an unbestritten den Thron einnehmen, auf dem sich bisher ein blut- und kraftloser, in ausgetretenen Pfaden wandelnder Schematismus nur mit Mühe behauptet habe. Und in der That, er ist ein kecker Gesell, dieser Naturalismus, und die radicale Entschlossenheit, mit welcher er alle Grundsätze und Anschauungen der modernen Kunstentwickelung über den Haufen warf, machte ihn zu einem überaus gefährlichen Gegner, zu einem um so gefährlicheren, als er, unterstützt von einer allgemein zur Herrschaft gelangten materialistischen Weltanschauung, auch auf allen andern Gebieten des Lebens und des Denkens die verlangende Hand nach der Palme des Sieges ausstreckte.

Gegenüber dem bacchischen Triumphgeschrei der Jünger des Naturalismus waren denn auch die Vertreter der alten Lehre schnell genug auf dem Platze; sie weissagten in dumpfem Kassandra-Tone den Untergang aller echten Kunst, und als sie sich dann in stummer Resignation zur Seite wandten, sandten sie noch einen Partherpfeil auf den Feind ab: tauften ihn und seine immer excentrischer auftretende Gefolgschaft Brutalismus und Brutalisten.

So stand und steht vielleicht noch heute der Kampf zwischen Troern und Achäern, zwischen Naturalisten und Idealisten, indessen dürfte es allmählich beiden Parteien klar werden, daß sie bis zu einem gewissen Grade beide im Recht und beide im Unrecht sind. Wir sind der festen Ueberzeugung, daß sich der Widerstreit früher oder später in Harmonie lösen wird und muß, indem die Einen zu der Einsicht kommen, daß der nackte Naturalismus, das durch keinerlei ästhetische Grundsätze geregelte Abschreiben der Natur in ihren zufälligen Erscheinungsformen, nie Selbstzweck, sondern nur Mittel zum Zweck sein kann, daß er lediglich als Vorbereitung für die Kunstübung, als ihr Vasall und Diener Existenzberechtigung hat, die Anderen aber begreifen lernen, daß die idealisch gedachte und empfundene Kunstschöpfung hinter ihrem Ziele zurückbleibt, falls sie nicht ihre Idee mit allen Mitteln der Technik zu verkörpern vermag, und daß deshalb das innigste Studium der Natur eine notwendige Vorbedingung alles künstlerischen Schaffens ist.

Diese Ueberzeugung wird im vorliegenden Falle durch die erfreuliche Thatsache bestätigt, daß Gussow selbst, wenigstens in einzelnen seiner neuesten Bilder, sich einer das Object zwar treu wiedergebenden, aber doch verklärenden Kunstausübung genähert hat. Daß ihn die Predigten der Kritik und das Toben der Gegner dazu veranlaßt haben sollten ist nicht anzunehmen, wir mochten im Gegentheil [750] aus verschiedenen Anzeichen schließen, daß er selbst seine naturalistischen Experimente nur als Vorbereitungsstudien, als Schularbeiten betrachtet und bisher mit dem Publicum in ironischer Schalkhaftigkeit etwas Versteckens gespielt hat; höchst wahrscheinlich bleibt allerdings immerhin, daß die Ausschweifungen seiner minder befähigten Nachbeter seine Umkehr beschleunigt haben. Man weiß zur Genüge, zu welchen Orgien der Häßlichkeit und Abscheulichkeit sich diese seine Nachbeter verstiegen haben, Männer, vor deren Bildern man einen beinahe physischen Ekel empfand, als seien dieselben mit Asa foetida gemalt; man weiß auch, mit welchem Widerwillen sich jeder ästhetisch Gebildete von diesen Monstrositäten abwandte, wie er in der Literatur vor dem rohen Naturalismus der modernen französischen Schule zurückschaudert.

Doch gleichviel aus welchen Gründen, und gleichviel, ob unser Künstler in der That neue Bahnen einzuschlagen gewillt ist, namentlich die Kunstausstellung von 1880 hat bewiesen, daß Karl Gussow der Schönheit zu huldigen versteht, wie nur Einer. An dem Portrait seiner Gattin würde ein Unkundiger schwerlich den Schöpfer jenes „Kätzchens“ und jenes „Blumenfreundes“ wiedererkennen, welche damals jene unerhörte Aufregung bei Künstlern und Laien hervorriefen.

Die wenigen Notizen, die über den äußeren Lebensgang des jugendlichen Meisters zu geben sind, entnehmen wir Adolf Rosenberg’s trefflichem Buche über „die Berliner Malerschule“. Danach wurde Karl Gussow im Jahre 1843 in Havelberg, einer der ältesten Städte der Mark, geboren. Da sein Vater lebhaftes Verständniß für die künstlerische Neigung und Befähigung des Sohnes hegte, so konnte dieser sofort nach Vollendung seiner Schulstudien die Künstlerschule in Weimar beziehen, wo er in den Ateliers des Historien- und Genremalers Arthur von Ramberg und des berühmten belgischen Historienmalers Ferdinand Pauwels auf das Studium der Niederländer hingeführt wurde, das seiner ganzen künstlerischer Entwickelung eine entscheidende Richtung gab. Seine technische Virtuosität und die lebendige, kraftvolle Energie seiner Farbe verdankt er vorzugsweise dem Einflusse des letztgenannten trefflichen Coloristen, eines der Hauptvertreter des modernen belgischen, bekanntlich durch Gallait und de Biefve zur Herrschaft gelangten Realismus.

Im Jahre 1887 verließ Gussow Pauwels’ Atelier und begab sich nach München, um sich in der Schule Piloty’s weiter zu bilden. Doch hielt die baierische Hauptstadt ihn nur ganz kurze Zeit; denn schon nach vierzehn Tagen entschloß er sich zu einer Kunstreise nach Italien, von welcher er nach sieben Monaten nach Weimar zurückkehrte. Allmählich erregten seine frisch, keck und drastisch hingeworfenen kleinen Genrebilder, mit denen er zum ersten Male 1870 die Ausstellung in Berlin beschickte, die Aufmerksamkeit und das Interesse der Kenner, und der damalige Director der Weimarischen Kunstschule, Graf Kalkreuth, bekannt als trefflicher Landschaftsmaler, entschloß sich schnell, dem kaum siebenundzwanzigjährigen jungen Künstler eine Professur an derselben anzutragen. Gussow nahm dieselbe an und entfaltete bald eine ausgedehnte und einflußreiche Lehrthätigkeit; mehr und mehr Schüler schlossen sich seiner immer schärfer herausgearbeiteten naturalistischen Richtung an. Im Jahre 1874 erhielt er einen Ruf an die Kunstschule in Karlsruhe und anderthalb Jahr später an die reorganisirte Kunstakademie in Berlin, deren Lehrkörper er bis zum vorigen Jahre angehörte, in welchem er aus hier nicht zu erörternden Gründen sein Amt niederlegte. Es sei noch erwähnt, daß er an äußeren Auszeichnungen im Jahre 1874 die kleine, 1880 die große goldene Medaille für Kunst erhielt.

Gegenwärtig lebt Gussow in Berlin ausschließlich seinem künstlerischen Schaffen. Daß er vorläufig seine Lehrtätigkeit aufgegeben hast bleibt gewiß zu bedauern; denn jede seitherige Ausstellung hat bewiesen, wie segensreich sein Einfluß bei unserer jüngeren Künstlerwelt auf die Plastik der Formelsprache, die Sicherheit und Correctheit der Zeichnung und die Energie des Colorits gewirkt hat.

Es würde uns hier zu weit führen, wenn wir Gussow’s sämmtliche Schöpfungen eingehend charakterisieren wollten; wir müssen uns auf die hauptsächlichsten Marksteine seines künstlerischen Wirkens beschränken

Das Interesse der weitesten Kreise zog er, wie schon eingangs erwähnt, durch die drei Bilder aus sich, mit derer er die Ausstellung von 1878 beschickte und die er gewissermaßen als Visitenkarte bei dem Publicum der Reichshauptstadt, deren Bürger er soeben geworden war, abgab. Zwei von diesen Bildern, „Das Kätzchen“ und „Der Blumenfreund“, teilten nicht nur die Künstlerschaft und die Kritik, sondern auch die große Schaar der Beschauer in zwei heftig für und wider streitende Heerlager. Während die Einen die glänzende Technik, die frappirende Lebenswahrheit bewunderten, anerkannten die Anderen zwar alle diese Vorzüge, bedauerten aber, sie in den Dienst der banalsten Alltäglichkeit, des reizlosesten Stoffkreises gestellt zu sehen.

Auf dem „Kätzchen“ sah man einen alten Bauer, eine alte Dorfhexe und zwei frische, strotzende Kuhmägde in vollster ungeschminktester Lebenswahrheit um eine kleine Katze gruppirt, deren klägliche Schreie ihre naturwüchsige Heiterkeit erregten. Diese Bauern, die sich weder gewaschen noch gekämmt hatten, traten mit einer so überraschenden Plastik aus dem Rahmen des Bildes heraus, daß die Täuschung, wirkliches Leben vor sich zu haben, sich zu einer bisher unerhörten Wirkung steigerte, und ähnlich jenen Vögeln, welche an den Weinbeeren des Zeuxis pickten, hätte man wohl einer dieser drallen Dirnen einen herzhaften Kuß geben mögen, wenn sie eben – reinlicher gewesen wären.

Nicht zum geringsten wurde dieser plastische Eindruck durch die Leuchtkraft des Colorits unterstützt, das namentlich in einem weiß und schwarz getüpfelten orangegelben Schnupftuche – man stelle sich ein die Spuren der Tabaksdose tragendes Kattunschnupftuch vor, wie man es auf Jahrmärkten für wenige Groschen zu kaufen pflegt! – an frappanter Naturtreue alles bisher Gesehene überragte. Dieses knallgelbe Taschentuch wurde denn auch das Banner, unter dem sich die fanatischsten Jünger des Meisters sammelten, und noch Jahre danach erblickte man es aus zahllosen Bildern an passender und unpassender Stelle als ein Schiboleth der Gesinnungsgenossen.

Dem „Kätzchen“ gestanden allerdings auch die Gegner zu, daß es unbestritten wirkliche Natur wiedergäbe, der „Blumenfreund“ dagegen unterlag schonungslos dem Verdict: „Carricatur!“ Und in der That, dieser alte Graukopf mit der Kupfernase und den hochgeröteten Wangen, der sich im Schlafrock mit scharlachroten Aufschlagen zum Fenster hinausbeugt, um seine Topfblumen zu begießen, welche ihrerseits in allen Abstufungen der rothen Farbe prangen, konnte, wenn man ihn vor der Bezeichnung als Carricatur retten wollte, höchstens auf den Titel eines coloristischen Experimentes Anspruch machen. Anders dagegen stand es mit dem dritten Bilde des Tausendkünstlers: das war eine sinnige, tiefpoetische, reizvolle Elegie, ohne herausfordernde Farben, ein rührendes Gedicht aus dem Leben, das mit seinen einfachen, fast alltäglichen Contrasten mit unmittelbar zwingender Gewalt an das Herz des empfänglichen Beschauers rührte. „Verlorenes Glück“ nannte der Künstler das dritte Bild, das eine junge trauernde Wittwe in tiefem Schmerz darstellt, während neben ihr das blonde Töchterchen heiter lächelnd in die Welt hinausblickt.

Welcher Gussow war nun der echte? Der radicale Naturalist des „Kätzchens“, oder der gemütvolle Dichter dieser wehmütigen Elegie? Auch die nächste Ausstellung sollte darüber noch keine Aufklärung bringen – wir sahen eine Reihe vortrefflicher, aber nichts weniger als anmutiger Studienköpfe, dann ein großes Bild „Willkommen“, auf dem eine Schaar Mädchen aus einem Fenster einem heranziehenden Truppentheile oder dergleichen mit den obligaten gelben Taschentüchern entgegenweht; daneben sahen wir aber auch ein ausgezeichnetes Bildniß einer alten Dame, das bei allem innigen Anschmiegen an die Natur doch künstlerisch idealisirt war, und nach wie vor mußte man die Ansicht festhalten, daß zwei Seelen in des Meisters Brust wohnten, deren eine sich „mit klammernden Organen an das Irdische heftete“, während die andere zu „den Gefilden hoher Ahnen“ emporstrebte. Inzwischen hatte auf der Pariser Weltausstellung ein humoristisches Bild des Künstlers: „Die Venus-Wäscherin“ ebenfalls großes Aufsehen erregt. Dasselbe zeigte ein altes Weib von einer Häßlichkeit, die an Frans Hals’ „Hexe von Harlem“ erinnert, welches sich der ihm offenbar höchst mißliebigen Beschäftigung hingab, eine kleine Statue der Venus von Milo vom Staube zu reinigen. Das Bild hatte einen unleugbar gemütlichen Zug, und daß seine Technik die alte unübertroffene und unübertreffliche war, verstand sich von selbst.

Bei den Ausstellungen von 1878 und 1879 täuschte Gussow die Erwartung von Freund und Feind; man wußte, daß er mit zahlreicher Portraits beschäftigt war, wußte auch, daß die Nachfrage nach seinen Bildern sich von Tag zu Tag steigerte, aber – [751] er stellte nicht aus, und während in den Spalten der Presse, in den Kreisen der Künstler und den Salons der Gesellschaft nach wie vor der Kampf der Meinungen über Idealisten und Naturalisten hin und her wogte, saß Achilleus-Gussow grollend bei den Schiffen und überließ Griechen und Troer ihrem Schicksal.

Es war nicht mehr als natürlich, daß die naturalistischen Achäer, bei denen die Künstlerschaft häufig ja auch nur in der hauptumwallenden Löwenmähne besteht, unter dem siegreichen Ansturm der Gegner stark in’s Schwanken geriethen und ihre Schiffe zu brennen begannen.

Doch endlich nach dreijähriger Zurückgezogenheit trat der siegreiche Sohn der Thetis wieder auf den Plan – ein Anderer und doch derselbe! Mit vier Bildern erschien er auf der Ausstellung des letzten Jahres, und jedes einzelne dieser Bilder galt eine gewonnene Schlacht. Freilich waren, mit vielleicht einer Ausnahme, diese Schlachten mit anderen Waffen geschlagen, als die früheren, und man konnte mit Fug und Recht sagen, der Führer und Meister der Naturalisten sei nunmehr selbst mit fliegenden Fahnen in das Lager der Idealisten übergegangen. Allerdings erinnerte das eine Bild „Die beiden Alten“ noch an die Manier des „Kätzchens“: es war dieselbe Plastik der Form, dieselbe Lebenswahrheit der Erscheinung, dieselbe kraftvolle Fülle der Farbe, aber wie liebenswürdig war der Ausdruck in den Gesichtern dieses alten, ärmlich aber reinlich gekleideten Ehepaares, wie herzgewinnend die alte Mutter, die dem schwerhörigen Gatten beim Kaffee den Brief des Lieblingssohnes vorlas, wie künstlerisch vollendet die Wiedergabe der Schwerhörigkeit in dem braven, treuen, gutmüthigen Antlitz dieses Alten selbst! Da war nichts von der Aufdringlichkeit des Schmutzigen, von der Unbarmherzigkeit des Alltäglichen, die im „Kätzchen“ und im „Blumenfreund“ so abstoßend gewirkt; während die Meisterschaft der Darstellung die alte geblieben, war die Wahl und Auffassung des Stoffes eine geschmackvollere und anmuthigere geworden.

Doch die Perlen der Ausstellung, wie die Perlen unter des Künstlers Werken, waren seine drei Portraits. Man weiß, wie selbstgefällig gerade in der Portraitmalerei das Bönhasenthum sein Wesen treibt. Nirgendwo liegt die Gefahr näher, daß die Kunstübung in handwerksmäßige Schnellmalerei ausarte, als hier. Andererseits ist die Portraitmalerei das Feld, auf dem der Meister die höchste Blüthe seiner Kunst zur Entfaltung zu bringen vermag, und mehr als der Geschichtsmaler im strengen Sinne ist er im Stande, der Nachwelt in charakteristisch aufgefaßten, bei voller Wiedergabe der Individualist doch den Geist einer ganzen Culturperiode in prägnanter Zusammenfassung in sich schließenden Bildnissen ein treues Spiegelbild seiner Zeit zu überliefern.

Wir Mitlebenden haben natürlich keine volle Sicherheit des Urtheils darüber, welche von unsern schaffenden Künstlern von kommenden Geschlechtern dereinst als diejenigen werden anerkannt werden, in deren Werken sich der Geist unserer Zeit am treuesten widerspiegelt. Doch diejenigen dürften nicht fehl gehen, welche unter diesen Auserwählten neben Gustav Richter in erster Linie auch Karl Gussow nennen. Wenn ein solches Prognostikon durch Bilder unterstützt wird, wie jene drei Portraits, so mag man es gewiß mit freudiger Zuversicht stellen. Das köstlichste derselben war ohne Zweifel jenes, welches des Künstlers Gattin zum Gegenstand hatte. So vortrefflich sich auch die beiden andern Portraits Gussow’s erwiesen, in denen er seiner alten Neigung zu kecken Farbenexperimenten mit vollkommenster Sicherheit des Gelingens nachgab – das eine brachte eine schwarzhaarige junge Dame mit rosigem Antlitze auf hellrosafarbigem, weißgemustertem Hintergrunde, das andere einen blonden Backfisch in schwarzseidenem Kleide mit granatrothen Schleifen auf braunem, graugemustertem Fond zur Anschauung – das Bild der Gattin stellt sie in den Schatten. Der herrliche Kopf mit den meertiefen, in unergründlicher Krystallhelle und Transparenz leuchtenden Augen ist über die linke Schulter zur Seite geneigt. Von dieser fällt ein grauer, pelzverbrämter Ueberwurf herab und gestattet dem Künstler in der Darstellung von Nacken und Hals eine Meisterschaft der Modellirung, eine Wärme und Tiefe der Farbe zu entwickeln, deren Schilderung jeder Feder versagt ist, ebenso wenig, wie sie von der seelenvollen Tiefe des Auges und der Anmuth des Gesichtsausdruckes einen Begriff zu geben vermag.

Eines vor Allem stand uns gegenüber diesem Bilde fest: Ein Künstler hat es geschaffen, an dessen Wiege Musen und Charitinnen im holden Verein standen. Und einen Raub an seiner Kunst würde er begehen, wenn er, wie man aus den drei im diesjährigen Salon von ihm ausgestellten Portraits schließen möchte, nach dieser größten Schöpfung seines Genius wieder in den Staub der Alltäglichkeit hinabstiege. Möge er fürder dem Grundsatze treu bleiben, daß das bloße Abschreiben der Natur in ihren willkürlichen Erscheinungsformen unmöglich Endzweck der Kunst sein kann, daß der Werth solchen Abschreibens nie über den der vorbereitenden Studie hinaufgeschraubt werden darf, daß die Kunst ihre große, sittliche Culturaufgabe, mitzuarbeiten an der seelischen Läuterung und Erhebung der Menschheit, nur erfüllen kann, wenn sie mit ihren Stoffen nicht an der Erde kleben bleibt, sondern dieselben in eine ideale Sphäre versetzt,

„Um die gemeine Deutlichkeit der Dinge
Den goldnen Duft der Morgenröthe webend.“

Hermann Trescher.