Zum Inhalt springen

Karoline von Günderode (Die Gartenlaube 1898/23)

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Textdaten
<<< >>>
Autor: Moritz Necker
Illustrator: {{{ILLUSTRATOR}}}
Titel: Karoline von Günderode
Untertitel:
aus: Die Gartenlaube, Heft 23, S. 720–724
Herausgeber: Adolf Kröner
Auflage:
Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1898
Verlag: Ernst Keil’s Nachfolger G. m. b. H. in Leipzig
Drucker: {{{DRUCKER}}}
Erscheinungsort: Leipzig
Übersetzer:
Originaltitel:
Originalsubtitel:
Originalherkunft:
Quelle: Scans bei Commons
Kurzbeschreibung:
Eintrag in der GND: {{{GND}}}
Bild
[[Bild:|250px]]
Bearbeitungsstand
korrigiert
Dieser Text wurde anhand der angegebenen Quelle einmal Korrektur gelesen. Die Schreibweise sollte dem Originaltext folgen. Es ist noch ein weiterer Korrekturdurchgang nötig.
Um eine Seite zu bearbeiten, brauchst du nur auf die entsprechende [Seitenzahl] zu klicken. Weitere Informationen findest du hier: Hilfe
Indexseite
[720]

Karoline von Günderode.

Ein Lebensbild von Moritz Necker.

Die Erinnerung an Karoline von Günderode wäre trotz ihres tragisch erschütternden Todes wohl längst verdunkelt, wenn nicht Bettina von Arnim ihr Andenken so sehr gefeiert hätte. Die Dichtungen Karolinens haben keine große Verbreitung gefunden, und heutzutage sind sie eine Rarität, die sogar in großen Bibliotheken nicht zu finden ist. Die Günderode war auch zu ihren Lebzeiten als Dichterin nur einem engeren Kreise von Freunden in Frankfurt, Heidelberg und Weimar bekannt; sie starb zu früh, um das poetische Talent, das sie ohne Zweifel besaß, zu voller Blüte auszubilden. Man hatte dann ein Interesse daran, nicht viel von ihr zu sprechen; eine druckfertige Sammlung ihrer Gedichte wurde nach ihrem Aufsehen erregenden Tode unterdrückt, obwohl schon ein Teil davon gesetzt war und die Korrekturbogen vorlagen. Sie wäre also ganz verschollen, wenn nicht Bettina in drei Werken, von denen eines den Titel „Die Günderode“ trägt und 1840 erschien, so warm, so begeistert von ihr gesprochen hätte; die anderen Werke sind „Goethes Briefwechsel mit einem Kinde“ (1835) und „Clemens Brentanos Frühlingskranz aus Jugendbriefen ihm geflochten“ (1844). Und da alle diese Werke noch immer leben, so viel Absonderlichkeiten ihnen auch anhängen, so lebt mit ihnen das Bild der Günderode fort, wie es Bettina in ihrer treuen Freundesseele festgehalten hat.

Darin erscheint Karoline als das wahre Widerspiel Bettinens. Diese ist der ewig unruhige Geist, übersprudelnd von Gefühlen, von närrischen und tiefsinnigen Gedanken. Karoline, um mehrere Jahre älter als Bettina, ist von ruhigerer Gemütsart, mehr zur Beschaulichkeit und Grübelei geneigt, etwas gedrückt auch durch manche herbe Lebenserfahrung. Karoline ist Freundin, Vertraute, Erzieherin Bettinens; alt genug, um bedächtiger als sie zu sein; jung genug, um mit ihr zu Zeiten noch schwärmen und phantasieren zu können. Folgt man Bettinens Erzählung, die im einzelnen zuweilen Dichtung, im ganzen aber Wahrheit bietet, so erfährt man aus ihr die Geschichte einer Freundschaft, die idealer nicht gedacht werden kann und zwischen Frauen, die litterarisch bekannt wurden, auch ihresgleichen nicht mehr hat. Diese Aufzeichnungen der Freundin haben in der That mehr noch als der tragische Tod der Günderode die Nachwelt zur Beschäftigung mit dem Schicksal der unglücklichen Dichterin angeregt und noch ganz neuerdings L. Geiger, E. Rhode, K. B. Stark und andere zu Publikationen veranlaßt. Auf Grund dieser Forschungen wollen wir die kleine Lebensgeschichte nun wiedererzählen.

Karoline v. Günderode.
Nach einer Lithographie von C. Lang.

1.

Karoline von Günderode stammte aus einer alten, angesehenen Familie in Hessen und Baden, die schon von Kaiser Rudolf II in den Freiherrnstand erhoben wurde und eine Reihe von Militärs, Justiz- und Hofbeamten aufweist. Karolinens Vater, Hektor Wilhelm von Günderode (1755–1786), begnügte sich nicht mit seiner amtlichen Stellung in Karlsruhe, sondern hatte auch wissenschaftlichen und litterarischen Ehrgeiz. Er erwarb sich einen guten Ruf als besonnener und gründlicher Historiker, starb aber, mit wenig mehr als dreißig Jahren, zu früh, um das Ziel seines Ehrgeizes zu erreichen. Nach der Schilderung seines Biographen Posselt war Hektor von Günderode „mehr Beobachter als Sprecher. Es beleidigte ihn, wenn die Leute über Abwesende spotteten. Sein Leben war das Leben eines Mannes, der gern alles thun möchte und noch wenig gethan zu haben glaubte. Bei allem Ehrgeiz sehnte er sich nach Freiheit und Ruhe, er war zur Schwermut geneigt.“ Auch Hektors Bruder Friedrich Justinian von Günderode war litterarisch thätig, doch mehr in schöngeistiger, feuilletonistischer Art. Von ihrem Vater dürfte Karoline nicht bloß den Charakter, sondern auch die litterarischen Neigungen geerbt haben. Sie war auch körperlich dem Vater ähnlich, doch hat er keinen Einfluß auf ihre Bildung genommen, da sie, geboren am 11. Februar 1780 in Karlsruhe, erst sechs Jahre alt war, als er starb. Er hinterließ seine Familie in etwas bedrängten Verhältnissen. Die Pension der Witwe betrug nach der kurzen Dienstzeit des Gatten nur 300 Gulden jährlich. Sie hatte ursprünglich sechs Kinder, fünf Töchter und einen Sohn; doch starben die drei älteren Töchter in früher Jugend wie der Vater an der Auszehrung. Auch die Mutter Karolinens, gleichfalls eine geborene von Günderode, war bei großer Schönheit eine reich begabte und vielseitig gebildete Frau; sie betrieb philosophische Studien mit Vorliebe; Fichtes Schriften waren ihr vertraut, und anonym hat sie manches Gedicht in Zeitschriften veröffentlicht. Nach dem Tode ihres Gatten siedelte sie von Karlsruhe nach Hanau über. Die schmale Witwenpension wurde durch die Einkünfte des Günderodeschen Fideikommisses immerhin soweit ergänzt, daß die Freifrau ein eigenes Haus in Hanau kaufen und ihren Kindern eine gute Erziehung angedeihen lassen konnte. Dazu bot auch die Stadt hinreichend Gelegenheit; sie hatte gute Lehranstalten, lebhaften geselligen Verkehr und ward aus dem nahen Kurorte Wilhelmsbad viel besucht. Seit 1787 blühte Hanau neuerdings auf, da der Erbprinz von Hessen-Kassel, der spätere Kurfürst Wilhelm II, dort seinen Hof hielt und bis zur Franzosenzeit daselbst verblieb. Frau von Günderode hatte auch eine Stellung an diesem Hofe, die sie oft von den Kindern fernhielt.

Ueber das Leben Karolinens bis zu dieser Zeit sind wir wenig unterrichtet, da sich unter den wenigen Briefen, die wir überhaupt von ihr besitzen, keiner aus den Jahren vor ihrer Uebersiedelung in das von Cronstetten-Hynspergsche adelig-evangelische Damenstift in Frankfurt a. M. vorfand. Diese Uebersiedelung machte Epoche in Karolinens Leben.

Das adelige Damenstift war 1766 zunächst nur für mittellose Frauen der „Ganerbschaft“ Alt-Limpurg von Fräulein Justine von Cronstetten gegründet worden, und zwar für Witwen oder Fräulein, die das dreißigste Lebensjahr erreicht hatten. Bei Karoline von Günderode, deren Familie auch zum Hause Alt-Limpurg gehörte, machte man jedoch eine Ausnahme, als man sie, die wenig mehr als Siebzehnjährige, am 4. April 1797 ins Stift aufnahm. Der Dienst, den man dem jungen Mädchen damit leistete, war von zweifelhafter Art. Man entlastete wohl die Mutter, sperrte aber die Tochter in eine Art von reformiertem Kloster ein. Denn die Statuten des Stiftes waren sehr streng. Die Damen mußten sich schwarz, zum mindesten dunkel kleiden, durften keine Herrenbesuche empfangen, in keine große Gesellschaft gehen, sollten dem Tanz und dem Theater entsagen, sich aller Karten- und anderen Spiele enthalten, auch aller Klatschereien und üblen Nachreden, und zwar mußten sie all dies eidlich geloben! Mittags und abends mußten sie bei der gemeinsamen Tafel erscheinen, nur ausnahmsweise durften sie auf ihren Zimmern allein essen …. Es läßt sich leicht denken, daß [721] eine junge und an den freien Verkehr in Hof und Stadt Hanau gewöhnte Dame wie Karoline das Leben im Stift als eine Beschränkung ihrer Freiheit empfinden mußte und jede Gelegenheit, auswärts zu verkehren, mit Freuden ergriff. Daß sie unter den Stiftsdamen selbst eine Freundin gefunden hätte, ist nicht bekannt; alle, die sie liebten, lebten draußen.

Und was war das für ein bewegtes Leben da draußen! Man erinnere sich nur an alle die großen Umwälzungen in der politischen und geistigen Welt, welche gerade um die Wende des Jahrhunderts in Deutschland und ganz Europa stattfanden. Die französische Revolution vom Jahre 1789 hatte eine neue Zeit eröffnet.

Bettina v. Arnim.

Als die Günderode in das Alter kam, wo sie schon selbst denken und urteilen konnte, da war der Stern Napoleon Bonapartes im vollen Aufsteigen. Man sah in ihm schon den Selbstherrscher der Franzosen; die öffentliche Meinung war geteilt in Gegner und Bewunderer seines Genies; man stritt über den Wert der verschiedenen Verfassungen: Republik und Monarchie. Man ahnte damals freilich noch nicht, daß Deutschland mit dem bewunderten Genie des Schlachtfeldes bald auf Leben und Tod ringen werde. In diesem großen Parteigegensatz der Zeit stand Karoline auf seiten der Republikaner; sie bewunderte nicht den Eroberer, wie die meisten Menschen in ihrer Umgebung, und zeigte wenig Sympathie für Frankreich. Die großen Schöpfungen des goldenen Zeitalters unserer Litteratur blieben natürlich nicht ohne Einfluß auf das begabte Stiftsfräulein. Karoline las sehr viel: Dichter und Philosophen, Romane und Geschichtswerke, und suchte zu mehr als bloß dilettantischen Einsichten zu gelangen. Besondere Freude bereiteten ihr Herders „Ideen zur Philosophie der Geschichte der Menschheit“. Und wie für Herder war sie auch für den demokratischen Jean Paul eingenommen. Den tiefsten Eindruck scheint indes Schiller auf sie gemacht zu haben. An seinen Werken bildete sich ihre eigene dichterische Sprache; sein Sinn für Geschichte, seine philosophische Aesthetik und sein Idealismus entsprachen ihrem eigenen dichterischen und zur Reflexion neigenden Naturell, und sie hielt zu ihm, obwohl ein Teil ihres Freundeskreises aus seinen Gegnern bestand und sie von ihm abzulenken bestrebt war. So schrieb ihr Savigny aus Marburg am 29. November 1805: „Dein Geschmack an Schriftstellern, z. B. an Schiller, hängt damit (nämlich mit der Ueberspannung der Gefühle, die er ihr zum Vorwurf machte) zusammen. Denn, was ist das Charakteristische an diesem als der Effekt durch eine deklamatorische Sprache, welcher keine korrespondierende Tiefe der Empfindung zum Grund liegt?“

Doch damit haben wir schon der Zeit vorgegriffen und den Kreis von Freunden berührt, der auf das Schicksal der Günderode so stark eingewirkt hatte. Das Leben des Weibes wird ja mehr noch als das des Mannes von seiner Umgebung bestimmt.

Der eben erwähnte Karl von Savigny, der später so berühmt gewordene Rechtslehrer und Begründer der historischen Rechtsschule, von dessen Methode auch Jakob Grimm den Anstoß zu seinen epochemachenden deutschen Sprach- und Altertumsforschungen erhielt, spielte eine bedeutsame Rolle im Leben der Günderode. Er stand ungefähr in gleichem Alter mit ihr. Savigny wurde am 21. Februar 1779 in Frankfurt a. M. geboren, wo sein Vater als Vertreter mehrerer Fürsten und auch als Kreisabgesandter des oberrheinischen Kreises lebte. Doch starben Savignys Eltern frühzeitig, er wurde bei seinem Obervormund von Neurath in Wetzlar erzogen und studierte dann in Göttingen (1796 bis 1797) und Marburg (1798 bis 1799) Jurisprudenz. Im Sommer pflegte sich Savigny auf dem väterlichen Gute Trages bei Hanau aufzuhalten, und hier war es, wo ihn Karoline von Günderode bei der gemeinsam befreundeten Familie Leonhardi kennenlernte. Der junge Savigny war eine früh gereifte männliche Erscheinung, von feinen Umgangsformen, klarem, zielbewußtem Willen; 1800 ward er Doktor der Rechte und habilitierte sich auch gleich als Privatdocent in Marburg.

Karl v. Savigny.
Nach dem Leben gezeichnet von L. Claude.

Clemens Brentano.
Nach der Büste von Chr. Fr. Tieck.

Dieser hochbegabte Mann konnte nicht ohne Eindruck auf das Gemüt Karolinens bleiben, und es sind mehrere Brieflein von ihr an ihre Freundin Karoline von Barckhaus, geb. Leonhardi, erhalten, in denen sie ihrer Liebe rührend und liebenswürdig Ausdruck gab. Den Sommer 1799 verbrachte die Günderode bei ihrer Mutter in Hanau. Sie war leidend, Kopf- und Augenschmerzen plagten sie, und sie zog sich so viel als möglich vom geselligen Leben zurück. Auch das Herz war ihr schwer, denn sie wußte nicht, ob sie wieder geliebt werde und Hoffnungen hegen dürfte. In dieser Not eröffnete sie sich der Frau von Barckbaus, die auch Savigny gut kannte. Ihr schrieb sie am 4. Juli 1799 aus Hanau:

„Schon beim ersten Anblick machte Savigny einen tieferen Eindruck auf mich; ich suchte es mir zu verbergen und überredete mich, es sei bloß Theilnahme an dem sanften Schmerz, den sein ganzes Wesen ausdrückt, aber bald, sehr bald belehrte mich die zunehmende Stärke meines Gefühls, daß es Leidenschaft sei, was ich fühle. Ich wußte mich vor Freuden kaum zu fassen, als Sie mir in Ihrem letzten Briefe schrieben, Savigny käme nach Wilhelmsbad. Zürnen möchte ich mit mir selbst, daß sich mein Herz so schnell an einen Mann hingab, dem ich wahrscheinlich ganz gleichgiltig bin; aber es ist nun so, und mein einziger Trost ist, bei Ihnen, Beste, freundliche Theilnahme zu suchen …“

Frau von Barckhaus versagte ihr diese Teilnahme nicht, aber sie suchte Karolinen auf andere Gedanken zu bringen und [722] gab der Meinung Ausdruck, daß der junge Rechtsgelehrte, der nur der Wissenschaft lebte, „über seine künftige Bestimmung noch völlig unentschieden sei“.

Savigny war indes viel empfänglicher für die Liebe der Günderode, als ihre gemeinsame Freundin dachte; es sind Zeugnisse dafür vorhanden, daß er sich auch mit ernsteren Absichten ihretwegen trug, denn er holte bei seinem Freunde Creuzer Erkundigungen über die Verhältnisse der Freifrau von Günderode, Karolinens Mutter, in Hanau ein, und erst die erhaltenen Auskünfte dürften ihn zur Zurückhaltung bestimmt haben. Leicht ist sie ihm nicht geworden. Der Verkehr mit dem schönen, in all seiner Verschlossenheit, die ihr Savigny später vorwarf, immer anziehenden Mädchen hatte sich in den Sommermonaten 1799 schon recht lebhaft gestaltet. Man las gemeinsam Goethesche Dichtungen, und gewiß hat Savigny in dieser Zeit Einfluß auf den litterarischen Geschmack der Günderode genommen, wie er ihr auch später noch mit Ausleihen von Büchern behilflich war. Aber wenn sie auch nicht zusammenkommen konnten, so bewahrten sich diese zwei edlen Menschen doch ein reines Herz, und es blieb keine Bitterkeit in dem Mädchen zurück, das entsagen mußte. Er wiederum bewahrte vor ihr stets eine ritterlich galante Haltung, die sich bis zur wärmsten brüderlichen Teilnahme steigern konnte. Den Verleumdungen, die ihr vielfach zu teil wurden, schenkte er keinen Glauben.

Als er sich verlobte, ruhte er nicht, bis ein freundschaftliches Verhältnis zwischen seiner Braut und Karolinen angebahnt war. „Es müßte entsetzlich unnatürlich zugehen“ – schrieb er der Günderode im Herbst 1803 – „wenn wir beide nicht sehr genaue Freunde werden sollten. Sie glauben nicht, mit welcher Klarheit und Gewißheit ich einsehe, daß die Natur diesen Plan mit uns hat …“ Und er hielt zu ihr in den kritischsten Zeiten ihres Lebens, bis zu ihrem nur allzu frühen Tode.


2.

Karolinens Beziehungen zu Savigny wären schwerlich so dauernd geblieben, wenn nicht beide in Verbindung mit der Familie Brentano geraten wären. Savigny wurde im August 1799 mit Clemens Brentano in Jena bekannt, kurz nachdem er die Günderode verlassen und auf eine Reise nach Sachsen gegangen war. Durch Clemens lernte er dessen Schwestern kennen, deren älteste, Kunigunde, er 1804 heiratete. Die Günderode wurde um das Jahr 1801 mit der jüngeren Schwester Bettina befreundet, und diese Freundschaft muß als das größte Glück in dem kurzen Leben Karolinens betrachtet werden. Denn nachdem sie mit Mühe die Leidenschaft für Savigny überwunden hatte, geriet sie in schwermütige Stimmungen, die durch Kränklichkeit und Einsamkeit nur noch gesteigert wurden. Den Winter 1800 verbrachte sie wieder außerhalb des Stifts, bei ihrem Großvater in Butzbach, der durch den Tod seiner Frau vereinsamt war. Sie blieb mehrere Monate bei ihm, und die Briefe, die sie von Butzbach aus an Frau von Barckhaus richtete, zeigen uns die inneren Kämpfe eines jungen, nach Harmonie und Stärke strebenden Herzens, das einen Umgang und eine Thätigkeit vermißte, die es befriedigen könnten. Es fand sie weder im Stift noch außerhalb desselben. Aus dem Sommer 1800 stammt die folgende briefliche Aeußerung Karolinens: „Ich muß Dir nur gestehen, daß mir vor meiner Zurückkunft ins Stift beinahe bange ist, und daß ich es darum auch wieder verschieben werde, hinzugehen …“ Aber sie kehrte doch wieder dahin zurück, und da war es ein Glück, daß sie die Bekanntschaft Bettinens machte.

Wie dieser Verkehr zustande kam, das wissen wir nicht. Bettina erzählt zwar in „Goethes Briefwechsel mit einem Kinde“, die Günderode wäre zu ihr nach Offenbach gekommen und hätte sie aufgefordert, sie doch in der Stadt zu besuchen; doch setzt auch schon dieser Besuch in Offenbach eine vorhergegangene Bekanntschaft Karolinens mit der Familie Brentano voraus. Bettina, geboren in Frankfurt a. M. am 4. April 1785, war um fünf Jahre jünger als Karoline. Zu der Zeit, da sie deren Bekanntschaft machte, lebte sie mit ihren Geschwistern Lullu. Meline und Kunigunde bei ihrer Großmutter Sophie von La Roche, der einst viel gelesenen Romandichterin und Jugendfreundin Wielands, in Offenbach a. M. Ihre beiden Eltern waren gestorben, als Bettina noch ein Kind war. Die Mutter Maximiliane, deren Schönheit und Frische Goethe in der Wertherzeit so sehr entzückt hatten, starb schon 1793, wo sie erst 37 Jahre alt war, aber schon acht Kindern das Leben gegeben hatte. Der Vater, Pietro Antonio Brentano, ein nüchterner, aber umsichtiger und erfolgreicher Kaufmann in Frankfurt, war seiner Frau wenig später, 1797, nachgefolgt, nachdem er noch ein drittes Mal geheiratet hatte. Der älteste Sohn der Familie führte das Geschäft weiter. Aber es läßt sich leicht denken, daß die Geschwister unter der Aufsicht der guten alten Großmutter in wenig beschränkter Freiheit aufwuchsen. Unmittelbar nach dem Tode ihrer Mutter war Bettina zur Erziehung ins Kloster der Ursulinerinnen in Fritzlar gegeben worden, wo sie vier Jahre blieb, bis sie nach Offenbach zurückkehrte.

Sie war die begabteste von allen Schwestern, aber auch die unbändigste; in diesen jungen Jahren mehr Knabe als Mädchen, eine wilde Hummel, die auf alle Bäume kletterte, jede Mauer erstieg, mit ihren feurigen Augen die Leute anblitzte und aus ihrer Meinung kein Geheimnis machte. Wer ihr nicht gefiel, dem sagte sie’s ins Gesicht, mochte es eher grob als artig ausfallen. Von mädchenhafter Scheu und Zurückhaltung keine Spur, sprunghaft und launisch in ihren Stimmungen. Dabei aber doch von höchstem Seelenadel instinktmäßig geführt, überströmend von unbewußter Poesie, dämonisch geleitet von einer unsagbaren Sehnsucht nach Klarheit, Erkenntnis und großen Thaten. Ausdauer zu methodischen Studien fehlte ihr; der Schneckengang des gewöhnlichen Unterrichts langweilte sie; aber sie lernte in Stunden, was andere in Wochen, in Jahren kaum erlernen konnten, und sie war geistig früher denn als Weib gereift. Man konnte mit ihr vernünftig, ja tiefsinnig sprechen, indes sie im Handumdrehen wieder zum Kinde wurde. Nichts war Absicht oder vorbereitende Ueberlegung, alles Begeisterung, Eingebung, Offenbarung in ihr; sie wußte selbst noch nicht, wie schön oder wie tief sie sprach. Bequem war sie niemand; Feinde, die sie für vorlaut, kokett und frech hielten, hatte sie genug. Sie selbst war stark im Hassen, aber stärker doch noch in der Liebe. An wen sie sich einmal angeschlossen hatte, an dem hing sie treu mit der ganzen Macht ihres dämonischen Wesens, und wenn sie auch mit dem fortschreitenden Alter ihre ursprüngliche Naivität verlor: die Kraft zu lieben und sich zu begeistern bewahrte sich Bettina bis in ihr hohes Alter, mit dieser Kraft wirkte sie noch als Greisin auf ihre Zeitgenossen ein.

Als sich nun die wenig mehr als zwanzigjährige Günderode und die frühreife Bettina zusammenfanden, da entstand ein wundersames Ineinanderleben zweier Mädchen, die sich gegenseitig ergänzten. Denn wovon Bettina zu wenig hatte: den Sinn fürs Maß, für die äußere schöne Form im Leben sowohl wie in der Kunst, die weiblich keusche Zurückhaltung in der Mitteilsamkeit des übervollen Herzens, davon hatte Karoline fast zu viel. Diese ging z. B. in ihrer Verschlossenheit einmal so weit, ihrer intimen Freundin den Tod ihrer Schwester erst nach vielen Wochen mitzuteilen, sie mußte vorerst allein mit ihrem Schmerz fertig werden. Gemeinsam war beiden die Begeisterung für Poesie; aber Bettina wollte echt romantisch die Poesie nur erleben, sie war unerschöpflich in Erfindung neuer Sensationen, kein Abenteuer schreckte sie zurück, wenn es etwas versprach. Karoline hingegen war zurückhaltend und beschaulich; Schillers ästhetische Abhandlungen, die Bettinen wenig gefielen, boten ihr höchsten Genuß. Und gerade diese Ruhe, dieses gehaltene Wesen der Günderode übte durch seinen Kontrast einen unsäglichen Zauber auf die ewig bewegte Bettina aus. Karoline hatte Geist und Güte genug, um diesen Brausekopf zu verstehen und zu lieben. Bettinens Erziehung wurde durch die Günderode vollendet. Daher die unvergängliche Treue, mit der die jüngere und überlebende Freundin an der ältern hing.

Bettina hat von der äußeren Erscheinung der Günderode eine Schilderung entworfen, die wir nicht überschlagen dürfen. In „Goethes Briefwechsel mit einem Kinde“ schrieb sie:

„Ihre kleine Wohnung (im Stift) war ebener Erde nach dem Garten; vor dem Fenster stand eine Silberpappel, auf die kletterte ich während dem Vorlesen; bei jedem Kapitel erstieg ich einen höheren Ast und las von oben herunter; sie stand am Fenster und hörte zu und sprach zu mir hinauf, und dann und wann sagte sie: ,Bettina, fall’ nicht‘; jetzt weiß ich erst, wie [723] glücklich ich in der damaligen Zeit war, weil alles, auch das Geringste, sich als Erinnerung von Genuß in mich eingeprägt hat; – sie war so sanft und weich in allen Zügen wie eine Blondine. Sie hatte braunes Haar, aber blaue Augen, die waren gedeckt mit langen Augenwimpern; wenn sie lachte, so war es nicht laut, es war vielmehr ein sanftes, gedämpftes Girren, in dem sich Lust und Heiterkeit sehr vernehmlich aussprach; – sie ging nicht, sie wandelte, wenn man verstehen will, was ich damit auszusprechen meine; – ihr Kleid war ein Gewand, was sie in schmeichelnden Falten umgab, das kam von ihren weichen Bewegungen her; – ihr Wuchs war hoch, ihre Gestalt war zu fließend, als daß man es mit dem Worte schlank ausdrücken könnte; sie war schüchtern-freundlich und viel zu willenlos, als daß sie in der Gesellschaft sich bemerkbar gemacht hätte....“

Und fast gleichlautend äußerte sich Bettina in dem von der „Gartenlaube“ 1868 mitgeteilten Gespräch mit Max Ring, zu dem sie noch sagte: „Das meiste und beste, was ich geworden bin, habe ich der Günderode zu danken … Ihr ganzes Wesen war verkörperte Poesie, sie selbst eine begabte Dichterin. Ihre Verse klangen, wenn sie las, wie eine fremde Sprache, die ich mir erst übersetzen mußte, aber sie waren reich an sinnigen Gedanken. Weit größer aber als ihre poetische Begabung war ihre philosophische und wissenschaftliche Bildung. Sie wollte mich Philosophie lehren und drang darauf, daß ich mich an ein logisches Denken gewöhnen sollte, wie sie auch in allen übrigen Dingen auf eine gewisse Ordnung hielt, weshalb sie mir mein zerfahrenes und wildes Wesen zum Vorwurf machte …“

Durch Bettina lernte die Günderode deren um zehn Jahre älteren Bruder Clemens Brentano kennen, der schon damals sich durch einen Roman („Godwi“) und durch Gedichte rühmlich bekannt gemacht hatte und noch zu Lebzeiten der Günderode mit seinem Freunde Arnim die Sammlung deutscher Volkslieder „Des Knaben Wunderhorn“ (1805) herausgab. Zu der Zeit stand Brentano in voller Gärung, kaum fertig mit seinen Universitätsstudien. Der echte Bruder Bettinens, war auch er eine impulsive Natur, ohne die Kraft, sich zu regieren. Genial veranlagt, hatte er, gleich der Schwester, den Hang, immerfort über sich selbst zu grübeln, sich selbst zu bespiegeln, die eigenen Phantasiegebilde zu zersetzen und also nie mit sich fertig zu werden, zu keiner Befriedigung zu gelangen. Auf die Günderode machte der schöne und so reich begabte junge Dichter zuerst einen großen Eindruck, wie er überhaupt stark auf Frauen wirkte. Auch sie blieb Clemens nicht gleichgültig; aber zu der Zeit fühlte er sich noch zu jung, um sich schon binden zu lassen. Von Karolinen hat Bettina ein nicht gerade vollkommenes Gedicht „An Clemens“ in ihrem Buche „Günderode“ gedruckt, das ihn als die Verkörperung der Poesie feiert.

Es blieb jedoch nicht lange bei diesem Enthusiasmus. Die Günderode mußte bald erkennen, daß sie den Dichter vom Manne trennen mußte. Brentano nahm es mit der Treue zu den Frauen nicht sehr genau, und der übermütige Ton, den er ihr gegenüber anschlug, konnte unmöglich von ihr ertragen werden. Es kam zwar zu keinem völligen Bruch, wohl mit Rücksicht auf Bettina; aber Karoline ließ Clemens nicht im unklaren, wie sie über ihn denke. In dem einzigen ihrer Briefe an ihn, der bisher bekannt geworden ist, schrieb sie ihm (am 10. Juni 1804) ganz entschieden: „Meine Beziehung zu Ihnen ist nicht Freundschaft, nicht Liebe, meine Empfindung bedarf daher keines Verhältnisses, sie gleicht vielmehr dem Interesse, das man an einem Kunstwerk haben kann; aber verworrene, mißverstandene Verhältnisse könnten mir dies Interesse trüben.“ Das war deutlich genug. Karoline konnte ihm nicht in die Augen sehen, sie fand seinen Blick „verzehrend“. Bettina selbst scherzt im „Frühlingskranz“ über die ewige Verliebtheit ihres jungen Bruders, der in jedem Städtchen ein ander Mädchen verehrte. Brentanos Benehmen gegen die Günderode war denn auch später nicht entfernt so ritterlich und teilnahmsvoll wie das seines Schwagers Savigny. In den an sie selbst gerichteten Briefen lobte er ihre Gedichte; in Aeußerungen gegen andere sprach er mit viel weniger Anerkennung von ihnen, und auch über ihren Charakter fällte er voneinander abweichende Urteile. Er war eben kein zuverlässiger Freund.


3.

Die Günderode strebte nach dem Höchsten in der Kunst. Allein ihre dichterische Begabung stand nicht auf der Höhe ihres Ehrgeizes. Was sie als Weib so anziehend und liebenswürdig machte, ihr mehr passives, bescheiden sich zurückhaltendes als sich persönlich vordrängendes Naturell, das mußte sie als Künstlerin auf ein kleines Gebiet der Kunst beschränken. Sie hatte nur zur Lyrik Talent, weniger zur Erzählung, noch weniger zum Drama, wiewohl sie sich mehrfach darin versuchte. Ihr fehlte Gestaltungskraft, der Sinn für Handlung und theatralische Wirkung, um es im Drama oder in der Erzählung zu großen Leistungen bringen zu können. Dazu kam noch ihre Neigung zur Philosophie, ihr Hang, großen allgemeinen Begriffen nachzugehen, der sich aus ihrer Existenz wohl begreifen läßt. Wie unbefriedigt lebte sie dahin! Schön, jung, begabt, wie sie war, mußte sie einsam verkümmern. Wo sie geliebt hatte, wurde sie enttäuscht. Dabei war ihre Gesundheit zart und häufig gestört. Was Wunder also, wenn sie sich aus der Wirklichkeit in das Reich der Ideen flüchtete und am liebsten über das Geheimnis des Todes nachdachte oder den Gegensatz von Tod und Leben, von Gegenwart und Vergangenheit betrachtete. In der Betrachtung des Ewigen suchte sie Trost für ihr unbefriedigtes Herz, im Kultus der Ideen eine Erhebung über das Irdische. Im Grunde erschien ihr die Liebe einzig und allein als der wahre Zweck alles menschlichen Lebens. In dem Gedichte „Der Franke in Aegypten“, das auch Brentano als ein vollendetes bezeichnete, sprach sie es aus. Alles schon hat der Franke versucht, um die Sehnsucht seiner Seele zu stillen:

„Ins Gewühl der Schlachten
Warf ich durstig mich,
Aber Ruhm und Schlachten
Ließen traurig mich:
Der Lorbeer, der die Stirne schmückt,
Er ist’s nicht immer, der beglückt.“

Auch die Wissenschaften befriedigten ihn nicht, bis er endlich das Mädchen findet, das er lieben kann:

„Nicht an fernen Ufern, nicht in Schlachten,
Wissenschaften, nicht an eurer Hand,
Nicht im bunten Land der Phantasien
Wohnt des durst’gen Herzens Sättigung.
Liebe muß dem müden Pilger winken,
Myrten keimen in dem Lorbeerkranz,
Liebe muß zu Heldenschatten führen,
Muß uns reden aus der Geisterwelt.“

Und die Liebe ist das Thema ihrer Poesie in den verschiedensten Variationen. Die trüben Erfahrungen ihres Herzens spiegeln sich in ihren Gedichten. In einem derselben „Ariadne von Naxos“ ruft sie aus:

„Betrogner Liebe Schmerz soll nicht unsterblich sein!
Zum Götterlos hinauf mag sich der Gram nicht drängen,
Des Herzens Wunde hüllt sich gern in Gräbernacht.“

Es ist die eigene Ironie ihrer Lebenstragödie, daß sich dieses Gedicht selbst in ihrem Schicksal bewahrheiten sollte. Sie hat blutigen Ernst mit ihrer Meinung gemacht. Und da es uns hier nicht auf eine eigentlich litterarische Würdigung der Günderodeschen Dichtungen ankommt, so verlassen wir das dünne Bändchen ihrer Muse, wie es uns in der schon so selten gewordenen Quartausgabe von Friedrich Götz in Mannheim (1857) vorliegt, und wenden uns zum letzten Kapitel ihres Lebensromans, der mit Friedrich Creuzer erlebten Tragödie.


4.

Friedrich Creuzer (geboren am 10. März 1771 in Marburg, gestorben am 16. Februar 1858 in Heidelberg) war seit dem Frühjahr 1804 in Heidelberg Professor der Philologie. Von Haus aus unbemittelt, hatte er sich mit größtem Fleiß bis zu der schönen Stellung eines Universitätslehrers emporgearbeitet und noch als Privatdocent in Marburg die um dreizehn Jahre ältere Witwe des Professors Leske, Sophie, geheiratet. Er war ein hervorragender Gelehrter, der in der deutschen Wissenschaft vom klassischen Altertum eine epochemachende Stellung einnahm. Den Zusammenhang der alten Religionen und Philosophiesysteme mit dem ganzen Leben der Völker und ihr Verhältnis zum Christentum zu erkennen, das war sein wissenschaftliches Ziel. Er hat in seiner langen akademischen Laufbahn anregend nach vielen Seiten hin gewirkt. Männer wie Savigny (der ihn auch in seiner [724] Studienzeit materiell unterstützte), Wilhelm von Humboldt, Edgar Quinet, Guizot – um nur einige der bekanntesten zu nennen – waren ihm persönlich befreundet, haben seine wissenschaftlichen Leistungen hochgeschätzt und anerkannt. Aber der große Gelehrte war Meister nur in seiner Bücherwelt, dem Leben stand er hilflos wie ein Kind gegenüber.

Wenige Monate nach seiner Uebersiedelung nach Heidelberg, im August 1804, lernte er Karoline von Günderode kennen. Sie war von Frankfurt zum Besuche der Frau des Professors Daub, des berühmten Theologen, herübergekommen, die sie noch von Hanau aus kannte. Creuzer war mit Daubs befreundet. Karoline sehen und lieben war für ihn Eines. Er war kein schöner Mann und wußte das auch; er war auch ein bescheidener, wenig selbstbewußter Mann. Auf dem Altane des Schlosses Heidelberg sah er Karoline zum erstenmal, und seitdem war er wie verwandelt. „Nie“ – schrieb er am 17. August 1804 – „bin ich für das äußere Leben mit all seiner Herrlichkeit unempfänglicher gewesen als jetzt, aber auch nie in meinem Leben so glückselig. Der Tod ist besser als das Leben. Wer sie doch zerreißen könnte die Bande dieses Lebens und entbehren könnte die Klugheit dieser Welt!“

Auch auf Karoline hatte er sofort einen tiefen Eindruck gemacht. Sie war ihm seelisch verwandt: schwärmerisch, zur Mystik geneigt wie er, mit dem Herzen denkend, Poesie und Philosophie vermischend wie er. Und dabei stand Creuzer in seinem Wissen hoch über ihr, so daß sie als Schülerin zu ihm emporblickte. Das mußte der Mann sein, den sie suchte, denn sie konnte nur dort lieben, wo sie gleichzeitig auch verehrte! Von den vielen Briefen, die zwischen beiden nun gewechselt wurden, haben sich Karolinens Briefe nur ganz vereinzelt, Creuzers hingegen fast sämtlich erhalten. Aber auch einzelne Gedichte von ihr, und nie hat sie wärmere Töne gefunden als in dieser Zeit.

Wie tiefempfunden ist z. B. das folgende, welches erst neuestens (im vorigen Jahre) zum Druck gelangt ist:

  Die eine Klage.

Wer die tiefste aller Wunden
Hat in Geist und Sinn empfunden,
Bittrer Trennung Schmerz;
Wer geliebt, was er verloren,
Lassen muß, was er erkoren,
Das geliebte Herz;

Der versteht in Lust die Thränen
Und der Liebe ewig Sehnen:
Eins in Zwei zu sein,
Eins im andern sich zu finden,
Daß der Freiheit Grenzen schwinden
Und des Daseins Pein.

Wer so ganz in Herz und Sinnen
Konnt’ ein Wesen liebgewinnen,
O, den tröstet’s nicht,
Daß für Freuden, die verloren,
Neue werden neu geboren:
Jene sind’s doch nicht.

Das geliebte, süße Leben,
Dieses Nehmen und dies Geben,
Wort und Sinn und Blick,
Dieses Suchen und dies Finden,
Dieses Denken und Empfinden
Giebt kein Gott zurück.

Kein Wunder, daß bei Creuzer bald der Plan feststand, sich von seiner Frau scheiden zu lassen und Karoline zu heiraten. Das war nun freilich leichter gedacht als gethan. Zwar war Frau Creuzer eine gutmütige, leicht bestimmbare Frau. Nachdem ihr der Gatte erklärt hatte, wie es um sein Herz stehe, fand sie sich bereit, ihm, dem um so viel jüngeren Manne, zu entsagen. Aber sie blieb nicht bei ihrer Meinung; kurz darauf erklärte sie: sie wolle ihm zwar entsagen, aber das wäre auch ihr Tod! Creuzer war seinerseits dieser Frau doch zu sehr verpflichtet, um ihr das Aeußerste anzuthun. „Ich bin nicht hart genug, töten zu können. Sterben kann ich.“ Nun begann eine Zeit der Qual für ihn, des Konfliktes zwischen Leidenschaft und Pflicht. Savigny, der beiden doch so gut gesinnt war, mahnte ihn zur Entsagung, verwies ihn auf die Wissenschaft, seine einzige und höchste Göttin, bei der er Trost finden könne, warnte Karoline vor Ueberspannung der Gefühle. Creuzer bäumte sich dagegen auf und schmiedete allerlei Pläne, um aus der Herzensnot zu kommen, die Geliebte zu erringen und doch auch die gute alte Frau zu versorgen. Weg von Heidelberg, bis nach Moskau wollte er gehen und für Sophie eine Pension aussetzen. Aber alle Pläne zerschlugen sich, es war nicht möglich, die finanzielle Frage zu lösen. Anstatt mit kurzem männlichen Entschluß der Sache so oder so ein Ende zu machen, blieb Creuzer schwach und unentschlossen, allerdings Karoline auch, die mit mächtiger Leidenschaft an ihm hing. Seinetwegen hatte sie sich mit Bettina überworfen. Diese ward zunächst vielleicht nur aus Eifersucht eine Feindin Creuzers; ihr Instinkt stieß ihn zurück. Er war ihr kein rechter, ganzer Mann, er war ihr zu häßlich, zu unselbständig. Und in ihrer Art gab sie’s ihm auch deutlich zu verstehen. Das verletzte ihn und infolgedessen auch Karoline, und sie brach den Verkehr mit Bettina, so viel Schmerz es ihr auch verursachte, kurzweg ab. Im November 1805 schrieb sie Creuzer neuerdings, daß sie entsagen wolle:

„Siehe, es ist mir freier und leichter geworden, seit ich allem irdischen Hoffen entsagte. In heilige Wehmut hat sich der ungestüme Schmerz aufgelöst. Das Schicksal ist besiegt. Du bist mein über allem Schicksal. Es kann Dich mir nichts mehr entreißen, da ich Dich auf solche Weise gewonnen habe … Such doch Sophiens Vertrauen zu gewinnen. Sag ihr, wir hätten entsagt …“ Und ebenso in einem längeren Gedicht.

Aber es blieb doch nicht bei diesem Entschluß. Sahen sich die Liebenden auch sehr selten, so wurde der briefliche und litterarische Verkehr doch fortgesetzt, und die Leidenschaft kam nicht zur Ruhe. Creuzer veröffentlichte in seiner neuen Zeitschrift „Studien“, die nur wissenschaftlichen Arbeiten gewidmet war, ein Drama von der Günderode, „Mahomed“, und das machte wieder großes Aufsehen. So flammte die Leidenschaft immer von neuem auf; nach einem verliebten Schreiben folgte bald wieder die nüchterne Erwägung, daß die Verbindung denn doch nicht möglich sei, und so ging das monatelang zur gegenseitigen Qual fort. Gewiß hätte Creuzer als Mann stärker sein sollen; er war unklar und konnte den Gedanken der Möglichkeit eines rein platonischen Liebesverhältnisses nicht aufgeben, indes sich Karoline vor Sehnsucht verzehrte. Er erschrak, als sie endlich Forderungen zu einer kühnen That an ihn stellte, und rechnete ihr alle materiellen Bedenken vor, die einer Verbindung im Wege stünden. Die Mißverständnisse häuften sich; Creuzer nannte Karoline seine „liebe Peinigerin“, der Ton ihrer Briefe wurde unerquicklich. Schließlich, Mitte Juli 1806, verfiel er in eine schwere Krankheit, und von ihr errettet, ließ er am 18. Juli seine Freunde, die Professoren Schwarz und Daub, rufen und „entsagte vor ihnen feierlich seinen bisherigen Verhältnissen“, und Daub mußte es übernehmen, „dieses alsobald der Günderode zu schreiben“.

Und nun kam die Katastrophe. Karoline war schon durch die Korrespondenz mit Creuzer in den letzten Wochen, die ihr immer klarer die Unhaltbarkeit des Verhältnisses fühlbar machte, sehr erregt. Den Juli verbrachte sie in Winkel am Rhein in gemeinsamer Wohnung mit ihren Freundinnen Paula und Charlotte Servière. Dort erwartete sie immer vergeblich Briefe von ihrem geliebten Creuzer; sie wußte nicht, daß er krank war. Da kam endlich am 26. Juli ein Brief, nicht an sie, sondern an die Freundin gerichtet. Daub hatte die Absage Creuzers Karolinen auf Umwegen vermitteln wollen. Er schrieb an eine gemeinsame Freundin, Frau Susanna von Heyden in Frankfurt, sie möchte Karoline benachrichtigen. Doch auch sie vermied es, Vermittlerin der Hiobspost zu sein, und schrieb daher an Charlotte Servière, sie möge die Günderode auf die Absage Creuzers vorbereiten und ihr endlich diese schonungsvoll mitteilen. Karoline aber, gespannt auf die ersehnten Briefe, wie sie schon war, übernahm vom Boten, dem sie entgegenlief, den an die Servière gerichteten Brief der Heyden, ging auf ihr Zimmer, erbrach ihn und las so die böse Botschaft ohne die von allen Freunden gewünschte Vorbereitung. Das traf sie zu Tode. Ihr Entschluß war rasch gefaßt. Scheinbar ganz unbefangen nahm sie von der Servière Abschied zu einem kleinen Spaziergange am Rhein, wie sie ihn abends oft zu machen pflegte. Aber sie kam nicht wieder. Beunruhigt suchten die Freundinnen sie auf dem Zimmer, fanden dort den erbrochenen Brief und ahnten gleich ein Unglück. Man forschte die ganze Nacht nach ihr, doch erst am Morgen fand man ihre Leiche in einem Gebüsch am Rhein, von dem Dolch durchbohrt, den sie seit längerer Zeit bei sich zu tragen pflegte, und den ihr Bettina schon einmal hatte entwinden müssen. – –

Der Tod erlöste sie von einem Dasein, in dessen Schranken sie sich nicht fügen konnte. Da Karolinen die Erfüllung des natürlichen Frauenberufes nicht gestattet war, so hatte sie bei der Ueberspanntheit ihres Wesens den festen Boden der weiblichen Existenz verloren. Da sie die Liebe nicht fand, wünschte sie sich den Tod. Wissenschaft, Kunst, Litteratur – so viel Verständnis sie für sie hatte – konnten sie nicht über den Mangel an Liebe trösten. Das macht ihr Schicksal zu einer so reinen Tragödie, in der sich das Schicksal so vieler ihres Geschlechts spiegelt. Und darum kann man ihrer nie vergessen.