Karoline von Günderode
Karoline von Günderode.
Im Jahre 1839 war die berühmte Bettina von Arnim der Mittelpunkt eines schwärmerischen Cultus, an dem sich vorzugsweise eine Anzahl jugendlicher Studenten und angehender Doctoren, Moritz Carrier, Heinrich Oppenheim, Ottomar von Behr, Gebhard von Alvensleben, Philipp Nathusius etc. betheiligten.
Ein Brief von Carrier, der Berlin verließ, bot mir selbst die erwünschte Gelegenheit, mich bei der genialen Frau einzuführen, welche damals durch die Herausgabe von „Goethe’s Briefwechsel mit einem Kinde“ die höchste Sensation erregte und allgemein gefeiert wurde. Mit klopfendem Herzen, voll Begeisterung und Erwartung stieg der neunzehnjährige Bursche die breite Steintreppe des früher gräflich „Raczinsky’schen Palais unter den Linden“ hinauf, wo Bettina in jener Zeit noch wohnte.
Ein Diener meldete mich und nach einigem Zögern wurde ich vorgelassen. Ich trat in ein großes saalähnliches Zimmer, dessen graue, schmucklose Wände mit hohen Büchergestellen und zahlreichen Bänden bekleidet waren. Unter einer ausgezeichneten Copie der „Io von Correggio“, dieser gemalten Liebes-Apotheose, stand ein einfaches Sopha, auf dem eine Frau von ungefähr fünfundfünfzig Jahren in halb sitzender, halb liegender Stellung ruhte. Sie trug ein schwarzes, bequemes, bis zum Halse hinaufreichendes Seidenkleid und um das dunkle, hier und da schon grau gefärbte Haar ein feines Spitzentuch unter dem Kinn festgeschlungen. Ihr Gesicht war nicht schön, aber im höchsten Grade interessant und geistreich zu nennen, besonders erschien der Blick ihrer dunklen Augen von einer magnetisch fesselnden Gewalt beseelt. In den Bewegungen ihrer kleinen, aber zierlichen Gestalt verrieth sich eine jugendliche Elasticität, in ihrer Sprache eine wunderbar überraschende Lebendigkeit.
Ohne sich aus ihrer nachlässigen Lage zu erheben, nahm sie den Brief aus meiner Hand, las ihn und richtete während des Lesens von Zeit zu Zeit einen prüfenden Blick auf den ihr durch Carrier empfohlenen Ueberbringer desselben.
„Es ist gut,“ sagte sie nach einer Pause in ihrem Frankfurter Dialect. „Wenn Sie an Ihren Freund Carrier wieder schreiben, so benachrichtigen Sie ihn von mir, daß er mir nicht so viele Studenten auf den Hals schicken soll. Ich hab’ jetzt grad’ genug von der Sorte gesehn.“
„Aber die Studenten haben nur den einen Wunsch, Sie zu sehen und Sie kennen zu lernen, gnädige Frau!“ erwiderte ich keck.
„Sie scheinen mir ja ein ganz vernünftiges Bürschle zu sein,“ versetzte sie lachend. „Nehmen Sie sich einen Stuhl, setzen Sie sich her zu mir und erzählen Sie mir, was Sie hier in Berlin wollen.“
Nur zu gern folgte ich der freundlichen Einladung und bald sah ich mich in ein Gespräch verwickelt, wobei ich nach und nach nur die Stelle des stummen bewundernden Zuhörers übernahm. Jetzt erst begriff ich den dämonischen Zauber, den diese hochbegabte Frau auf ihre Umgebung, besonders auf den empfänglichen Geist der Jugend ausübte. Wie ein Gewitter entlud sich über mir die hinreißende Gewalt ihrer Rede: ein elektrischer Strom floß ununterbrochen von ihren feinen Lippen, der Sturm und das Wehen dithyrambischer Begeisterung. Zuckende Gedankenblitze, blendende Paradoxen, poetische Schönheiten, witzige Einfälle jagten im wirbelnden Sturm an mir vorüber und drohten mir die Besinnung zu rauben.
Unwillkürlich mahnte mich ihre ganze Erscheinung an die prophetischen Sibyllen, an jene gottbegeisterten oder vom Dämon erfaßten Frauen des Alterthums, deren Mund die Wunder des Himmels verkündigte und von überirdischen Offenbarungen überfloß. Bald sprach sie von ihrem Verhältniß zu Goethe, von der höchsten Poesie der Liebe, von Jean Paul, den sie mit einem Bergwerk voll edler, aber ungeschmolzener Metalle, voll kostbarer ungeschliffener Steine verglich, von häßlichen Gnomen und wunderlichen Kobolden gehütet; bald sprang sie auf die Theologie und Schleiermacher über, indem sie mir erzählte, wie ihr der berühmte Geistliche, der ihr Freund gewesen, einen oder den andern seiner Schüler zugeschickt habe, um ihnen den Kopf zu öffnen, das Wesen der Religion klar zu machen. Dann wieder wendete sie sich zur heutigen Medicin, deren Unzulänglichkeit und Schwächen sie mit dem geistreichsten Spott geißelte, wogegen sie sich als eine eifrige Anhängerin und Freundin der Homöopathie zu erkennen gab. Als ich aber als angehender Arzt die Allopathie zu vertheidigen suchte, widerlegte sie mich mit mehr bestechenden, als wissenschaftlichen Gründen.
„Ein Tröpfchen Schlangengift,“ sagte sie bei dieser Gelegenheit, „ein unsichtbarers Partikelchen von dem Speichel eines tollen Hundes reicht schon hin, einen Menschen zu tödten; warum soll ein Zehntausendstel der passenden Arznei nicht hinreichen, ihn zu heilen? Der bloße Geist, Freude und Schreck, Kummer und Sorge können uns krank machen, warum soll der Geist uns nicht auch gesund machen?“
So ging es fort, und mir selbst war dabei zu Muthe wie dem Schüler in Goethe’s Faust, als ginge mir ein Mühlrad im Kopfe herum. Aber trotzdem schied ich voll Bewunderung von der genialen Frau, die mich freundlich einlud, sie bald wieder zu besuchen. Seitdem sah ich Bettina öfters bald allein, bald in größerer Gesellschaft jener ausgezeichneten Männer und Frauen, die sich wöchentlich wenigstens einmal um sie zu versammeln pflegten.
Einige Wochen später ließ sie „Die Günderode“ bei einem bisher gänzlich unbekannten jungen Buchhändler Levysohn in Grünberg erscheinen, der als Student zu unserem Freundeskreise zählte und auch später mit uns noch in literarischer Verbindung stand. Sie hatte dieses neue Buch, welches den Briefwechsel Bettina’s mit dem Stiftsfräulein von Günderode enthielt, den Studenten gewidmet: „Deutschlands Jüngerschaft, welche, dem Recht zur Seite, Klingen wetzend der Gnade trotzt; mit Schwerterklirren und der Begeisterung Zuversicht der Burschen Hochgesang anstimmt: ,Landesvater, Schutz und Rather!’ mit flammender Fackel, donnernd ein dreifach Hoch dem Herrscher, dem Vaterland, dem Bruderbunde jauchzt und, Strömen gleich, zusammenrauschet in ein gewaltig Heldenlied.“
Angeregt durch diese Widmung, welche ihre begeisterten Freunde und jugendlichen Verehrer wohl zunächst auf sich beziehen durften, beschlossen wir durch Ueberreichung eines prachtvollen Albums unsern Dank im Namen der studirenden Jugend auszusprechen. Ein talentvoller Maler zeichnete das Titelblatt, worauf Bettina selbst mit der Günderode dargestellt war, wie sie in romantischer Umgebung an den Ufern des Rheins Hand in Hand standen. Poetische Gaben, Lieder und Gesänge feierten die beiden Dichterinnen und beklagten den frühen Tod der schönen, geistvollen Freundin Bettina’s. Eine Deputation aus unserer Mitte überreichte der Letzteren das sinnreiche Geschenk als Zeichen unserer schwärmerischen Verehrung, worüber sie offen ihre große Freude zu erkennen gab.
Bald darauf besuchte ich die geniale Frau; ich fand sie allein, vor ihr lag das ihr von uns gewidmete Album aufgeschlagen. Sie war sichtlich bewegt und sprach mit mir mehr als sonst von ihrer eigenen Vergangenheit, von ihrem Leben mit den Geschwistern, von ihrem Bruder Clemens Brentano, vor Allen aber von der Günderode und dem traurigen Ende ihrer unglücklichen Freundin, die sich bekanntlich selbst den Tod gegeben. „Das Meiste und Beste,“ sagte Bettina im Laufe des Gesprächs, „was ich geworden bin, habe ich der Günderode zu danken. Sie war eine entzückende Erscheinung, eben so schön, als wunderbar begabt. Sie hatte braunes Haar und blaue Augen, die waren gedeckt mit langen Augenwimpern. Ihr Lachen klang so sanft und doch so heiter wie das Girren der Turteltaube. Ihre Gestalt war so weich und fließend, daß man unwillkürlich das Gefühl hatte, sie paßte nicht für diese rauhe Erde. Ihr ganzes Wesen war verkörperte Poesie, sie selbst eine begabte Dichterin. Ihre Verse klangen, wenn sie las, wie eine fremde Sprache, die ich mir erst übersetzen mußte, aber sie waren reich an sinnigen Gedanken. Sie hatte, als ich sie kennen lernte, unter dem angenommenen Namen ‚Tian‘ ein Bändchen ‚Gedichte und Phantasien‘ erscheinen lassen, auch mehrere Dramen und eine dialogisirte Geschichte, ‚Pietro‘ geschrieben. Weit größer aber als ihre poetische Begabung war ihre wissenschaftliche und philosophische Bildung. Sie wollte mich Philosophie lehren und drang darauf, daß ich [826] mich an ein logisches Denken gewöhnen sollte, wie sie auch in allen übrigen Dingen auf eine gewisse Ordnung hielt, weshalb sie mir oft mein zerfahrenes, wildes Wesen zum Vorwurf machte. Ueberwiegend neigte sie sich zur Reflexion, zum Nachdenken, selbst zu einem gewissen kritischen Mißtrauen gegen sich und Andere. Als aber mein Bruder Clemens ihr dies einmal schrieb oder sagte, antwortete sie ihm: ‚Sagen Sie nicht, mein Wesen sei Reflexion oder gar mißtrauisch – das Mißtrauen ist eine Harpyie, die sich gierig über das Göttermahl der Begeisterung wirft und es besudelt mit unreiner Erfahrung und gemeiner Klugheit, die ich stets jedem Würdigen gegenüber verschmäht habe.‘“
„Es bleibt doch immer,“ versetzte ich, „räthselhaft, daß eine so fein organisirte, besonnene und reflectirende Frauennatur, ein so zartes, schüchternes Mädchen, wie Sie selbst Ihre Freundin schildern, sich gewaltsam das Leben nahm. Welche Gründe konnten sie zu einer solch schrecklichen That drängen, und ist es wahr, daß die Veranlassung dazu eine unglückliche Liebe gewesen sein soll?“
„Ich selbst,“ erwiderte Bettina, „habe erst nach ihrem Tode die Wahrheit erfahren, von der ich, so lange sie lebte, keine Ahnung hatte. Ich wußte nichts von ihren sonstigen Verbindungen und Verhältnissen, nur zuweilen sprach sie den Wunsch aus, früh zu sterben. Ich weiß nicht, ob Sie sich meiner Mittheilungen erinnern, die ich in meinem Briefwechsel mit Goethe über die seltsame Todessehnsucht der Günderode gegeben habe?“
Ehe ich Bettina noch antwortete, sprang sie von ihrem Sopha auf und kletterte auf die bereitstehende Leiter, um das genannte Buch aus einem der oberen Fächer ihrer Bibliothek zu holen. Sie schlug die bezeichnete Stelle auf und las sie mir mit ergreifender Stimme vor:
„Einmal kam mir die Günderode freudig entgegen und sagte: ‚Gestern habe ich einen Chirurg gesprochen, der hat mir gesagt, daß es sehr leicht ist sich umzubringen.‘ Sie öffnete hastig ihr Kleid und zeigte mir unter der schönen Brust den Fleck; ihre Augen funkelten freudig; ich starrte sie an, es ward mir zum ersten Mal unheimlich, ich fragte: ‚nun! – und was soll ich denn thun, wenn Du todt bist?‘ ‚O,‘ sagte sie, ‚dann ist Dir nichts mehr an mir gelegen, bis dahin sind wir nicht mehr so eng verbunden, ich werd’ mich erst mit Dir entzweien;‘ – ich wendete mich ab nach dem Fenster gewendet und schwieg; – ich sah sie von der Seite an, ihr Auge war gen Himmel gewendet, aber der Strahl war gebrochen, als ob sich sein ganzes Feuer nach innen gewendet habe; – nachdem ich sie mir eine Weile beobachtet hatte, konnt’ ich mich nicht mehr fassen, – ich brach in lautes Schreien aus, ich fiel ihr um den Hals und riß sie nieder auf den Sitz und setzte mich auf ihre Kniee und weinte viel Thränen und küßte sie zum ersten Mal auf ihren Mund, und riß ihr das Kleid auf und küßte sie an die Stelle, wo sie gelernt hatte das Herz treffen; und ich bat mit schmerzlichen Thränen, daß sie sich meiner erbarme, fiel ihr wieder um den Hals und küßte ihre Hände, die waren kalt und zitterten, ihre Lippen zuckten, sie war ganz kalt, starr und konnte nicht die Stimme erheben; sie sagte leise: ‚Bettina, brich mir das Herz nicht.‘“
„Einige Zeit darauf,“ fuhr die berühmte Frau mit Ueberschlagung einiger Zeilen fort, „kam ich wieder zu ihr; da zeigte sie mir einen Dolch mit silbernem Griff, den sie auf der Messe gekauft hatte; sie freute sich über den schönen Stahl und über seine Schärfe; ich nahm das Messer in die Hand und probte es am Finger, da floß gleich Blut, sie erschrak; ich sagte: ‚O Günderode, Du bist so zaghaft und kannst kein Blut sehen, und gehest immer mit einer Idee um, die den höchsten Muth voraussetzt; ich hab’ doch noch das Bewußtsein, daß ich eher vermögend wär’, etwas zu wagen’, obschon ich mich nie umbringen würde; aber mich und Dich in einer Gefahr zu vertheidigen, dazu hab’ ich Muth; und wenn ich jetzt mit dem Messer auf Dich eindringe – siehst Du, wie Du Dich fürchtest?‘ – sie zog sich ängstlich zurück; der alte Zorn regte sich wieder in mir unter der Decke des glühendsten Muthwillens; ich ging immer ernstlicher auf sie ein, sie lief in ihr Schlafzimmer hinter einen ledernen Sessel, um sich zu sichern; ich stach in den Sessel, ich riß ihn mit vielen Stichen in Stücken, das Roßhaar flog hier- und dahin in der Stube, sie stand flehend hinter dem Sessel und bat ihr nichts zu thun; ich sagte: ‚eh’ ich dulde, daß Du Dich umbringst, thu’ ich’s lieber selbst;‘ ‚mein armer Stuhl!‘ rief sie; ‚ja was, Dein Stuhl, der soll den Dolch stumpf machen; ich geb’ ihm ohne Barmherzigkeit Stich auf Stich.‘ Das ganze Zimmer wurde eine Staubwolke; so warf ich den Dolch weit in die Stube, daß er prasselnd unter das Sopha fuhr; ich nahm sie bei der Hand und führte sie in den Garten in die Weinlaube, ich riß die jungen Weinreben ab und warf sie ihr vor die Füße, ich trat darauf und sagte: ‚So mißhandelst Du unsere Freundschaft.‘ – Ich zeigte ihr die Vögel auf den Zweigen und daß wir, wie jene, spielend, aber treu gegen einander bisher zusammen gelebt hätten, ich sagte: ‚Du kannst sicher auf mich bauen, es ist keine Stunde in der Nacht, die, wenn Du mir Deinen Willen kund thust, mich nur einen Augenblick besinnen machte, – komm vor mein Fenster und pfeif’ um Mitternacht, und ich geh’ ohne Vorbereitung mit Dir um die Welt. Und was ich für mich nicht wagte, das wag’ ich für Dich; – aber Du! – was berechtigt Dich, mich aufzugeben? – und wie kannst Du solche Treue verrathen? und versprich mir, daß Du nicht mehr Deine zaghafte Natur hinter so grausenhaft prahlerische Ideen verschanzen willst;‘ – ich sah sie an, sie war beschämt und senkte den Kopf und sah auf die Seite und war blaß; wir waren beide still, lange Zeit. ‚Günderode‘ sagte ich, ‚wenn es ernst ist, dann gieb mir ein Zeichen;‘ – sie nickte, bald darauf reiste sie in’s Rheingau und ich sah sie nicht mehr wieder.“
Tief ergriffen und voll Bewunderung durchlebte ich im Geiste die dramatische Scene, welche zugleich einen so lebendigen Einblick in dies romantische Verhältniß und in den Geist jener von Ueberschwänglichkeit und Schwärmerei erfüllten Periode gewährte.
„Alles, was Sie über die Günderode mittheilen,“ sagte ich nach einer Pause, „klingt so geheimnißvoll und poetisch, daß Sie gewiß meine Neugierde verzeihlich finden werden, wenn ich von Ihnen, gnädige Frau, die näheren Umstände und vor Allen die Ursache ihres Todes zu hören wünsche.“
„Die Sache ist kein Geheimniß mehr und ich will Ihnen gerne mittheilen, was ich selbst später darüber erfahren habe. Allerdings war eine unglückliche Liebe schuld an ihrem Tode. In einem befreundeten Hause hatte die Günderode den bekannten Professor Creuzer kennen gelernt, der, wie Sie wissen, Lehrer an der Universität zu Heidelberg war. Obgleich er nichts weniger als schön war, machte sein tiefes Wissen, verbunden mit seiner persönlichen Liebenswürdigkeit, einen tiefen Eindruck auf das Herz meiner armen Freundin. Sie sympathisirte mit seinen symbolischen Studien, für die ich mich nie begeistern konnte, während er an ihren poetischen Arbeiten den lebhaftesten Antheil nahm. Mehrere Gedichte von ihr in dem von ihr herausgegebenen ,Tian’ verdankten diesem Verhältniß ihr Entstehen, so wie Creuzer manche ihrer Gedanken in seine Schriften aufgenommen hat. Mit jedem Tage wurde ihre Verbindung inniger und leidenschaftlicher, so daß sie nicht mehr getrennt zu leben vermochten. Leider aber war Creuzer an eine weit ältere ungeliebte Frau gefesselt, die er vor Jahren aus Dankbarkeit geheirathet hatte.“
„Die alte Geschichte!“ unterbrach ich Bettina. „Nun ist mir Alles erklärlich.“
„Und doch war das Schicksal meiner unglücklichen Günderode weit tragischer, als Sie sich vorstellen können. Es liegt eine furchtbare Ironie in der Weise, wie es mit der Armen spielte, ihr den Himmel aufthat, um sie dann in das dunkle Grab zu stoßen. Creuzer war fest entschlossen, die verhaßte Ehe mit seiner alten Frau zu lösen, und, wenn auch mit Widerstreben, willigte diese, eine gutherzig beschränkte Natur, in die von ihm vorgeschlagene Scheidung. Schon glaubte die Günderode am Ziele ihrer Wünsche zu stehn, als der Geliebte, wahrscheinlich in Folge der vorausgegangenen Kämpfe und Aufregungen, heftig am Nervenfieber erkrankte. Sein Leben schwebte in der höchsten Gefahr, und sicher wäre er seinen Leiden erlegen, wenn ihn nicht jene von ihm halb verstoßene Frau mit der größten Aufopferung bei Tag und Nacht gepflegt hätte, ohne von seinem Bette zu weichen, ohne sich vor der Gefahr der Ansteckung zu fürchten.“
„Welch’ entsetzlicher Kampf für den armen Mann!“ rief ich unwillkürlich.
„Gerührt von der treuen Anhänglichkeit des vernachlässigten Weibes, ergriffen von ihrer uneigennützigen Liebe, bestürmt von seinen Verwandten und Freunden, von Dankbarkeit erfüllt, vielleicht auch aus kleinlicher Rücksicht auf die öffentliche Meinung, oder aus Furcht und Schwäche, die den Grundzug seines pedantischen [827] Wesens bildeten, versammelte Creuzer in den ersten Tagen seines wiederkehrenden Bewußtseins die ihm zunächst stehenden Freunde und erklärte ihnen feierlich, daß seine Seele bereits vor Gott gestanden und am Rande des Grabes ihm die Nichtigkeit aller irdischen Verhältnisse aufgegangen sei. In Gegenwart Aller bat er die überraschte Frau um Verzeihung, indem er sie weinend in seine Arme schloß. Zugleich gab er seinem Vertrauten, dem Professor Daub, der in alle Verhältnisse eingeweiht war, den Auftrag, der Günderode oder einer ihrer Freundinnen diese unerwartete Sinnesänderung mitzutheilen, indem er zugleich sich selbst gelobte, jede Verbindung mit ihr für immer abzubrechen.“
„Ich glaube,“ sagte ich, als Bettina inne hielt, „daß Creuzer kaum ein Vorwurf treffen kann.“
„Und doch kann ich ihm nicht verzeihen,“ erwiderte sie traurig. „Er war ein schwacher, haltloser, schwankender Charakter, einer solchen flammenden Liebe nicht werth. Statt an mich schrieb Daub an eine andere Freundin, bei der die Günderode sich damals aufhielt. Durch einen unbegreiflichen Zufall fiel der Brief in die Hände der Unglücklichen; ohne den Inhalt zu ahnen, erbrach sie ihn, las ihr schreckliches Geschick und die gut gemeinten Warnungsworte am Schluß: ‚Hüten Sie die Günderode vor dem Rhein und vor Dolchen.‘ Sie hatten die entgegengesetzte Wirkung und beschleunigten nur ihren Tod, statt ihn zu verhüten, wie es wohl die ursprüngliche Absicht war. Mit unbegreiflicher Ruhe schrieb sie noch einige Briefe, worauf sie in größerer Gesellschaft zu Abend aß. Mit einer sonst nicht gekannten Hast und Heftigkeit rief sie der Freundin ‚gute Nacht‘ zu. Niemand ahnte ihr Vorhaben, da sie gewohnt war, des Abends an dem Ufer des Rheins zu wandeln und sich ihren Gedanken und Träumen zu überlassen. Als sie aber nach elf Uhr noch nicht heimgekehrt war, wurde das ganze Haus unruhig. Boten wurden ausgeschickt, um sie zu suchen, doch vergebens. Erst am nächsten Morgen fand man die Leiche, von drei Dolchstichen an derselben Stelle des Herzens durchbohrt, die sie mir gezeigt, die ich geküßt hatte. Neben ihr lag das Messer mit dem silbernen Griff. Um den Hals hatte sie porzellanene Schalen, mit Steinen angefüllt, sich mit einem Handtuch fest gebunden, um sich zu ertränken, falls der Dolch sie fehlen sollte. Ich selbst erfuhr erst später das grauenvolle Ereigniß, als ich, von furchtbaren Ahnungen und Träumen gequält, von fieberhafter Angst verzehrt, wiederholt in meine Geschwister drang, mit mir in das Rheingau zu reisen. Hier erhielt ich nur zu schnell die Bestätigung meiner Befürchtungen. Ich hatte die Freundin für immer verloren. Auf dem Kirchhof zu Winkel ruht die Unglückliche, die mir Alles war. Auf ihrem Leichenstein lies’t man die schöne Inschrift:
Erde, du meine Mutter, und du, mein Ernährer, der Lufthauch!
Heiliges Feuer, mir Freund, und du, o Bruder, der Bergstrom,
Und du, mein Vater, der Aether, ich sag’ euch Allen mit Ehrfurcht
Freundlichen Dank; mit euch hab’ ich hienieden gelebt und ich gehe
Zur andern Welt, euch gern verlassend. Lebt wohl denn,
Bruder und Freund, Vater und Mutter, lebt wohl! –“
Bettina schwieg, in ihrem dunklen Auge glänzte eine Thräne der Erinnerung an ihre arme Freundin.