Kindesvertrauen

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Textdaten
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Autor: unbekannt
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Titel: Kindesvertrauen
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aus: Die Gartenlaube, Heft 35, S. 552
Herausgeber: Ernst Keil
Auflage:
Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1866
Verlag: Verlag von Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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Quelle: Scans bei Commons
Kurzbeschreibung:
Blätter und Blüthen. Vom Kriegsschauplatze.
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[552] Kindesvertrauen. Aus der Schlacht von Königsgrätz erzählt ein Arzt: „Der erste Verwundete, welchen ich sah, war ein österreichischer Infanterist. Beide Unterschenkel waren ihm durch eine Vollkugel zertrümmert; sie hingen noch mit dem Körper zusammen, waren. aber völlig um ihre Achse gedreht, als gehörten sie dem Unglücklichen nicht an. Cameraden hatten ihm seinen Tornister als Kopfkissen untergeschoben, die Blutung war unbedeutend, ein Verband nicht angelegt. Er lag offenbar ohne die geringsten Schmerzen zu empfinden, ruhig, bei voller Besinnung. Ich sprang vom Pferde, verband ihn und reichte ihm eine Erfrischung.

‚Haben Sie Schmerzen?‘

‚Nein, gar nicht.‘

‚Ich werde Sie verbinden. Haben Sie vielleicht an die Ihrigen etwas zu bestellen?‘

‚Muß ich denn sterben?‘

‚Das wohl nicht, aber Sie sind schwer verwundet, und es wird jedenfalls lange dauern, ehe Sie die Ihrigen sehen.‘

‚Ich bin nur wenige Meilen von hier zu Hause; meine Mutter wird das Donnern gehört haben, sie wird schon kommen und mich abholen.‘

‚In der Umgegend ist Alles geflüchtet.‘

‚Meine Mutter wird schon kommen, das weiß ich gewiß! Sie hat mir immer geholfen, sie wird mich heut’ nicht verlassen.‘

Ich mochte, trotz ernstem Zwange, doch wohl eine sehr bekümmerte Miene gemacht haben, denn er fragte nochmals:

‚Muß ich denn sterben?‘

‚Die Kugeln fliegen hier herüber, wie Sie sehen. Es könnte Sie ja eine treffen.‘

‚Wie Gott will! Meine Mutter wird schon kommen.‘

Ein rührenderes Kindesvertrauen zu einer Mutter habe ich in meinem Leben noch nicht gefunden. Er war in Kurzem, spätestens in einer Stunde, nicht mehr unter den Lebenden, den rechten Arm bewegte er gen Himmel, den linken hatte er unter den Kopf auf den Tornister gelegt. Ich gab ihm noch eine Labung, reichte ihm die Hand und ritt weiter. ‚Sie wird schon kommen, die Mutter! Sie wird schon kommen, die Mutter! Sie verläßt mich nicht!‘ tönte es tief in mir weiter, und ich dachte unwillkürlich an meine Mutter und wie auch ich, wenn ich an seiner Stelle daläge, sagen würde: ‚sie wird schon kommen, wenn sie könnte; sie würde mich nicht verlassen; sie würde schon kommen!‘“