Korsett und Bleichsucht

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Titel: Korsett und Bleichsucht
Untertitel:
aus: Die Gartenlaube, Heft 44, S. 756
Herausgeber: Adolf Kröner
Auflage:
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Erscheinungsdatum: 1896
Verlag: Ernst Keil’s Nachfolger in Leipzig
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Erscheinungsort: Leipzig
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Quelle: Scans bei Commons
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[756] Korsett und Bleichsucht. Warum erkranken wohl unsere jungen Damen so gar häufig an der Bleichsucht? Weil sie nicht naturgemäß leben, sich zu wenig in frischer Luft bewegen, lautet gewöhnlich die Antwort auf diese Frage. Die Bleichsucht des jugendlichen Alters ist darum eine Kulturkrankheit. Gewiß, das ist sie, sie war wenigstens den Aerzten des Altertums und des Mittelalters nicht in dem Maße bekannt, wie dies in unserm Zeitalter der Fall ist, aber sie befällt keineswegs nur Damen, die müßig dasitzen, sondern auch Dienstmädchen, die sich ausarbeiten, und zwar nicht nur in der Stadt, sondern auch auf dem Lande in durchaus frischer Luft. In unsrer Kultur muß also ein besonderes Ding stecken, das sowohl auf dem Lande wie in der Stadt zur Vermehrung der Bleichsucht beiträgt. Und in der That hat man dieses Kulturding, den Hauptverursacher der Bleichsucht, ermittelt – in dem schon so oft verpönten Korsett.

Korsetttragen und Häufigkeit der Bleichsucht wandern Hand in Hand durch Zeit und Raum. So steht es fest, daß in den Städten Deutschlands Korsett und Chlorose erst zu Anfang des vorigen Jahrhunderts zu größerer Verbreitung gelangten, unter der deutschen Landbevölkerung sogar erst um die Mitte dieses Jahrhunderts – daß nach den übereinstimmenden Zeugnissen der darüber berichtenden Aerzte auch unter der ländlichen Bevölkerung Schwedens die Bleichsucht erst in diesem Jahrhundert auftrat und schnelle Verbreitung gewann, daß die Perserinnen keinerlei den Brustkorb beengendes Kleidungsstück, aber auch keine Bleichsucht des Entwicklungsalters kennen und daß in Japan im allgemeinen nur die sich europäisch kleidenden jungen Damen bleichsüchtig werden. Diesen Zusammenhang des Korsetts mit der Bleichsucht hat Dr. E. Meinert im Heft 115/116 der „Sammlung klinischer Vorträge“ durch anatomische Untersuchungen in überzeugender Weise klargelegt. Leider ist diese Schrift nur für Aerzte verständlich. Denselben Gegenstand hat aber auch Prof. O. Rosenbach in einem Büchlein „Korsett und Bleichsucht“ (Stuttgart, Deutsche Verlagsanstalt) gemeinverständlich behandelt, das fleißige Beachtung unsrer Frauenwelt verdient.

Durch diese Arbeiten wird wieder einmal klargelegt, wie unheilvoll das Korsett auf die Gesundheit des weiblichen Geschlechtes einwirkt, wie zweckwidrig und geradezu schädlich unsere Frauenkleidung ist. Möchten sie doch dazu beitragen, daß die oft versuchte und von allen einsichtsvollen Menschen gebilligte Kleidungsreform der Frauenwelt endlich zur Wahrheit werden möchte! Welches Verdienst um die Völker Europas würde sich eine Fürstin erwerben, die mit gutem Beispiel auf dieser Bahn vorgehen wollte. Die Nachwelt könnte sie preisen als eine Erlöserin des Kulturweibes aus schändlichen und schädlichen Banden. Aber auf diese Frauenemancipation werden wir allem Anschein nach noch ein gutes Weilchen warten können, obgleich es an Befürwortern derselben auch nicht in der deutschen Frauenwelt mehr fehlt. Bis dahin kann man der Frau, die in der modernen Tracht mit einhergehen zu müssen glaubt, nur den Rat geben, das enge Schnüren zu vermeiden und so wenigstens einen Teil der Schädlichkeit zu beseitigen.

Um festzustellen, welche Größe des Korsetts den individuellen Verhältnissen, also dem Bedürfnisse der Atmung, der Herzthätigkeit und Verdauung, entspricht, empfiehlt Professor Rosenbach folgendes Verfahren: Nachdem das Korsett nach Ablegung der Oberkleider von vorn völlig geöffnet ist, drückt man es mit zwei Fingern leicht gegen die Brustwand und läßt nun so lange tief einatmen, bis die entsprechende vollkommene Form der Atmung, das heißt ergiebige Erweiterung des Brustraums ohne angestrengte Mitwirkung der Halsmuskeln und ohne Beeinträchtigung der Magengegend erzielt ist. Die Größe des Abstandes der vorderen Korsettränder bei der tiefsten Einatmung giebt dann das Maß für den wahren – nicht der Mode, sondern den körperlichen Bedürfnissen entsprechenden Umfang des Schnürleibes. *