Laß dich der Narren Spott nicht kümmern

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Autor: Albert Ludwig Grimm
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Titel: Laß dich der Narren Spott nicht kümmern
Untertitel:
aus: Lina’s Mährchenbuch, Band 2, S. 151–161
Herausgeber:
Auflage: 2. Auflage
Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: [1837]
Verlag: Julius Moritz Gebhardt
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Quelle: Exemplar der Staatsbibliothek Berlin auf Commons
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[151]
III.
Laß dich der Narren Spott nicht kümmern.

[153] Eine Schildkröte wohnte an einem See, und ließ es sich darin sehr wohl gefallen; denn rings umher war schönes Waldgebüsch und Waldwiesen, wo sie fand, was sie zum Leben brauchte. Weil sie aber allein wohnte von allen andern Schildkröten entfernt, hatte sie Freundschaft geschlossen mit zwei wilden Enten, die auch am Ufer des Sees ihre Wohnung hatten, in der sie des Nachts schliefen. Am Tage schwammen sie aber auf dem See herum, und suchten in dem Schlamme desselben ihre Nahrung.

Es geschah aber eines Jahrs, daß es einen sehr trocknen Sommer gab, in dem es lange nicht regnete. Da trocknete auch der See nach und nach aus, da die Schildkröte wohnte. Und sie mußte mit jedem Tage sich mit einem engern Raum begnügen, weil mit jedem Tage des Wassers weniger wurde. Und als der See schon so weit ausgetrocknet war, daß er nur noch eine Pfütze schien, daß die Frösche, so daran wohnten, von einem Ufer aufs andere springen konnten, da traten eines Tages die beiden Enten zu ihr und sprachen: [154] „Wir haben in der verwichenen Nacht mit einander berathschlagt. Hier wird des Wassers und des Schlammes mit jedem Tage weniger, und der See vermag uns forthin nicht mehr zu nähren; denn die kleinen Würmer sterben nach und nach aus, weil sie im Trocknen nicht leben können. Darum sind wir zusammen überein gekommen, heute von dannen zu ziehen, und uns einen andern Wohnort zu suchen. Und so kommen wir jetzt zu dir, Abschied von dir zu nehmen und dir zu danken für alle Freundschaft, so wir bei dir genossen, und für dein gutes nachbarliches Betragen gegen uns.“

Als solches aber die Schildkröte hörte, da ward sie gar traurig, und fing an zu wehklagen: „Ach,“ sagte sie, „wie bin ich doch ein unglückliches von Gott verlassenes Geschöpf! Wie seid ihr Vögel doch so viel besser daran, als unser eins! So es euch nicht mehr gefällt an einem Orte, oder so es euch an euerm Auskommen gebricht, so schwingt ihr euch auf in die Lüfte, und die ganze Welt liegt frei unter euch, und ihr überschaut Alles von eurer Höhe herab; und wo es euch gefällt, oder wo es euch gut dünkt, da lasset ihr euch herab, und schlagt eure Wohnung auf. – Wie viel anders und schlimmer ist es da mit uns! Wir sind bestimmt auf der Erde zu kriechen, fast wie die Würmer, und sehen nur, was ganz nahe vor uns liegt. [155] Und so es uns an einem Orte übel gehet, und auch an dem Nothwendigsten gebricht, so können wir nicht frei über die Erde hin schweben, und uns von oben herab aussuchen, was uns wohl gefällt. Dann müssen wir erst langsam fortkriechen, und es hängt mehr von Zufall als von unsrer Geschicklichkeit ab, wenn wir, ehe wir gar verhungern und verschmachten, an einen Ort kommen, der uns darbeut, was wir nicht entbehren können. Und was wir dann finden, das muß uns genügen. Ach!“ klagte sie weiter, „was wird aus mir werden? Der See wird vollends ganz austrocknen, und mein Leben wird mit ihm eintrocknen. Denn wir Schildkröten sind einmal dazu gewöhnt, von Jugend auf unser halbes Leben im Wasser zuzubringen, noch mehr als ihr Schwimmvögel. Ihr habt sogar drei Elemente, in welchen ihr leben könnt, ihr schwimmet im Wasser, ihr schwebet in der Luft, ihr gehet auf der Erde. Aber ich? – daß sich der Himmel erbarme! – ich komme allein im Wasser von der Stelle, auf dem Boden beweg’ ich mich nur langsam. Und so ist denn mein Tod gewiß. Denn weit herum ist kein Wasser mehr. Ich bin sonst weit herum gekommen in der Gegend und nirgend hab’ ich Wasser angetroffen. Wie soll ich nun, da ich schwach und krank bin von dem Wassermangel und von der Sonnenhitze, noch weiter herum laufen? Ich weiß, ich muß verschmachten, ehe ich noch eine [156] kurze Strecke Weges gekrochen bin. Und nicht einmal meine Freunde bleiben bei mir, daß sie mir beistehen könnten mit Trost und Rath!“

Das erbarmte die beiden Enten, als sie hörten, wie übel ihre Freundin daran sei, und sagten zu ihr: „Ja, wenn wir dir nur helfen könnten, wir wolltens ja von Herzen gern!“

„Ach, erbarmt euch mein! laßt mich nicht hier verschmachten, einsam und trostlos!“ sagte die Schildkröte. „Tragt mich mit euch durch die Lüfte. Ich bin ja so schwer nicht, und ihr seid ja ihrer zwei; da vermögt ihr’s wohl, mich zu tragen.“

„Ja, wie machen wir das aber?“ fragte die eine Ente die andere.

„Ei,“ fiel ihnen die Schildkröte schnell in das Wort, „setzet euch nur recht nahe zusammen, dann setze ich mich halb auf den Rücken der einen und halb auf den Rücken der andern. Dann flieget ihr in die Höhe, und haltet immer gleichen Flug, so werde ich leicht von euch getragen.“

„Nein, nein, das geht nicht an,“ sagten die Enten. „Wie wollten wir denn unsere Flügel schwingen, wenn du darauf säßest? und wie könnten wir so nahe beisammen fliegen? Wir würden uns ja selbst einander mit den Flügeln [157] nieder zur Erde schlagen, und du fielest zehnmal für einmal zwischen uns hinunter.“

„Ach, so ist keine Rettung für mich!“ rief da die Schildkröte aus, und zog den Kopf fast ganz in ihr knöchernes Gehäuse hinein, und weinte bitterlich.

Das erbarmte die Enten wieder gar sehr, und sie sprachen erst lange mit einander. Dann sagten sie zur Schildkröte: „Tröste dich, gute, liebe Nachbarin! wir haben einen Rath gefunden, wie wir dich wohl von dannen tragen mögen.“

Da streckte die Schildkröte wieder ihren Kopf aus der Schale heraus, und fragte ganz fröhlich: „Ei, wie? wie wollt ihr das machen? Ich will euch mein ganzes Leben dankbar dafür sein.“

„Wir haben uns berathen,“ sagten die Enten, „und haben’s gefunden. Sieh, zu schwer bist du uns nicht; allein wir können dich nirgends fest packen, ohne daß du Schaden davon nehmest. An deiner hornichten Schale bist du überall zu dick. So weit können wir unsere Schnäbel nicht aufreißen, daß wir dich daran zu packen vermöchten. Sonst hast du aber nichts an dir, als Kopf und Füße und Schwanz. Wollten wir dich aber an diesen Gliedern so fest packen, daß wir dich daran tragen könnten, das würde dir zu weh thun. Darum haben wir ein Mittel ersonnen. Wir fassen mit [158] unsern Schnäbeln die beiden Enden eines Stockes, und du selbst beißest recht fest auf die Mitte, und hältst dich daran mit deinen Zähnen, daß wir dich so mit uns tragen, wenn wir mit dem Stock in die Höhe fliegen. Freilich dürfen wir nicht unterweges freundlich mit einander plaudern, und du selbst mußt hübsch still schweigen; denn so eines von uns den Stock los ließe, müßtest du herunter fallen.“

Das gefiel der Schildkröte gar höchlich, und die Enten flogen vorerst aus, einen See zu suchen, den sie in Zukunft zum Wohnort wählen wollten. Und als sie zurück kamen, brachten sie auch schon einen Stock getragen, den jede an einem Ende im Schnabel trug. Und sie ließen sich vor der Schildkröte nieder, und die Schildkröte biß sich fröhlich mit ihren Zähnen in der Mitte des Stockes fest. Die Enten packten aber auch auf beiden Seiten den Stock wieder fester, und so flogen sie mit ihr auf, und flogen dem nächsten wasserreichen Landsee zu, den sie sich zur Wohnung ausersehen hatten.

Sie waren aber noch nicht weit geflogen, als sie an an einer Schaar Elstern und leichtfertiger Spottvögel vorbei kamen. Als diese aber sahen, wie sonderbar sich die Schildkröte von ihren Freunden, den beiden Enten durch die Luft tragen ließ, da erhoben sie ein schallendes Gelächter, und flogen hinter drein, und um sie her, und spotteten ihrer [159] auf allerlei Weise, und sprachen: „Ei, ei, Frau Schildkröte, wie flink fliegt sie durch die Lüfte! und gar ohne Flügel! Ei, wo hat sie denn ihre Flügel gelassen?“ – „Aber,“ sprachen wieder andere, „warum drückt sie denn ihre Augen beim Fliegen so gewaltig zum Kopfe heraus?“ – „Nicht wahr,“ sagten wieder andere, „sie hat die Zähne so fest über einander gebissen? Ei, da thut sie Unrecht! Seh’ sie, wir fließen ja auch, und uns geht der Schnabel flink auf und zu.“ „Ach!“ schrieen wieder alle, „wie möcht’ ich so stumm fliegen, und mich über gar nichts freuen?“

Bei solchen Worten ärgerte sich aber die Schildkröte gewaltig. Doch schwieg sie noch. Die losen Spottvögel sahen ihr’s aber an den glänzenden Augen an, daß sie zornig war, und freuten sich darüber und riefen;

„Ei, ei du leichtes Vöglein!
Verlier’ nur ja kein Federlein!
Wie schlank sind nicht die Beine dein!
Wie zierlich ist dein Schnäbelein!
Wie schön muß dein Gesang erst sein!
Laß hören uns dein Stimmelein!“

Da konnte sich die Schildkröte fast nicht mehr halten, als sie hörte, daß die Elstern auf sie Spottlieder sangen. Und die Augen wurden ihr ganz feurig vor Zorn.

Aber die gottlosen Spottvögel machten es noch ärger, als sie das sahen, und sangen:

[160]

„Schildkröte flog einmal
Ueber Berg, über Thal.
Ei, Frau Vierbein,
Was fällt dir ein?
Ei, Frau Hornbauch,
Hast du Zorn auch?
Ei, Frau Knochenrück,
Dir fehlt noch ein Stück!
Fliegst, ich bitt’ dich
Ohne Fittig?
Bist gar stumm?
Sag’ warum!“

Da konnte aber die verspottete Schildkröte nicht länger schweigen, und vergaß vor Zorn, daß sie sich allein mit den Zähnen festhielt, und rief voll zornigen Eifers: „Euch zum Aerger bin ich stumm! Euch zum Verdruß flieg’ ich ohne Fittig!“

Aber indem sie das sagen wollte, ließ sie den Stock los und fiel; und ehe sie es noch ganz gesagt hatte, lag sie auch schon ganz unten. Sie fiel aber auf einen Fels; und fiel aus der Höhe so hart auf, daß ihre Schale zerbrach, und mußte so sterben.

Als aber die beiden Enten auf einmal höher kamen in ihrem Fluge, weil sie ihre Last verloren, und als sie die Schildkröte reden hörten, und fallen sahen und sterben auf dem Fels, da trauerten sie über ihre gute Freundin, und ließen nun auch den Stock fallen, daran sie ihre Freundin [161] getragen, und flogen an den See, und wohnten daselbst, und wünschten oft die Schildkröte wieder lebendig und zu sich, und sagten: „Sie war eine so gute, getreue Nachbarin! Wenn sie nur auch so klug gewesen wäre, sich um der Narren Spott nicht zu bekümmern.“