Land und Leute/Nr. 11. Die Mistelgauer, vulgo Hummeln, in Oberfranken
Nr. 11. Die Mistelgauer, vulgo Hummeln, in Oberfranken.
Von Ludwig Storch.
Oberfranken! Sonniges grünes Bergland, vom hellen Main durchströmt, wie viel Freude bot mir der Blick vom deinen waldigen Höhen, wie viel die Rast in deinen freundlichen Thälern! Wie gern weilte ich im Kreise deiner Kinder! Jean Paul Friedrich Richter, dein größter Sohn, wußte wohl, was er an dir hatte; wüßtest du doch eben so gut, was du an ihm gehabt hast und noch hast und immer haben wirst; denn wenn der Unsterbliche auch der ganzen Welt angehört, so ist und bleibt er doch immer dein bester Sohn!
Ich wohnte in der Altstadt Bayreuth, es ist ein kleines Dorf, kaum eine halbe Stunde westlich von der Stadt, die Jean Paul seine reinliche schmucke Sonnenstadt nannte, einst ist’s die Stadt gewesen, wie der Name andeutet. Mein kleines, freundliches Haus lag in einem hübschen Garten hart an einem Bache, dem Mistelbache. Der Name versetzte mich immer schnell in die hochpoetische altdeutsche Götterwelt, aus der er an der sanften Welle haften geblieben war. Aus den Fenstern meines Giebelstübchens übersah ich eine kleine, allmählich aufsteigende schiefe Ebene und einen Kranz mäßiger bewaldeter Berghöhen. Gerade aus westlich in der Entfernung einer kleinen halben Stunde warf die Dampfmühle des Herzogs Alexander von Würtemberg im Weiler Geigenreuth ihre Rauchfahnen in die Luft. Auch sie lag am Mistelbache und hier war das Thor in eine kleine, seltsame, abgeschlossene, von malerischen Berghöhen umgürtete Welt, ein reizendes Stückchen Erde, etwa eine Quadratmeile groß, mit Bewohnern so eigenthümlicher Art, daß sie wohl eine Beschreibung in der Gartenlaube verdienen, zumal die große Welt wenig von ihnen weiß.
Von meinem köstlichen Sitze am Fenster sah ich zuweilen lange Züge wohlgestalteten Rindviehes drüben auf der Straße durch die stille, träumerische Landschaft ziehen, die von der Röcklesmühle am Eingange des Thales herkamen oder dort verschwanden. Den Horizont begrenzte mir dort ein schön geformter Berg, dessen Namen ich bald erkundete; er hieß der Schobertsberg. Es lockte mich gewaltig, auf seinem breiten Rücken zu stehen. Wenn ich die Höhe nördlich hinter meinem Hause erklimmte, wo ein einsamer alter Birnbaum mit einer Steinbank stand, der den wunderlichen Namen „der Oesterreicher“ führte (auf der Bank hatte, der Angabe der Altstädter nach, Jean Paul oft gesessen und die liebliche Aussicht auf die theuere Stadt im weiten Thalkessel des rothen Mains, auf das Fichtelgebirge und die übrigen Berghöhen und Dörfer genossen): dann hob nach Südwest ein noch weit malerischer geformter Berg das prächtige Haupt über die anderen Höhen empor, dem eine Landesfürstin, die dort oben echt fürstlich [261] auf der das Land beherrschenden Bergwarte in einem nun verschwundenen Schlosse gewohnt, ihren Namen vererbt hatte; er heißt der Sophienberg.
Die Menschen, welche das schöne Vieh trieben und die einzeln und in hellen Haufen täglich an meinem Gartenzaune vorübergingen aus dem Thale heraus der Stadt zu, oder dort hinein, trugen so eigenthümliche Kleidung. Ich fragte:
„Was sind das für interessante Gestalten?“
„Das sind Hummeln.“
„Hummeln?“ lachte ich. „Das ist wohl ein Spott- oder Spitzname?“
„Wie man's nimmt. Sie nennen sich selbst so, und der Name scheint uralt zu sein. Trägt doch jeder Bauer aus dem Hummellande an der innern Krämpe seines ungeheuern schwarzen Filzhutes, wie er gleich einem Dache auf seinem Haupte sitzt, als Stammeszeichen ein sogenanntes Hummelnest, einen großen, grau übersponnenen Knopf, aber von Andern hören sie sich eben nicht gern Hummeln nennen, und sonst lebte der Mistelgau mit der ganzen Nachbarschaft in Feindschaft. Kamen Mistelgauer in eine Bierschenke außerhalb dem Bezirk ihres Thales, so erhob sich bald ein leises Summen und Brummen, dem Flugtone der Hummel nachgeahmt, und wurde laut und lauter, bis die Hummelbauern, toll vor Wuth, schimpften und zuschlugen und selbst eine Tracht Prügel mit auf den Heimweg aufgepackt erhielten. Diese Neckerei hat zu großen und blutigen Schlägereien Veranlassung gegeben, denn die Hummelbauern sind und waren sonst noch weit mehr ein hartköpfiges, wildes Völkchen, das sich ganz abschloß und auf sich selbst zurückzog, nur untereinander heirathete, nie den Mistelgau verließ und mit störrischer Zähheit an Kleidung, Sitte und Gebrauch der Väter festhielt, so daß sie wegen dieser Eigenthümlichkeit [262] bei den übrigen Oberfranken gleichsam in Verruf waren und Jedermann bei Gelegenheit auf sie schlug. Natürlich wehrten sie sich ihrer Haut wacker, ließen sich nicht ungestraft necken und setzten sich meist tüchtig in Respect. Kommen Sie! Es ist heute Viehmarkt auf dem Brandenburger. Da sehen Sie ein tüchtig Stück oberfränkisches Volksleben bunt durcheinander beisammen, namentlich können Sie sich die Hummeln und ihr prächtiges Rindvieh in nächster Nähe betrachten.“
Der Vorschlag gefiel mir; ich liebe das deutsche Bauernvolk in allen Gegenden des großen Vaterlandes. Es ist die reiche, große Pflanzschule der Zukunft, die ewige Verjüngungsquelle deutscher Tüchtigkeit. Auf die Hummeln war ich besonders neugierig. Wir gingen hinauf in die hochgelegene Marktstadt. „Der Brandenburger“ ist nämlich der volksthümliche Name der nordöstlich eine gute Viertelstunde von der Stadt Bayreuth isolirt auf einer Höhe gelegenen Vorstadt St. Georgen. Dort und in der drei kleine Stunden südlich von Bayreuth gelegenen kleinen Stadt Kreußen werden abwechselnd die wichtigen wöchentlichen Viehmärkte abgehalten.
Welch’ ein Volksgewimmel! Welch’ ein buntes, lebendiges Treiben! Die lange, breite Straße entlang standen zu beiden Seiten die kräftigen gescheckten Kühe und Ochsen, dazwischen und in der Straße das schreiende, feilschende Volk. Alle oberfränkische Bauerntracht ist malerisch. Am kleidsamsten ist die blaue Jacke der jungen Burschen mit der Doppelreihe runder, blanker Zinnknöpfe; im Verein mit den hohen Stiefeln gibt sie ihnen das Ansehen eines Reitervolks, das eben vom Pferde gesprungen ist. Der Menschenschlag ist meist klein und nicht von besonderm Ansehen. Man sieht ihm sogleich die slavische Abstammung am dunkeln, dünnen Haar, an dem breiten Gesicht mit den hervorstehenden Backenknochen, an der dunkeln, fast krankhaften Farbe und an der untersetzten, nicht eben schön gebauten Gestalt an. Es steht jetzt historisch urkundlich fest, was man früher bestreiten wollte, daß die Bevölkerung von ganz Oberfranken slavischen Ursprungs ist. Eine große Anzahl Ortsnamen, Sitten und Gebräuche hätten es schon beweisen können. Aber man wollte die Leute durchaus zu Nachkommen der alten Deutschen machen, als ob das Deutschthum nicht eben so viel Ehre davon habe, sie sich zu eigen gemacht zu haben!
Am meisten fielen mir zwei sehr verschiedene Menschenstämme auf, beide sehr stark vertreten und hier nächst dem lieben Rindvieh die Hauptfactoren: die Juden und die Hummelbauern. Der deutsche Schacherjude ist sich überall gleich. Man möchte in Wien im Salzgries schwören, diese selben Juden, die einem da massenweis begegnen, habe man in Berlin, in Hamburg, in Frankfurt gesehen. Gerade so sehen sie in Oberfranken aus, gerade so schachern sie mit dem ruhigen Bauer, gerade so vagiren sie mit den Händen, gerade so schwatzen sie, gerade so sind sie herausgeputzt und mit Zierrath behangen. Hat man Einen gesehen und gehört, kennt man sie Alle. Dieser uninteressanten Allgemeinheit gegenüber nimmt sich die streng abgeschlossene individuelle Besonderheit der Hummeln besonders gut aus. Und doch hat der Hummelbauer mit dem Juden die Eigenthümlichkeit gemein, daß man ihn sogleich an den Gesichtszügen, am Körperbau, an Gebehrde und Sprache erkennt, selbst wenn er das charakteristische Hummelröckchen nicht trägt und weder die ihm eigenthümliche Kopfbedeckung, das schwarze Hutungeheuer, noch die Bräme (gebrämte Pelzmütze) sein Haupt bedeckt. Aber freilich ist seine Individualität von der des Juden himmelweit verschieden und schwerlich werden sie sich jemals vermischen und ein neues Volksgepräge bilden. Der Hummelbauer ist meist kleiner, untersetzter Statur und noch weit schärfer, als bei seinen Nachbarn, tritt der slavische Typus in ihm hervor; die ihm eigenthümliche Volkstracht besteht bei dem männlichen Geschlechte aus einem dunkeln, kurzen Rocke mit merkwürdiger hoher Taille und ohne Knöpfe, der über der Brust zusammengehäkelt werden kann, meist aber offen steht und so das bunte, prächtige Brustfleck und den künstlich und geschmackvoll gesteppten schwarzledernen Hosenträger sehen läßt. Der Stoff des Rockes ist schwarzes und hellgrünes Tuch, jenes als Hauptbestandtheil, dieses als Unterfutter, beides Erzeugniß des Hauses. Die selbstgezüchtete Schafwolle kardäscht, färbt und spinnt die Bäuerin, webt der Bauer. Dieses kurze, knappe Kleidungsstück heißt das „Hummelröcklein.“ Doch hat jeder Bauer auch einen Rock von demselben Zeuge, von derselben Art. Der kurze ist für den Verkehr mit den Menschen, der lange für den Verkehr mit dem lieben Herrgott bestimmt: es ist der Kirchenrock. Der Brustfleck ist von grünem Tuch, mit bunten Blümchen reich bestickt und mit gelben Schnüren besetzt. Es ist das malerischste und eigenthümlichste Kleidungsstück der Hummeln. Darüber sieht man die breiten ledernen Hosenträger mit reicher Stepperei, vorn mehrfach verschlungen, an welchen die kurzen schwarzledernen Beinkleider mit messingnen, an den Hosen festgenähten Haken angehängt werden. Der Hals ist mit einem schwarzseidnen, meist rothberänderten Tuche umwunden; auf dem kurzgeschnittenen, nicht selten gescheitelten Haupthaare sitzt der ungewöhnlich breite Hut mit herabhängender, zuweilen einseitig aufgestülpter Krempe, an der innern Seite derselben, wie schon bemerkt, das sogenannte Hummelnest; oder die schöne, sehr kleidsame, hoch aufragende, grünsammetne, meist mit Marderpelz reich verbrämte Mütze.
Nicht minder eigenthümlich und pittoresk ist die Tracht des weiblichen Geschlechts. Der ebenfalls schwarze, aus demselben Wollenstoffe gefertigte, kurze und faltenreiche Rock ist am untern Rande mit breitem, halbwollenen Bande besetzt und wird oft von einem schwarzledernen, mit kleinen Metallplatten reich verzierten Gürtel zusammengehalten. Die Jacke ist kurz, bei Frauen meist schwarz, bei Mädchen meist dunkelgrün, von selbstbereitetem Tuch. Ueber eine mit Seide und Flittergold gestickte kleine Haube wird ein schwarzes oder rothes Kopftuch, hinten gebunden, getragen. Bei Festlichkeiten setzen die Mädchen auf den Zopfknoten am Hinterkopfe eine kleine, sternförmige Haube von dunkelrothen seidnen Bändern, welche künstlich zu dieser Form zusammengeflochten werden und von welcher breite, gezackte Bänder desselben Stoffs den Rücken hinabhängen.
Zum Kirchengang setzen viele Frauen ein weißes Tuch auf den Kopf und werfen ein zweites Tuch desselben Stoffes und derselben Farbe über die Schulter, dessen beide Zipfel sie vorn mit den Händen Zusammenhalten. Diese beiden weißen Schleiertücher und die Art, wie sie getragen werden, sind ein echter Rest ihres Slaventhums und finden sich gerade so bei den slovakischen Frauen in Oberungarn. Statt des Regenschirms führen sie, ebenfalls wie die Slovakinnen, große weiße Regentücher, welche in der Mitte einen drei Finger breiten rothen Streif haben (dieser ist deutsche Zugabe) und bei Gängen über Land über den Rücken gelegt und vorn zusammengebunden werden.
Begreiflicher Weise zog mich das Verlangen, das Völkchen und sein Land kennen zu lernen, am Ufer des Mistelbaches hinauf. Ich trat in den Mistelgau und überschaute von einer Anhöhe den reizenden, von einem Bergkranze umschlungenen Erdwinkel, den der Bach mit dem alten Namen durchströmt, mit seinen meist so malerisch an den Bergwänden hingelehnten Dörfern. Das Hummelland oder der Mistelgau, d. h. der ganz Grund des Mistelbaches mit den kleinern Nebengründen umfaßt vierundzwanzig Dörfer, nebst einer nicht geringen Anzahl einzelner Höfe und Mühlen. Die größten, reichsten und schönsten sind Mistelbach, Mistelgau, Gefres und Glashütten. Gefres liegt sehr reizend an der untern Stufe des Sophienbergs empor und seine hohe Kirche beherrscht weithin die ganze Gegend. Sie ist unstreitig der schönste Punkt des ganzen Gau’s und deshalb mit auf unser Bild aufgenommen.
Die Mistel entspringt aus einer Menge Quellen auf der nördlichen Seite zweier aneinander grenzenden, bewaldeten niedern Bergzüge, deren westlicher der Volsbacher und östlicher der Linderhardter Forst heißt. An der südlichen Seite des letztem entspringt der alte Main, in welchen sich die Mistel bei Bayreuth ergießt. An der Südseite des erstern beginnt die hochromantische fränkische Schweiz und die dort entspringenden Bäche fließen der Wisent zu. Aber auch aus dem Mistelgau selbst wenden sich die westlichen und nördlichen Bäche dorthin. Daraus erhellt schon, daß es ein anmuthiges Hügelland ist. Sonst gehörte es den brandenburger Markgrafen von Kulmbach und wurde von diesen reformirt; jetzt macht es einen Theil des oberfränkischen Kreises des Königreichs Baiern aus. Die nächsten Dörfer jenseits des Volsbacher Forstes, wo das Bisthum Bamberg begann, sind katholisch und unterscheiden sich durch Tracht und Sitte merklich von den Hummeldörfern. Die Bauart der Häuser und der Ortschaften in diesen ist echt slavisch. Dieselben steil abfallenden, nur auf Balken aufgelegten Strohdächer, dieselben auffallend kleinen Fenster, dieselbe Malerei an den Thoren und in den Fenstervertiefungen, dieselbe [263] innere Einrichtung findet sich bei dem finnischen Urvolk, dem Prototyp aller Slaven, den Slovaken. Der Name Hummeln ist sehr wahrscheinlich ein verstümmeltes und gewaltsam deutsch gemachtes slavisches Wort, ein Eigenname dieses vereinzelten Volkszweiges, welcher, vom Hauptstamme losgerissen und in diesen bergumschlossenen Erdwinkel geschleudert, gleich den mit ihm derselben Abkunft sich erfreuenden Altenburgern, Egerern, Halloren und thüringischen Slaven, die Muttersprache verlernte, von Deutschland aber nur die Sprache annahm, dagegen mit slavischer Zähheit an Sitte und Gebrauch an der Nationalkleidung, die mit der der altenburger Bauern die charakteristischen Grundzüge gemein hat, festhielt, ebenso am slavischen Volksnamen, aus welchem mit der Zeit aber eine summende deutsche „Hummel“ wurde. Einem gelehrten Slaven dürfte es nicht schwer fallen, den ähnlich klingenden wahren Namen zu entdecken.
Die Erklärung des deutschen Hummelnamens, wie ihn nachher die Volkssage versucht hat, ist zu lahm und gezwungen, als daß sie irgend Beachtung verdiente, doch wollen wir die beiden Versionen mittheilen.
Das im benachbarten Ahornthale gelegene, der fränkischen Schweiz schon angehörige Dorf Volsbach baute eine neue Kirche, Zu welcher die Mistelgauer als dienstwillige Nachbarn den Tag lang fleißig Steine zuführen halfen. Da sagten die dankbaren Volsbacher: „Die Mistelgauer fliegen früh aus und führen zu, wie die Hummeln,“ und ließen ihren freundlichen Helfern zu Ehren ein Hummelnest zum Wahrzeichen an ihrer neuen Kirche in Stein aushauen. Diese Ehre schlug nachher den Mistelgauern zum Spott aus.
Ein Mistelgauer ließ sich vorschwatzen, man könne in Nürnberg in der Apotheke auch schönes Wetter kaufen. Als es nun zur Erntezeit regnete, ging er dorthin und begehrte den ihm nötigen Artikel. Der Apotheker verkaufte ihm ein verschlossenes Schächtelchen mit dem Bemerken, er solle es mitten in seinem Dorfe öffnen. Die Neugierde des Wetterkäufers lüftete den Deckel aber schon unterwegs. Eine Hummel flog heraus und davon. Der Bauer rief ihr nach: „Schönes Wetter, flieg nach Mistelgau!“
Die letztere Sage wiederholt sich in Deutschland an verschiedenen Orten, ohne daß sie den Bauern den Namen der Hummeln eingebracht hätte.
An einem sonnigen Frühlingsmorgen trat mein Führer mit den Worten in meine Hütte: „Heute ist eine große Hochzeit nach altem Schnitte mit großem Messer in Gefres. Da müssen wir hin; denn bei Hochzeit und Kirmeß schwärmen und summen die Hummeln am stärksten.“ Wir stiegen nach dem hoch und schön gelegenen Dorfe hinauf, und kamen gerade zum Anfang der tumultuarischen Feier. Unterwegs erzählte mir mein Begleiter:
„Wie die alte Volkstracht der Hummeln in neuerer Zeit allmählich verschwindet, und der allgemeinen französisch-europäischen Kleidung Platz macht, so sind auch die großen öffentlichen Hochzeiten nach altem Schnitt jetzt eine Seltenheit. Die Cultur, die unwiderstehliche, leckt auch diese Bären zurecht; jede neue Generation bequemt sich mehr der allgemeinen Lebenssitte, und eh’ das Jahrhundert vorüber ist, wird das alte Hummelthum eine schöne Sage geworden sein. Wie man jetzt an den festlich geschmückten Burschen keine bloßen Hälse und keinen scharlachrothen, reich gestickten Brustfleck mehr sieht, so ist der statiöse Hochzeitsbitter eine selten geworden volksthümliche Charaktermaske. Die Hummelbauern früherer Jahrhunderte sind strenge Sittenrichter gewesen, und übten keine Gnade gegen ein Liebespärchen aus, das den Paradiesapfel vom Baume der Erkenntniß vor der Weihe des Sacraments gepflückt hatte, ja selbst diejenigen, welche solcher Naschhaftigkeit auch nur verdächtig waren, hatten eine höchst unangenehme, rigoröse Kirchenkritik zu erdulden. Sobald nämlich ein anrüchiges Liebespaar Sonntags mittels kirchlichen Aufgebots vom Pfarrer auf der Kanzel als Brautpaar proclamirt wurde, pflegte die zahlreich versammelte Gemeinde mit Händen und Füßen und dem Stimmorgan einen rusticalen Lärm zu erheben, und der Pastor loci sah sich veranlaßt, dieses bukolische Sittengericht im Kirchenbuche durch den Zusatz „post tumultuariam proclamationem“ (nach stürmischem Aufgebot) zu verewigen. Wie mancher schwarzäugigen jungen Verlobten, die heimlich der uralten Evaschwachheit erlegen war, mochte bei diesem Kirchengange himmelangst und bange sein, löbliche Gemeinde möchte ihr etwa den gefährlichen Schlangensieg im Gesicht ansehen. Dergleichen ist jetzt nicht mehr zu fürchten. Die Gemeinden sind toleranter geworden. Wirklich überwiesene Liebesverbrecher mußten sich sogar der grausamen Strafe der Kirchenbuße unterwerfen. Der Pfarrer rief sie nach beendigter Predigt namentlich auf, und befahl ihren zur Büßung ihrer Sünde vor den Altar zu treten. Sobald das Kirchengebet begann, mußten sie auf der untersten Stufe des Altars niederknieen und in dieser Stellung verharren, bis der Prediger die Kanzel verlassen hatte. Für die Gemeinde ein prächtiges Spectakelstück, für die Betheiligten ein abscheulicher Gewaltact, der schwache Gemüther rasch zu wirklichen Verbrechern zeitigte, wurde diese Pfäfferei, die in unsern Tagen wieder in Vorschlag gebracht worden ist, endlich in eine Geldstrafe verwandelt, weil der blöde Fanatismus sich endlich überzeugt hatte, daß die Verzweiflung, sich dieser furchtbaren Schande zu entziehen, zu wahrhaften Verbrechen, zu Tödtung des unentwickelten Menschenkeims und zum Mord Neugeborner geführt hatte. Auch die Geldstrafe wurde als unnütz, zweckwidrig und ungerecht erkannt; der milde Geist der Humanität siegte auch in der Kirche. Und heute soll „der Teufel der Sinnenlust“ wieder mit Kirchenstrafen gebannt werden! Und doch sprach Er, den ihr predigt, dessen Jünger ihr euch nennt, als ihm die Ehebrecherin vorgeführt wurde, mild und menschlich: „Welcher unter euch rein ist, der werfe den ersten Stein auf sie.“
[308] Die Anstalten zu einer öffentlichen und großen Hochzeit nach altem Zuschnitt sind wahrhaft großartig und von vornherein geht Alles mit einer gewissen Feierlichkeit zu. Die Männer brauen und schlachten, die Frauen backen und braten; Jedermann ist mit Würde geschäftig. Mehrere Tage vor der Hochzeit macht der prächtig aufgedonnerte Hochzeitsbitter den Verwandten und Freunden im lieben Hummellande die Aufwartung. Ganz wie die Hochzeitsbitter der altenburger Bauern trägt er einen großen mächtigen, mit rothen und blauen Seidenbändern und einem bunten Tüchlein ausstaffirten Blumenstrauß in der Hand und ladet mit zierlich gesetzter Anrede zur Hochzeit auf zwei Tage volle Bewirthung und auf ein Frühstück für den dritten Tag ein. Die alte, immer noch gebräuchliche Formel ist:
„Ich bin ein ausgesandter Bote, von wegen Braut und Bräutigam, nämlich des ehr- und arbeitsamen Junggesellen Johann
[309]Friedrich Neuner zu Glashütten, der sich ehelich verlobt und versprochen hat mit der untadelhaften Jungfer Anna Barbara Weigel, Tochter des löblichen Mitnachbars und Müllermeisters Johann Andreas Weigel in der Thalmühle. Und weil wir nun ein solches Freuden- und Hochzeitsfest werden erhalten, so hab’ ich Befehl von Braut und Bräutigam, den ehrbaren Mitnachbar Johann Christoph Bayersdörfer auf dieses Fest einzuladen, um nach eingenommenem Frühstück ihren Kirchgang schmücken und zieren zu helfen. Und was uns der liebe Gott in Küche und Keller bescheert hat, das haben wir in zwei [310] Tagen und einem Frühstück zu verzehren. Also bitt’ ich Euch, Ihr wollet meine vorgebrachten Worte nicht verachten, sondern mich als einen guten Boten gelten lassen.“
Für die „vorgebrachten Worte“ erhält denn „der gute Bote“ sofort ein Geschenk an Eiern, Butter, Speck etc. und er hat für diesen Fall schon Nebenboten bei sich, die selbst schwere Lasten fortzubringen sich nicht scheuen. Jedermann sieht nun mit freudiger Erwartung dem Morgen des Trauungstages entgegen und Alt und Jung eilt in das Geburtsdorf des Bräutigams.
Dabei deutete der Erzähler auf die geputzten Häuflein, die mit uns gleichem Ziele zustrebten. Wir langten mit ihnen an; es hatte sich schon eine hübsche Menschenmasse vor dem Vaterhause des Bräutigams versammelt. Alles war in feierlicher Aufregung, alle Gesichter trugen den Stempel einer stolzen, selbstzufriedenen Würde, die da weiß, was sie zu thun und zu erwarten hat. Es war ein geschäftiges Hin- und Herrennen, ein erstaunliches Wichtigthun und eine so liebenswürdige, possirliche Umständlichkeit, als handele es sich um die wichtigste Sache von der Welt. Die jungen Bursche wußten sich was Rechts in ihren prächtigen Bruststücken und Hosenträgern; sie hatten die grünsammetnen Bramen schief gesetzt, klatschten mit Geißeln, rauchten martialisch Tabak aus Ulmer Pfeifenköpfen und ließen sich’s abmerken, daß sie den heldenmüthigen Entschluß gefaßt hatten, ein Uebriges zu thun. Die nicht minder geputzten Mädchen steckten die Köpfe zusammen, kicherten, machten ihre Randglossen zu dem unausstehlichen Benehmen der Burschen und schienen nicht minder entschlossen, es auf’s Aeußerste ankommen zu lassen. Man sah es an der steigenden Spannung der Gesichter, daß nun bald irgend ein wichtiges Ereigniß in’s Leben treten werden. Und es kam als ein mit stolzen, schönen und stattlich geschmückten Pferden bespannter, mit Kranzgewinden gezierter, mit einer Musikantenbande, mit Weibern, Brautjungfern und Brautführern besetzter Leiterwagen, der unter Halloh aus dem weitgeöffneten Hofthore herausfuhr und seinen Weg unter zahlreicher Begleitung der lieben Dorfjugend, worunter auch stattlich aufgewachsene Gestalten, nach dem nahen Geburtsdorfe der Braut nahm. Alle Gesichter lachten, und wahrscheinlich, um sie in dieser angenehmen und einer Hochzeitsfeier so angemessenen Thätigkeit nicht ermüden und zu trockenem Ernste erstarren zu lassen, bemerkte ich ein stattliches Gefäß, aus dem eine, wie es schien, unversiechbare Bierquelle strömte und jeden lachenden Mund anfeuchtete, labte, stärkte und zu noch größerer Freudigkeit anspornte. Wir standen gar nicht an, uns ebenfalls der muntern Dorfjugend anzuschließen und ebenfalls leiblich und geistig gestärkt – man trank uns mit höchst lobenswerther Gastfreundlichkeit zu und das Bier war classisch, ein Nektar, wie er nur in Oberfranken bereitet wird – dem Nachbardorf zuzuwandern. Dort kamen wir an, als der Wagen von geschäftigen Händen mit der stattlichen Mitgift der Braut beladen wurde. Da gab’s denn neuen Hausrath und bäuerische Kostbarkeiten aller Art.
„Sehen Sie dort oben den ungleichlichen Spinnrocken mit dem zartesten Flachse, umwickelt von rothen und blauen Bändern und daneben das große, ausstaffirte Bettkissen?“ sagte mein Begleiter auf den hochaufgethürmten Wagen deutend.
„Was ist’s damit?“
„Sie sind die beiden charakteristischen und symbolisch wichtigsten Effecten der ganzen Herrlichkeit und stehen in mystisch enger Beziehung zu einander.“
„Wie so?“
„Sie sind die Symbole der Tugend und ihrer Belohnung. Der Spinnrocken ist der Stolz der Braut, denn er bedeutet, daß sie als reine Jungfrau das ihr von ihrer Taufpathin geschenkte werthvolle Kissen in das Ehebett lege, für welches es bestimmt ist. Eine notorisch unkeusche Braut würde nimmermehr wagen dürfen, geschmückten Spinnrocken mit solchen Ehren in das Haus ihres Zukünftigen zu führen.“
„Allerliebst!“ rief ich. „Es ist auch Poesie in den Hummelbauern.“
Die Pferde am Wagen wurden mit noch mehr Bändern geschmückt, ebenso der Fuhrmann, ein stämmiger Bursche mit großem Durst; sein Hut und seine Peitsche konnten zuletzt unmöglich noch schöner geputzt werden, er selbst erhielt aber noch ein buntes flatterndes Tuch an das Hummelröcklein gebunden. Jetzt kam der große Moment! Die Braut erschien. Von Brautführern aus dem Vaterhause geführt und auf den Wagen gehoben, nahm sie mit schüchterner Gravität zwischen ihren Begleiterinnen Platz. Sie war eine kräftige stämmige Dirne im Volksbrautstaate mit der rothen Bandhaube und dem Kranze, und ihre jugendliche Erscheinung kam unserm hoffnungsreichen Wunsche, daß das Hummelland nicht aussterben möge, viel versprechend entgegen.
Die Pfeifer ließen ihre Fanfaren ertönen, der Kutscher hieb jauchzend auf die Pferde, die Braut warf aus einem großen Korbe Hefenküchlein und Hochzeitsbrod unter die jubelnde Menge; der Zug setzte sich in Bewegung. Und was für ein Zug! Das war ein kräftiges, munteres Stück deutschen Volkslebens! So großartig und imponirend hatte ich es mir nicht gedacht. Ich fing an, bedeutenden Respect vor den Hummelbauern zu bekommen. Aus dem Hofe sprengten mit Hurrahruf mehrere vermummte Reiter und umschwärmten den Wagen, jagten das herandrängende Volk auseinander und wurden dafür auf alte Weise von ihm geneckt und gedrangsalt.
Es braucht kaum bemerkt zu werden, daß die Stimmung eine abermals erhöhte war, denn der Nektar des Königs Gambrinus war auch in und vor dem Brauthause mit unbegrenzter Freigebigkeit jeder durstigen Kehle gespendet worden und es wollte mich bedünken, daß die erhöhte Temperatur der Hochzeitsfreude auch den Durst der Menge vermehre und daß Beide in einer natürlichen Wechselbeziehung ständen. Die Braut fuhr fort, durch Kuchenauswerfen die Menge heranzulocken, die berittenen Masken – Stutzelreiter genannt – sie zu verjagen und dafür geneckt und verhöhnt zu werden; die Musik fuhr fort, zu schmettern, das Volk zu jauchzen und zu schreien; der Wagen fuhr auch fort und so langten wir denn unter heillosem Lärm endlich wieder am Vaterhause des Bräutigams an.
Mein Begleiter erzählte mir unterwegs:
„Sonst ist’s noch weit toller zugegangen, aber der wilde Volksgeist ist zahm geworden und das einst helllodernde Feuer glimmt jetzt nur noch in der Asche. Jetzt sitzt der Bräutigam still beim Bierkruge und wartet, seine Pfeife rauchend, geduldig die Ankunft der Braut ab. Solche Passivität wäre sonst unmöglich gewesen. Er holte, in Begleitung seiner Gespielen und Freunde, beritten die Braut selbst aus ihrem Vaterhause ab. War die Cavalcade diesem bis auf ungefähr eine Viertelstunden nahe gekommen, so sprengten auf ein vom Bräutigam gegebenes Zeichen acht bis zwölf junge Männer im Wettrennen dem Hause der Braut zu und der erste dort Anlangende erhielt von ihr als Danke eine Henne. Mit diesem schreienden Preis und Siegeszeichen in hochgehobener Hand jagte er dann dem Bäutigam entgegen. Die Scene wiederholte sich bei der Annäherung an das Haus des Bräutigams, und wer an diesem Ziele zuerst ankam, erhielt aus der Hand der Braut einen Hahn. Es kam Alles darauf an, daß kein Unglück bei diesem tollen Wettreiten vorkam, was als böse Vorbedeutung galt. Hahn und Henne, die, wie sich von selbst versteht, hier ebenfalls von symbolischer Bedeutung waren, mußten für eine fröhliche Hochzeit ebenfalls unverletzt bleiben. Diese für Roß und Reiter gefährliche Volkssitte des sogenannten „Hennen-Erreitens“ ist zu Ende des vorigen Jahrhunderts abgeschafft worden.“
Die Heimfahrt der Braut war rasch und ohne Hinderniß von statten gegangen; beim Einfahren in den Hof des Bräutigams stand aber der Wagen plötzlich still und war trotz alles Schreiens nicht von der Stelle zu bringen. Der Fuhrmann gebehrdete sich wie toll, die Menge lachte ganz unmäßig, der Wagen war wie eingemauert. Der Bräutigam stürzte mit erschrockenen Zügen aus dem Hause, um zuzusehen, von welcher Art das plötzliche Hinderniß sei. Bald nickte er, als sei ihm ein Licht aufgegangen, eilte wieder in’s Haus, um sogleich zurückzukehren, in der Rechten einen schäumenden Bierkrug, in der Linken einen harten Kronthaler hochhaltend. Den Krug spannte er an den Mund des Fuhrmanns, den Silberthaler an das flatternde Tuch am Rocke desselben, und als die Krone im Tuche festgebunden und die Kanne geleert war, zog diese gutgewählte Vorspanne den Wagen schnell bis vor die Hausthür. Hier brachte der Bräutigam einen Stuhl herbei, den er sein Eigenthum nennt, denn er hat ihn zu diesem Behufe kurz vorher von seinen Eltern geschenkt erhalten. Die Braut setzt den Fuß darauf; er bietet ihr die Hand und hilft ihr und ihren Begleiterinnen vom Wagen. Niemand darf ihn dabei unterstützen. Es ist allein eine Sache, seine Braut in sein Haus einzuführen. Dort wird sie mit herzlichen Segenswünschen und Händedrücken willkommen geheißen. Die Gäste strömen nach; die bunt wechselnde Scene [311] füllt sich. Allen wird Imbiß und Trunk geboten, jeder langt herzhaft zu. Draußen laden Gesinde und Nachbarn den Wagen ab. Rocken und Brautbett mit dem symbolischen Kissen werden allein vom Bräutigam im Triumph in’s Haus getragen; außer ihm darf Niemand diese Heiligthümer berühren.
Unverzüglich wurde nun der Kirchgang gelüftet, denn es war hoch am Vormittage und es ist gesetzliche Vorschrift, daß alle Trauungen Vormittags und im noch nüchternen Zustande der Brautleute und Zeugen vollzogen werden sollen, eine Anordnung, die nur sehr am Platze schien, wenn ihre weise Absicht auch nicht vollständig erreicht werden dürfte. Der Hochzeitsbitter wurde an die Geistlichkeit geschickt, um sie zu benachrichtigen, daß der Zug sich ordne, und ihr die üblichen Geschenke, ein weißes Taschentuch, einen Rosmarinstengel und eine Citrone, zu überreichen. Die beiden Prediger und die Schullehrer schritten gleich darauf dem Hochzeitshause zu, vor welchem der Zug sich aufstellte, und die Glocken begannen ihr feierliches Geläute. Der Geistlichkeit an der Spitze folgte ein Bursche als Brautführer mit einem hochgetragenen, bändergeschmückten bloßen Degen in der Hand, die Braut im Brautkranze am Arme der beiden Brautjungfern, ein zweiter Brautführer mit dem Degen, der Bräutigam, von seinen nächsten Anverwandten begleitet, die männlichen, zuletzt die weiblichen Gäste paarweise, das Volk in großer Anzahl zu beiden Seiten, aber Alle in feierlicher Stille und löblicher Ordnung. Der alten Sitte wurde in ihren guten Einrichtungen noch pünktlich genügt, die gefährlichen hatte die vorgeschrittene Bildung verdrängt. So wurde am Eingange des Hofthores eine alte arme Frau aufgestellt, an welcher die Braut beim ersten Schritt aus dem Hause ein Liebeswerk vollbringe, indem sie derselben ein großes Stück Hochzeitskuchen überreicht.
In der Kirche wurde erst eine dem Gegenstande angemessene und – was mit Dank anzuerkennen war – kurze Hochzeitspredigt gehalten, dann die Trauung vollzogen. An der Kirchthüre empfing das Musikcorps den Zug mit hellen Tönen und spielte ihn nach Hause, wo die Braut sofort als junge Frau dem Bräutigam als jungem Eheherrn feierlich übergeben und ausgeantwortet wurde.
„Auf dem Wege zur Kirche und zurück,“ erzählte mein kundiger Begleiter, „ging es sonst lauter und umständlicher, wenn auch nicht anständiger zu. Die Bursche schossen aus Pistolen, warfen Schwärmer unter das Volk und trieben noch andern Unfug, welcher schlecht zu der heiligen Handlung paßte. Namentlich suchten sie auf dem Heimwege die Braut ihrer Begleitung zu entreißen; diese widersetzte sich. Die Brautjungfern schrieen aus vollem Halse und fuhren mit den Nägeln den Burschen in Gesicht und Haare. Diese wendeten alle erdenklichen Listen an, um sich des begehrten Gegenstandes zu bemächtigen, und wenn diese nicht fruchteten, Gewalt. Gelang es, die Schöne zu erkämpfen und abzuführen, so wurde sie nur gegen ein ansehnliches Lösegeld wieder freigegeben. Dabei konnte es nicht fehlen, daß der Scherz leicht in Ernst umschlug, die Braut hin- und hergezerrt wurde, Stöße und Schläge erhielt und ihr die Kleider in Fetzen vom Leibe gerissen wurden, daß es zu mißlichen Balgereien kam, die Brautführer mit den Degen darein hieben und Blut floß. Das waren so die lieben Sitten und Gebräuche unserer guten Altvordern.“
Daß man im Hochzeitshause nun aß und trank, versteht sich von selbst. Das war das sogenannte kleine Essen. Die Zeit bis zum großen Essen gegen Abend wird mit Schießen, Lärmen, Späße machen (an die man freilich keine hohen Anforderungen stellen darf) verbracht. Das Bestreben, die Braut zu rauben, ist eigentlich die Folie von allen; deshalb erhält sie bei der Mahlzeit die hinterste Ecke am Tische, und die Brautjungfern und Brautführer sitzen zu ihrem Schutze um sie herum. Die Gäste, deren wohl ein halbes Hundert sein mochten, wurden am Tage von den Brautführern, beim Hauptmahle aber vom Hochzeitbitter und vom Metzger bedient. Das Hochzeithaus gleicht einem Bienenstocke, der sich zum Schwärmen anschickt; drinnen braus’t es immer stärker, und an den Löchern, Thüren und Fenstern hockt es dick und voll. Diesem verehrungswürdigen Publicum wird ebenfalls Speis und Trank zugereicht, und im Hofe macht sich die lustige Jugend ein Privatvergnügen. Nach Tische gehen hölzerne Teller, in deren Mitte ein Messer als Wahrzeichen steckt, zum Einsammeln eines Trinkgeldes für Hochzeitbitter, Metzger und Musikanten um. Auch die Aufspülerin des Geschirrs sammelt Gelder in ein mit Wasser gefülltes Schüsselchen.
Die Speiseordnung ist eine althergebrachte, festgesetzte. Reisbrei, Sauerkraut mit Würstchen, Schweinsknöchlein, Stockfisch, Klöße spielen die Hauptrollen. Die Abänderung für den zweiten Tag ist unbedeutend. An jedem Tage werden jedem einzeln eingeladenen Gaste noch eine respectable Menge Speisen mit nach Hause gegeben, allein fünf Pfund gekochtes und gebratenes Fleisch, zwei Siedwürste und eine Bratwurst, Kuchen, Brod etc.
Nach aufgehobner Tafel am ersten Hochzeittage bleibt die Braut mit ihrer Bedeckung in der Ecke sitzen. Auf den Tisch wird eine große, leere zinnerne Schüssel gestellt. Die mit Bändern und Tüchern verzierten Degen der Brautführer werden in die Stubenecke über der Schüssel gesteckt, so daß der wehende Schmuck derselben in diese herabhängt. Neben der Schüssel sitzt der Hochzeitbitter mit rusticaler Grandezza, Papier, Feder und Tintenfaß vor sich, um die Hochzeitgeschenke zu Protokoll zu nehmen. Die Gäste treten einzeln vor seinen Richterstuhl und legen das Geldgeschenk, drei bis sieben Gulden, in die Schüssel, das Effectengeschenk auf den Tisch. Dabei wird wieder allerhand Scherz getrieben. So stellen sich diejenigen, welche recht hohe Geschenke in der Tasche haben, als wollten sie gar nichts schenken; aufgefordert, an die Schüssel zu treten, schieben sie Andere vor, lassen sich mehrmals mahnen, herbeizerren, schelten etc., bis sie endlich herausplatzen und sich triumphirend zurückziehen. Zuerst schenken die Eltern und nächsten Verwandten, dann die übrigen Gäste. Für jedes Geschenk bedanken sich die jungen Eheleute, und die Musik spielt einen Tusch, bei denen, welche die eben beschriebene kleine Komödie spielen, wird’s eine rauschende Fanfare.
Am dritten Tag endet die Hochzeit mit einem Frühstück, als dessen letztes symbolisches Gericht saure Kuttelflecke aufgetragen werden. Denn es heißt: „Kuttelfleck, scheer Dich weg!“ Damit ist’s aus, und die Gäste erhalten nur die Hälfte der Speisen der vorherigen Tage mit nach Hause.
Uebrigens kommen Bier, Schnaps, Butter, Käse und Brod während der drei Tage nicht vom Tisch: weg, und Jeder thut, was in seinen Kräften steht, um so viel als möglich Comsumtibilien zu vertilgen.
Bei Kindtaufen und Begräbnissen sind ähnliche Gebräuche herrschend; dort ist der Kindtaufschmaus, hier der Leichentrunk und die Trauermahlzeit die Hauptsache. Da sie diese mit den übrigen Oberfranken ziemlich gemein haben, und wir nicht zu viel Raum der Gartenlaube in Anspruch nehmen dürfen, so übergehen wir sie, ebenso die Sichel- und Drischellege, d. i. der Schnittern, Gesinde und Freunden gegebene Ernteschmaus; die Schlachtschüssel mit dem sogenannten Würstfahren, einem Mummenschanz mit Musik, der zur Belohnung ebenfalls eß- und trinkbare Geschenke erhält, um uns noch der Kirmeß, als dem eigentlichen Volksfest, zuwenden zu können, weil gerade an diesem die slavische Abstammung der Hummeln recht klar und überzeugend hervortritt.
Ich hatte das hübsche Hummelland lieb gewonnen, und ging deshalb in Begleitung von Freunden im Herbste auf einige ihrer Kirmessen hinauf. Mit Essen und Trinken geht’s zu, wie auf andern Dorfkirmessen im großen deutschen Vaterlande auch. Es kommt Besuch aus der Stadt und aus andern Dörfern. Dabei ist nichts Besonderes. Dieses besteht in der Nationalkleidung, die an den beiden Festtagen noch in möglichst alter Reinheit hergestellt wird; sodann im Tanze. Der Tanz der Hummelbauern ist sehr eigenthümlich; er kennt kein rasches Tempo, wie der andrer deutscher Länder, sondern bewegt sich langsam, fast schläfrig, man möchte sagen, traurig. Tänzer und Tänzerin umfassen sich gegenseitig mit beiden Armen und drücken sich so aneinander. Nun drehen sie sich langsam nach dem langsamen Takt der Musik fast immer auf derselben Stelle, so daß sie kaum merklich vorwärts kommen. Dann und wann packt aber der Tänzer die Tänzerin plötzlich unter den Armen fest und schleudert gleichsam in die Luft, fängt sie wie einen Ball wieder auf, um dieses seltsame Experiment zu wiederholen, und nun tanzt sie allein um den Tänzer herum, wobei sich dieser passiv verhält. Dabei jauchzen beide, und diese ganze extraordinäre Tanzkunst sieht aus, als wollten die Betheiligten sich für die Langsamkeit des übrigen Tanzes entschädigen. Auf den fremden Zuschauer macht diese Tanzweise mit ihren schroffen Contrasten einen eigenthümlichen Eindruck. Nichts aber zeugt mehr für die slavische Abkunft der Hummeln, als diese Tanzweise.
Das Schicksal verschlug mich unmittelbar von der Grenze des Mistelgaues mitten unter die Slovaken in Oberungarn. Hier fand ich nicht nur dieselbe Bauart der Häuser, dieselbe wirthschaftliche [312] Einrichtung, denselben großen Hut (im Trentschiner Comitat und bei den Horniaken, den Bewohnern der kleinen Karpathen) der Männer, dieselbe weiße Tücherkopfbedeckung der Frauen, dasselbe Regentuch, nur ohne rothen Streif, ähnliche Sitten und Gebräuche, ähnliche Bekleidung, aber vorzüglich denselben wunderlichen Tanz, das träumerische Drehen des Paares auf einer Stelle, und dasselbe wilde Emporschleudern der Tänzerin, und das darauf folgende tanzende Umkreisen des Tänzers durch die Tänzerin. Wenn nur noch ein Zweifel an dem slavischen Ursprünge der Hummeln geblieben wäre, in Ungarn wär’ er gehoben worden.
Der Hauptmoment der Kirmeß ist der sogenannte „Platz“. Es wird eine Maie gesetzt, wie in Thüringen; der Baum, welcher diesen alten deutschen Namen überall führt, ist auch hier eine bis zum Gipfel geschälte Tanne, welche in den Gipfelzweigen mit Tüchern, Bändern und allerhand Nürnberger Spielkram behangen ist. Ein ziemlich großer Kreis um diesen „Maienbaum“ ist zum Tanzplatz geebnet. Gegen Abend ziehen die jungen Bursche und Mädchen paarweise mit Musik unter Anführung des „Platzmeisters“ mit weißem Vortuche, die alte Bierstützel in der einen, einen Teller mit Bierglas in der andern Hand, auf und schließen einen Kreis um den Baum. Diese heißen nun Platzbursche und Platzmädchen. Sie müssen durchaus alle von untadelhaftem Lebenswandel sein; wer öffentlich Aergerniß gegeben hat, ist ausgeschlossen, und muß auf dem Tanzboden im Wirthshause tanzen. Noch jetzt wird streng auf dieses Sittengericht gehalten, und ich selbst war Zeuge einer wilden Prügelei, die daraus entstand, daß ein Bursche, der unerlaubten Umgang mit einem Mädchen gehabt, sich unterstand, am Platze zu tanzen.
Der Ortsvorsteher hat das Vorrecht, den Platz zu eröffnen und drei Reihen mit einem Platzmädchen allein zu tanzen. Dann tanzen sämmtliche Platzleute drei Reihen um den Baum, zuletzt ist der Platz allen anständigen jungen Leuten von gutem Rufe geöffnet. Die Anrüchigen dürfen auch nicht den Strauß mit rothen Bändern auf dem Hute und den mit Bändern gezierten Flitterkranz, das sogenannte Geflecht, im Haar tragen, welcher Putz das ausschließliche Vorrecht der Platzleute ist. Das Schwenken der Hüte, das Stampfen, Jauchzen und Emporwerfen der Tänzerinnen macht das Bild sehr lebendig. Dabei wird eine unglaubliche Menge Bier verschlungen, und mancher Bursch thut in diesen beiden Tagen mehr, als sich mit menschlicher Gesundheit verträgt. Die jungen Leute haben auch fast durchgehend ein krankhaftes Aussehen. Nach von Kraft und Gesundheit strotzenden, jugendlich blühenden Gestalten wird man vergebens suchen.
Die Tanzböden in den Wirthshäusern sind für feiner organisirte Naturen ein peinlicher Aufenthalt. Es darf nicht verschwiegen werden, daß sie zur Kirmeß gedrängt voll sind, und die vorgeschrittene Cultur die meisten ihrer nicht eben preiswürdigen Elemente durcheinander gewürfelt hat. Welch’ ein Staub und Dunst! Wie viel Schweiß-, Tabaks- und Bierexhalationen! Ein Gedränge und Gestoße, so daß einem eine pralle Dirne auf der Brust liegt, wenn man eben einen schreienden, berauschten Burschen abgeschüttelt hat.
Meist ist eine Kegelbahn in der Nähe, wo ein Platzbursche den Wirth und Aufseher macht, und zinnerne, mit Bändern geschmückte Gefäße, Tücher und andere für den Bauernstand werthvolle Raritäten ausgekegelt werden. Zuweilen ist auch ein mit Bändern und Tüchern prächtig herausstaffirter fetter Hammel der Siegespreis.
Der hervorstechende Charakterzug der Hummelbauern ist strenges, ja zähes Festhalten an Sitte und Gebrauch der Väter. Ihr Tanz ist bezeichnend für ihr Wesen: sie drehen sich immer auf der selben Stelle, und kommen nicht vorwärts. Doch finden wir diese Eigenheit bei allen Völkern: wie sie tanzen, so sind sie. – Inzwischen dringt der mächtige Geist der Neuzeit, der von der Befangenheit und dem Vorurtheil der Väter erlösende, dem auf die Dauer nichts widerstehen kann, auch in diesen Erdenwinkel. Auch unter den Hummeln hat er sein zersetzendes, nivellirendes Werk begonnen.
Von ihrer Abstammung wissen die Hummeln selbst nichts; auch hat sich kein historisches Document, ja nicht einmal Andeutung erhalten, wann sie ihren jetzigen Wohnsitz eingenommen haben. Sie sind eben einer jener abgerissenen Völkerfetzen, deren eine Menge in Europa durcheinander flattern, und die nach Jahrhunderte langem Bewahren ihrer Farbe endlich abbleichen und in der Allgemeinheit aufgehen, welcher die europäische Völkerfamilie entgegenschreitet.