Land und Leute/Nr. 27. Das Hotzenland

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Autor: Ludwig Steub
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Titel: Das Hotzenland
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aus: Die Gartenlaube, Heft 23–24, S. 356–359, 374–376
Herausgeber: Ernst Keil
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Erscheinungsdatum: 1868
Verlag: Verlag von Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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Quelle: Scans bei Commons
Kurzbeschreibung: Reisebericht aus der Artikelserie Land und Leute, Nr. 27
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Land und Leute.
Nr. 27. Bilder aus dem Schwarzwald. Von Ludwig Steub.
II. Das Hotzenland


Zwischen Constanz und Basel laufen vom Feldberg herunter zwei rauschende Gewässer in den Rhein und heißt das eine, die Schwarzach, das andere die Werra. Unten am Rhein sind ihre Rinnsale ungefähr sechs Wegstunden auseinander, weiter oben rücken sie etwas näher zusammen. Zwischen diesen beiden Bergströmen, gegen Norden an das Gebiet der Abtei Sanct Blasien anstoßend, lag ehemals die Grafschaft Hauenstein, ein jetzt noch oft genanntes Ländchen, doch, wie es scheint, mehr von Malern als sonstigen Touristen gesucht. Den Namen hatte es von einem alten Felsennest am Rheine, zu dessen Füßen ein verwittertes Städtchen liegt, das ebenso heißt. Diese Landschaft soll etwa acht Geviertmeilen umfassen und einhundert und fünfzig Dorfschaften mit dreißigtausend Menschen zählen, welch letztere unzweifelhaft alemannischer Abkunft und katholischen Glaubens sind.

Die Grafschaft Hauenstein oder „der Wald“ hat in den letzten Jahrhunderten eine Geschichte erlebt, so voll und mannigfaltig wie manches Königreich. Man glaubt aber daraus namentlich zu lernen, wie viel davon abhängt, wohin die Menschen oder die Völkerschaften, wenn sie geboren werden, zu liegen kommen. Die Hauensteiner sind offenbar verlegt worden. Wäre ihre Wiege in der Vorzeit am Vierwaldstädter See gestanden, so würden sie sich bei ihrem Temperament und ihren Neigungen ohne Zweifel zu einem sehr achtbaren Urcanton herausgebildet haben und vielleicht noch in diesem Jahre die Prügelstrafe anwenden. So aber, in ungünstige Lage und ungünstige Nachbarschaft versetzt, oft von schlimmen Bauernkönigen geleitet und geführt, von vielen Hunden gehetzt und gebissen, ist ihr Wesen fast zur Caricatur geworden und erregt jetzt mehr Mitleid als Bewunderung.

Ueber die Geschichte der Hauensteiner theilen wir der Kürze halber nur das Wissenswertheste mit, wie wir es aus anderen Büchern, die darüber an’s Licht gekommen sind, zusammengetragen haben. Wir ersehen daraus, daß die Hauensteiner schon unter Kaiser Albrecht († 1308) in die Steuerregister der Grafen von Habsburg eingetragen waren. Sie dagegen datirten ihre staatsrechtliche Existenz, vielmehr ihre Freiheiten, von jeher auf einen fabelhaften Grafen Hans von Hauenstein zurück, der sie einst auf seinem Todbette alle für frei erklärt, sie dem Reiche vermacht und ihnen allerlei Rechte und Privilegien hinterlassen haben soll. Die betreffende Urkunde hat man zwar nie gefunden, aber die Hauensteiner glaubten immer daran, daß sie wohl noch einzusehen wäre, wenn nicht heimtückische Hände sie in Freiburg oder in Wien oder in irgend einem alten Burgverließ oder gar in einem abtrünnigen, treulosen Bauernhaus „im Walde“ verborgen und vergraben hätten.

Allmählich treten aus der Nacht der Vergangenheit die acht „Einungen“ der Hauensteiner hervor, Verbrüderungen der Bauerschaft untereinander, wie in Hohenrhätien und in der Schweiz, „einander zu helfen gegen männiglich, so sich wider uns setzt oder uns angreift, alles jedoch ohne Abbruch der Rechte des Hauses Oesterreich oder der Abtei Sct. Blasien“.

Mit dem Gotteshaus gab es jedoch allerlei Späne. Die Leute im Hauenstein waren theils freie, theils Zinsbauern, theils Leibeigene der Abtei; diese aber suchte den Hirtenstab immer wuchtiger zu schwingen und wollte sie allmählich alle in ihre Hörigkeit bringen. Darüber viele Verschwörung und Aufruhr im Walde, und als der Bauernkrieg ausgebrochen und etliche Wiedertäufer dazu getreten waren, zogen die Leute von den Höhen hinunter nach St. Blasien, gingen auf die Urkunden los, aus denen ihnen die Jünger St. Benedict’s jeweils soviel widerwärtige Auskunft herausgelesen hatten, und brachten eine solche Verheerung in das Archiv, daß man damals bis an die Kniee in lauter zerrissenen Documenten waten konnte.

Nach einigen kleineren Wirren, die sich aber um österreichische Ansprüche drehten, erzählt uns die Geschichte von dem großen, maßgebenden und noch immer unvergessenen Aufstand der „Salpeterer“, dessen Anfang in’s Jahr 1719 fällt. Damals wollte der Abt seine angeblichen Rechte wieder neuerdings nach eigenen Heften aufrichten und herstellen, auch die Leibeigenschaft wieder festigen, allein die Wälder nahmen den Handschuh auf und gingen muthig in den Kampf für die Freiheit. Es entstand ihnen auch ein Timoleon, welcher Johann Fridolin Albiez hieß und mit Salpeter handelte, weswegen seine Waffenbrüder die Salpeterer genannt wurden. Was früher nur verschwommene Tradition gewesen, das erhob der Salpeterhannes zum allgemein geglaubten Rechtssatz, nämlich, daß der Hauenstein durch des Grafen Hansen Testament an’s Reich gefallen und weder Oesterreich noch St. Blasien unterthänig sei. In nächtlichen Versammlungen wurde auch nach alter Wiedertäufer Weise getagt und gepredigt, das Reich Gottes sei nahe, die Herren und Soldaten müßten erschlagen und die Güter der Bösen unter die Gerechten vertheilt werden. So war der Salpeterhannes ungefähr acht Jahre lang der Meister im Walde – die Hauensteiner scheinen keine Zinsen und Zehnten mehr entrichtet und sich ganz unabhängig benommen zu haben – bis die Herren von der vorderösterreichischen Regierung zu Freiburg, welche zu St. Blasien hielt, den Volkshelden einfangen und in enge Haft setzen ließen, wo er bald starb. Der Märtyrer fand jedoch einen Nachfolger in dem Müller von Haselbach, Martin Thoma, aber in der Schlacht bei Doggern, wo die Oesterreicher [357] zwölfhundert Mann stark aufgestellt waren, liefen die Salpeterer unter seiner Leitung schon bei der ersten Salve davon. Die Anführer wurden nach Ungarn verwiesen, der Müller von Haselbach gar auf die Festung Belgrad gesetzt; jedoch ging nach all’ dem langen Hader endlich auch der Tag der Versöhnung auf, indem die Abtei für achtundfünfzigtausend Gulden alle Ansprüche auf Leibeigenschaft der Hauensteiner aufgab (1738).

Nun der geistlichen Herren ledig, fingen aber die Wälder sofort auch mit den weltlichen einen Unfrieden an. Unter Berufung auf den alten Grafen Hans ließen sie zwanzig Gesandte nach Wien gehen, die den Kaiser überzeugen sollten, daß sie nicht österreichisch, sondern des Reiches seien. Zugleich zogen hundertundelf schneeweiße Jungfrauen wallfahrend nach Maria Einsiedeln, um auch die Mutter Gottes um Schutz für die gute Sache zu bitten. Die Gesandtschaft fand zwar zu Wien kein Gehör, trug aber doch der Volksversammlung im Hauenstein vor, sie habe ihren Zweck erreicht. Sofort wieder Unordnung und Aufruhr, kaiserliche Commission zur Untersuchung der Beschwerden, Zwist mit dieser und endlich ein Treffen bei Etzwyl, wo fünfhundert Grenadiere die Salpeterer abermals auseinander stäubten, wie früher bei Doggern. Sechs der Hauptleute wurden damals zu Albbruck an den Galgen gehängt und die jungen Burschen unter die Miliz gesteckt (1739).

Kirchgang der Hotzen.
Nach der Natur aufgenommen von Theodor Pixis.

All’ dies blieb aber ohne Eindruck, die Salpeterer wollten ihre Verfassung, wie sie Graf Hans gegeben hatte und nicht anders. Sie fingen bald wieder an keine Steuern zu zahlen und nächtliche Versammlungen zu halten. Einmal stürmten sie auch die Stadt Waldshut und nahmen die Waffen wieder, die man ihnen vorher abgenommen hatte. Darauf stifteten sie einen großen Aufruhr an, bis wieder Kriegsvolk in’s Land kam, die Anführer gefangen nahm und nach Ungarn versandte.

So ging es in mehrfachen Wiederholungen fort bis zum Jahre 1755, wo nach dem letzten Aufstand Maria Theresia über hundert Salpeterer jegliches Geschlechts und Alters nach Siebenbürgen abführen ließ. Dort leben vielleicht ihre Enkel noch, sie selbst aber sind längst verschollen.

Diese Geschichten könnten uns in die Zeiten Wilhelm Tell’s versetzen. Aber für die Hauensteiner war’s zu spät. In den Tagen Maria Theresia’s war Vieles nicht mehr möglich, was zu Zeiten Ludwig des Bayern ganz leicht gegangen wäre. Abgesehen von der Ungunst des Ortes hatten die Hauensteiner für ihre Bestrebungen auch ein ganz unrechtes Jahrhundert gewählt, und so sind ihnen denn ihre besten Wünsche nie hinausgegangen.

Von da an herrschte Ruhe in jenen Wäldern. Nur an langen Winterabenden erzählten die Hauensteiner noch vom alten Grafen Hans und seinen Privilegien, von ihren Nationalhelden [358] und wie sie einst die feste Stadt Waldshut eingenommen; da ergingen sie sich auch gerne in der Klage, die von Geschlecht zu Geschlecht forterbte, daß es nämlich mit dem Hauensteiner Niemand gut meine, als er selber, und daß er daher am besten thue, sich von der bösen Welt ganz ferne zu halten und ihr ein griesgrämiges Gesicht zuzukehren.

So hörte man denn lange Zeit nichts mehr von diesen Leuten, bis sie im Anfang des jetzigen Jahrhunderts wieder mehr und mehr zu rumoren begannen. Vorerst war es die Abschaffung unnützer Feiertage, welche dem Hauensteiner Bewußtsein sündhaft und verderblich erschien. Sie behaupteten, man wolle sie lutherisch machen, und kamen wieder häufig in nächtlichen Stunden zusammen. Als aber 1806 das Ländchen an das Großherzogthum Baden gefallen war, stand selbst der alte Graf Hans wieder auf. Die Hauensteiner verweigerten dem Landesfürsten die Huldigung, den Militärdienst und die Steuern. In Karlsruhe hatte man damals andere Dinge zu thun und ließ die Sache gehen bis nach den Befreiungskriegen, wo es Zeit schien, auch wieder an den Hauenstein zu denken und dort eine Ordnung herzustellen. Im Walde aber tauchte der Name der Salpeterer wieder auf und auch ein Nationalheld fand sich wieder. Dieser hieß Aegidius Strittmatter und behauptete, der Geist des alten Salpeterhannes sei ihm erschienen und habe ihn zu seinem Nachfolger ernannt. Sofort wieder nächtliche Zusammenkünfte, bei welchen Aegidius, wie seine Vorfahren, von den alten Freiheitsbriefen predigte, ihren angeblichen Inhalt erklärte und auslegte. Seine Anhänger wollten keine Rekruten stellen und keine Steuern zahlen, die Kinder nicht in die Schule schicken, keine Schornsteinfeger und keine Pockenimpfung anerkennen und verlangten zuletzt ein Schiedsgericht von zwei gesalbten Häuptern, dem römischen Papst und dem Kaiser von Oesterreich, welches einen Spruch thun sollte, ob sie zum Großherzogthum Baden oder zum Reich gehören. Die badische Regierung ließ zwar einige Anführer im Arbeitshaus unterbringen, suchte jedoch sonst die Gluth milde und allmählich zu löschen.

Aber in Kirche und Schule gährte der alte Salpeter noch immer fort. Als in den dreißiger Jahren der alte „Canisius“ abgeschafft und ein neuer eingeführt werden sollte, weigerten sich die Kinder standhaft, das Christenthum nach diesem zu lernen. Und als gar ein Lehrbuch, das ein protestantischer Pastor verfaßt, verbreitet wurde, schickten die Eltern die Freiexemplare zurück und ließen ihre Kinder nicht mehr in die Schule gehen. Dazumal stellten sie die Behauptung auf: ihr rechtmäßiger Landesherr sei eigentlich der Erzherzog Ferdinand von Oesterreich! Wie sie auf diesen gekommen, ist nicht klar; wahrscheinlich führten sie seinen Stammbaum auf den alten Grafen Hans zurück.

Den Erzherzog Ferdinand konnte man ihnen zwar als Landesherrn nicht gewähren, aber sonst geschah Alles, um sie zufrieden zu stellen; nur daß sie, wenn eine Beschwerde abgethan war, gleich wieder drei in Vorrath hatten. Sie beschwerten sich namentlich über ihre Geistlichen, als wären diese alle vom wahren Glauben abgefallen, vermieden die Kirche und hielten ihren Gottesdienst in einsamen Waldcapellen oder zogen Sonntags zu diesem Zweck in die benachbarte Schweiz. Die eigentliche und wahre katholische Religion schien ihnen überhaupt nur mehr in der Schweiz zu blühen, namentlich in den Klöstern zu Muri und Einsiedeln, wohin sie häufig wallfahrteten: Man hat es damals sehr wahrscheinlich gefunden, daß sie von diesen andächtigen Wanderungen manchen Zunder mitbrachten, der zu Hause hartnäckig fortknisterte. Es ist nicht zu verwundern, daß in diesen Zeitläuften auch wieder viel von Graf Hansen und den alten Privilegien die Rede war.

Wir können aber nicht ausführlich erzählen, was im Lauf der Zeit noch für Anstände hervortraten und mit welchen Mitteln der Landesfürst und der Erzbischof die Schwachen im Geiste zu begütigen gesucht; wir wollen nur noch sagen, daß die Salpeterer sich allmählich in die neuere Zeit zu schicken schienen. Auch ihre Klagen über die Priesterschaft wurden immer leiser, je mehr die erzbischöfliche Curie, welche früher im Gerüche des Aufklärichts gestanden, selbst zu den Anschauungen der Hauensteiner herniederstieg. Gleichwohl starb noch in den letzten Zeiten hier und da ein alter Sonderling, der auch auf dem Todbette von einem badischen Geistlichen keine Tröstung annehmen wollte. Andere giebt es noch, welche sich zum Beispiel dem neuen Schulgesetze nicht unterwerfen oder trotz der Ablösung den Zehnten auf den Feldern liegen lassen. Ferner steht ein dürrer Apfelbaum bei Egg, an dem verfallenen Hause des Müllers von Haselbach, der den Hauensteinern dieselbe Bedeutung hat, wie der Birnbaum auf dem Walserfelde den übrigen Deutschen. Wenn nämlich die Zeiten ernster werden und die Völker unruhig, und im Rheinthal unten die Regimenter marschiren, dann kommen die alten Salpeterer aus her Ferne, von drei, vier Stunden weit her und lugen, ob der Apfelbaum nicht wieder grünend werde; denn dieses wäre ein Wahrzeichen, daß die Kaiserlichen kommen und den „Rechten“ bringen und mit ihm der Grafschaft alte, nie vergessene Privilegien und Freiheiten.

Alle diese Begebenheiten sind nun dahingerauscht, ohne sichtliche Denkmäler zu hinterlassen. Es steht weder auf dem Schlachtfelde von Doggern noch auf den Hügeln von Etzwyl ein Monument; auch haben die Hauensteiner bisher weder dem Salpeterhannes noch dem Müller von Haselbach oder dem Aegidi Strittmatter eine Bildsäule errichtet, ja man sieht ihre Portraits nicht einmal an den Wänden der Wirthshäuser hängen oder auf den Pfeifenköpfen prangen. Nur Ein Erinnerungszeichen hat sich erhalten an alle diese Verschwörungen und Meutereien, die verlornen Schlachten und die mißlungenen Wiener-Reisen, die nächtlichen Zusammenkünfte und den Gottesdienst im grünen Wald, an all’ die Streitigkeiten mit weltlichen und geistlichen Herren, und dies Erinnerungszeichen ist die Tracht.

Die Hauensteiner Tracht besteht in einer langen, bis auf den Nabel reichenden Weste, dem „Brustlatz“, welcher vorne geschlossen ist, daher wie ein Panzerhemd über den Kopf geworfen und unter der Achsel eingehaftet wird. Er ist hochroth und oben mit schwarzsammtnen Streifen eingefaßt. Darüber trägt der Mann ein sammtnes Kamisol ohne Kragen und Knöpfe von dunkler Farbe, das aber früher ebenfalls roth gewesen sein soll; ferner schwarze Pluderhosen und weiße Strümpfe; endlich Schuhe mit einem gelben Lappen. Das Haupt bedeckt ein schwarzer Strohhut oder auch eine grüne Sammtmütze, welche mit Pelz verbrämt ist. Auch der Kragen des Hemdes ist zu bemerken, welcher kunstreich gefältelt und breit herausgeschlagen wird.

Diese Tracht, welche früher die allgemeine war, ist jetzt keineswegs mehr die gewöhnliche, vielmehr sind kaum noch ein paar hundert Männer zu zählen, die aus Anhänglichkeit an das alte Herkommen darin zu paradiren für gut finden. Wer sie aber trägt, der heißt „e Hotz“, und deswegen konnte der fürstliche Rath in Donaueschingen mit Grund von Hotzennestern sprechen.

(Der Name soll übrigens von Hoze herkommen, wie man ehemals für Hose sprach.) Die Frau des Hotzen heißt die Hötzin, und seine Kinder, wenn sie in seiner Tracht gekleidet gehen, die Hötzli. Es ist aber leicht zu merken, daß dieses Gewand von allen denen, die es nicht mehr tragen, gewissermaßen als eine Demonstration erachtet wird; Man glaubt, in seinen Trägern lebe noch der Geist der alten Salpeterer fort. Man betrachtet aber das Hotzenthum im Hauenstein selber heutiges Tages wenn nicht als geistige Krankheit, so doch als eine leichte Monomanie von mehr komischem als ernstem Gehalt; zugleich aber, und wohl mit Recht, als eine große, als die größte Merkwürdigkeit des Ländchens. Wenn man auf der Wanderung stellenweise nach Herrischried, nach Rickenbach fragt, so fügen selbst die Kinder ihrer Antwort mit schalkhaftem Lächeln bei, wie groß da oder dort das Corps der letzten Hotzen noch sei. Auch wird fast von jedem Hauensteiner, den man dem Fremden nennt, pflichtschuldigst erwähnt, wie er sich zum Hotzenthum verhalte. „Sî Vater isch e Hotz gsi, aber an dem isch es usgange,“ sagte die Wirthin von Rickenbach von irgend Jemand, den ich vergessen habe; aber die Phrase kam mir so bezeichnend vor, daß ich sie mir ganz haltbar einprägte.

Nachdem wir also nach Immeneich im schönen Thale der Alb hinuntergestiegen waren, fragten wir zuerst nach dem Hotzen, den wir am Schlusse des ersten Capitels erwähnt haben. „Er ist soeben dagewesen,“ sagte der Posthalter, „um ein Schöppchen zu trinken; jetzt wird er wohl auf dem Heimwege sein.“

Um in der Anrede und sonst im Gespräche nichts zu verfehlen, baten wir um einigen näheren Unterricht über Name, Stand und Herkommen des Gesuchten, worauf wir dann hörten, er nenne sich Johann Jehle, sei einst Bürgermeister gewesen, ein wohlhabender und sehr angesehener Mann. Zugleich wurde uns sein Haus bezeichnet, auf welches wir nun zugingen, doch überall spähend, ob er nicht etwa unterwegs einen Aufenthalt gefunden. Und in der [359] That, als wir beim Wagner des Dorfes vorüberkamen, sahen wir ihn in dessen Werkstatt stehen, wie er mit dem Meister freundlich plauderte, Der erste Eindruck des Hotzen war ein sehr bedeutender, zumal derselbe ein großer schöner Mann ist, dem die Tracht, die wir oben beschrieben, vortrefflich zu Gesichte steht. Nur hatte er dieses Mal das schwarze Camisol nicht übergezogen, vielmehr ging er, als auf Arbeit bedacht, in weißen Hemdärmeln einher und hatte auch eine weiße Schürze vorgebunden. Die Sorgen des Werktags dämpften jedoch seine Heiterkeit nicht, vielmehr schien er in bester Laune und das ganze gutgefärbte Antlitz, von den kurzen blonden Löckchen, welche die Stirn umwehten, bis herunter zum fleischigen Kinn, lachte freundlich und friedlich in die Welt hinaus. Wir begrüßten ihn also sehr achtungsvoll und er, dem solche Besuche nicht ungewohnt schienen, erwiderte unsere Ansprache mit offenen, herzlichen Worten. Er schien wohl zu wissen, daß uns Alles, was an ihm war, interessant sein müsse – wie hätten wir sonst den weiten Weg gemacht? – und er gab uns daher alle Raritäten entgegenkommend preis.

Mit gespannter Neugierde untersuchte auch der Herr Maler den Bau seiner rothen Jacke, die Haften unter der Achsel, die schwarze Hotzenhose vom dicksten Tuche, die aber bei ihm eigentlich nicht gefältelt, sondern mit scharfem Messer von oben bis unten dich aneinander eingekerbt ist, so daß sie allerdings den Anschein gewinnt, als wäre sie in hundert kleine Fältchen gelegt.

Waren wir schon sehr zufrieden gestellt durch diesen heitern Anfang, so wurden wir noch freundlicher angesprochen, als uns der Hotze einlud, mit ihm unter sein Dach zu kommen. Wir betraten eine große Bauernstube, welche von der Gasse her durch eine lange ununterbrochene Fensterreihe erhellt war. Dieser Breitseite gegenüber trat in die Stube wie ein Thurm ein mächtiger Ofen herein, dessen Kacheln in ihrer grünen Farbe an die smaragdenen Seen des Hochgebirgs erinnerten. Neben dem Ofen und in Verbindung mit demselben war aber auch die ganze Wand tapetenartig mit solchen Kacheln verkleidet, deren Farbe von dem tiefen Dunkel des Gebälkes anmuthig abstach. Ueber sie herunter hingen allerlei Kleidungsstücke in bunter Reihe, auch mehrere Laternen für Haus und Stall. An den beiden Wänden, die noch übrig blieben, prangten etliche Tafeln mit frommen Bildern, auch zwei sehenswerthe Uhren, und in den schwarzen Balken, welche die Decke trugen, waren zahlreiche Schriften, Kalender und Zeitungen eingesteckt.

Es konnte unsere Achtung vor dem Gastfreunde nur erhöhen, als dieser auch noch eine Halbe Wein aufstellen ließ und fröhlich Bescheid that. Was wir aber damals gesprochen, wer kann es jetzt noch wissen, da es doch schon einige Zeit her ist und Niemand anwesend war, der sich unsere Reden aufschrieb? Nur so viel vermögen wir noch zu sagen, daß der Altbürgermeister sich scherzend selbst für einen Hotzen ausgab und der Meinung war, man dürfe sich dieses Namens nicht schämen, da er nichts Unrechtes bedeute. Was die alten Salpeterergeschichten betrifft, so meinte er, man habe sie mehrentheils vergessen, und wenn die Herren Geistlichen und Beamten brav und tüchtig seien, so habe man sie im Hauenstein eben so lieb, als anderswo. Gern sprach er auch von seiner einzigen Tochter; welche glücklich verheirathet ist und in acht Jahren ihren Gatten mit fünf frischen Kindern beschenkt hat. „Eine rasche Zunahme des Hausstandes,“ meinten wir.

„Ei,“ sagte der Hotz dagegen, „so lange die Kinder so gut gerathen, sollen sie nur so fortmachen.“

Unser Herr Reisegefährte war tief erregt durch diese neue und anziehende Erscheinung. Und wenn ein Hotze schon so mächtig wirken konnte, welcher Eindruck mußte erst entstehen, wenn ihrer gleich ein halb Dutzend nebst Hötzinnen und Hötzli vor den trunkenen Blick treten würden? „Ach, laßt uns hinaufziehen,“ rief er sehnsüchtig aus, „nach Herrischried und Rickenbach, den Hotzennestern. Mich befällt ein wunderlich Verlangen, Mehrere der Edlen in ihren Wohnungen, am häuslichen Heerde zu beschauen. Laßt uns hinaufgehen in jene magischen Landschaften, wo die rothen Jacken glühen und die schwarzen Hosen dunkeln!“

Also zogen wir hinaus in die Höhe, wo sie liegen, jene mehrgenannten Stätten seiner Sehnsucht. Von der Gegend wollen wir nicht viel sagen. Sie bestand aus Wiesen, Kornfeldern, Tannenwäldern und tiefeingerissenen Tobeln. Auch Häuser stehen darin und Dörfer mit verschiedenen Kirchen. Das Schönste auf diesen Wegen durch den „Wald“ ist aber die großartige Aussicht auf die Schweizer Alpen, die freilich an keinem anderen Ort so ausgedehnt und umfassend ist, als zu Höhenschwand.

Also erreichten wir Herrischried, ein ziemlich großes, weit ausgebreitetes und hoch angesehenes, fast als Metropole betrachtetes Dorf, welches zwar Hebel als „Herrischried im Wald“ ansingt, das aber zu unserer Zeit schon lange nicht mehr im Gehölz liegt, sondern in einem sonnigen, wohlbebauten, mit Kornfeldern durchschachten Thalgelände. Auf einer Anhöhe steht eine neue, ansehnliche, zweithürmige Kirche, die wir den Hotzendom nannten. Da es Sonntag war, so mußten wir die bedeutenderen Männer der Gemeinde natürlicherweise im Wirthshause suchen. Hie und da hatten wir auf dem Wege schon manchen fernen Hotzen entdeckt, dessen rother Brustfleck in dem schwarzen Camisol aufleuchtete wie ein brennender Dornbusch im dunklen Fichtenwalde, aber in die Nähe war uns keiner der Trefflichen mehr gekommen. Im Wirthshause dagegen fanden wir deren ein halb Dutzend am langen Tische sitzen und zur Vesper einen Schoppen Hauensteiner Bieres trinken. Sie saßen steif und aufrecht nebeneinander und rauchten aus großen Porcellanköpfen, welche eine billige Malerei verzierte. Als fromme und andächtige Tabakraucher wollen die Hotzen auf ihren Pfeifen nur ungern weltliche Bilder dulden und lassen sich lieber Christus mit dem Kreuze, Maria mit den sieben Schmerzen und Aehnliches darauf malen.

Es ist leicht möglich, daß die Männer schon vorher nichts Erhebliches disentirt hatten, aber als wir uns zu ihnen setzten, gaben sie die Unterhaltung gänzlich auf. Obgleich wir uns auf verschiedenen Gängen durch die Welt ziemliche Fähigkeit erworben, mit den Helden der Dorfgeschichten umzugehen und ihre schwere Zunge beweglich zu machen, so wollten unsere Versuche hier doch nicht recht gelingen.

Die Enkel jener großen Bauernkönige, Steuerverweigerer und Waldbeter gaben auf unverfängliche Fragen allerdings eine Antwort, aber sie war immer sehr kurz gefaßt und schien eher anzudeuten, daß sie nicht behelligt, als daß sie von uns unterhalten sein wollten. Die älteren Hotzen mit dem Bewußtsein, daß sie der Mitwelt unverständlich geworden, und nicht im Stande, ihre Stellung so heiter aufzufassen wie der Urhotz zu Immeneich, sind nämlich, wie wir oben schon bemerkt, sehr mißtrauisch und haben an fremden Leuten nur wenig Gefallen.

Die offene Gesprächigkeit der übrigen Schwarzwälder sucht man in diesen Kreisen vergebens. Daß wir unter solchen Umständen damals nicht von den alten Salpeterern zu reden anhoben, versteht sich wohl von selbst. Um ein Gutes fröhlicher ging es dagegen in der nächsten Stube her, wo mehrere junge Krieger, die eben von den Heldenthaten am Maine zurückgekehrt waren, mit Freunden und Freundinnen die ersten Freuden des Wiedersehens feierten. Unter den Leutchen dieses Alters war nichts zu merken von dem trüben Frust der monumentalen Hauensteiner, die schweigsam an dem langen Tische in der vordern Stube saßen; vielmehr konnte man sich leicht überzeugen, daß das Hotzenthum bereits an ihren Vätern „usgange“ war. In dieser Gesellschaft brach nämlich eine derbe, etwas bäuerische Fröhlichkeit ganz unumwunden durch; sie sprachen sehr laut und kräftig, suchten auch ohne Unterschied des Geschlechts von Zeit zu Zeit zu singen und zu johlen, so gut sie’s eben verstanden. Nebenbei konnten wir auch beobachten, wie sich hier zu Lande die Tracht der Weiber und Jungfrauen ausnehme. Ehedem hatte sie auch ihre hötzlichen Besonderheiten, namentlich war der Kopfputz sehr eigenthümlich, jetzt aber gleicht sie ziemlich der durchschnittlichen Landestracht der Schwarzwälderinnen. Die Farben sind meist dunkel; von der Haube flattern zwei lange seidene Bänder herab, die fast bis an den Boden reichen, und über den Rücken weit hinunter wallt der Zöpfe blondes Zwiegespann.

Zur ethnographischen Erinnerung an das Hotzenthum stellt sich hier noch ein Bildchen ein, welches der Maler ebenfalls im Hauenstein aufgenommen. Es ist der feierliche Moment erfaßt, wo die Seelen am Sonntag nach Predigt und Amt aus dem Gottesdienste kommen. Das alte Dorfkirchlein, der Friedhof, das Hirschenwirthshaus, die Hotzen, die Hötzinnen und die Hötzli bilden zusammen ein Ganzes, das der Beschauer gewiß mit eben so viel Vergnügen betrachten wird, als der Maler empfunden hat, da er es schuf.



[374]
III. Das Hotzenland.
Im Ochsen zu Rickenbach. – Das Heidewible. – „Das Schloß von Harpolingen“. – Das Hotzenhaus. – Scheffel’s Abschätzung der
Hauensteiner. – Der verspielte Ohrlappen. – Das helvetische und basische Laufenburg.

Nach den geschilderten Erlebnissen zu Herrischried im Wald gingen wir wieder von dannen und kamen denselben Abend nach Rickenbach. Auch da giebt’s noch eine Anzahl Hotzen, doch fühlten wir nach den heutigen Erfahrungen keinen besondern Drang mehr, ihnen eigens nachzugehen, nahmen’s daher auch ohne Betrübniß auf, als wir im Wirthshause zum Ochsen hörten, die Wackern seien, nachdem sie den Vespertrunk verrichtet, bereits nach Hause gegangen. Im Ochsen bereitete uns die junge Frau Wirthin, welche zu Säckingen das Kochen gelernt, einen Abendimbiß, den wir nicht verachten konnten, und ein leidliches Nachtlager. Doch war die Herberge sonst sehr dürftig ausgestattet und auch etwas schmutzig. Im „Herrnstüble“ waren wir heute die einzigen Gäste, aber durch die große Zechstube sahen wir noch in ein anderes dunkles Gemach, wo bei düsterm Lichte etliche Gesellen Karten spielten. Es waren ohne Zweifel sehr anständige Leute, aber das schwarze Gemach und das gelbe Licht ließ die Gestalten so unheimlich erscheinen und sie trieben ihr Geschäft so leise und geheimnißvoll, daß wir uns gar nicht in ihren Dunstkreis wagten, sondern, ohne nähere Bekanntschaft anzustreben, wieder zu unserm Abendtrunk zurückkehrten.

[375] Andern Morgens beim Frühstück lenkte der Wirth unsere Aufmerksamkeit auf die interessanteste Persönlichkeit im stillen Rickenbach, auf das Heidewible (Heidenweiblein). Immer bedacht, unsere Kenntnisse zu erweitern, sandten wir alsbald einen Boten mit der Bitte ab, das Weiblein möge doch gefälligst unser Frühstück mit seiner Gegenwart verschönen. Dasselbe kam auch alsbald herein und theilte unsere Geselligkeit. Es ist ein altes eingeschrumpftes Weiblein, sonst nicht auffallend, doch von großer Beweglichkeit und frischem Geiste. Der Gründlichkeit halber fragten wir zuerst, warum sie das Heidenweiblein genannt werde, worauf sie angab, vor Gott und Obrigkeit heiße sie eigentlich Magdalena Schmid, jenen andern Spitznamen aber habe sie sich dadurch erworben, daß sie nach Art der Zigeunerinnen, welche man hier zu Lande Heidinnen nenne, Tabak zu rauchen pflege. Diese Gewohnheit aber habe sie angenommen, weil sie früher sich viel mit Forellenfang beschäftigt und in dem Wasser stehend sich oft Zahnweh zugezogen, welches sie dann durch scharfe Cigarren zu lindern versucht habe. Allmählich aber habe sie in der Nicotinna nicht mehr eine Arznei, sondern einen lieblichen Genuß gefunden, den sie jetzt sehr hochschätze. Diesen Wink nicht mißverstehend boten wir Beide unsere Opfergaben an, worauf sich das Weiblein sachverständig eine Cigarre ansteckte und die kräuselnden Wölkchen derselben sich mit denen der unsrigen vereinigen ließ. (Nach andern Nachrichten soll das Heidenweiblein allerdings das hinterlassene Kind einer wandernden Zigeunerin sein, was aber hier nicht weiter untersucht, sondern den Localhistorikern zur Aufhellung überlassen werden kann.)

Aber nicht das Rauchen allein macht das Heidenweiblein zum Wunder seiner Nachbarschaft, sondern auch seine Gelehrsamkeit und seine dichterischen Schöpfungen. In der That zeigte es auch eine Belesenheit, die uns staunen machte. Es scheint in jüngern Tagen nicht blos den ganzen Hauenstein, sondern auch ein Stück des gegenüberliegenden Cantons Aargau, ja vielleicht halb Basel und Schaffhausen ausgelesen d. h. alle dort auftreibbaren Bücher in Händen gehabt zu haben. Ihre Gedichte, deren eine große Zahl sein soll, pflegt sie nicht aufzuschreiben, sondern trägt sie, wie die alten Rhapsoden, im Kopfe herum. Wir waren nur um so begieriger, eines dieser Erzeugnisse an uns vorübergehen zu lassen. Das Weiblein zeigte sich auch gleich bereit, unserm Verlangen entgegenzukommen, jedoch unter der Bedingung, daß wir sie nicht unterbrechen dürften. Gerne gingen wir diesen Pact ein, den wir aber bald zu bereuen gehabt hätten.

Das Heidenweiblein begann also eine gereimte Dichtung vorzutragen, welche den Titel führt: „Das Schloß zu Harpolingen“. Harpolingen ist eine schöne Burgruine in der Nähe von Rickenbach, welche eine alte Sage umflimmert, von einem Fräulein, glaub’ ich, das sich aus Liebesschmerz vom Thurm gestürzt. Diese Sage also hatte die Dichterin in ein poetisches Gewand gefaßt, aber eine Anzahl verschiedener Episoden und lange Betrachtungen über Gott, die Welt und das Großherzogthum Baden hineinverwoben. Als wir so eine gute Viertelstunde zwar ruhig zugehört, aber doch gemerkt hatten, daß der Knäuel der ineinander laufenden Fäden immer wirrer werde, und daß vielleicht ein halber Tag darauf gehen könnte, bis Alles wieder entwirrt und das Lied von Harpolingen zu Ende sein würde, betrachteten wir uns mit trüben Blicken und gaben uns Zeichen mit den Augen, welche die Harmonie unserer Gefühle nicht verkennen ließen. So nahm ich mir denn den Muth heraus, fiel unterbrechend in’s Gedicht hinein und sagte:

„Aber, liebes Heidewible, unseren poetischen Bedürfnissen wäre für heute bereits Genüge geschehen – könnten wir das Uebrige nicht ein ander Mal hören?“

„Nein,“ erwiderte sie dagegen mit freundlichem Ernste, „Sie haben mir versprochen, das Ende ruhig abzuwarten, und ich bitte Sie mir dieses Versprechen zu halten.“

Was war zu thun? Wir setzten uns wieder zurecht und lauschten von Neuem auf die alte Sage, glaubten aber doch zu gewahren, daß das Weiblein selbst sich einige Abkürzungen erlaube. Und in der That, nach einer weitern Viertelstunde kamen bereits Verse heran, wie diese:

Sie war so schön und war so zart,
Und hatte viel Geistesgegenwart;
Das Fräulein mußt’ aber doch aufgeben
Seine schöne Gestalt und junges Leben,

Verse, die uns mit der Hoffnung erfüllten, daß das Ende nicht mehr ferne sei. Wir bemerkten auch mit Vergnügen, daß eine der handelnden Personen nach der andern erstochen oder sonst vom Tode ereilt wurde und sich die Geschichte immer mehr vereinfachte.

Es überraschte uns aber nicht wenig, als das Gedicht am Schluß plötzlich in eine Parabase überging, welche die Hauensteiner dringend ermahnt, sich mit den neuen Zeiten zu versöhnen. Vieles Gute hätten diese schon zu Tage gefördert, wie z. B.

Die Eisenbahn – die frißt kein Heu,
Bringt Korn aus Rußland und Aegypten herbei.

Auch der Gensd’armerie sei ein rechtlicher Mensch vielen Dank schuldig; sie sorge für Schutz der Person und des Eigenthums – endlich aber vor Allen solle hoch leben Seine königliche Hoheit der Großherzog von Baden!

So waren wir denn uns selbst wieder gegeben, nahmen Abschied von den Wirthsleuten und wollten unsers Weges gehen, konnten aber nicht umhin auf eindringliches Bitten auch das Haus des Heidenweibleins zu besuchen, welches ohnedem an dem Sträßlein lag. Was nun dieses und einige andere Hotzenhäuser, in die wir unterwegs einen Blick gethan, betrifft, so habe ich allerdings da und dort schon viel hübschere gesehen.

Das Hotzenhaus steckt nämlich unter einem Strohdach, welches aber unten nicht regelmäßig abgeschnitten ist, sondern sich flügelartig über verschiedene Ausladungen erstreckt, die im Laufe der Zeiten dem ersten Bau hinzugewachsen und verschiedenen ökonomischen Zwecken gewidmet sind. An der vorderen Breitseite ist das Strohdach etwas höher abgenommen, um der großen Stube mehr Licht zu lassen. Hier stehen dann drei oder vier Fenster nebeneinander, nur durch schmale Leisten getrennt, und vor diesen findet sich ein gebohlter Platz, mit Bänken und Stühlen besetzt, der gegen außen hin durch eine niedrige Bretterwand eingefriedigt ist. Hier unter dem schützenden Vordach sitzen an heiteren Tagen die Leute, namentlich des Abends, und Pflegen der Arbeit oder der Kurzweil.

Im Stüblein des Heidenweibleins, welches aber trotz der eben beschriebenen drei Fenster etwas dämmerig war, zeigte sich das hölzerne Getäfel ganz schwarz vor Alter. An den Wänden hingen etliche papiere Bilder, welche Heilige, andere, welche französische Soldaten darstellten, einige Photographien von lieben Verwandten und Freunden, endlich auch zwei hochbejahrte Schwarzwälder Uhren. Auf dem großen Ofen lagen Kleider, welche getrocknet werden sollten, auf den Simsen standen Blumenstöcke; neben diesen deutlichen und nennbaren Gegenständen fand sich aber auf den Tischen und Bänken, den Simsen, den Kästen und dem Ofen allerlei unnennbares Geraffel verschiedenster Art, Alles durchschnittlich von eingealterter, dunkler Farbe, wild durcheinander, so daß die dämmerige Stube unleugbar etwas Alchymistisches oder Hexenartiges an sich trug.

Auch die Küche ist dunkel und fast nur von dem glänzenden Ruß der Wände erhellt. Schornsteine sind in Hauenstein noch nicht beliebt; es gilt für patriarchalischer, den Rauch durch’s Gebälk und durch die Dachfenster abziehen zu lassen. Man rühmt ihm nach, daß er auf diesem Wege die Früchte im Speicher trockne, und gleichwohl nicht feuergefährlich werde. Der vorherrschende Charakter in diesem Hause, wie in diesen anderen, die wir unterwegs besuchten, ist übrigens ein schmutziger.

Dies wären denn ungefähr unsere Erlebnisse im Hauenstein. Zu mehreren Erfahrungen und tieferen Kenntnissen haben wir’s in diesen zwei Wandertagen nicht bringen können. Wir geben auch gern zu, daß unsere Schilderung ziemlich lückenhaft und unzulänglich ausgefallen sei, aber um sie zu ergänzen und zu bereichern, haben wir ein einfaches Mittel im Vorrath. Wir dürfen nämlich nur auf J. V. Scheffel’s, des landeskundigen Meisters, einst (1853) im Morgenblatte erschienene Abhandlungen über den Hauensteiner Schwarzwald zurückgehen und denselben das Beste entnehmen. Nicht als ob wir die schönen Schilderungen ausschreiben wollten, dessen uns Niemand für fähig halten wird, sondern wir gedenken nur in einzelnen Punkten und in gedrängter Kürze herauszuziehen, was der Verfasser über den Charakter, die Tugenden und Fehler der Hauensteiner dort niedergelegt hat. Die Abschätzung ist gewiß sehr wahr und richtig, aber, wie man sehen wird, keineswegs sehr günstig.

Rühmlich ist es, daß der Hauensteiner noch manche alte Sagen, Lieder und viele uralte Bräuche aufbewahrt hat, aber es fehlt ihm andererseits auch nicht an halsstarrigem Aberglauben [376] und den wunderlichsten Vorurtheilen. Daß er in Mondscheinnächten gern einen Kiltgang unternimmt, möchte weniger zu tadeln sein, als daß dabei oft scharfe Schlägereien entstehen. Ueberhaupt ist der Wald in diesem Stücke berüchtigt, denn es vergeht selten ein Sonntag, ohne daß es da oder dort im Wirthshaus zu blutigen Treffen käme. Die geschlagenen Wunden wurden früher nach altgermanischer Weise unter den Familienvätern durch Wehrgeld ausgeglichen (componirt), was ihnen so genügend schien, daß sie nicht begreifen konnten, warum sich mitunter auch die großherzoglichen Behörden einmischten und die Helden einsperren ließen. – Sie sind, wie die Deutschen des Tacitus, verzweifelte Spieler, so daß einst Einer, der den letzten Pfennig verloren hatte, um seinen Ohrenlappen wettete, welchen dann der Sieger sofort und ohne Widerstand zu finden abschnitt und davon trug.

Der Hauensteiner ist übrigens der Einzige unter den Bewohnern des Schwarzwaldes, der den Trieb, die Welt zu sehen, kaum verspürt. Dagegen wallfahrtet er gern nach Maria Einsiedeln und nimmt dort ein Paar „Paradiesgärtlein“, einen „Himmelschlüssel“ oder neue Mähren von alten Wundern mit, um in den langen Winterabenden seinen Geist daran zu ergötzen. Ebenso ist er wenig beweglich und indolent, trinkt dagegen sehr gern Schnaps. Diese Eigenheit, der Leichtsinn der Jugend – uneheliche Kinder sind sehr häufig – und die Unfruchtbarkeit des Bodens sind Ursache, daß die Armuth immer mehr zunimmt, und diese wird begreiflicherweise nicht gehoben durchs eine andere Eigenheit, nämlich durch eine ungemeine Vorliebe für Processe, in denen manches kleine Vermögen dahingeht.

Zeit ist Geld und es ist vielleicht rathsam, einen Vorschlag zu wagen, der manchem Anderen etwas Zeit ersparen kann. Betrachtet man nämlich den geringen Reiz der Landschaft, die Dürftigkeit der Herbergen, die Verschlossenheit der Bewohner, so möcht es fast besser scheinen, wenn der Wanderer, der es nicht auf tiefere Studien abgesehen hat, den Wald und seine Schatten liegen läßt und sich damit begnügt, den Hotzen mit seinem rothen Brustlatz auf dem Wochenmarkte zu Säckingen oder zu Laufenburg in’s Auge zu fassen.

Namentlich zu Laufenburg, einem alten aber freundlichen Städtchen, am Rhein gelegen, wo er eben über mächtige Felsen wild rauschend hinabgleitet, was man den Laufen nennt. Eine schöne Brücke geht da über den Strom, links liegt die helvetische, größere, rechts die kleinere Hälfte der Stadt, beide wohlgebaut und einnehmend. Ueber der Schweizerstadt, steht noch ein brauner Thurm des alten Schlosses der Grafen von Habsburg-Laufenburg, rings herum sind hohe Hügel, schöne Wiesen, liebliche Rebengelände und dunkle Wälder. Das Städtchen ist so malerisch gelegen, wie nicht leicht ein anderes, und im badischen Posthaus waren wir vortrefflich verpflegt. Darum machen wir auch kein Geheimniß daraus, daß uns drei Wochen in Laufenburg viel lieber wären, als drei Tage im „Wald“.