Land und Leute/Nr. 3. Die Halloren in Halle a. d. Saale

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Titel: Land und Leute. Nr. 3. Die Halloren in Halle a. d. Saale
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aus: Die Gartenlaube, Heft 9, S. 117–120
Herausgeber: Ferdinand Stolle
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Erscheinungsdatum: 1856
Verlag: Verlag von Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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Quelle: Scans bei Commons
Kurzbeschreibung: Reisebericht aus der Artikelserie Land und Leute, Nr. 3
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[117]
Land und Leute.
Nr. 3. Die Halloren in Halle a. d. Saale.

Vogelsteller. Braut. Hallore im Festschmuck. Wasserstecher oder Fischer. Salzträger.


Wenn man vom Bahnhofe aus durch das leipziger Thor in Halle den Windungen der langen leipziger Straße hinab auf den geräumigen Markt folgt, über denselben hinweg geht, so daß man den einzeln stehenden „rothen Thurm“ mit dem lockenköpfigen Roland an der Ecke und dem vergoldeten Knopf auf der fast 300 Fuß hohen Spitze auf der rechten Seite behält, und den kleinen Platz entlang geht, der sich zwischen der Marienkirche und den Predigerhäusern hinzieht, so kommt man an eine Mauerbrüstung, von welcher man hinab in eine Vertiefung sieht, welche „die Halle“ oder „das Thal“ heißt. Dicht rechts vor der Mauer hebt ein alterthümliches Gebäude seinen Giebel, den zwei zierliche Erker zieren, aus dem „Thal“ herauf und hält dem Beschauer das preußische Wappen mit der [118] Unterschrift „Königl. Thalamt“ entgegen. Ueber den schwarzen, schmutzigen Boden der Halle führen nur schmale gepflasterte Wege; ohne Ordnung ist hier und da ein Häuschen hingestellt, und schwerer Kohlenrauch wälzt sich, je nach der Richtung des Windes, wie graue Nebelwolken über die schwarzen Dächer, an den rothen Backsteinwänden und dem kohlschwarzen Boden hin. Steigt man die Treppe hinab, welche von der Brüstung ins „Thal“ führt, so betritt man einen Stadttheil, der in die Zeiten der Entstehung der Städte zurückversetzt. Denn ringsum liegen eine Menge schmutzig gelb oder grün angestrichener Häuschen mit zwei bis drei niedrigen Stockwerken, niedrigen Hausthüren, dunklen ungedielten Hausfluren und engen Höfen. Die Häuser liegen in allen Richtungen durcheinander, bilden eine Menge Gassen, „Schlupfen“ und „Säcke,“ daß an einzelnen Stellen eine beleibte Person nicht hindurch kann und selbst der Eingeborne Mühe hat, sich durch dieses Labyrinth der Gassen hindurch zu finden. Dies ist das uralte Halle und war lange Zeit hindurch ausschließlich von Halloren bewohnt.

Abseits von diesen hölzernen Häusern ziehen sich die Halle entlang von Osten nach Westen zwei lange Gebäude, von denen das südliche zwei hohe Schornsteine trägt, aus denen Tag und Nacht schwarze Rauchwolken emporwirbeln, während aus zwei niedrigen Schornsteinen der Dampf entweicht, denn in ihnen befinden sich „die Kothen.“ (Dieselbe Bestimmung hat das gegenüberliegende Gebäude, neben dessen Ostende das Thalamt liegt.) Unter dem vorspringenden Schieferdache der Kothen stehen oder sitzen auf hölzernen Bänken Männer mit eigenthümlicher Kleidung. Den runden Kopf mit den kurz geschorenen schwarzen Haaren bedeckt eine napfartige Kappe aus geflochtenem Stroh, die etwa 1½ Zoll hoch ist und sich nach oben ein wenig verengt. Die Jacke von buntem Kattun, seltner ein kurzer Rock, legt sich bequem um den Oberleib, die Weste, welche von oben bis unten dicht mit kugelartigen, zinnernen oder silbernen Knöpfen besetzt ist, reicht bis hinein in die Beinkleider von schwarzer Leinwand, die dicht unterm Knie festgebunden sind, so daß die wollenen Strümpfe zugleich festgehalten werden, und leichte Lederpantoffeln endlich bedecken die Füße.

Jene Männer mit der hohen breiten Stirn über den dunkelbraunen Augen, mit der an das griechische Profil erinnernden starken Nase, der stark entwickelten Unterkinnlade und dem brünetten Teint sind Halloren und gehören einem Volksstamme an, über dessen Einreihung in die europäischen Racen die Meinungen noch verschieden sind. Gewöhnlich hält man die Halloren für Nachkömmlinge der vor Karl dem Großen hier ansässigen Wenden; wenn man indessen die technischen Ausdrücke der Salzbereitung und den Namen „Hallore“ sprachlich zu erklären sucht, so giebt die keltische Sprache die genügendste Auskunft, da in jener Sprache z. B. Hallur so viel als Salzbereiter heißt, und die Ausdrücke „Halle, Saale, Thal“ u. s. w. auf einen keltischen Stamm zurückführen, welcher Salz bedeutet. Demgemäß müßte man die Halloren für eine uralte keltisihe Kolonie halten, die sich Jahrtausende inselartig in der germanischen Bevölkerung erhalten hat.

Dies ist um so wahrscheinlicher, als sich die Halloren zu einer bis in’s Kleinste geordneten Korporation abgeschlossen haben, nur unter sich zu heirathen pflegen und noch gegenwärtig viele Reste mittelalterlicher Lehnsverfassung besitzen, obschon gerade in neuester Zeit die Eigenthümlichkeiten zu verschwinden anfangen. Die Frauen haben bereits die uralten Trachten, den faltenreichen Rock, die pelzgefütterten, knopfreichen Spenzer und das kurze Faltenmäntelchen abgelegt, und die Männer haben auch nur die lange geblümte Weste ohne Kragen und mit silbernen Kugelknöpfen, das schmale weiße Halstuch ohne Knoten, die kurzen Manchesterhosen und bis an’s Knie reichenden blank gewichsten Stiefeln behalten, an denen man sie erkennt. Nur bei gewissen Gelegenheiten erscheinen sie in ihrer alterthümlichen Tracht. Denn die Halloren haben außer den Vorrechten des Schwimmunterrichts, des Angelns, des Lerchenstreichens und Vogelfangs, der Sauerkrautbereitung und der Sooleier, auch das, die Leichen nach dem Kirchhofe zu tragen. Wer die Seinigen anständig will begraben lassen, miethet dazu Halloren. Dann erscheinen sie in schwarzem pelzgefütterten Rock ohne Kragen und mit Faltenschößen, mit dem dreieckigen Hute, kurzen Sammethosen, schwarzen Strümpfen, Schnallenschuhen und schwarzem Faltenmantel, der oben eng und unten weit ist und einen niedrigen Kragen hat. Diese Kleider und das Leichentuch sind Eigenthum „der Brüderschaft“, wie sie ihre Korporation nennen, und auch der Ertrag ihrer monatlichen Beiträge fließt in die „Lade“, wie ihre Kasse heißt. Mit großer Gewandtheit wissen sie die Bahre mit dem Sarge zu handhaben und in dem wiegenden Trippelschritt, der nur langsam weiter kommt, wie es bei uns die Sitte verlangt, die vorgeschriebenen Straßen entlang zu tragen, indem die beiden Führer des Zuges, mit einer Citrone in der Hand, bedächtig voranschreiten, die übrigen Halloren neben oder hinter den Trägern gehen, um sie von Zeit zu Zeit abzulösen.

Die Halloren verdienen aber nicht blos ihres eigenthümlichen Aeußern wegen Interesse, sondern auch wegen ihrer uralten korporativen Verfassung, die bisweilen an Kommunismus streift und Elemente enthält, wie sie in den Theorien der Socialisten nicht selten aufgestellt sind. Die Soole oder „das Thalgut“ quillt aus vier Brunnen, die mit einem eichenen Bohlenverschlag ausgefüttert und etwa 30 Fuß tief sind. Die mannigfache Arbeit vom „Schöpfen“ der Soole bis zu deren Verladung auf den Frachtwagen ist bis in’s Kleinste getheilt und zwar so, daß die Arbeiterabtheilungen kleinere Korporationen bilden und staffelförmig vom untersten Dienst bis zum Meister steigen, welche das „Versieden“ zu besorgen haben, und „Salzwirker“ heißen, während die untern Abtheilungen früher nur „Bornknechte“ genannt wurden. Zwar sind auch hier Aenderungen eingetreten, da die Soole jetzt durch eine Dampfmaschine gehoben wird und die 112 alten Kothen, welche einzeln über die Halle zerstreut lagen, zu zwei großen Gebäuden vereinigt sind, aber dennoch ist die „Thalordnung“ aus dem Jahre 1482 noch in Geltung.

Die Soole war ursprünglich nur Eigenthum der Bürger der Stadt, doch mußten seit 841 kraft einer Schenkung Otto’s I. Zehnten an den Erzbischof von Magdeburg gegeben werden. Die Halloren waren nur die Salzwirker, die Kothen selbst gehörten verschiedenen Besitzern, den Pfännern oder Pfannherren oder Salzjunkern, welche, da der Ertrag ein reichlicher war, die Patrizier oder Stadtjunker im mittelalterlichen Halle bildeten. Wie in allen Städten des deutschen Mittelalters, so brachen auch in Halle oft blutige Streitigkeiten zwischen den Pfännern und Innungen aus, so daß sich die Erzbischöfe endlich einmischten, Halle durch List eroberten, die Moritzburg als Zwingburg erbauten, die Kothen an sich nahmen, einen Theil als Eigenthum behielten und das Uebrige als Lehen an die Pfänner zurückgaben. Als Magdeburg an Preußen kam, wurden jene erzbischöflichen Kothen königliches Eigenthum, zugleich aber ward die Belehnung als Form beibehalten, so daß die Halloren bis heute jene Korporationsrechte behalten haben, deren wir hernach ausführlicher gedenken werden.

Die vier Salzquellen oder Brunnen oder Borne geben nicht eine gleiche Quantität Soole, weshalb das Salzsieden nicht eine gleichmäßige Arbeit ist, deren Ordnung um so verwickelter wird, weil die Soolenbesitzer oder Pfänner nur nach einer gewissen Reihenfolge ihr Thalgut in die Kothen zum Versieden bringen dürfen, da Kothenbesitzer die Feuerstellen und Siedeapparate haben, aber keine Soole, die Pfänner dagegen Soole, aber keine Siedehäuser. Die Gemäße der Soolmenge haben eigenthümliche Benennungen; das größte Maaß heißt Stuhl, welcher vier Quart enthält, von denen jedes wieder vierzehn Pfannen hat, die Pfanne wieder fünf Zober und der Zober acht Eimer oder zwölf gewöhnliche Kannen. In den Pfannen, d. h. viereckigen, flachen eisernen Gefäßen, wird die Soole gesotten, indem durch starkes Feuer unter ihnen das Wasser verdunstet und das Salz in Krystallen niederschlägt.

Die Soole aus den Quellen bis in die Pfannen zu schaffen, war die Arbeit der Bornknechte, die wieder verschiedene Abtheilungen bildeten, die sich in „Schichten“ theilten, da sie sich nach gewissen Stunden ablös’ten. Die Haspler drehten die Winde, an denen die Eimer hinab und herauf im Salzbrunnen gingen, und die Radtreter hatten dabei das Rad an dem Ziehbrunnen zu treten, während die Stürzer den heraufgewundenen Schöpfeimer faßten und die Soole in den Trog oder Kahn schütteten, aus welchem die 2½ Centner schweren Zober gefüllt wurden, welche die Träger auf der Schulter behend nach den Kothen trugen, nachdem der Zapfer am Kahn den Zapfen zum Auslaufen der Soole in den Zober aufgestoßen und wieder eingesteckt hatte. Damit der Träger einen sichern Gang hatte, mußte der Stegeschaufler den Bretterweg in gutem Stande erhalten, der Rufer aber in den Kothen die Zahl der eingetragenen Zober anmelden und der Spulzieher die Gossen in Ordnung halten, in denen die Unreinigkeiten aus den Kothen in die nahe Saale flossen. Jetzt wird die Soole durch eine Dampfmaschine mitten in der Halle gehoben und in die Kothen geleitet.

[119] In den Kothen beginnt nun die Arbeit der Sogger oder Salzwirker, die eine ungeheure Hitze auszuhalten haben, weshalb sie halb nackt gehen, da sie nur eine enganliegende schwarze Leinwandweste ohne Aermel und Leinwandhosen tragen, die bis an’s Knie reichen. Da stehen die Kohlenschütter und Schürer mit langen Eisenstangen vor dem gewaltigen langen Feuerherd, da tragen die Einen Braunkohlen zu, Andere beaufsichtigen die Versiedung, scharren die Salzkrystalle zusammen, scheiden das schwarze Salz, welches zur Viehfütterung dient, von dem reinen, und schaffen es auf die Dörrstuben (Trockenkammern), in denen eine Temperatur herrscht, daß einem der Athem vergeht. Die Stopfer endlich füllen das Salz beim Verkauf in Säcke oder Tonnen und die Lader verwahren die Säcke auf dem Wagen, auf dem sie abgeholt werden. Da vor Zeiten diese Arbeiter statt des Lohnes einen bestimmten Antheil Soole erhielten, die sie auf ihre Rechnung versotten, so hießen sie Gerenntner. Gegenwärtig erhalten sie indeß einen bestimmten Lohn in baarem Gelde. Wer in die Brüderschaft eintreten will, wird zuerst gelegentlicher Stellvertreter und heißt Riemen- oder Zipfelläufer; dann wird er „Unterläufer“, indem er von einem Gerenntner für immer als Stellvertreter gedungen wird, und nun erst kann er in die „Brüderschaft“ eintreten, indem er nach und nach die verschiedenen Arbeiterklassen durchmacht.

Als Beamte über diesen Arbeitern standen die Unterbornmeister oder Gabenherren, welche darauf zu sehen haben, daß die vorgeschriebene Quantität Soole in die Pfannen geschüttet wird, und die Oigker, welche sie hierbei unterstützen und ein Auge auf die Siedeordnung haben, woher ihr Name stammen soll. Ueber ihnen standen die Bornmeister, der Bornschreiber, der Beutelherr, der den „Thalverschlag“ (Salzrechnung) führt und der Salzgraf, welcher das Ganze zu leiten und in gesetzlicher Ordnung zu erhalten hat. Er ist zugleich mit den Uebrigen die Gerichtsbehörde und nennt sein Bureau das Thalamt, und seine Polizei den Thalvoigt.

Der Salzgraf vertritt des Königs Stelle, hat bei gewissen Gelegenheiten „Frieden zu wirken“ und mit dem Thalgut zu belehnen, was früher auch unter großer Feierlichkeit geschah. Die Lehnsbücher bestehen aus Blättern von Lindenholz, die mit Wachs überzogen und von einem Ahornrahmen eingefaßt sind. Von ihnen giebt es drei Exemplare; das eine liegt auf dem Thalamt, das andere auf dem Rathhause, und das dritte im Thurme der Marienkirche. War ein Lehen erledigt, so versammelten sich die Thalbeamten beim Magistrat auf dem Rathhause, nahmen dem neu eintretenden Pfänner den Lehnseid ab, trugen seinen Namen in die Lehnsbücher ein und begleiteten in Prozession das Kirchenexemplar an den heiligen Ort zurück.

Die Thalordnung schreibt nicht nur die Ordnung der Arbeit bis auf die Handgriffe und Stellungen dabei vor, sondern verlangt auch sittlichen Lebenswandel, Religiosität und Treue gegen den Lehnsherrn. In der That stehen auch die Halloren in dem wohlverdienten Rufe der Ehrlichkeit und Rechtschaffenheit, da sie unter sich keinen Mann von schlechtem Wandel dulden und ein Vergehen unter ihnen wohl kaum im Jahrhundert einmal vorkommt. Eine treue Anhänglichkeit an das Königshaus haben sie von alten Zeiten her bewahrt und dieser Patriotismus ist mit Recht ihr Stolz. Es wurde nicht nur alltäglich vor Beginn der Schichtarbeit von der großen hölzernen Tafel vom Rufer oder einem Andern das vorgeschriebene Gebet vorgelesen, sondern am Tage vor Weihnachten und zu Pfingsten erscheint der Salzgraf feierlich mit seinen Beamten vor der versammelten Brüderschaft, um Frieden zu wirken, indem er die Versammelten zu einem rechtschaffenen Wandel ermahnt, das Raufen, Zanken, Unverträglichkeit u. s. w. verbietet, ein zufriedenes, ehrsames Familienleben einschärft, vorgefallene Unordnungen rügt und zur Besserung auffordert.

Die Thalordnung verlangt ferner, daß die Halloren bei Wasser- und Feuersnoth Hülfe leisten sollen, und da die meisten Halloren gute Schwimmer und Taucher, dabei von edler Nächstenliebe erfüllt sind, so sieht man sie bei ausbrechendem Feuer gewiß zuerst am Platze und beim Löschen am gefährlichsten Orte. Behend klettern sie über Dächer, steigen auf hohe Giebel, und sind unermüdlich im Helfen. Nicht minder bereit sind sie, ihr Leben zu wagen, wenn Jemand in’s Wasser gestürzt ist, so daß sie auch in dieser Hinsicht sich ein ehrenvolles Vertrauen erworben haben.

Da die Halloren bei ihrer Arbeitsordnung freie Stunden und Tage und trotz ihrer schweren Arbeit im Allgemeinen nur ein schmales Einkommen haben, so sind ihnen nicht nur besondere Beschäftigungen als Privilegien verliehen, sondern sie haben auch unter sich Vorkehrungen getroffen, um sich auch für Nothfall zu schützen. Von ihren Gerennten wird ein Theil als Kranken-, Wittwen- und Pensionsfond zurückgelegt und außerdem fließt ein Theil ihrer außerordentlichen Beiträge in die Lade der Brüderschaft, von welcher dann gewisse gemeinsame Ausgaben bestritten werden. Wenn der Hallore seinen freien Tag hat, dann nimmt er das große Vogelnetz, geht hinaus auf’s Feld, schlägt es dort auf, indem er die beiden Flügel desselben am Boden ausbreitet und mit lose angebundenen Vögeln besetzt, sich selbst aber in einiger Entfernung niedersetzt. So wie Staare und Lerchen dicht über das Netz hinfliegen oder sich niedersetzen, zieht der Hallore an der Zugleine, im Nu fliegen die beiden Netzflügel in die Höhe, klappen zusammen und halten den flatternden Vogel gefangen. Jüngere Leute sammeln sich des Abends im Spätsommer zum „Lerchenstreichen“ vor den Thoren, wo sie lange dünne Stangen stehen haben, mit denen sie stundenweit auf’s Feld wandern. Denn zwischen je zwei Stangen spannen sie ein großes Netz aus, tragen es über dem Boden hin, um in ihnen die aus dem Schlaf aufgescheuchten Feldsänger zu fangen, die als „Leipziger Lerchen“ wohl bekannt sind. Noch Andere angeln oder fangen im Wald Stieglitze, Finken, Drosseln u. s. w., obschon das Vogelfangen jetzt weniger betrieben wird als früher.

Die Halloren erfreuen sich endlich noch besonderer Vorrechte und Feste, die aus alten Zeiten stammen. Alljährlich senden sie zu Neujahr eine Deputation von drei Halloren an den König, indem sie ihm zum Neujahr in einem Gedicht gratuliren, und ihm dabei, wenn er bei Tische sitzt, eine Wurst, Sooleier in eine Salzpyramide gefüllt überreichen, wie sie ihm auch die ersten Lerchen als Lehensgabe darbringen. Der Eine überreicht die Gratulation, der Zweite die Geschenke und der Dritte schwenkt dabei die Fahne, was aber abgekommen ist. Zum Dank werden sie im Schlosse gespeis’t. Dafür haben sie aber auch den Vorzug, daß sie jedem König nach der Thronbesteigung in feierlichem Aufzuge besonders huldigen, zu welchem Zwecke ihnen der König ein Pferd, um den Salzbrunnen nach alter Sitte zu umreiten und eine Fahne schenken muß, und daß sie alle zwei Jahre einen festlichen Aufzug und Pfingstbier halten. Da geht es denn recht festlich zu, denn sie erscheinen bei diesen Gelegenheiten in ihrem bunten Staate, mit einer Reihe Fahnen und eigenthümlicher Trommelmusik. Ein solcher Aufzug ist für Halle ein besonderes Fest, denn eine uralte, fast verschollene Vergangenheit erscheint wieder lebendig in ihrer Herrlichkeit und ihrem frischen Volksleben.

Lange schon haben die Halloren gespart, um die Kosten des Pfingstbieres zu erübrigen, zu denen das Thalamt durch den Beutelherrn (Rendanten) einen guten Beitrag zuschießt, und die Anzüge des Hauptmanns und Fahnenträgers gemustert, welche als Gemeingut in einem besondern Lokal aufbewahrt werden, wie denn auch die Silberknöpfe und kostbaren Brautkränze in der Familie von Geschlecht auf Geschlecht erben. Ist der Morgen des dritten Pfingsttages angebrochen, so wirbelt im Thale die volltönende Trommel und ruft die ganze Brüderschaft, auf dem Sammelplatze zu erscheinen. Da kommen sie denn in uraltem Schmuck, in pelzgefütterten Röcken, deren Tuch roth, grün, hellblau, schwarz aussieht, wie denn auch auf den Dreimastern bei den Obermeistern bunte Federn schwanken, während bei Andern der Hut oben mit rothen Federn eingefaßt ist. Wie blitzen da die Silberknöpfe an den seidenen Westen und die Silberschnallen an Schuhen und Kniehosen, und wie sauber schimmern die weißen Schuhe, blauen Schärpen, blauen Kniebänder und Federn der Fahnenträger und Vorsteher! Bald sind Alle beisammen und ziehen nach dem Thale, wo die Fahne geschwenkt wird, wobei der Fahnenträger seine·Gewandtheit und Kraft zeigt, und die Trommler in langen Wirbeln, im Abnehmen und Anschwellen des Tones große Geschicklichkeit beweisen. Hierauf bringt man die Bruderlade, worin die Kostbarkeiten der Brüderschaft aufbewahrt werden, aus der Moritzkirche in das Wirthshaus, wo das Pfingstbier abgehalten wird. Nun wird der Salzgraf mit seinen Beamten abgeholt, damit er unter der Maie auf dem Hofe des Pfingstbierhauses Frieden wirke und die vier gewählten Vorsteher der Bruderschaft bestätige, sowie auch die zwölf Scheidemeister, welche Streitigkeiten entscheiden. Diese vier Vorsteher führen dem Salzgrafen und Bornschreiber die beiden Kranzjungfern [120] zu, welche mit sehr faltenreichen, hellblauseidenen Röcken, einem blauseidenen Mieder bekleidet sind. Eine vier Ellen lange schwere Silberkette dient dem Mieder zum Zuschnüren, eine andere gleiche Kette hängt in Quasten und Büscheln als Schmuck hier und da am Mieder; während eine goldene Kette sich um den Hals schlingt und ein breiter Silbergürtel als Leibbinde die Taille umfaßt. Auf dem Kopfe schimmert eine vergoldete Krone aus Gewürznägelein und ist durch zwei silberne Ketten auf dem Kopfe festgehalten. Dieser Schmuck, der für jede Kranzjungfer über 100 Thlr. beträgt, befindet sich theils im Besitz der Brüderschaft, theils einzelner Hallorenfamilien, welche ihn zum Feste leihen, mit denen jene einen eigenthümlichen Tanz machen, nachdem sie von den Frauen der Vorsteher mit Blumenkränzen beschenkt sind. Nach dem Tanze geht der Salzgraf mit dem Bornschreiber und den Vorstehern in’s Festlokal, um ein wenig zu essen, während um die Maie der Tanz beginnt, der sich aber bald in den Gasthof zurückzieht, wo der Jubel, das Tanzen und Trinken zwei Tage währt. Vorher wird aber der Salzgraf von den Vorstehern nach Hause geleitet, wohin bereits sein Ehrengeschenk, Kuchen, ein Kranz aus Würznelken und ein Glas Bier von den Frauen geschickt ist.

Nicht minder malerisch ist der Aufzug bei der Huldigung, wie wir ihn 1842 sahen. In buntem Zuge mit klingender Musik, Trommelwirbel, wehenden Fahnen, von denen einige nur noch einige Seidenfetzen haben, bewaffnet und in hellfarbigen Kleidern bewegte sieh der Zug durch die engen Straßen über den Markt nach dem Salzbrunnen im Thale. Voran schritt der Bruderbote, welchem ein Musikcorps, der Hauptmann mit vier Vorstehern und zwei Deputirten, ein Trommelschläger und ein Offizier von dem Ausschuß folgten. Dann erschien auf dem geschenkten Roß der älteste Hallore, vor dem der Schildträger herging, wogegen zwei Schildknappen und acht Schwertträger mit ritterlichen Flammbergen hinter ihm herschritten. Nun kamen welche mit Untergewehr, Fahnen, Trommler, Musik und Offiziere in kriegerischer Haltung, denen sich die andern Halloren in bunten Röcken und die jüngeren Halloren mit Flinte und Säbel anschlossen, bis der letzte Offizier den Zug schloß. Unten aber am Salzbrunnen hielt der Reiter die hergebrachte Huldigungsrede: „Im Namen Gottes und aus Gottes Gnaden Sr. königl. Majestät von Preußen, Friedrich Wilhelm IV., unserm allergnädigsten Landesvater, huldigt die sämmtliche Salzwirkerbruderschaft und zeiget an, daß Se. königl. Majestät über unsern Salzbrunnen im Thale Herr sei; die sämmtliche Salzwirkerbruderschaft dankt Sr. königl. Majestät ganz unterthänigst für das ertheilte große Gnadengeschenk an Pferd und Fahne, und wünscht, daß Se. königl. Majestät und unsere vielgeliebte Landesmutter durch Gottes Gnade bei Gesundheit und langem Leben erhalten werde. Vivat, Vivat! Lebe lange, großer König, sei beglückt! So lange die Soolbrunnen fließen, so lange stehe Dein Thron und Haus; kommt ihr Brüder all zusammen, ruft mit mir ein Vivat aus! Es lebe unser vielgeliebter König und sein ganzes Haus!“

Die Poesie des Hallorenthums ist jetzt sehr im Abnehmen. Früher redete der Hallore Jedermann mit „Du“ oder „Schwager“ an und hielt er sich besonders gern zu den Studenten, denen er in Nöthen, bei Schlägereien und Trinkgelagen, getreulich beistand und sich daher von jedem Fuchs ein Willkommen ausbat; früher sagte er in seinem breiten Dialekt:

Hann mer hüte Water un Holt,
Hann mer morne Silber un Gold.

Früher sangen die Hallorenfrauen zum Rumpeltopfsumzug an Weihnachten alte Lieder, und war der Hallore bemittelt. Jetzt sind die Meisten arm; ihre Korporation fängt an sich zu lösen, da aus und in dieselbe geheirathet wird; die Verwaltung der Salinen, besonders der königlichen jenseits der Saale, wohin vom Thale aus durch lange Röhren ein gewisses Quantum Soole muß geliefert werden, sucht die Bearbeitung der Soole einträglicher zu machen, führt Maschinen und andere Neuerungen ein, nimmt auch Nichthalloren als Tagelöhner an, und drückt das Salzsieden in die Alltagsprosa einer Maschinenarbeit herab.