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Land und Leute/Nr. 33. Der Bregenzer Wald

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Textdaten
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Autor: Robert Byr
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Titel: Der Bregenzer Wald
Untertitel:
aus: Die Gartenlaube, Heft 12, S. 188–192
Herausgeber: Ernst Keil
Auflage:
Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1872
Verlag: Verlag von Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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Quelle: Scans bei Commons
Kurzbeschreibung: Reisebericht aus der Artikelserie Land und Leute, Nr. 33
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[189]

Aus dem Bregenzer Walde.
Nach der Natur aufgenommen von Albert Kretschmer.

[188]
Land und Leute.


Nr. 33. Der Bregenzer Wald.


Einflüsse mannigfacher Art haben bisher noch den großen Fremdenstrom, der sich alljährlich im Sommer, dem Falle der Wässer entgegen, aus dem bergarmen Norden in die romantischen hochgelegenen Alpenthäler und bis zu den stillen Regionen des ewigen Schnees und Gletschereises wälzt, von einem der reizendsten Alpenländer abgelenkt, dessen Naturschönheiten den Vergleich mit den gefeiertsten Gegenden nicht zu scheuen haben.

Vielleicht wird das schon binnen Kurzem anders. Die im [190] Frühjahre bevorstehende Eröffnung der von Lindau nach Bludenz führenden Bahn erschließt Vorarlberg dem allgemeinen Verkehr, und das bis jetzt kaum dem Namen nach bekannte, meist nur als ein Theil von Tirol angesehene Ländchen wird dann vielleicht nur allzu rasch aus seinem verborgenen Stillleben gerissen und überschwemmt von den vielsprachigen Fluthen, die gleich den vernichtenden und zugleich segensreichen Wogen eines ausgetretenen Gewässers alles Sonderleben, alle Eigenart unwiderstehlich überströmen und hinwegspülen, um dafür nur das fruchtbare abgesetzte Erdreich gleichförmiger Civilisation zu hinterlassen.

Aus dem bescheidenen Städtchen, das am unbestreitbar schönsten Punkte des Bodensees, auf dem Trümmerfels des alten Brigantium sich erhebt, ist dann wohl binnen wenigen Jahren ein lebhaft besuchter, rasch emporblühender Badeort geworden. Es bedarf dazu ja blos einer Laune der Mode, und sie wäre hier weniger unbegreiflich als in so manchen anderen Fällen, wo bei Weitem nicht alle Verhältnisse so günstig, alle Grundbedingungen in so reichlichem Uebermaße geboten sind, wie an der Ostbucht des schwäbischen Meeres, in der so malerisch an den bewaldeten Fuß des „Pfänders“ hingeschmiegten Landeshauptstadt Bregenz.

In einer solchen Zukunft, die sich heutzutage allerdings kaum erst ahnen läßt, wird dann eine Schaar vornehmer oder doch vornehmthuender Gäste in eleganten Toiletten die modernisirten Straßen, die Promenaden am lieblichen Seegestade und auch die aussichtreichen Höhen beleben, aber in gleichem Maße, als das Modejournal zur Herrschaft gelangt, dürften in der Menge auch jene originellen fremdartigen Erscheinungen immer mehr verschwinden, die schon jetzt, inmitten der dem Fortschritt huldigenden Stadtbevölkerung, im Ganzen nur vereinzelt und wie aus fernen Ländern oder ferner Zeit in die Gegenwart hereinverschlagen auftauchen. Es sind dies große altväterisch gekleidete Männer und durch ihre Tracht noch weit mehr auffallende schlanke, zuweilen sogar sehr hübsche Frauengestalten in spitzen Mützen, gestickten Miedern und faltigen Röcken, die vorzüglich an den Wochenmärkten zur Frühjahrs- und Herbstzeit in zahlreicheren Gruppen erscheinen und das Auge des Fremden fesseln.

Auf die neugierige Frage folgt dann die Auskunft: „Es sind Wäldler.

Die seltsame Gedankenreihe, die damit angeregt wird und die in der Regel zu den Hinterwäldlern Amerikas, zu den backwoodsmen, führt, hat aber nur geringe Berechtigung. Es sind keine Pionniere der Cultur, die in unzugänglichen Wäldern der Menschheit und den großen Ideen der Gesittung und Bildung die Pfade ebnen, sondern es ist ein allerdings wackeres und tüchtiges Volk, das aber in seiner jahrhundertelangen Abgeschiedenheit vielfach hinter den Anforderungen der Zeit zurückgeblieben und hauptsächlich der solchem Sonderleben günstigen Lage der heimathlichen Thäler die Bewahrung seiner vollen Eigenthümlichkeit fast bis auf den heutigen Tag verdankt.

Nur wenige Wegstunden von den Ufern des Bodensees entfernt liegt diese Heimath – der Bregenzer Wald.

Gleich dem Thüringer- oder dem Schwarzwald ist er ein reizendes Höhenland, das einen bedeutenden Theil von Vorarlberg bildet, dort, wo dieses mit seiner nordöstlichen Grenze an das bairische Allgäu stößt. Er umfaßt das ganze Quellgebiet der Bregenzer Ach, längs welcher die Ureltern der jetzigen Bewohner wohl schon im elften Jahrhundert vor den Raub- und Verwüstungszügen der für und wider den Papst streitenden Parteien aus den arg heimgesuchten Ortschaften des Rheinthals in die unzugänglicheren Berge hinaufflüchteten, wo sie Sicherheit und Ruhe für sich und in den anmuthigen Thälern die herrlichsten Weideplätze für ihre Herden fanden.

Lange war der Wald eine kleine Welt für sich, die nur durch schmale Saumwege mit dem Rheinthale, dem Seegestade und den bajuvarischen Nachbarn in Verbindung stand. Kaum ein halbes Jahrhundert ist es her, daß in diesen Thälern Fahrstraßen angelegt wurden. Selbst heute noch ist es nur ein sehr primitiver Poststellwagen, der den Verkehr mit Bregenz unterhält. Was aber der Reisende an Bequemlichkeit der Beförderungsart entbehrt, ersetzt ihm reichlich die entzückende Schönheit der Natur. Kaum irgendwo anders dürfte sich ein so überraschender, fast plötzlicher Uebergang von der breiten Flußebene zu einer Landschaft mit dem ausgesprochensten Charakter des Hochgebirgs finden, wie dies auf der Fahrt von Bregenz über Schwarzach und Alberschwende in den Wald der Fall ist.

Der Natur der Alpenlandschaft gemäß sind die Bewohner dieser Thäler vor Allem auf die Viehzucht angewiesen. Getreide wird fast gar keins gebaut, und dem Nutzertrage der Wiesen müssen sogar auch die Obstbäume weichen, wie denn auch der Wald immer mehr und mehr von seinen Stämmen auf dem Rücken der Ach zum See hinaussandte, bis die Bezeichnung „Wald“ fast im Widerspruche stand mit den weiten grünen Matten, die im Verhältnisse nur spärlich von immer mehr und mehr schwindenden Gehölzen unterbrochen werden. Wenn auch gerade noch kein Holzmangel eingetreten ist, so sieht man doch mit Besorgniß die gewaltigen Lichtungen, welche eine ungeregelte Speculation täglich noch vergrößert, ohne für Ersatz zu sorgen.

Jedes Hirtenvolk bewahrt etwas Nomadenhaftes. Je nach der Jahreszeit muß es für das Vieh andere Weideplätze aufsuchen. Im Hochsommer wirthschaftet auch im Bregenzer Walde der Senn allein mit seinen Gehülfen auf der hohen Alpenweide, und wohl in keinem andern Gebirgslande trifft man ansehnlichere, sogar ganz aus Stein und zwei Stockwerke hoch gebaute Sennhäuser wie im Bregenzer Walde; aber zweimal im Jahre, im Frühling und Herbst, ehe die Herden aufgetrieben oder wieder in den warmen Stall zurückgebracht werden, ist es, als werde die halbe Thalbewohnerschaft vom Wandertriebe erfaßt. Nur wer unbedingt daran verhindert ist, bleibt zu Hause; alles Andere, Alt und Jung, zieht auf die niedriger gelegenen Weiden und verbringt dort einige Wochen. Diese sogenannten Vor- oder Maiensäße bilden gewissermaßen wieder kleine Dörfer aus einfachen, nahe beisammen liegenden Blockhütten, in denen die Bewohner bei schlechtem Wetter eng eingepfercht liegen. Diese eigenthümliche Sitte hat leider auch für den Bildungsgang bedauerliche Folgen. Die Kinder sind dadurch am Schulbesuche verhindert, und der so für den Sommer überflüssig gewordene Lehrer, der noch bis vor Kurzem keine fixe Besoldung hatte, war dann gezwungen, sich als Maurer oder Waldarbeiter zu verdingen, um sich über die üble Zeit, so gut es anging, hinwegzuhelfen.

Die Ortschaften selbst sind nicht, wie in so manchen anderen Gebirgsländern, in einzelnen Höfen über weite Räume verstreut, sondern liegen geschlossen und in einer gewissen Regelmäßigkeit gebaut eng beisammen um die Kirche oder doch nahe derselben. Mit Ausnahme einzelner weniger sind die Häuser alle aus Holz und so ziemlich nach übereinstimmendem Modelle errichtet. Es sind niedrige, mit einem laubenartigen Vorbau versehene Blockhäuser, deren flaches Dach gegen die Gewalt der Stürme mit Steinen beschwert ist. Tiefes Dunkelbraun oder ein bräunliches Grau ist ihre Farbe, und selbst die wenigen steinernen Gebäude bringen keine Dissonanz in den warmen Ton, da sie durchgehends an den Außenwänden geschindelt sind. So ärmlich aber das Häuschen, so klein das Fenster sein mag, bei keinem fehlt der blüthenweiße Vorhang, und fast überall findet sich eine Reihe wohlgepflegter Blumen. An Gelassen ist freilich kein Ueberfluß. Die große Wohnstube mit ihrem unverrückbaren Tisch in der Herrgottecke muß nicht selten auch zugleich als Küche dienen, wozu der große Ofen ganz praktisch eingerichtet ist; aber Reinlichkeit und Licht fehlt nirgends, scheinen doch die Wände mitunter nur aus einer einzigen Reihe von Fenstern zu bestehen.

Das Licht ist aber auch unbedingt nöthig in den langen Wintern, weniger für die Holzschnitzerei der Männer, als vielmehr für die feine augenanstrengende Arbeit der Frauen. Nebst der Viehzucht, dem Handel in Milchproducten und Holz hat der Bregenzer Wald noch einen Haupterwerbszweig: die Weißstickerei. Obwohl durch die große Concurrenz der Maschinen auch dieser Erwerbszweig in letzter Zeit stark gelitten hat, verbringen die Wäldlerinnen doch fast ihr ganzes Leben am Stickrahmen, so daß sonst alle andere, selbst häusliche Beschäftigung zumeist dem Manne überlassen bleibt, was den Frauen für ihren leider nur kärglich gelohnten Fleiß noch obendrein den Vorwurf einbringt, als liebten sie es, sich bedienen zu lassen. Ein Spottwort sagt sogar: „Je tiefer in der Au, desto größer die Frau.“ Mit dem „tiefer in der Au“ ist auch das Vordringen gegen die Ach und ihre Zuflüsse gemeint, an denen sich zahlreiche Ortschaften befinden, deren Namen, wie Lingenau, Bezau, Schnepfau, Schoppenau, mit Au zusammengesetzt sind und so noch die Erinnerung an den alten Jagdboden wachhalten.

[191] Wie die Beschäftigung auf Gewohnheit und Kleidung Einfluß übt, wird hier recht klar; denn nur das Stillsitzen bei der emsigen Tambourirnadel konnte eine so wenig bequeme und zur derbern Arbeit gänzlich ungeeignete Kleidung aufkommen lassen und conserviren, wie sie die Wäldlerinnen tragen, und andererseits hätte jede andere Beschäftigung ihr auch die sorgsame Zierlichkeit rauben müssen.

Die „Juppe“, ein enger, hundertfach glatt gefältelter Rock aus schwarzer Glanzleinwand, fällt über einen grünwollenen rothgezackten Unterrock und wird besonders bei schlechtem Wetter über demselben gerafft, so daß die blauen Strümpfe und offenen Schuhe sichtbar werden. Von der viereckig ausgeschnittenen „Gestalt“ straff herablaufend, um die Taille mit einem glänzenden Lederriemen geschlossen, umfängt sie den Leib so eng, daß sie fast die Entwicklung der Brust verhindert und bei älteren Frauen auch immer den Eindruck von Verbildungen hervorruft. Ein kostbar mit Gold und Seide gestickter sammtner „Goller“ und buntfarbige Aermel vervollständigen den Anzug. Die Aermel sind das einzige Kleidungsstück, an dem sich der eigene Geschmack zeigen kann und das zum Luxusartikel wird. Sie werden von Seide, Moiré und geblümtem Sammet getragen. Im Hinterwalde sind sie sogar ein Unterscheidungszeichen der jungen Mädchen von den Erwachsenen, die stolz darauf sind, wenn sie die bunten weiten ablegen und am ersten Ostertag mit den neuen engen schwarzleinenen zur Kirche gehen und damit zeigen dürfen, daß sie die Kinderschuhe ausgetreten haben und nicht mehr zu den „Biggeln“ gehören. So heißen nämlich die halb erwachsenen Mädchen ebensowohl wie die jungen Hühner. Eine besondere Galanterie des ländlichen Anbeters besteht denn auch in der zarten Anspielung, vor dem Hause des Aermelmädchens, das andern Tags mit dem knappen „Schalk“ zum ersten Male ausgestattet werden soll, Abends zuvor zerbrochene Eierschalen zu streuen.

Die Frauen des Waldes, arm und reich, halten fest an der gemeinsamen Tracht, zu der noch außer dem Hause eine spitze birnförmige Mütze aus dunkelblauer Wolle, im Sommer statt derselben wohl auch ein großer schwarzer Männerstrohhut kommt, und die bei Regen und im Winter ein Kragenmantel aus schwarzem Tuche vervollständigt. Und Mädchen wie Frauen thun recht daran, die alte Tracht unverändert beizubehalten, sie sehen sehr hübsch darin aus. Die zarten, nichts weniger als bäurisch vierschrötigen Gestalten, die wohlgebildeten, oft wunderhübschen, feingeschnittenen und sanft angehauchten Gesichtchen, das in einfacher Flechte das Köpfchen krönende Blondhaar, wie die von keinem Sonnenstrahl gebräunten, von keiner Arbeit geschwellten weißen Händchen geben den Erscheinungen etwas Aristokratisches, das durch die befremdende Kleidung nur gehoben wird. Selbst die reichsten, die Frauen der sogenannten Honoratioren, machen keine Ausnahme, und es giebt sogar Wäldlerinnen, die, außerhalb der Heimath verheirathet, ihrer Tracht dennoch treu geblieben sind. Mag man die zierlichen „Schmelgen“ – so heißen nämlich die erwachsenen Jungfrauen – am Stickrahmen oder selbst am Clavier, in ihrer häuslichen Beschäftigung oder an großen Festtagen und bei Brautzügen mit ihrem goldenen Krönlein, dem sogenannten „Schäppele“ sehen, immer gewähren sie ein anmuthiges Bild. Der Künstler hat in seiner hier beigegebenen Zeichnung das Charakteristische der Erscheinung in der hübschen Mädchengruppe nebst allem getreuen Klein- und Beiwerk vortrefflich wiedergegeben. Und eben so nahe und scharf betrachtet ist die Alte mit ihrem Rosenkranz an der Hüfte und ihrem naiven Erstaunen über das Schöne und Merkwürdige, „was es heutzutage alles giebt!“

Die Tracht der Männer hat schon eher ihre Eigenthümlichkeit verloren, und hauptsächlich nur mehr im Hinterwalde und bei den älteren Leuten findet sich noch die kurze Jacke, die Kniehose und der Strumpf. Nicht so leicht aber verwischt sich die Eigenthümlichkeit in Gebrauch und Gewohnheiten, und die unveränderte Frauentracht ist sehr bezeichnend für den hier bei aller scheinbaren Unterordnung mächtigen Einfluß der conservativen weiblichen Natur. Muß hier auch noch die Frau wie bei den uncivilisirten Völkern den Eheherrn beim Mahle bedienen, so wahrt sie sich dafür auch das Bestimmungsrecht über Einführung von Neuerungen und bleibt als Stütze streng-religiöser Anschauungen zumeist auch die Vermittlerin kirchlicher Einwirkung auf das Privat- und öffentliche Leben in der Gemeinde.

Jahrhunderte hindurch lebte dieses Hirtenvölkchen in friedlicher Abgeschlossenheit, den Sitten der Väter, deren Gewandung und Sprache getreu, und bis heute pflegt es seine Ueberlieferungen und macht der neuen Zeit nur allmählich und widerwillig einzelne Zugeständnisse. Was von außen eindrang, war nicht immer das Bessere, und es ist den Einwohnern des Waldes kaum zu verdenken, wenn sie jetzt noch mißtrauisch auf das Neueindringende blicken, das ja ihren Gewohnheiten und Anschauungen so geradeswegs zuwider läuft und, wie man ihnen einzuprägen nicht unterläßt – „zur sündhaften Verweltlichung führt“.

Wenn übrigens auch seit dem Ende des elften Jahrhunderts die katholische Kirche fast unumschränkt in diesen Thälern geherrscht hat, so blieb der Einfluß der Kirche, entgegengesetzt den heutigen Verhältnissen, trotzdem nur ein rein geistlicher. Eine Einmengung in die Gemeindeanlegenheiten oder gar in das politische Gebiet von Seite der Seelsorger wurde ehemals immer kurzweg abgelehnt, wie es die Wäldler überhaupt verstanden, sich bis in die neueste Zeit eine Art Selbstregierung zu erhalten.

Wie stark der Widerwille gegen alle Veränderung ist, geht auch daraus hervor, daß die mitunter nur des Lebensunterhalts wegen in die Welt hinausgezogenen Wäldler in der Heimath Verachtung trifft, die ihnen auch, wenn sie heimkehren, zum mindesten als Scheu entgegentritt. „Fremdler“ werden sie mit einem starken Beigeschmack von Hohn genannt, und doch sind es gerade diese Fremdler, unter denen der Bregenzer Wald seine berühmtesten Namen zählt. Unter ihnen sind Architekten, wie Christian Tum; Maler, wie die aus Schwarzenberg stammende Angelika Kaufmann, von der noch ein schönes Altarbild in dem genannten Orte zu sehen; Geschichtsforscher, wie Jost Metzler und die noch lebenden Jodek Stülz und Ritter v. Bergmann, der Letztere (kaiserlicher Rath und langjähriger Custos der Ambraser Sammlung) insonderheit verdient um sein engeres Vaterland; Soldaten, wie die kaiserlichen Generale Konrad Willburger, dann Andreas, Anton Ferdinand und Andreas Leopold v. Feuerstein, die, aus einer sehr geachteten Familie des Waldes stammend, für ihre Verdienste in den Grafenstand erhoben wurden. Schwarzenberg ist übrigens auch Kleber’s Stammort, dessen Eltern von da in’s Elsaß auswanderten, wie dies viele arme Familien gethan.

Wenn der Namen nicht noch mehr sind, ist vielleicht nur jene langjährige Weltabgeschiedenheit – „Weltunbewußtheit“ – schuld, um deren Zurückführung sich so mancher eifrig besorgte Hirte mit allen Mitteln bemüht. Die Anlagen, die in diesem Volke verborgen liegen, verrathen sich am allerauffallendsten in solchen Erscheinungen, in welchen – ich erinnere nur an den Dichter Michael Felder – der reichhaltige Erzgang gleichsam in gediegenem Golde schlackenfrei zu Tage tritt. Mannhaftes Wesen, Mäßigkeit, geweckter Sinn, frischer Lebensmuth sind überhaupt Eigenschaften dieses Volkes, wie des ganzen alemannischen Stammes, und es gesellt sich ihnen noch überdies eine nicht unbeträchtliche Beigabe von Schlauheit. Haben ja sogar die Weiber des Waldes, wie jene klugen Weiber von Weinsberg und ihre muthigen Schwestern von Schorndorf, kühne Entschlossenheit und Thatkraft gezeigt. Wer jetzt die feinen Gestalten, über den Stickrahmen gebeugt, zierliche Blumen auf den weißen Vorhangmusselin hinzaubern sieht, oder sie im Winter am Spinnrocken belauscht, wenn sie sich zur gemüthlichen „Stubet“ versammeln, um da fröhlich zu erzählen, zu lachen und zu „schwätzen“ oder sich an den Schwänken und Einfällen der „Gasselbuben“ zu ergötzen, der hält es kaum für möglich, daß ihre Urmütter wiederholt zu den Waffen gegriffen. Die letzte Zusammenkunft fand zur Zeit der bayrischen Besitzergreifung statt, die rühmlichste gegen das Ende des dreißigjährigen Krieges. Es wurden dazumal Schweden auch in den Vorderwald nach Lingenau verlegt, da aber ein großer Theil derselben auf Plünderung und Ungebühr ausging, thaten sich die mannhaften Weiber zusammen, stellten sich den Vordringenden entgegen und erschlugen sie bis auf den letzten Mann. So geschah’s am Fallenbach inner Großdorf.

Doch unbesorgt! den friedlichen Eindringlingen, die am Touristenstabe einhergewandert kommen, droht heutzutage kein solcher wenig ermunternder Empfang mehr. Die Sommerfrischen und Bäder im Walde werden sogar von Jahr zu Jahr mehr besucht, und es soll dies den Wäldlern gar nicht so unerwünscht sein. Hoffentlich haben sie ihre Abneigung gegen das Fremde und Neue weit früher besiegt, als sie daran denken, ihre kleidsame Tracht [192] abzulegen und sie in den Schränken des Landesmuseums zu Bregenz neben den andern verblichenen Zeugen der Vergangenheit aufzubewahren. Gegen die Gewalt der herrschenden Ideen vermag auch der hartnäckigste Widerstand nichts. Das Alter wird mit seinem Vorurtheil, wenn auch nur allmählich, endlich doch weichen. Immerhin ist es einer thatkräftigen jüngern Generation schon gelungen, dort Fortschrittsideen Eingang zu verschaffen, wo das materielle Interesse in’s Spiel kommt und so augenfällige Erfolge erzielt werden, wie dies z. B. bei der neubegründeten Käsegenossenschaft der Fall ist. Ja, trotz des zähen Widerstandes, der dem Projecte noch vielfältig entgegengesetzt wird, hat es alle Wahrscheinlichkeit, daß der Ausbau einer im Thale der Ach schon abgesteckten Bahnlinie schließlich doch zu Stande kommt.

Möge es ihr gelingen, die widerstrebenden Gemüther mit der neuen Zeit und ihren Anforderungen zu versöhnen, ohne daß dabei die wahrhaften Segnungen der alten verloren gehen. – Selbst die charakteristische Patina – den edlen Erzrost, den die Zeit auch um die werthvollsten Gebilde vergangener Jahrhunderte legt – möchten wir nicht missen.

Robert Byr.