Leben und Thaten des berühmten Ritters Schnapphahnski/XI. Die Nordsee

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XI. Die Nordsee
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von: Georg Weerth
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[126]

XI.
Die Nordsee.


Die Gelehrten, die in keinem Punkte übereinstimmen, sind natürlich auch darüber uneinig, was aus Sr. Hochgeboren dem Ritter Schnapphahnski wurde, nachdem er in Berlin so glänzend fiasco gemacht hatte. Einige behaupten, er sei sofort auf seine Güter nach der Wasserpolackei gereist; Andere lassen ihn dagegen nach Norden ziehen und schwören [127] darauf, daß er plötzlich auf einer Insel der Nordsee, unter dem Namen eines Grafen G. v. W. zum Vorschein gekommen sei, um eins der trefflichsten Abenteuer seines Lebens zu bestehen.

Schnapphahnski, oder vielmehr Graf G. v. W. – erzählt uns einer dieser Herrn – war des Lebens müd und matt, als er von dem Huldigungsfestmahl aufstand. Er sprach kein Wort mehr, er ließ seine Sachen packen, und bestellte Postpferde in die weite Welt – zunächst nach Hamburg.

In Hamburg hatte unser Ritter nicht im geringsten etwas Böses vor – denn ach, unser Held war zu kaduck. Er fühlte, daß er sehr unglücklich sei und da gegen alles Unglück nichts besser ist, als eine ausgezeichnete Zigarre, so hielt sich der hohe Reisende nur deswegen einige Tage in der liebenswürdigsten aller deutschen Städte auf, um die besten Importirten zu kaufen, die je die Magazine des Jungfernstieg durchduftet.

Als aber nun Koffer, Taschen und Büchsen mit den braunen Kindern der Havanna reichlich gefüllt waren, bestieg unser Held den Dampfer und fuhr die Elbe hinab, hinaus in die dicke blaue Meerfluth.

In der frischen, freien Natur, dachte der Ritter, wirst du all dein Mißgeschick vergessen. Verflucht sei das Land! Gesegnet sei das Wasser! Wenn die [128] Wellen dich schaukelnd dahintragen, und die Wolken wie geflügelte Gletscher das Blau des Himmels durcheilen und wenn dich endlich ein Eiland aufnimmt, wo nur fromme, robuste Fischer wohnen, und stämmige Nereiden und wohlmeinende Austern: O, da wird dein krankes Herz gesunden und du wirst ein Glücklicher unter Glücklichen sein und ein billiges, gottgefälliges Leben führen in Ewigkeit. –

Wie in so manchen Sachen, irrte sich der Ritter auch in diesem Punkte, denn nichts kurirt einen vernünftigen Menschen weniger als die reine Natur, als eine sogenannte schöne Gegend.

Mit unserm kleinen, süßen Gewohnheitsplunder befinden wir uns in der finstersten Gasse einer lärmenden Stadt auf die Dauer besser, als vom Frühroth umstrahlt auf dem Gipfel der Alpen unter Gemsböcken und dummen Kuhhirten. Ich lasse es mir gefallen, daß man sich alle Jahre einmal auf den Rigi setzt, auf den Snowdon oder den Blocksberg, um sich davon zu überzeugen, daß unser Herr Gott auf eine wahrhaft geniale Weise seine großen Bergklötze durcheinander würfelte – eine Stunde, einen Tag lang mag man Alles beschauen; aber dann auch hinab zu der ersten besten verwünschten Prinzessin!

[129] Was geht mich die ganze Schweiz an, wenn ich in ein Paar schöne Augen sehe?

Unser Held war daher auf einem ganz gewaltigen Irrwege, wenn er durch ein dauerndes Schwelgen in der schönen Natur zu gesunden dachte.

Hätte ich nur die Pläne des Ritters gewußt, und wäre ich damals in St. Petersburg gewesen, so würde ich meinem Freunde auf der Stelle geschrieben haben: liebster Ritter, kommen Sie wenigstens nach St. Petersburg. Beschauen Sie sich die Paläste Sr. Majestät, des großen Bären. Amüsiren Sie sich an der steifen Parade der kaiserlichen Truppen. Suchen Sie vergebens einige hungrige russische Beamten zu bestechen und fahren Sie auf einem abscheulich guten Wagen nach Moskau, oder zu Schlitten nach Sibirien – Sie werden wie gerädert dort ankommen; Hören und Sehen wird Ihnen vergehen und Moses und die Propheten werden Sie vergessen und folglich auch Ihr Unglück.

Oder reisen Sie nach London! Ich gebe Ihnen ein Empfehlungsschreiben mit an meine Freunde in Eastcheap. Dort treffen Sie den unvergleichlichen Sir John Falstaff. Er frühstückt bei Frau Hurtig und wird Sie mit Dortchen Lackenreißer bekannt machen und mit Bardolph und Pistol und andern hervorragenden Persönlichkeiten des Jahrhunderts. [130] Mancher wird Ihnen freilich versichern, daß dies nicht die beste Gesellschaft sei: aber das ist reine Verläumdung. Ein englischer Literat, Namens Shakspeare, ist schuld daran. Er hat in seinen verwerflichen Dramen die nachteiligsten Dinge über den wahrheitsliebenden Sir John und über das tugendhafte Dortchen erzählt. Aber dafür erscheint er denn auch vor der Sternkammer, d. h. vor dem Zuchtpolizeigericht; die Klage lautet auf Kalomnie und da der unglückselige Angeklagte in dem rothnasigen Lord Brougham einen sehr schlechten Advokaten hat, so hofft man, daß besagter Herr Shakspeare wenigstens zu drei Monate Arrest und zu fünf Jahr Verlust der bürgerlichen Rechte verdonnert wird. Was können Sie also Besseres thun, als nach London reisen, um diesen famosen Prozeß mit anzuhören?

Oder reisen Sie nach Paris! Paris ist der einzige Ort, wo ein vernünftiger Mensch auf die Dauer leben kann. Stellen Sie sich auf die Place de la Concorde, und wenn die Springbrunnen rings um Sie plätschern, und wenn seitwärts der Duft aus tausend Orangenblüthen emporsteigt, und wenn die Hieroglyphen des Obelisks von Luxor im Abendgolde brennen und der Blick sich rechts in dem Lindengrün des Tuilerien Gartens und links in der Weite der Elyseischen Felder und in dem Duft verliert, [131] der geisterhaft über die Höhe des Arc de Triomphe einherwogt – und wenn sich nun der Abendwind aufmacht und das Tönen der Musik aus entfernten Gärten in leisverhallenden Klängen zu Ihnen herüberträgt und die reizenden Franzosen mit ihrer ganzen Lebendigkeit an Ihnen vorübertanzen und jetzt die sinkende Sonne ihren letzten Purpur, ihre flammensten Rosenlichter auf die Wipfel der Bäume, auf die Perlen der Springbrunnen, auf das Blau der Wolken und auf die Wangen der lieblichsten Frauen der Welt wirft und endlich die ganze ungeheure Stadt, wie im Bewußtsein ihrer Schönheit, noch einmal im Rausche der Liebe und der Wollust emporzujauchzen scheint – nun, lieber Ritter, da will ich ein Dromedar sein, wenn Sie sich nicht wie ein Gott fühlen, wenn Sie nicht Ihre Leiden vergessen, wenn Sie nicht gern die ganze Welt für einen Pariser Pflasterstein verkaufen, für einen einzigen dieser heiligen Steine, die heller durch die Geschichte leuchten, als alle Kronjuwelen, so den Schädel eines Fürsten zierten, von Salomo bis auf Reuß LXXII.

Doch was hilft es, daß ich mir vorleiere, wie ich zu dem unglücklichen Ritter gesprochen haben würde? Unser Freund sehnte sich weder nach den Eispalästen Sr. Majestät des großen Bären, noch nach der Taverne in Eastcheap, noch nach dem [132] Obelisken von Luxor – traurig saß er auf dem Verdeck des schwankenden Dämpfers, die Möwen schrieen, die Wolken zogen und „stop!“ rief der Kapitain, da landeten sie auf einer Insel der Nordsee.

Ich mag es nicht unternehmen, meinen Lesern diese weltbekannte Insel näher zu schildern. Hunderte der geistreichsten Schriftsteller haben sich schon an diesem Stoffe versucht und es hieße wirklich Wasser in den Rhein tragen, wenn ich den trefflichen Reisebeschreibungen jener guten Leute noch meine unvollkommenen Notizen hinzufügen wollte.

Beschränken wir uns daher auf die Mittheilung, daß das Leben auf der fraglichen Insel möglichst langweilig ist und daß es wirklich ein Wunder gewesen wäre, wenn der arme, melancholische Graf G. v. W. nicht schon nach kurzem recht eigentlich mit sich zu Rathe gegangen wäre, wie er durch irgend einen tollen Streich die Einförmigkeit eines Daseins brechen könne, das gewiß am allerwenigsten geeignet war, um ihn die Stürme der Vergangenheit vergessen zu lassen.

Aber wie sollte man auf dieser einsamen Insel einen tollen Streich begehen?

Sollst du mit den Fischern auf’s Meer ziehen? fragte sich der Graf. Sollst du dich mit dem ersten besten Engländer herumboxen? Sollst du dich in [133] eine Auster verlieben, oder sollst du gar zum Zeitvertreib heirathen? – –

O, ihr unsterblichen Götter: heirathen! welch’ eine Idee! Uebrigens wäre die Geschichte doch nicht so übel, dachte der Graf. In der Ehe langweilt man sich wenigstens nicht mehr ganz allein: man langweilt sich zu zweien; und dies ist schon ein Vorzug, ein sehr großer Vorzug! O, himmlischer Vater, du weißt es, wozu die Langeweile einen Menschen verleiten kann – –

Ja, du weißt Alles. Auch meine geheimsten Gedanken kennst du und gewiß werden dir bei deinem vortrefflichen Gedächtniß, noch jene ausgezeichneten Gebete, oder wie der alte Kant sagt, jene „oratorischen Uebungen“ erinnerlich sein, die ich manchmal in stiller Mitternacht, „aus einem Rest von kindlichem Gefühle“ zu dir emporlallte, wenn ich mit des Jahrhunderts lieblichen Töchtern des Vergänglichen viel genossen hatte und nun plötzlich auf den närrischen Gedanken kam, daß ein treues Eheweib am Ende doch noch besser sei, als alle jene undankbaren, unersättlichen Loretten, die der böse Herr Teufel gezeugt hat, mit der schönen Frau Venus.

Du hast sie gehört, jene rührenden Gebete, und du wirst sie gnädig verziehen haben.

[134] Sieh, o Vater der Götter, Zeus du Wolkenversammler – sieh Jehovah oder Odin, oder wie du dich nennen willst: auch heute befinde ich mich wieder in dieser heirathslustigen Stimmung. Ich langweile mich auf dieser einsamen Insel; es ist nicht gut, daß der Mensch alleine sei; drum erhöre mein Gebet und nimm mir, wie weiland unserm Ur-Groß-Onkel Adam, eine Rippe aus der Seite, auf das ich morgen früh ein holdes, häusliches Wesen an meiner Brust finde, im leichten Nachtkleid, eine Rose in Steifleinen. Also betete der Graf und wenn er nicht wirklich der Ritter Schnapphahnski war, so werden meine Leser doch gestehen müssen, daß die „oratorischen Uebungen“ unsres Helden eine frappante Aehnlichkeit mit den Herzensergüssen Schnapphahnski’s hatten.

Wie dem aber auch sei, soviel ist gewiß, daß der Himmel das Gebet des unglücklichen Grafen erhörte – wenn auch gerade nicht in streng-alttestamentlichem Sinne.

Denn sieh, als unser Graf einst, mit mehreren gleichgesinnten Badeseelen in dem hübschen Gemache seines Hotels saß und eben damit beschäftigt war, statt der Diamanten des reinsten Wassers, die Perlen des vorzüglichsten Champagners in die Nacht seines gramvollen Lebens hereinstrahlen zu lassen, da [135] wurden plötzlich die Thüren geöffnet und herein trat – – –

Die schöne Insulanerin war ein liebenswürdiges Mädchen. Sie zählte etwa 24 Jahre, als sie der Herr Graf kennenlernte. Prächtig schwarzes Haar umfloß die blendend weißen Schultern und der üppige Busen, die schlanke Taille und der kleine Fuß, doch vor Allem der Liebreiz ihres seligen Lächelns: Alles das hatte schon manchen Nordsee-Sohn halb toll gemacht.

Ja, schon mancher wilde Bursche war zahm und liebegefoltert vor ihr in den Staub gesunken; aber keck hatte sie noch immer den Fuß auf ihrer Verehrer Nacken gesetzt und der alte Ocean war der einzige, der sich rühmen konnte, daß er den Lilienleib der Schönen umschlungen und ihn im Gekräusel der Wogen davongetragen habe.

Da betrat Graf G. den Strand der Insel – – aber ich sehe zu meinem Schrecken, daß ich in vollem Zuge bin, eine Liebesgeschichte zu schreiben!

Genug, die schöne Insulanerin verliebte sich in den „reichen“ Grafen; und der „bankerotte“ Graf freute sich nicht wenig über sein rasches Glück. Die guten Eltern des armen Kindes waren zu sehr von den noblen Gesinnungen ihres Schwiegersohnes überzeugt, als daß sie seinen Werbungen etwas in den [136] Weg gelegt hätten und wer sonst von den einfachen Fischern den edlen Herrn mit so unendlichem Anstand Champagner trinken sah, der mußte sich gestehen, daß die jugendliche Insulanerin einen Gemahl bekomme, der überirdisch vornehm und liebenswürdig sei.

Se. Hochgeboren spielten die Farçe ausnehmend gut, ja sie spielten sie schließlich von der Nordsee-Insel hinüber nach Hamburg, wo sich wunderbarerweise ein katholischer Geistlicher fand, der nicht die geringsten Schwierigkeiten machte das abenteuerliche Paar zu trauen.

Bei einem Hamburger Advokaten existiren noch heutigen Tages die Akten über diese Vermählung, die später zu einer der interessantesten gerichtlichen Untersuchungen Veranlassung gab. Es geht daraus hervor, daß der schöne, abenteuerliche Graf G. eigentlich durch nichts bewies, daß er wirklich der eheliche Sohn des Grafen G. v. W. u. s. w. sei. Da der Herr Pfarrer aber so gefällig war, den Akt der Trauung mit seinem Gewissen zu vereinbaren, so konnte sich die schöne Insulanerin nichtsdestoweniger bald Comtesse de G. nennen, und erschien unter diesem Titel mit ihrem Gemahle wieder auf der heimischen Insel, angestaunt von den nachbarlichen Fischern und vielfach bewundert von dem Schwarm [137] neugieriger Gäste, den die Dämpfer von Hamburg aus nach dem felsigen Eiland hinüberbrachten.

Wochen und Monate flossen so dahin, da trat eines Morgens der Herr Graf zu der liebenswürdigsten aller Gräfinnen und kündigte ihr an, daß er trotz der interessantesten Umstände, in denen sich die jugendliche Comtesse befand, einmal hinüberreisen müsse nach dem Vaterlande um einige finanzielle Angelegenheiten zu ordnen, die lange genug vernachlässigt worden wären. Vergebens bat die junge Dame, daß der Herr Gemahl so freundlich sein möge, sie mit sich zu nehmen. Der Graf war unerbittlich und als am folgenden Tage Eos mit Rosenfingern emporstieg und der Schlott des „Patrioten“ in die frische Seeluft hinaus dampfte, da wurden zum Abschied die Tücher geschwenkt und die arme Comtesse sah ihren Gemahl – zum letzten Male.

Ja, der Herr Graf hat sich seitdem nicht wieder auf der Insel sehen lassen. Umsonst waren alle Nachforschungen. Vergebens arbeiteten Advokaten und Pfaffen und stille Verehrer skandalöser Geschichten Jahrelang daran, das Dunkel des gräflichen Verschwindens aufzuhellen.

Keine Spur hat sich entdecken lassen wollen –

[138] Sollte der Herr Graf vielleicht einige Aehnlichkeit mit unserm Ritter Schnapphahnski gehabt haben?

Doch nein, es ist nicht möglich! Auf Helgoland sah man aber in jenen Jahren oft beim Sinken der Sonne eine hohe schwarz-gekleidete Dame das Ufer entlang wandeln. Sie führte ein reizendes Mädchen an ihrer Hand und wenn der Abendwind den dunkeln Schleier der seltsamen Frau emporhob, da sah man in ein schönes, todtenbleiches Angesicht.