Lehrernoth

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Titel: Lehrernoth
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aus: Die Gartenlaube, Heft 8, S. 128
Herausgeber: Ernst Keil
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Erscheinungsdatum: 1870
Verlag: Verlag von Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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Quelle: Scans bei Commons
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[128] Lehrernoth. Vor einigen Tagen las ich in Nr. 48 der Gartenlaube vom vorigen Jahre den interessanten Artikel „Ein preußischer Subalternbeamter“, und dies veranlaßt mich, Sie mit diesem Schreiben zu belästigen. Ich bin überzeugt, daß Sie, der Sie mit so regem Interesse an allen öffentlichen Zeitfragen Theil nehmen, mir diese Freiheit verzeihen werden.

In dem erwähnten Artikel werden die Gehaltsverhältnisse der Subalternbeamten der preußischen Gerichte beleuchtet, und durch Thatsachen der Beweis geführt, wie ein solcher Beamter durch die schlechte Besoldung leicht genug zum Verbrechen getrieben werden kann.

Es ist nicht zu bestreiten, daß das Einkommen der Subalternbeamten theilweise besser sein könnte, aber ich gebe Ihnen die Versicherung, daß ich, ein preußischer Lehrer, und Tausende meiner Collegen uns glücklich schätzen würden, in pecuniärer Hinsicht so gestellt zu sein, wie die Subalternbeamten. Höher versteigen sich unsere Wünsche nicht – und dennoch klagt man uns von gewissen Seiten offen und rückhaltslos der Unbescheidenheit an. Um zu beweisen, daß ich nicht übertreibe, erlaube ich mir folgendes Thatsächliche über unsere Gehaltsverhältnisse in Kürze hier mitzutheilen.

Ich bin fast zehn Jahre im Amte. Ehe ich hierher versetzt wurde, war ich in einer kleinen Stadt von zweitausend Einwohnern angestellt und bezog sieben Jahre lang ein baares Gehalt von hundertfünfzig Thalern jährlich nebst freier Wohnung. Noch zwei andere meiner dortigen Collegen bezogen dasselbe Gehalt. Und bei diesem enormen Einkommen hatte ich den Muth, mich zu verheirathen und glücklich sein zu wollen. Daß Schmalhans täglich Küchenmeister war, ist leicht zu begreifen; aber dennoch mußten wir davon leben: Schulden sollten nicht gemacht werden, obgleich dieselben unvermeidlich waren, und dabei mußte auch der äußere Schein gewahrt bleiben. Wie es möglich war, mit diesem Gehalte nur einigermaßen auszukommen und nicht dabei zu verhungern, wird Manchem wohl unbegreiflich sein, und der Einblick in unser tägliches Ausgabebuch, welches ich eine Zeit lang gewissenhaft geführt, würde wohl Ihre gerechte Bewunderung erregen. Weil nun die würdigen Vertreter der Stadt gar nicht einsehen wollten, daß mit solchem Gehalte nicht auszukommen sei, bewarb ich mich um andere Stellen, und es gelang mir, an der hiesigen Bürgerschule mit zweihundertfünfundzwanzig Thalern ohne freie Wohnung angestellt zu werden. Ich wähnte mich glücklich – aber ich war aus dem Regen in die Traufe gekommen; denn die hiesigen Theuerungsverhältnisse sind ganz anderer Art, als die der kleinern Stadt. Noth und Sorgen blicken selbstverständlich täglich zum Fenster herein. Miethe, Feuerungsbedarf, anständige Kleidung für Frau und Kinder, und alle sonstigen Bedürfnisse des Lebens sollen von diesem Gehalte bestritten werden. Es kamen Krankheitsfälle in meiner Familie vor – und um nicht geistig zu versumpfen, mußte doch auch für Fortbildung etwas gethan werden, was natürlich Alles Geld kostet.

Es bedarf wohl keiner Versicherung weiter, daß die größte Kunst dazu gehört, sich unter diesen Umständen ehrlich durch das Leben hindurchzuwinden. Von einundzwanzig Lehrern, die sich hier befinden, beziehen die meisten dasselbe Gehalt wie ich, einige etwas mehr; aber nur drei haben das Gehalt eines Bureau-Assistenten, dreihundertfünfzig Thaler, und das sind Männer, von denen der eine bald dreißig, die beiden anderen über dreißig Jahre im Amte sind. Dabei sind die hiesigen Verhältnisse noch nicht einmal die schlechtesten. Trotzdem man nun den Lehrerstand, der doch mit der wichtigste Stand im Staate ist, so kärglich hinstellt, wird doch von ihm Berufsliebe, Berufsfreudigkeit und noch vieles Andere verlangt. Denken Sie sich hinein in diese Lage, geehrter Herr, und Sie werden mir Recht geben, wenn ich nochmals behaupte: glücklich, dreimal glücklich würden wir Lehrer sein, wenn unsere Besoldung durchschnittlich so beschaffen wäre, wie die der Subaltern-Beamten der preußischen Gerichte! – Ob sich dieser bescheidene Wunsch erfüllen wird, darüber liegt die Entscheidung noch in weiter Ferne. Wenn es in jetziger Zeit häufig vorkommt, daß Lehrer ihr Amt aufgeben und eine andere Carrière wählen, ist ihnen dies wahrhaftig nicht zu verdenken, denn Entbehren und Entsagen ist der meisten Lehrer herbes Loos!

Es wird mir sehr angenehm sein, wenn Sie diese Zeilen der Veröffentlichung werth halten; doch bitte ich dann, meine Namensunterschrift und den Ortsnamen wegzulassen, da ich sonst Maßregelungen zu befürchten haben würde. Es ist ja allbekannt, daß unsere größten Gegner unsere nächsten Vorgesetzten, die Pastoren, sind, wie auch Sie zur Genüge schon erfahren haben werden, daß die meisten Priester entschiedene Feinde der Gartenlaube sind. So eiferte der zweite Prediger in J–w eines Sonntags eine halbe Stunde lang gegen das Lesen der Gartenlaube, und nannte unter anderm die Gartenlaube ein gefährliches Gift, welches den Verstand berücke und durch seine Süßigkeit schleichend, aber sicher Herz und Seele vergifte.

Er selbst aber las sie mit dem größten Interesse!
Ein preußischer Lehrer.