Leichenrede, gesprochen am Grabe der am 18. September ... (1848)
Kampfe gegen die Aufständischen Gefallenen.
[3] Wir sind, meine christlichen Brüder, in der Nähe der Gruft[1] angekommen, die bestimmt ist die Männer[2] aufzunehmen, die wir in unserer Mitte hierher geleitet haben. Es ist in der That ein Trauerweg, den wir heute miteinander gewandert sind, es ist ein Trauerdienst, den wir zu erfüllen im Begriffe stehen. Es bedarf nicht der Worte, um uns in diesem Augenblicke bei dieser Handlung mit dem feierlichsten Ernste, mit der tiefsten Rührung zu erfüllen. Die schaudervolle That, die vor unseren Augen vollbracht worden, die Schlachtopfer, die in Folge dieser That gefallen sind und nun hier zu unseren Füßen liegen, die besonderen Beziehungen in denen wir zu diesen Männer stehen, die theils unsere Freunde, theils jene braven deutschen Krieger sind, die ihren Leib und ihr Leben für uns eingesetzt, um die drohende Gefahr von uns, vom gesammten deutschen Vaterlande abzuwenden, alles das dringt übergewaltig ein auf unsere Seele, so daß es der Worte nicht mehr bedarf um uns tief zu erschüttern. Noch vor einigen Tagen standen diese Männer in der Vollkraft ihres Lebens in unserer Mitte — und nun liegen sie da als Leichen vor uns!
Und in welchem Zustande ist die Gestalt des Mannes,[3] der dort an der Stelle vor mir liegt? Meine christlichen Brüder, ich bin wohlvertraut mit allen Schrecknissen, [4] welche die Todesstunde mit sich führt. Es ist mein täglicher Beruf den Menschen auf ihrem letzten ernsten Lebenswege zur Seite zu stehen, in der Todesstunde ihnen mit dem Troste der Religion zu Hülfe zu eilen, nach dem Tode ihnen die Augen zuzudrücken. Ich erschrecke nicht vor der erstarrten Leiche mit dem gebrochenen Auge und der eisigen Kälte. Als ich aber die Leiche dieses Mannes aufsuchte, um mich an ihrer Seite niederzuknieen und für die abgeschiedene Seele mein Gebet zu verrichten, da durchbebte ein kalter Schauer meine Glieder und meine Seele. Er schien mir nicht von Menschenhand ermordet, sondern von den Zähnen und Klauen wilder Thiere zerrissen zu seyn. Auf dieser Leiche ruhte nicht jener Ausdruck eines sanften ruhigen Schlafes, den wir so gerne bei dem Verstorbenen antreffen, der die zurückgeblieben Freunde mit Trost und Frieden erfüllt; auf seiner Brust klaffte nicht eine offene, eine edele Wunde wie sie die Brust des Kriegers ziert, der im Kampfe mit einem edelen Feinde sein Leben dahingegeben: nicht so fand ich die Leiche dieses Mannes, nicht so war sein Tod gewesen. Ohne Waffen, mit der an ihm bekannten Furchtlosigkeit und mit dem festesten Vertrauen zum Volke hatte er sich an jenem verhängnißvollen Tage in Begleitung seines älteren Freundes,[4] der da neben ihm liegt, zu Pferde vor das Thor hinausgewagt, und da hat man sie, die Wehr- und Waffenlosen, in großer Zahl meuchlings überfallen, man hat sie gehetzt, verfolgt, aus ihrem Verstecke herausgerissen, den Einen noch am Hause zerschlagen und erschossen, den Anderen unter [5] furchtbaren Mißhandlungen weit in das Feld hinausgeschleppt und ihn dort in entsetzlicher Weise niedergemetzelt, man hat ihn zerschossen, zerschlagen, zerrissen, zerschnitten!!! Das ist der Zustand der Leichen dieser Männer.
Und wer waren denn die Männer, die man so behandelte? Waren es schandvolle Missethäter, die dem Kerker etnsprungen, und die ihr Leben lange verwirkt hatten? Waren es Feinde des deutschen Volkes, die den gerechten Haß des Volkes auf sich geladen? Nein, meine christlichen Brüder, nichts von alle dem! Es waren Männer, die Gott mit den edelsten Gaben des Geistes und des Herzens ausgestattet hatte. Sie haben mit festem Muthe und hoher Begeisterung für ihre beste Ueberzeugung gekämpft, auf dem Schlachtfelde mit ihrem tapferen Schwerte, im Rathe der Völker mit ihrem Geiste, und selbst ihre Gegner achteten in ihnen würdige Söhne des deutschen Vaterlandes. Endlich war ihnen noch die höchste Ehre zu Theil geworden. Als das deutsche Volk aufgefordert wurde, seine edelsten und vertrautesten Männer hierher zu senden, da wählte es auch sie. Unter den 45 Millionen Deutscher gehörten auch sie zu den 600 Auserwählten, denen der Auftrag geworden ist, den erhabenen Riesenbau eines einigen starken deutschen Vaterlandes auszuführen, und wir haben gesehen wie sie an diesem Bau mitgearbeitet, und sie als höchst einsichtige, thatkräftige Bauleute kennen gelernt. Sie haben mit Ehren ihre Stellen eingenommen, mit Ehren die Würde getragen, die ihnen das Volk auferlegt, sie haben sich werth gezeigt deutsche Volksvertreter zu seyn, vom deutschen Volke geehrt und geachtet zu werden.
[6] Wie konnte denn aber an solchen Männern eine solche That vollbracht werden? Bei allen Völkern der Erde ist ja der Vertreter des Volkes eine unverletzliche Person! Wie konnte in unserem theueren Vaterlande, in unserem edelmüthigen Deutschland, an einem deutschen Volksvertreter ein so übergrausenhafter Mord begangen werden? Welche Unthat haben diese Männer noch zuletzt begangen, daß man sie so schmachvoll hingeschlachtet, hingemetzelt hat? Haben sie das Wohl des Volkes verrathen, haben sie den Volksvertretern Hohn gesprochen, haben sie sich den Beschlüssen der Nationalversammlung widersetzt, sind sie von der deutschen Nationalversammlung für vogelfrei erklärt worden? Nein, meine christlichen Brüder, und abermals nein, nichts von dem Allen! Sie sind hingeschieden, hochgeachtet von dem Volke, das sie gewählt, hochgeachtet und geliebt von der Versammlung der deutschen Volksvertreter; und ihr ganzes Verbrechen hat nur darin bestanden, daß sie Männer waren, daß sie nach freier, unabhängiger Ueberzeugung geredet und gestimmt, daß sie in Uebereinstimmung mit der Mehrzahl der deutschen Nationalversammlung gehandelt haben.
Ja, wir können uns den ganzen Umfang der Verruchtheit jener That nicht verhehlen, und wenn Männer aus anderen Ländern hier zu uns hintreten und fragen, wen wir denn hier auf deutscher Erde eingesenkt haben, so müssen wir mit schamrothem Antlitze und thränendem Auge antworten: Hier ruhen zwei der edelsten Männer, der edelsten Söhne des deutschen Vaterlandes, die von deutscher Hand waffenlos und hülflos meuchlings ermordet [7] sind, weil sie es gewagt haben auf der ersten deutschen Volksversammlung nach ihrem besten Gewissen und Erkennen zu reden und zu stimmen!
Und in welcher Zeit, in welchem Lande ist diese That verübt? In einer Zeit, die sich stolz über die Vergangenheit erhebt, welche sie nennt eine Zeit der Finsterniß, der Barbarei, der tiefsten Versunkenheit, die von sich selbst sagt sie sey die Zeit der Humanität, des Lichtes, der Aufklärung; sie ist verübt in einem Lande, das von sich sagt, es sey die Heimath der höchsten Gedanken, Ideen und Bestrebungen der Menschheit, es sey der Centralpunkt von wo aus sich wahre Aufklärung und Humanität nach aller Welt hin verbreiten werde.
Endlich stelle ich in Gegenwart dieser Leichen die ernste, die gewichtige Frage: Wer sind denn die Mörder dieser unserer Freunde? Fürchtet Euch nicht, meine christlichen Brüder, daß ich diesen heiligen Ort durch Worte des Hasses entweihen werde, fürchtet Euch nicht, daß ich in Gegenwart dieser Männer, die im Frieden entschlafen, Unfrieden in euren Seelen erregen werde, fürchtet Euch nicht, daß ich zum Verräther an meinem hohen Berufe werde, dessen schönstes Ziel es ist, die Menschen in Liebe zu vereinen. Aber ich will die Wahrheit, die ganze unverkümmerte Wahrheit, denn nur die Wahrheit führt zur wahren Versöhnung, zum wahren Frieden; ich will insbesondere hier die Wahrheit um unser gutes deutsches Volk von der Schmach zu befreien, als sey aus ihm diese That hervorgegangen: und so frage ich abermals, wer sind die Mörder unserer Freunde? Sind es etwa [8] jene, die ihnen die Kugeln durch die Brust geschossen, die mit der Sense ihnen den Schädel gespalten? Und ich sage unbedenklich, nein, sie sind es nicht! Die Gedanken sind es, die auf Erden die guten und die bösen Thaten gebähren, und die Gedanken, die diese Thaten hervorgerufen, ruhen nicht in unserem Volke. Ich kenne auch das deutsche Volk. Ich kenne es zwar nicht aus den Volksversammlungen, ich kenne es aber aus seinem Leben. Ich lebe mit und unter dem Volke, ich kenne es in seinen Leiden, in seinen Schmerzen. Es fließen nicht viel Thränen in dem Volke, dessen Leitung mir anvertraut ist, die es mir nicht klagt, die ich nicht mit ihm theilte und zu lindern suchte. Ich habe mein ganzes Leben dem Dienste des armen Volkes gewidmet, und je mehr ich es kennen gelernt, desto mehr habe ich es lieben gelernt, ich weiß wie große edele Anlagen unser deutsches Volk von Gott erhalten hat. Nein, ich rufe es abermals, und o möchte meine Stimme zugleich mit der Kunde von dieser That in alle Welt hinaushallen, nein nicht unser edeles biederes deutsches Volk ist es, aus dem diese entsetzliche That hervorgegangen. Von ihm gelten die Worte unseres Erlösers: „Es hat nicht gewußt, was es gethan.“ Aber die Mörder sind jene Männer, die dahin streben, im Volke den Glauben an den allmächtigen Gott zu vertilgen; es sind jene Männer, die Christus, das Christenthum, die Kirche vor dem Volke verhöhnen, verspotten, verlachen und mit ihrem niedrigen Geifer beflecken; es sind jene Männer, welche die beseligende, frohe Botschaft von der Erlösung [9] der Menschheit im Herzen des Volkes zu vertilgen streben; es sind jene Männer, welche den Umsturz nicht nur als eine traurige Nothwendigkeit unter besonderen Umständen anerkennen, sondern welche den Umsturz zum Prinzip erheben und das Volk von Umsturz zu Umsturz hinreißen, bis in die Familie, bis zu dem Stuhle, auf dem Vater und Mutter gemeinsam sitzen; es sind jene, die dem Volke den Glauben nehmen, daß es die Pflicht des Menschen sey sich selbst zu beherrschen, seine Leidenschaften zu bezwingen, sich dem höheren Gesetze der Sitte und der Tugend zu unterwerfen, und welche dagegen die Leidenschaften zur Herrschaft bringen wollen und das Volk damit entzünden: die Mörder sind jene Männer, die sich selbst zu den Lügengötzen des Volkes machen wollen, daß es vor ihnen niederfalle und sie anbete.
Nun aber tritt an diesen Gräbern ein Gedanke heran an meine Seele, den ich Euch, meine christlichen Brüder, zum Schluß noch mittheilen muß. Ich sehe in der Welt auf der einen Seite ein gewaltiges Ringen und Drängen und Streben nach den höchsten Idealen, die die Menschenseele zu fassen vermag, und auf der anderen Seite sehe ich ein Aufkeimen so niederträchtiger Leidenschaften, wie sie kaum je in der Menschheit dagewesen; ich höre den Ruf nach einem allgemeinen Frieden, — und wessen Seele möchte nicht jubelnd darin einstimmen, — und ich sehe die Menschen sich immer mehr zertheilen, zertrennen und zerklüften, den Vater vom Sohne, den Bruder von der Schwester, den Freund vom Freunde; ich höre den Ruf nach Gleichheit unter den Menschen, welche [10] uns die Botschaft des Heils schon seit Jahrtausenden gelehrt, und ich sehe ein wahnsinniges Streben des Einen über den Andern sich zu erheben; ich höre den schönen erhabenen Ruf nach Brüderlichkeit und Liebe, der so ganz ein Ruf ist vom Himmel uns zugetragen, und ich sehe den Haß und die Verläumdung und die Lüge unter den Menschen verbreitet; ich höre den Hülferuf für unsere armen leidenvollen Mitbrüder, — und wer, der sich nicht beide Augen ausgerissen, kann es läugnen, daß die Noth unter unseren armen Mitbrüdern entsetzlich ist, und wer, der sich das Herz nicht aus der Brust gerissen, stimmt nicht aus voller Seele ein in diesen Hülferuf? — und ich sehe die Habgier und den Geiz zunehmen, die Genußsucht immer wachsen, ich sehe Menschen, die sich „Männer des Volkes“ nennen, nichts anders treiben, als die Noth vermehren, die Arbeitslust untergraben, und ihre armen verführten Mitbrüder auf die Taschen ihrer Mitmenschen hetzen, während sie selbst nicht daran denken ihren Säckel den Armen zu öffnen, ich sehe sie die Christenlehre zerstören, die da befiehlt mit dem eigenen Säckel anzufangen, die da predigt, willst du vollkommen seyn, so verkaufe was du hast und gib es den Armen; ich höre den Ruf nach Freiheit, und ich sehe da Menschen gemordet, die es gewagt haben, ein freies Wort zu sprechen; ich höre den Ruf nach Einheit, und ich sehe den einen Stamm des Volkes mit dem andern in blindem unversöhnlichen Hader; ich höre den Ruf nach Humanität, und ich sehe eine Brutalität, die mit Schauder erfüllt. O ja, ich glaube an die Wahrheit aller dieser [11] erhabenen Ideen, welche die Welt jetzt bewegen, mir ist keine zu hoch für die Menschen, ich glaube daß es die Aufgabe der Menschheit ist, sie alle zu erfüllen, ich liebe die Zeit schon deßhalb, weil sie so gewaltig nach der Erfüllung dieser Ideen ringt, so weit ich sie von ihrer Erreichung auch noch entfernt sehe; aber, und das ruft uns das Grab unserer Freunde in Verbindung mit so vielen anderen Erscheinungen der Gegenwart zu, es gibt nur ein Mittel, um diese erhabenen Ideen zu verwirklichen, und das ist, daß wir uns wieder hinwenden zu dem, der sie der Welt zugetragen hat, zu dem Sohne Gottes, Jesus Christus. Christus hat uns alle jene Lehren verkündet, welche uns die Menschen, die von ihm abgefallen sind und ihn verhöhnen, jetzt als ihr Werk, als ihre Lehre anpreisen; aber er hat nicht blos gelehrt, er hat sie auch in seinem Leben geübt, und er hat uns den einzigen Weg gezeigt, um sie in unser Leben einzuführen. Er ist der Weg, die Wahrheit und das Leben, außer ihm ist Irrthum, Lüge und Tod. Mit ihm vermag die Menschheit Alles, das Höchste und Idealste, ohne ihn vermag sie Nichts. Mit ihm, in der Wahrheit die er gelehrt, auf dem Wege den er gewiesen, können wir die Erde zum Paradiese machen, können wir unseren armen leidenden Brüdern ihre Thränen trocknen, können wir Liebe, Eintracht und Brüderlichkeit, wahre Humanität in vollendeter Weise begründen, können wir, ja ich behaupte es aus der tiefsten Ueberzeugung meiner Seele, selbst Gemeinschaft der Güter und den ewigen Frieden herstellen und zugleich die freiesten socialen und politischen Institutionen [12] schaffen, ohne ihn werden wir mit Schmach, Schande und Elend zu Grunde gehen, ein Spott und ein Hohn für die Nachwelt. Das ist die Wahrheit, die uns aus diesen Gräbern entgegentönt, die der Verlauf der Weltgeschichte bestätiget, — möchten wir sie beherzigen!
Endlich, meine christlichen Brüder, erinnere ich Euch daran, daß nach dem Tode ist das Gericht, und ich bitte Euch deßhalb den Seelen unserer verstorbenen Freunde und unserer edelen Beschützer in unserem Gebete eingedenk zu seyn, auf daß sie Gnade finden am Throne Gottes! Amen.
Anmerkungen (Wikisource)
- ↑ Hauptfriedhof Frankfurt a. M., Gewann E 243
- ↑ Felix Maria Vincenz Andreas Fürst von Lichnowsky (1814–1848), Politiker und Mitglied der Nationalversammlung
Hans von Auerswald (1792–1848), Preußischer Generalmajor und Mitglied der Nationalversammlung - ↑ gemeint ist die Leiche des Fürsten Felix Lichnowsky
- ↑ gemeint ist der 22 Jahre ältere Hans von Auerwald