Leipzigs Wasserpionier

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Autor: Friedrich Hofmann
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Titel: Leipzigs Wasserpionier
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aus: Die Gartenlaube, Heft 44, S. 692–695
Herausgeber: Ernst Keil
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Erscheinungsdatum: 1864
Verlag: Verlag von Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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Leipzigs Wasserpionier.


Ein Industriebild. Von Friedrich Hofmann.


„In der großen Seestadt Leipzig –“

so beginnt ein altes Scherzlied, welches ohne Zweifel die ausgedehnten Sümpfe verherrlichte, mittels deren es einst Leipzigs schöner Gegend gelungen war, hier Osten und Westen unnahbar zu trennen. Es gehörte der hohe Dammbau der Leipzig-Lindenauer Chaussee dazu, um die deutschen Brüder diesseits und jenseits der Sümpfe zueinander zu bringen. Und wenn die drei Ströme dieser Ebene, die tückische Elster, die verdächtige Pleiße und die gemüthliche Parthe den ihnen eigenthümlichen Uebermuth des Ueberflusses entwickelten, so mochte Leipzig zu einer temporären Seestadt wohl Wasser genug haben, aber weiter nichts.

Anders ist es heute, ja gerade umgekehrt. Die ehemalige Macht der Ueberschwemmungen ist gebrochen, üppiges Wiesengrün wurde Herr über die Sumpflächen, der prahlerische Spiegel weiter Wasserflächen heuchelt kein Seebild mehr in die Ebene der Weltschlachten, – aber ein viel überraschenderes Wunder fesselt Dich, reisender Mann, der Du von Lindenau des hohen Weges her Dich der alten Stadt der Messen, Buchhändler und Lerchen nahest: der schrille Pfiff der Dampfpfeife schreit, Du blickst hinüber zur Rechten, und Du traust Deinen Augen kaum – ein Dampfschiff fährt zwischen dem grünen Meer der Wiesen dahin! Es ist wahrhaftig so! Die Dampfsäule steigt auf und legt sich zwischen die Erlen, Hainbuchen und Eichen, welche den Weg des Schiffs beschatten, und auch die Schiffsglocke ertönt – eine andere Dampfsäule kommt dieser von der Stadt her entgegen, Wimpel flattern, es kracht der Böller – Dein letzter Zweifel schwindet, und Du eilst in die neue Seestadt, um mit eigenen Augen zu sehen, welch Leben sich in ihrem Hafen entwickelt.

Eile nur, Du bist gerade zurecht gekommen – zum denkwürdigen 25. Juni 1864, dem Feste der Einweihung eines Canals, welcher die Elster mit der Pleiße verbindet und einen directen Schifffahrtsverkehr zwischen den Bahnhöfen der Stadt und dem großen Canal ermöglichen soll, der einst die Gewässer Leipzigs mit der Saale verbinden wird. – Wir begeben uns zum ehemaligen durch die Messen weltbekannt gewordenen Gerhard’s Garten. Dort sehen wir deutsche, sächsische, leipziger und schleswig-holsteinische Fahnen von Gebäuden und Bäumen lang herabwallen, Dampf qualmt auf, und vieler Menschen Stimmen murmeln und schreien durcheinander. Dort ist der Hafen; aber sie bauen ihn erst; auf schwankem Stege überschreiten wir die Pleiße, vor uns dringt der neue Canal in Gerhards Garten hinein, und jenseits drängen Hunderte von Männern durcheinander, trotz des beginnenden Regens Alle mit frohen Festgesichtern, aus denen der Stolz strahlt, Zeugen der Krönung eines gelungenen schweren Werkes und Gäste eines Mannes zu sein, der die Krone des Tages trägt.

Da steht er, der Doctor Carl Heine, jener „Leipziger Bürger“, welchem die Gartenlaube schon 1856 ein Denkmal der Anerkennung in ihren Spalten setzte. Carl Heine gehört zu den thatkräftigen Geistern unserer Nation, aber nicht zu denen, welche fruchtverheißende Gedanken über weite Länder ausstreuen und ganze Völker fernen Zielen entgegenführen, sondern zu den energisch-praktischen, welche auf beschränktem Gebiete Großes leisten, ihre engste Heimath zu ihrem Wirkensfelde ausersehen und hier die widerstrebende Natur mit dem Aufwande aller Kraft zwingen, eine andere Gestalt anzunehmen und die Mittel, die sie bisher zum Schaden für Tausende in Ueberfluß hatte, in den Nutzen für Hunderttausende zu verwenden. Darin besteht die Größe des Mannes, in ihr ist er ein Muster deutscher Bürgertugend und darum ein würdiger Gegenstand nochmaliger Besprechung in diesem Weltblatte.

Im neuen Canal und in der Pleiße liegen die Fahrzeuge bereit. Ein neues Dampfschiff von 15–18 Pferdekraft, für hundert Personen, nach Art der Alsterdampfschiffe von Schlick in Dresden erbaut, macht heute seine erste Fahrt. Zwei ältere Dampfschlepper stehen bereit, mächtige Boote, von 120 Fuß Länge, 16 Fuß Breite, mit Kajüten versehen und festlich geschmückt, in’s Tau zu nehmen; diese drei Fahrzeuge und viele kleinere Boote und Barken nehmen die fünfhundert besonders geladenen Gäste des Festgebers auf. Ein Boot mit Musik begleitet sie, ein zweites dergleichen führt einen zweiten Zug von Booten, in welchem die fünfhundert Arbeiter Heine’s Platz finden. Die Musik ertönt, Böller krachen, ein Hoch erschallt, beantwortet von Tausenden an den Ufern und an den Fenstern der Gebäude, ein Blumenregen fällt auf Heine’s Festgondel, und die Fahrt beginnt.

Wenn Männer einer Stadt in erhöhter Stimmung vor den Werken eines Mannes stehen, der Bürger ist, wie sie, so reißt das Herz sie über die Rücksichten des Alltags fort, und sie fühlen es in solchen Augenblicken ihrer eigenen Ehre schuldig, der Wahrheit allein die Ehre zu geben. Darum lauschen wir in stiller Freude, wie hier, weß das Herz voll ist, der Mund übergeht.

Wir fahren den Schleußen des Canals entgegen.

„Mag’s auf meine alte Glatze regnen, den Hut zieh’ ich ab vor einem Bau, der unsern Vätern im Traum zu kühn gewesen wäre. Und das ist eines Mannes Arbeit, wir fahren durch ein neues Land, das ein Mann aus Sumpf und Oede geschaffen hat!“

„Wenn wir ihn recht bewundern sollen, müssen wir von ihm

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Carl Heine.

Zahlen sprechen lassen. Heine’s wasserbahnbrechende Thätigkeit hat, wie Sie wissen, ein doppeltes Ziel. Wollte er die weiten Sumpfstrecken zunächst zwischen Leipzig und dem Dorfe Plagwitz (unweit Lindenau, eine Stunde von Leipzig entfernt) zu bauwürdigem Land umgestalten, so bedurfte er trocknes gutes Erdreich zum Ausfüllen derselben, und dieses gab ihm am besten das hochgelegene Terrain von Plagwitz. Und wollte er von dort das Ausfüllmaterial möglichst billig nach Leipzig schaffen, so bedurfte er einer Wasserstraße. Deshalb ließ er die Elster ausbaggern und für Boote bis zu 3000 Centner Tragfähigkeit befahrbar machen, und ebendeshalb verband er Plagwitz durch einen Canal mit der Elster. Der Canal giebt nun das Erdreich, das in Leipzig neues Bauland aus den Sümpfen erhebt, und jemehr Füllmaterial für Leipzig nöthig ist, desto weiter kann der Canalbau fortschreiten. Hätte Heine weiter nichts zu überwinden, als die Schwierigkeiten der Natur, so würden wir sein Werk schon bedeutend weiter gediehen sehen; – um so höher haben wir das zu ehren, ja anzustaunen, was trotz alledem bereits durch ihn geschehen ist. Nicht weniger als 1,100,000 Quadratellen Land umfaßt der neue Stadttheil, den Heine gegründet hat, und bildet, nach dem Durchschnittspreis von 1½ Thlr. für die Quadratelle Bauplatz, einen Grundwerth von 1,300,000 Thlr. Von diesem Areal waren ehedem 600,000 Quadratellen der Hochfluth ausgesetzte Wiesen und 200,000 Quadratellen sumpfige Gärten, von Gräben durchschnitten, welche Fieberluft über die Stadt hin verbreiteten; – jene Wiesen, früher um 44,000 Thlr. feil, haben jetzt einen Werth von 700,000 Thlr. Dafür hatte allerdings Heine nur für die Herstellung des Baugrundes der West, Rudolfs-, Wiesen-, Plagwitzer- und Elsterstraße nahe an eine halbe Million Kubikellen Füllmaterial herbeizuschaffen! Die Waldstraße nahm dessen sogar über eine ganze Million in Anspruch.“

„So also entstand die neue ‚alte Seestadt Leipzig‘! Um sich von Wasser zu befreien, mußte sie die Schifffahrt einführen!

„Es ist wirklich so. Um einen Hafen zu bekommen, baute Heine eine Stadt, die ganze westliche Vorstadt, die man Heine-Stadt nennen sollte. Jene Prachtstraßen mit bereits über zweihundert Häusern sind Ehrensäulen, die ihm kein Feind entreißt. Da steht die Menschenmenge auf Heine’s Meisterstück, seiner Weststraße! Hört nur das ‚Hoch!‘ von der Brücke, und welche That war sie selbst, die das ganze südwestliche Leipzig näher an Frankfurt gebracht hat!“

„Ist’s nicht ein wahres Volksfest, diese Canaleinweihung beim schönsten Regenwetter? Jetzt möchte ich in Heines Herz sehen können. Wie muß das freudig schlagen beim Anblick einer solchen Theilnahme für ihn und sein Wirken! Fast kein Haus steht am Ufer und keine Menschengruppe drängt heran, daraus nicht ein Blumenregen auf ihn niederfiele. Man wird stolz darauf, zu einer Bevölkerung zu gehören, die einen hervorragenden, so hochverdienten und doch so viel angefeindeten Mitbürger so sinnig und großartig zu ehren versteht.“

[694] „Ging doch unser König ihr mit dem besten Beispiel voran. Als er vor zwei Jahren die Rundschau im Leipziger Regierungsbezirk hielt, widmete er den Heine’schen Etablissements einen ganzen Tag. Diese Auszeichnung hat Manchem über die eigentliche Bedeutung des Mannes erst die Augen öffnen müssen!“

„Ist die Nothwendigkeit solcher Augenöffnung auch an sich ebenso beklagenswerth als ihr Gelingen für die Zukunft erfreulich, so hat dies wenigstens bis jetzt dem armen Plagwitzer Weg nicht weiter geholfen.“

„Ja, der Plagwitzer Weg!“ erscholl es im langgedehnten Unisono über das ganze Boot.

„Welche absonderliche Bewandtniß hat es denn damit?“

„Wie Allen wohl bekannt, hat unser Heine sich in Leipzig große Grundbesitzungen geschaffen und in Plagwitz erworben, wie wir ja in einer halben Stunde selbst sehen werden. Es mußte ihm nun darum zu thun sein, Leipzig und Plagwitz, das er durch die erste Leipziger Dampfschifffahrt verbunden hat, auch durch einen Landweg auf kürzester Strecke zu verbinden. So weit Heine auf eigenem Gebiet von Leipzig und Plagwitz aus dies ausführen konnte, ist’s geschehen, auch eine Brücke gebaut, unter welcher selbst beim höchsten Wasserstand seine Schiffe und Boote passiren. Dazwischen liegt jedoch städtisches und Universitäts-Eigenthum – und darüberweg darf bis heute nur der Fußweg führen, den wir soeben linker Hand dem Ufer sich nähern sehen und von dem aus uns abermals der fröhliche Gruß einer Völkerwanderung unter Regenschirmen entgegenjubelt!“

„Hoch! Hoch! Wiederum Böller, Fahnen, Blumen. Wie wimmelt es jetzt von Kähnen um die Boote, und dazwischen schlüpfen die langen schlanken ‚Grönländer‘ dahin, eine rüstige Gesellschaft ‚Leipziger Seeleute‘, welche richtige Grönländer Gondeln in Gebrauch haben. Welch ein Fest! Aber wie nöthig auch, um unsern Heine die Schmerzen des Plagwitzer Weges auf Augenblicke vergessen zu machen.“

„Da kommen wir zum Hochzeitswehr – rechts dort! Das weiß auch von einem Stück Heine’scher Arbeit zu erzählen. Heine hatte bis 1862 zur Entwässerung der Leipziger und Plagwitzer Grundstücke circa 9000 laufende Ellen Schleußen, theils aus Thonröhren, theils aus Backsteinen bestehend, angelegt, das fehlende Gefälle aber durch unter dem Grunde der Elster angelegte mächtige eiserne Ducker ermöglicht.“

„Diese Riesenarbeit war hier mit besonderer Schwierigkeit auszuführen, denn der Stadtrath machte es Heine zur Bedingung seiner Concession zu diesem Bau, daß die Duckers hier groß genug seien, um künftig sämmtliche Schleußen der südwestlichen Vorstadt von Leipzig aufzunehmen, weil für sie keine andere Entwässerung möglich sei. Diese Bedingung vertheuerte die Arbeit um etliche tausend Thaler, vor denen die Stadtcasse gerettet war.“

„O die Stadtcassenfanatiker! So nennt sie Heine, – und doch gehen die Herren vom Rath nicht auf ein Anerbieten ein, wie es sicherlich noch kein Bürger seiner Stadt gemacht hat. Hören Sie Heine’s eigene Worte. Da habe ich sein jüngstes Schriftchen, es sind ‚Betrachtungen über die Elster-Regulirung bei Leipzig‘, vom Mai 1864, und da heißt es: ‚Ich habe dem Rathe der Stadt Leipzig das Anerbieten gemacht, auf meine Kosten ein großes Wehr zu erbauen, um die Hochwasser an der Westseite der Stadt Leipzig abzuführen, für welche Arbeit mich die Trockenlegung eines mir gehörigen Areals von nur zwanzig Acker entschädigen soll. Dabei habe ich, als Nebenproduct dieser Vorschläge, einen mit Händen greifbaren, sofortigen Gewinn von etwa 80,000 Thalern für die Stadtgemeinde nachgewiesen und die Trockenlegung von etwa sieben Millionen Quadratellen Fläche zugesagt, deren kleinster Theil in kürzester Zeit ein Vermögen von einer Million Thaler für die Stadtgemeinde und etwa 300,000 Thaler für die Universität repräsentiren muß, ganz abgesehen von den Vortheilen für die Verkehrsverhältnisse der Stadt überhaupt. Für alle diese Vortheile habe ich nichts verlangt, als eine Wasserkraft, die der Stadt gegenwärtig beinahe mehr kostet, als sie einbringt, wenn man die Wehre auf dem Mühlenconto bucht, wohin sie doch gehören. Ich habe dabei die Beseitigung aller dem Unternehmen etwa entgegenstehender Berechtigungen übernommen, welche als wirkliche Rechte Dritter nachgewiesen werden; ich habe mich dabei ferner selbstverständlich der competenten Strompolizeibehörde untergeordnet und beanspruche die gedachte Wasserkraft nicht eher, als bis ich die Wahrheit der von mir in Aussicht gestellten Erfolge durch factische Herstellung wirklich erwiesen habe. Aus Rücksicht auf das von den Herren Technikern (einer Regulirungs-Commission) seit zehn Jahren bearbeitete Regulirungswerk fanden meine billigen Vorschläge bisher keine Berücksichtigung; auch die einstimmig beschlossenen, auf Annahme meiner Offerte gerichteten Anträge der Herren Stadtverordneten ruhen gegenwärtig in der Hand des Stadtraths zu Leipzig, und ich vermuthe, daß sie lange ruhen werden.‘“

„Ist denn so etwas möglich?“

„Armer Heine!“

„Nichts als Plagwitzer Wege!“

„Amen! Ihr Herren. Die Natur ist hier zu reizend, um sie uns durch den Stadtrath verderben zu lassen. Wie lieblich ist dieses Wäldchen, zwischen dem der Fluß mit heimlicher tiefer Verschwiegenheit seine festliche Last dahinträgt! Sie nennen’s das Ritterspürchen und die tiefste Stelle des Flusses das Ritterloch. Prächtige Hainbuchen und Eichen! Es wird einem hoch und deutsch zu Muthe bei ihrem Anschauen. Verzeihen Sie es mir, wenn es mich gerade hier zu der Frage drängt: Was haben diejenigen Männer Leipzigs, welche sich ihrer Bürgerwürde bewußt sind, bisher für ihren Mitbürger Heine gethan? Haben sie sich nicht damit begnügt, zuzusehen, was ihre Stadtverordneten ausrichten werden, und geduldig mit zu murren, wenn sie nichts ausrichteten? Haben sie sich ermannt zu allen gesetzlichen Mitteln, um durch gemeinsames und einmüthiges Auftreten die Stimme der Bürgerschaft selbst bis zum schwersten Gehör vordringen zu lassen? Nein! – Nicht einmal in der Presse haben sie sich seiner angenommen, auch da, wie überall, dem einen Manne den ganzen Kampf allein überlassen. – Betrachten Sie diese Eichen recht genau! Wer an einem solchen Kampfe keinen Theil nimmt, den soll auch ihr ehrendes Blatt nicht schmücken.“

Lebewohl, Du stiller Wald! Du hast heute keine Macht, die Gemüther der Männer zu beruhigen. Mochten doch viele derselben gerade durch diesen Triumphzug muthiger Arbeit nicht nur von dem Unrecht, das Andere, sondern von dem, das sie selbst durch ihre passive Stellung zu seinen Kämpfen an Heine begangen, recht schmerzlich überzeugt worden sein. –

Vorbei sind wir am Ritterloch. Bald sehen wir links drüben die stattliche Brücke, welche die Grenze zwischen dem Leipziger und Plagwitzer Gebiet bildet, dann noch eine kurze Fahrt und wir verlassen den Fluß, der, nun getheilt, als Luppe und Elster sich der Saale zuwendet, während wir durch ein Schleußenthor in den breiten Plagwitzer Canal einbiegen.

Welch ein Leben! Hier erst ist die ganze Menge der Boote, Barken, Gondeln, Kähne, Grönländer zu überblicken, hier zeigen die hohen ansteigenden Ufer bis zur „Königsbrücke“ am dermaligen Ende des Canals die herbeigeströmte Menschenmasse, hier ist auch das Ziel des Festzugs, der nun die Fahrzeuge aller Art verläßt, um sich in des Festgebers Besitzung, seine stattliche Wohnung mit dem geräumigen und geschmackvollen Park zu begeben, wo Leib und Seele erquickt werden sollen mit Speisen und Freuden.

Wir ziehen es jedoch vor, erst des Mannes hiesige Bau- und industriellen Werke zu betrachten. Bei der Herfahrt im Canal sahen wir zuerst links und rechts am Lande großartige Ziegelfabriken; die Brennerei selbst ist ausgezeichnet durch die rauchverzehrende Construction der Oefen; die an sich einfache Einrichtung befreit die Nachbarschaft gänzlich von den sonst so beschwerlichen Unannehmlichkeiten großer Feuerungsanlagen.

Weiter erblickten wir zur Linken ein Fabrikgebäude mit schlanker Esse. Hier wurden anfangs die langhaarigen sogenannten Halb-Plüsch-Teppiche nach englischer Weise fabricirt; Mangel an Betriebscapital nöthigte, das Etablissement der jetzt einträglicheren mechanischen Stickerei zu widmen.

Am Ende des Canals zur Rechten erhebt sich ein zur Farbeholzbereitung dienendes Dampfsägewerk, das für Leipziger Handelshäuser arbeitet. Alle diese Bauten Heine’s entstanden, während zugleich unter seinen rastlosen Händen aus einem ärmlichen Dorfe ein blühender Ort, der einem Städtchen gleicht, wie durch Zauberkraft emporstieg. Die Unternehmungen in Plagwitz begann Heine in den Jahren 1854 und 1855, und in wenigen Jahren erwarb er sämmtliche Bauergüter des Dorfes mit allen dazu gehörigen Feldern und Wiesen. Er war dadurch in der Lage ohne irgend ein Hinderniß die schönsten und breitesten Straßen anzulegen, die mit Obstbäumen, Linden und Ahorn zu beiden Seiten bepflanzt [695] sind und namentlich an ihren Anfangs- und Endpunkten einen malerisch imposanten Anblick gewähren. Der Besitz der Bauergüter des Dorfes machte, wegen eines rationelleren Wirthschaftsbetriebes, auch neue Wirthschaftsgebäude nothwendig, die im Jahre 1860 erbaut worden und in ihrer Art Sehenswürdigkeiten durch Zweckmäßigkeit und Geschmack der Anlage sind; dies gilt namentlich auch von Heine’s stattlichem Wohnhaus, von dessen dreiunddreißig Ellen hohem Thurme man bei günstiger Witterung eine Fernsicht bis Schkeuditz und Lützen hat. Die Heine’sche Oekonomie (mit ihren 80 Milchkühen, 30 Pferden etc.) kann jeder Musterwirthschaft zur Seite gestellt werden. Sie war es, die den Director der landwirthschaftlichen Lehranstalt zu Lützschena, Vogeley, bewog, vor einigen Jahren seine Anstalt nach Plagwitz zu verlegen; hier erfreut sie sich seitdem eines zahlreichen Zuspruchs, wozu namentlich der Umstand beiträgt, daß den Zöglingen durch die unmittelbare Nähe Leipzigs die Möglichkeit gegeben ist, Collegia an der Universität zu hören. Gegenwärtig ist diese Anstalt von Jünglingen aus mehr als zwanzig deutschen Staaten besucht.

Das gesammte Heine’sche Areal an Feldern und Wiesen in Plagwitzer und den angrenzenden Fluren beläuft sich dermalen auf circa 400 Acker, worunter mehr als zwei Millionen Quadrat-Ellen zum Bauen geeignetes Land sich befinden. –

Die Entwickelung des Dorfes geschah in fast amerikanischem Maßstab. Als Heine 1854 den ersten Kauf dort that, mochte ganz Plagwitz 14 bis 16 Häuser zählen, schon 1858 war es auf 42 Häuser mit 457 Einwohnern gestiegen, und gegenwärtig hat es weit über 100 Häuser mit mehr als 1500 Einwohnern. Die Mehrzahl der Häuser baute Heine selbst oder trug wenigstens zum Bau bei; auch eine Schule gab er dem Orte und sorgte endlich dafür, daß er, gemeinschaftlich mit dem nahen Nachbardorf Lindenau (1000 Einwohner) Gasbeleuchtung erhielt. Die Gasanstalt ist seit Michaelis 1863 in Betrieb.

Werfen wir noch einen Blick auf Heine’s größtes Unternehmen, den Canal, welcher Leipzig, und zwar von seinen Bahnhöfen aus, mit der Saale verbinden soll. Die Eisenbahnen ließen den Werth schiffbarer Canäle eine Zeit lang zurücksetzen, und noch jetzt sind die Vorurtheile gegen sie nicht ganz überwunden. Geläuterte Begriffe der Volkswirthschaftslehre, von der Erfahrung geprüfte Berechnungen über Verkehrskosten allein bringen sie wieder zu Ehren. Namentlich ist nun Leipzig in dem Fall, doppelten Gewinn von einer großen Wasserstraße zu ziehen, weil sie die Regulirung ihrer zahlreichen Wasserarme erleichtert und die Trockenlegung großer werthvoller Landstrecken ermöglicht, während sie zugleich die Kosten der Herbeischaffung von Häuser- und Straßenbau-Material außerordentlich verringert. Man berechne nur, welche Vortheile die Beschaffung von Steinen, Kalk, Kies, Thon, Sand u. dergl. Rohmaterial gewähren würde, und man wird Heine beistimmen, wenn er behauptet, daß der Entwickelung jeder Stadt engere Grenzen gezogen sind, sofern sie eine Wasserstraße nicht besitzt. – Gegenwärtig hält der Bau an seiner schwierigsten Stelle, „wo das zu bearbeitende Land aus harten Steinmassen besteht und der Durchbruch in einer Tiefe von 49 Fuß herzustellen ist, während in einer Entfernung von 40 Ruthen das Terrain merklich fällt, so daß in einer Entfernung von 6000 Ellen dem Canalbette nur eine Tiefe von drei Ellen zu geben sein wird.“ – Man kann von diesem Werke nicht scheiden ohne den Wunsch, daß es zum Wohl und zur Ehre der Stadt, des Landes und des kühnen Mannes kein Anfang ohne Ende bleiben möge.

Die Leser der Gartenlaube müssen es diesem Artikel verzeihen, wenn ihm vielleicht hier und da eine zu starke Localfärbung anhaften sollte. Es ist oben angedeutet, und sie haben nunmehr ersehen, daß Heine’s Wirken, wie auch die Folgen seiner Unternehmungen über weitere Gebiete segensreich sich später ausbreiten mögen, doch gegenwärtig die engen Grenzen der nächsten Umgebung seiner Vaterstadt und seines dermaligen Wohnsitzes nicht übersteigt. Wenn aber auf so beschränktem Raume so Großes mit so eifriger Anstrengung geschaffen wurde, so verdient es wohl die Ehre, als Muster für viele andere Orte aufgestellt zu werden, und dann ist es doch immer ein deutsches Stückchen Erde, wo so Tüchtiges vollbracht wird, und ist’s ein deutscher Mann, der es vollbringt.

Wir eilen nun zu den Festschaaren, mit denen wir gekommen sind, und freuen uns mit allen Gästen, den rastlosen, mit dem Augenblick geizenden Industrie-Pionier und Wasserbahnbrecher als ebenso liebenswürdigen Wirth und noch mehr, als väterlichen Freund seiner Arbeiter achten zu lernen. Wir kommen eben zurecht, um den Anmarsch der fünfhundert Arbeiter, gefahren- und wettererprobte Männer jeden Alters, zu sehen. Sie begrüßt Heine mit einer Rede, die Allen das Herz erhebt, Alle begeistert für Das, was er in ebenso einfachen als schönen Worten preist: die Ehre der Arbeit! Mit der Dankbarkeit eines edeln Gemüths gedenkt er der Hingebung, mit welcher seine Arbeiter so oft ihrem schweren Werke obliegen müssen, einer Hingebung, welcher Geld keinen Lohn zu gewähren vermöge, welche nur das tiefe Bewußtsein belohnen könne, daß die Arbeit die höchste Zierde des Menschen und zugleich seine höchste Genugthuung sei. Gleich herzlich erhebt er das Verdienst der allgemein geliebten und geachteten Führer seiner Arbeiter, dankt Allen, die in schweren Stunden den Muth nicht sinken ließen, und schließt mit einem Hoch auf das Wohl aller seiner Arbeiter. – Und wie nun Dr. Ferdinand Götz von Lindenau, allen Turnern des Vaterlandes bekannt, das Wort Allen aus der Seele nehmend, Heine als den Mann preist, der, unter Tausenden, ja Hunderttausenden einzig dastehend, seine Werke so thatkräftig ihrem Ziele entgegenzuführen vermöge, ein Vorbild des echten Bürgersinns, frei von kleinlichen Bedenken und ängstlichem Zaudern, und mit dem Wunsche schließt, daß der Mann uns und allem Guten noch recht lange erhalten bleiben möge, da erschallt ein Hoch, wie es nur die wahrste Begeisterung bringt und das sein Echo finden möge, so weit die Gartenlaube zu Herzen redet, die gleicher Begeisterung für alles Große im Vaterlande fähig sind.