Lichtenstein/Dritter Teil/I
← Zweiter Teil, Anmerkungen | Lichtenstein von Wilhelm Hauff Dritter Teil, Kapitel I |
Kapitel II → |
Fertig! Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle Korrektur gelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext. |
„In Schwaben, wo dein Vater Herzog war,
Wo ihn und dich ein biederes Volk geliebt,
Wo mancher jetzt auf seiner Feste haust,
Der unter deinem Banner einst gekämpft,
Dort muß von dir noch ein Gedächtnis sein,
Dorthin sei unser irrer Pfad gelenkt,
Des Schwarzwalds dichter Schatten nehm’ uns auf.“
L. Uhland.[1]
Wohl nie so schwül hat ein Sommer über Württemberg gelegen als der des Jahres 1519. Das ganze Land hatte dem Bunde gehuldiget und meinte, es werde jetzt Ruhe haben. Aber jetzt erst zeigten die Bundesglieder deutlich, daß es nicht die Wiedereinnahme von Reutlingen gewesen sei, was sie zusammenführte. Sie wollten bezahlt sein, sie wollten Entschädigung haben für ihre Mühe. Die einen wollten, man solle Württemberg unter sie teilen, die andern, man solle es an Östreich verkaufen, die dritten wollten es Ulerichs Kindern erhalten – aber unter des Bundes Obervormundschaft. Sie stritten sich um den Besitz des Landes, auf das weder der eine noch der andere gerechte Ansprüche machen konnte. Das Land selbst war in Spaltung und Parteien. Es sollte die Kriegskosten decken, und doch war niemand da, der zahlen wollte. Die Ritterschaft hielt es für eine erwünschte Gelegenheit, sich ganz vom Lande loszusagen und sich für unabhängig zu erklären. Die Bürger und Bauern waren ausgesogen, ihre Felder waren verwüstet und zertreten, sie sahen nirgends eine Aussicht, [301] sich zu erholen; die Geistlichkeit wollte auch nicht allein bezahlen, und so war alles in Hader und Streit. Es ging auch vielen tief zu Herzen, daß ihr angeborner Fürst so schnöde behandelt worden war; manchen kam jetzt, da der Herzog fern von dem Lande seiner Väter in Verbannung hauste, Reue und Sehnsucht an. Sie verglichen sein Regiment mit dem jetzigen; es war nicht besser, wohl aber schlimmer geworden. Aber sie lebten unter zu hartem Zwang, als daß sie ihre Schmerzen hätten offenbaren können.
Der Regentschaft des Bundes entging diese Unzufriedenheit des Volkes nicht; sie mußte, wie sich in alten Berichten findet, „manche seltsame und böse Rede“ hören. Sie suchten durch geschärfte Strenge sich Anhänglichkeit zu erwerben; sie streuten Lügen über den Herzog aus[Hauff 1]. Man gebot den Priestern, gegen ihn zu predigen, wer von ihm Gutes rede, soll gefangen werden, wer ihn heimlich unterstütze, soll der Augen beraubt, sogar enthauptet werden.
Aber Ulerich hatte noch treue Leute unter dem Landvolk, die ihm auf geheimen Wegen Kunde brachten, wie es in Württemberg stehe. Er saß in seiner Grafschaft Mömpelgard und harrte dort mit den Männern, die ihm ins Unglück gefolgt waren, auf günstige Gelegenheit, in sein Land zu kommen. Er schrieb an viele Fürsten, er beschwor sie, ihm zu Hülfe zu kommen; aber keiner nahm sich seiner sehr thätig an. Er schrieb an die zur neuen Kaiserwahl versammelten Kurfürsten, sie halfen nicht; das einzige, was sie thaten, war, dem neuen Kaiser in seiner Kapitulation eine Klausel anzuhängen, die Württemberg und den Herzog betraf – er hat sie nicht geachtet. Als sich der Herzog von aller Welt also verlassen sah, wankte er dennoch nicht, sondern setzte alles daran, sein Land mit eigener Macht wiederzuerobern. Es waren einige Umstände, die für ihn sehr günstig schienen. Der Bund hatte nämlich, als er Kunde bekam, daß sich niemand des Vertriebenen annehmen wolle, seine Völker entlassen. Die meisten Städte und Burgen behielten nur sehr schwache Besatzungen, und selbst in Stuttgart waren nur wenige Fähnlein Knechte gelassen worden.
[302] Durch diese Maßregel aber hatte sich der Bund einen Feind erworben, den man gering schätzte, der aber viel zur Änderung der Dinge beitrug – es waren dies die Landsknechte. Diese Menschen, aus allen Enden und Orten des Reiches zusammengelaufen, boten gewöhnlich dem ihre Hülfe an, der sie am besten zahlte; für was und gegen wen sie kämpften, war ihnen gleichgültig. Um sie zu halten, mußte man ihnen vieles nachsehen, und Raub, Mord, Plünderung, Brandschatzen führten sie auf ihre eigene Faust aus, um sich zu entschädigen, wenn sie den Sold nicht richtig bekamen. Georg von Frondsberg war der erste gewesen, der sie durch sein Ansehen im Heere, durch tägliche Übungen und unerbittliche Strenge einigermaßen im Zaum hielt; er hatte sie in regelmäßige Rotten und Fähnlein eingeteilt, er hatte ihnen bestimmte Hauptleute gegeben, er hatte sie gelehrt, geordnet, um in Reihen und Gliedern zu fechten. Sie zeigten aber jetzt, daß sie aus einer guten Schule kommen; denn als sie vom Bunde entlassen waren, liefen sie nicht, wie früher, zerstreut durch das Land, um Dienste zu suchen, sondern rotteten sich zusammen, richteten zwölf Fähnlein auf, erwählten aus ihrer Mitte Hauptleute[Hauff 2], und selbst einen Obersten in der Person des langen Peters. Sie waren schwürig auf den Bund, nährten sich von Raub und Brandschatzen im Land und führten Krieg auf eigene Rechnung. Die Anarchie war in Württemberg so groß, daß ihnen niemand die Spitze bot. Der Bund hatte sich an Streitkräften entblößt und war zu sehr mit seinen eigenen Angelegenheiten beschäftigt, als daß er das arme Land von dieser Bande befreit hätte; die Ritterschaft war uneinig, sie saßen auf den Schlössern und sahen ruhig diesem Treiben zu; die Besatzung der Städte war zu gering, um ihnen mit Kraft Einhalt zu thun, und Bürger und Bauern sahen sogar diesen Haufen gerne, wenn seine Forderungen nur nicht allzugroß waren, denn die Landsknechte schimpften weidlich auf den Bund, dem niemand hold war; ja, es ging sogar die Sage, diese Kriegsmänner seien nicht abgeneigt, dem Herzog wieder zu seinem Land zu verhelfen.
Es war ein schöner Morgen in der Mitte Augusts, als sich diese Leute in einem Wiesenthale gelagert hatten, das der Grenze [303] von Baden zunächst gelegen war. Die riesigen, schwarzen Tannen und Föhren, die das Thal auf drei Seiten einschlossen, gehörten noch dem Schwarzwald an, und das Flüßchen, das durch das Thal eilte, war die Würm. Halb überschattet vom Wald, halb in den Weidenbüschen des Thales versteckt, lag das kleine Heer in wunderlichen Gruppen und pflegte der Ruhe. In der Entfernung von zweihundert Schritten sah man Posten aufgestellt, deren blitzende Lanzen oder rotglühende Lunten schon von weitem Furcht einjagten. In der Mitte des Thales im Schatten einer Eiche saßen fünf Männer um einen ausgespannten Mantel, den sie als Tisch gebrauchten, um ein Spiel auf ihm zu spielen, das heute noch den Namen Landsknecht führt[2]. Diese Männer zeichneten sich vor ihren übrigen Genossen durch breite, rote Binden aus, die sie über die Schulter und Brust herabhängen hatten, sonst aber hatte ihre Bekleidung auch das zerrissene und morsche Aussehen wie das der übrigen Soldateska. Einige hatten Sturmhauben auf, andere große Filzhüte mit eisernen Bändern beschlagen, dazu Lederkoller, welche von Regen, Staub und Biwaks alle mögliche Schattierungen erhalten hatten.
Bei näherem Blick erkannte man übrigens noch zwei Dinge, durch welche sie sich von ihren Kameraden unterschieden. Sie führten nämlich keine Donnerbüchsen oder Spieße, wie sie die Landsknechte gewöhnlich trugen, sondern Raufdegen von ungemeiner Länge und Breite. Auch hatten sie, wie es damals die Edelleute und Anführer trugen, auf ihren Hüten und Sturmhauben bunte, wallende Federbüsche aus Hahnenschwänzen, um sich ein ritterliches Ansehen zu geben.
Die fünf Männer schienen große Geschicklichkeit im Spiel zu besitzen, vorzüglich aber einer, der sich mit dem Rücken an die Eiche lehnte. Es war dies ein langer, wohlbeleibter Mann. Er hatte einen Hut auf, dessen Rand sich wie ein bedeutender Mühlstein [304] um den Kopf zog; der Hut war mit einer Goldtresse besetzt, auf der Stirnseite war er mit dem goldenen Bild des heiligen Petrus geschmückt, aus welchem zwei ungeheure rote Hahnenfedern hervorragten. Dieser Mann mußte weit in der Welt herumgekommen sein, denn er konnte auf französisch, italienisch, ungarisch fluchen, seinen Bart aber trug er ungarisch, er hatte ihn nämlich mit Pech so zusammengedreht, daß er wie zwei eiserne Stacheln auf beiden Seiten der Nase eine Spanne in die Luft hinausstarrte.
„Canto cacramento!“[3] rief dieser große Mann mit einem dröhnenden Baß, „der kleine Wenzel ist mein; drauf! ich stech’ ihn mit dem Eichel-König.“
„Mein ist er, mit Verlaub“, rief sein Nebenmann, „und der König dazu; da liegt die Eichel-Sau!“
„Mord de ma Vich, zagt der Franzoz; Hauptmann Löffler, Ihr wollt Eurem Oberst diesen Stich abjagen? Schämt Euch, schämt Euch; daz ist ein Rebeller, der daz thut; Gott straf’ mein’ Zeel’, Ihr wollt mich vom Regiment absetzen?“ Der große Mann funkelte zu diesen Worten gräßlich mit den Augen, schob seinen großen Hut auf das Ohr, daß seine überhängenden Augenbrau’n und eine mächtige rote Narbe auf der Stirne sichtbar wurden, die ihm ein ungemein kriegerisches Ansehen gaben.
„Beim Spiel, Herr Oberst Peter, gilt keine Kriegsordnung“, antwortete der andere Spieler. „Ihr könnet uns Hauptleuten befehlen, ein Städtchen zu blockieren und zu brandschatzen, aber beim Spiel ist jeder Landsknecht so gut wie wir.“
„Ihr zeid ein Meuter, ein Rebeller gegen die Obrigkeit, Gott straf’ mein’ Zeel’, und wäre es nicht gegen meine Würde, ich wollt’ Euch in Kochstücke mazakerieren; aber spielt weiter.“
„Da liegt ein Daus“ – „drauf der Quater“ – „den stech’ ich mit dem Zinken“ – „Schellen-Wenzel, wer sticht den? –“
„Ich“, sprach der Große, „da liegt der Schellen-König, Mordblei! der Stich ist mein.“
„Wie bringst du den Schellen-König ’rauf?“ rief ein kleines, [305] dürres Männchen mit spitzigem Gesicht und kleinen, giftigen Äuglein und heiserer Stimme, „hab’ ich nicht gesehen, als du ausgabst, daß er unten liegt? Er hat betrogen, der lange Peter hat schändlich betrogen.“
„Muckerle, Hauptmann vom achten Fähnlein! ich rat’ Euch, haltet Euer Maul“, sagte der Oberst, „Bassa manelka[4], ich versteh’ keinen Spaß; die Mauz zoll den Löwen nicht erzürnen.“
„Und ich sag’s noch einmal; wo hättest du sonst den König her? Vor dem Papst und dem König von Frankreich will ich’s beweisen, du falscher Spieler!“
„Muckerle“, erwiderte der Oberst und zog kaltblütig seinen Degen aus der Scheide, „bete noch ein Ave Maria und ein Gratias, denn ich schlage dich tot, zo wie daz Spiel auz ist.“
Die übrigen drei Männer wurden durch diese Streitigkeiten aus ihrer Ruhe aufgeschreckt. Sie erklärten sich für den kleinen Hauptmann und gaben nicht undeutlich zu verstehen, daß man dem Obersten wohl dergleichen zutrauen könnte; dieser aber vermaß sich hoch und teuer, er habe nicht betrogen. „Wenn der heilige Petruz, mein gnädiger Herr Patron, den ich auf dem Hut trage, sprechen könnte, der würde mir, zo wahr er ein christlicher Landsknecht war, bezeugen, daß ich nicht betrogen!“
„Er hat nicht betrogen“, sagte eine tiefe Stimme, die aus dem Baum zu kommen schien. Die Männer erschraken und schlugen Kreuze wie vor einem bösen Spuk, selbst der tapfere Oberst erbleichte und ließ die Karte fallen, aber hinter dem Baum hervor trat ein Bauersmann, der mit einem Dolch bewaffnet war und eine Zither an einem ledernen Riemen auf der Schulter hängen hatte. Er sah die Männer mit unerschrockenen Blicken an und sagte: „Es ist, wie ich sagte, dieser Herr da hat nicht betrogen, er bekam schon beim Ausgeben Schellen- und Eichel-König, Fünfe und Vier von Laub und den Schippen-Unter in die Hand.“
„Ha! du bist ein wackerer Kerl“, rief der Oberst vergnügt, „zo wahr ich ein ehrlicher Landsknecht – will zagen Oberst bin, ez ist all’ wahr, waz du gezagt hast.“
[306] „Was ist denn das?“ rief der kleine Hauptmann Muckerle mit giftigen Blicken, „wie hat sich der Bauer daher eingeschlichen, ohne daß unsere Wachen ihn meldeten? Das ist ein Spion, man muß ihn hängen!“
„Zei nicht wunderlich, Muckerle, daz ist kein Spioner; komm’, zez’ dich zu mir. Bist ein Spielmann, daß du die Cittarra umhängst wie ein Spanier, wenn er zu zeinem Schätzerl geht?“
„Ja, Herr! ich bin ein armer Spielmann; eure Wachen haben mich nicht angehalten, als ich aus dem Wald kam. Ich sah Euch spielen und wagte es, den Herren zuzusehen.“
Die Hauptleute dieses Freikorps waren nicht gewohnt, so höflich mit sich sprechen zu hören, daher faßten sie Zuneigung zu dem Spielmann und luden ihn sehr herablassend ein, sich zu ihnen zu setzen, denn sie hatten in fremden Kriegsdiensten gelernt, daß große Könige und Feldherren sehr vertraulich mit den Meistern des Gesanges umgehen.
Der Oberste that einen Trunk aus einer zinnernen Flasche, bot sie dem kleinen Hauptmann und sprach mit heiterer Miene: „Muckerle, daz zoll mein Tod zein, waz ich getrunken, wenn ich nicht allez vergesse; Hader und Zank haben ein Ende; wir wollen nicht weiter spielen, ihr Herren; ich liebe Gezang und Lautenspiel, wie wäre ez, wenn wir uns aufspielen ließen?“
Die Männer willigten ein und warfen die Karten zusammen; der Spielmann stimmte seine Zither und fragte, was er singen solle?
„Sing’ ein Lied vom Spiel!“ rief einer; „weil wir gerade dran sind.“
Der Spielmann sann ein wenig nach und hub an:
„Von dem Zinken, Quater und As
Kommt mancher in des Teufels Gass’,
Von Quater, Zinken und von Dreien
Muß mancher Waffengo schreien.
Von As, Seß und Daus
Hat mancher gar ein ödes Haus,
Von Quater, Drei und Zinken
Muß mancher lauter Wasser trinken, [307]
Von Zinken, Drei und Quater
Weinen oft Mutter, Kind und Vater,
Von Zinken, Quater und Seß
Muß Jungfrau, Metz und Agnes
Oft gar lang’ unberaten bleiben,
Will er die Läng’ das Spiel betreiben.“[Hauff 3]
Der Oberst Peter und die Hauptleute lobten das Lied und reichten dem Spielmann zum Dank die Flasche. „Gott gesegne es euch“, sagte dieser, indem er die Flasche zurückgab; „viel Glück zu eurem Zuge; ihr seid wohl Obersten und Hauptleute des Bundes und ziehet wieder zu Feld? Darf man fragen, gegen wen?“
Die Männer sahen sich an und lächelten, der Oberst aber antwortete ihm: „Ganz unrecht habt Ihr nicht, wir haben früher dem Bund gedient, jetzt aber dienen wir niemand alz unz zelbst, und wer Leute braucht, wie wir zind.“
„Die Schweizer werden heuer ein gutes Jahr haben, man sagt ja, der Herzog wolle wieder ins Land?“
„Aller Hund’ Krümmen komme auf die Schweizer“, rief der Oberst; „wie übel zind zie an ihm gefahren; der gute Herzog hat all’ zeine Hoffnung auf zie gesetzt, und diavolo maledetto, wie haben zie ihn im Stich gelassen bei Blaubeuren!“
„Sie haben ihn schändlich gelassen“, sagte der Hauptmann Muckerle mit heiserer Stimme; „aber doch, so man’s beim Licht b’sieht, so g’schieht ihm wohl halb recht, dann er sollt’ sie je wohl kennt haben; es leit doch am Tag, daß sie kein dick’s Britlein boren. Der Tüfell hol’ sie all’.“
„Ja, der Herzog hat halt nichts Besseres haben können“, entgegnete der Spielmann; „freilich, wenn er solche Herren gehabt hätte wie ihr und eure tapfere Fähnlein, da wäre der Bund noch bei Ulm.“
„Du hast da ein wahrez Wort gesprochen, guter Gezell! Landsknecht’ hätte er zollen haben und keine Schwyzer. Und hält er zich jetzt wieder zu ihnen, zo weiß ich, waz ich von ihm halte. Landsknecht’ hätt’ er zollen haben, ich zag’s noch einmal. Nicht wahr, Magdeburger?“
„Dat well ich man och meenen“, antwortete der Magdeburger. [308] „Landsknechte oder keener können den Heertog wieder eup den Stuhl setzen. Die Schweizer können man gar nichts, als mit den Hellebarden in die Glieder stechen; dat ist all ihre Kunst. Aber Ihr solltet man sehen, wie wir die Donnerbüchsen laden, uf die Gabel legen un mit dem Lunden drauf, dat dich dat Wetter; dat Manäfer macht uns keener nich nach; Gott straf’ mir, keener. Sie brauchen eine halve Stunde, um ihre Kugeln loszuschießen, und wir Landsknecht’ eene halbe Vertelstund’.“
„Ja, alle Achtung vor den Herren Landsknechten“, sagte der Spielmann und lüftete ehrerbietig die Mütze; „freilich, euch Herren sollt’ er haben. Aber der Bund wird euch so gut belohnt haben, daß ihr dem armen Herzog nicht zu Hülfe ziehen möget.“
„Gelohnt, socht er?“ rief der fünfte Hauptmann und lachte; „jo, wenn er’s Geld von Blech schlagen könnt’. Der schwäbisch’ Hund! bei denen gilts Sprichwort:
‚Dien’ wohl und fordre keinen Sold,
So werden dir die Herren hold.‘
Ich sog’, schlecht hot er uns bezohlt; und wenn Seine Durchlaucht, der Herr Herzog, mi hoben will, i steh’nem z’Dienst wie jedem.“
„Staberl, du hast recht“, sagte der Oberst und wichste den ungarischen Bart. „Mordblei, die Katz ist gern, wo man sie strehlet; wenn der Herr Ulerich gut zahlt, zo wird, Gott straf’ mein’ Zeel’, unsere ganze Mannschaft mit ihm ziehen.“
„Nun, das werdet ihr bald sehen können“, entgegnete der Bauer listig lächelnd, „habt ihr noch keine Antwort vom Herzog auf eure Botschaft?“
Der Oberst Peter ward feuerrot bis in die Stirne. „Mordelement! wer bist denn du, Menschenkind, daz du mein Geheimnuz weißt? Wer hat dir gezagt, daz ich zum Herzog schickte?“
„Zum Herzog hob’ Er g’schickt, Peter? Wos hobt Er denn für G’heimnis mitenonder, doß wir’s nit wissen dörften? Sog’ es nur gleich!“
„Nun, ich hab’ gedacht, ich müsse wieder einmal für euch alle denken, wie immer, und hab’ einen Mann zum Herzog geschickt, ihm in unzerm Namen einen schönen Gruz entboten und fragen [309] lassen, ob er unz brauchen könnt’. Dez Monats für den Mann einen halben Dickthaler, uns Obersten und Hauptleut’ aber ein Goldgülden und täglich vier Maaz alten Wein.“
„Dat is keen bitterer Vorschlag, der Teiwel! eenen Goldgülden monatlich? Ich bin dabei, und es wird keener wat dagegen haben. Hast du Antwort von den Heertog?“
„Bis jetzt noch keine; aber Bassa manelka! wie kamst du zu meinem Geheimnuz, Bauer? Ich hau’ dir ein Ohr ab, Gott straf’ mein’ Zeel’, zo thu’ ich, wie mein Patron, der heilige Petruz, war auch ein Landsknecht, dem Malchuz, der war von den jüdischen Schwyzern, ein Hellebardierer. Zag’ schnell oder ich hau’.“
„Langer Peter!“ rief der kleine Hauptmann Muckerle mit ängstlicher Stimme, „laß um Gott’swillen den gehen; der ist fest und kann hexen; ich weiß noch wie heut’, daß wir ihn in Ulm fangen sollten und in Herrn von Krafts, des Ratschreibers, Stall kamen, wo er sich aufhielt, denn er war ein Kundschafter, so machte er sich klein und immer kleiner, bis er ein Spatz wurde und über uns ’naus flog.“
„Waz?“ schrie der tapfere Oberst und rückte von dem Spielmann hinweg, „der ist’s? Wo dann der Magistrat auzrufen ließ, man zolle alle Spatzen totschießen, weil zich ein württemberger Spioner in einen verwandelt habe? Man heißt zie, glaub’ ich, jetzt noch die Ulmer Spatzen!“
„Der ist’s“, flüsterte Muckerle; „es ist der Pfeifer von Hardt, ich hab’ ihn gleich erkannt.“
Der Oberst und die Hauptleute hatten sich von ihrem Erstaunen noch nicht ganz erholt. Sie sahen den Mann, von welchem der Ruf so wunderbare Dinge erzählte, halb ängstlich, halb neugierig an. Er selbst hatte ein zu wohlgeübtes Ohr, als daß er nicht verstanden hätte, was diese Leute unter sich flüsterten; aber er that, als bemerke er ihr Staunen und Verstummen nicht; er beschäftigte sich ruhig mit seiner Zither. Endlich faßte sich der lange Peter, wohlbestallter Oberst dieses Heeres, ein Herz, zwirbelte den Bart einigemal, zog dann den ungeheuern Hut vom Kopf und sprach: „Verzeihet doch, lieber Gezelle, wertgeschätzter Pfeifer, daß wir zo ohne alle Umstände mit Euch verfahren zind; [310] konnten wir denn wissen, wen wir da neben unz haben? Zeit vielmal gegrüßet, hab’ schon oft, Gott straf’ mein’ Zel’, gedachte, möchte nur einmal den fürtrefflichen Kerl zehen, den Pfeifer von Hardt, der in Ulm am hellen Tag alz Spatz auzgeflogen.“
„Ist schon gut“, unterbrach ihn der Spielmann unmutig; „lasset die alten Geschichten ruhen. Nun, von wegen des Herzogs kam mir die Nachricht zu, ich soll euch Herren auf den heutigen Tag aufsuchen, und wenn ihr noch geneigt wäret, mit ihm zu ziehen, so wolle er gerne zahlen, was ihr ihm vorgeschlagen.“
„Canto cacramento! daz ist ein frommer Herr! ein Goldgülden dez Monats und täglich vier Maaz Wein! Er zoll leben!“
„Und wann wird er kommen?“ fragte der Hauptmann Löffler; „wo werden wir zu ihm stoßen?“
„Wenn kein Unglück geschehen ist, heute noch. Heute ist er auf Heimsheim losgebrochen, die Besatzung ist schwach, wenn er sie überwältigt hat, rückt er heute noch weiter.“
„Schaut! reitet dort unten nicht ein Geharnischter? Sieht aus wie ein Ritter!“ Die Männer sahen aufmerksam nach dem Ende des Thales; dort sah man einen Helm und Harnisch in der Sonne blinken, auch ein Pferd wurde hie und da sichtbar. Der Pfeifer von Hardt sprang auf und klimmte auf die Eiche hinan; von diesem hohen Standpunkt konnte er das Thal besser übersehen; noch war der Reiter zu fern, als daß er seine Züge hätte unterscheiden können, aber er glaubte seine Feldbinde zu erkennen, er glaubte den Mann zu erkennen, den er in dieser Stunde erwartete.
„Was siehst du?“ riefen die Hauptleute, „ist es einer, der zufällig durchs Thal reitet, oder glaubst du, er kommt vom Herzog?“
„Richtig, weiß und blau ist die Schärpe“, sprach der Pfeifer; „das ist sein langes Haar, so sitzt er zu Pferd, ei, du Goldjunge, willkommen in Württemberg! Jetzt sieht er eure Wachen, jetzt reitet er auf sie zu, schau, wie die Bursche ihre Lanzen vorstrecken und die Beine ausspreizen!“
„Ja, was Landsknechte sind, die verstehen den Kriegsbrauch; darf keiner vorbei, wo die Hauptleute liegen, ohne daß er Rede steht.“
[311] „Halt! jetzt rufen sie ihn an; er spricht mit ihnen, sie deuten hieher; er kommt!“ Der Pfeifer von Hardt stieg mit freudeglühendem Gesicht vom Baum herab.
„Diavolo maledetto![5] bassa marendete![6] Zie werden ihn doch nicht allein reiten lassen? ez wird doch einer zein Roß am Zügel führen nach Kriegesbrauch! Wie? Ist ez ein Ritter, der kommt?“
„Ein Edelmann, so gut wie einer im Reich“, antwortete der Pfeifer, „und der Herzog ist ihm sehr gewogen.“ Bei dieser Nachricht standen die Hauptleute auf, denn, ob sie sich gleich nicht wenig einbildeten, Hauptleute zu heißen, so wußten sie doch, daß sie eigentlich nur Landsknechte und dem Ritter jedes Zeichen von Ehrerbietung schuldig seien. Der Oberst aber setzte sich gravitätisch am Fuß der Eiche nieder, strich den Bart, daß er hell glänzte, setzte den großen Hut mit der Hahnenfeder zurecht, stützte sich auf seinen großen Hieber und erwartete so den Ritter.
- ↑ „Ernst, Herzog von Schwaben“. 2. Aufzug, gegen Ende.
- ↑ Das Kartenspiel „Landsknecht“ ist ein Glücksspiel, bei dem der Bankhalter zwei Karten auflegt und dann, die übrigen einzeln abziehend, je eine Karte links und je eine rechts auflegt. Wird von den beiden aufliegenden Karten zuerst die linke abgezogen, so gewinnt die Bank alle Einsätze der Spieler, im andern Falle muß sie diese an die Spieler auszahlen. – Bei Hauff scheint es mehr ein sogen. Kommersspiel zu sein.
- ↑ D. h. Heiliges Sakrament!
- ↑ Ein äußerst derber Fluch (entstelltes Ungarisch).
- ↑ (Ital.) d. h. „verfluchter Teufel!“
- ↑ Ein äußerst derber Fluch (entstelltes Ungarisch).
Anmerkungen (Hauff)
- ↑ [433] Herzog Ulerich beklagt sich wiederholt, namentlich in diesem Zeitpunkt, daß seine Gegner so viele Lügen gegen ihn ausstreuen. Er verteidigt sich darüber besonders in seinen Briefen an die schweizerische Eidgenossenschaft. So streuten seine Feinde im Jahr 1519 aus, er habe einen Edelknaben, Wilhelm von Janowiz, entzweigehauen. Doch Janowiz lebte noch im Jahr 1562 und war Anno 1550 Kommandant der Feste Asperg. Aber jene Lüge machte damals großes Aufsehen; daher kam es, daß ein Schweizer, dem man diesen Mann zeigte und sagte, was die Feinde des Herzogs von ihm ausgestreut haben, antwortete: „Er muß nochten ein guter Barbier gsyn syn, der den Knaben so suber gehailt hat.“ (Sattler II, § 24.)
- ↑ [433] Sattler erzählt dies folgendermaßen: Der Schwäbische Bund hatte einen großen Teil seiner Kriegsknechte abgedankt, diese wurden darüber schwürig, sie rottierten sich zusammen, richteten zwölf Fähnlein auf, erwählten ihre Hauptleute und machten unter sich nach damaligem Gebrauch eine Regimentsordnung; es ist sehr wahrscheinlich, daß der Herzog diese Leute an sich gezogen. Geschichte der Herzoge von Württemb. II, § 16. Landsknechte schreiben wir, nicht Lanzknechte, wie man in neuerer Zeit gethan, und berufen uns auf die „Historia der Herren von Frondsberg“ etc.
- ↑ [433] Dieses Lied führt auch Lessing in der Sammlung auf, die den Namen trägt: „Altdeutscher Witz und Verstand“.
← Zweiter Teil, Anmerkungen | Nach oben | Kapitel II → |