Lichtenstein/Dritter Teil/II
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[311]
„Der Herzog ist gekommen,
Er liegt nicht weit im Feld;
Er hat’s dem Feind genommen,
Er bringt ’nen Sack mit Geld.“
G. Schwab.[1]
Dem Platze, wo die Hauptleute und der lange Peter, ihr Oberst, versammelt waren, nahte sich jetzt ein geharnischter Reiter, dessen Pferd von zwei Landsknechten geführt wurde. Der Ritter hatte das Visier seines blanken Helmes herabgeschlagen, die breiten Schultern und die kräftigen Lenden und Beine waren mit Platten und Schienen von Stahl verhüllt, aber die wallenden Federn seines Helmbusches und die wohlbekannten Farben einer Schärpe, die über den Panzer herablief, die Haltung und das edle, kräftige
[312] Wesen des Nahenden hatten dem Pfeifer von Hardt längst gesagt, wen er zu erwarten habe. Und er betrog sich nicht, denn einer der Knechte trat jetzt vor den Oberst und berichtete, daß der „Edle von Sturmfeder“ mit den Anführern der gesamten Landsknechte etwas zu sprechen habe.
Der lange Peter antwortete im Namen der übrigen: „Zag’ ihm, er ist willkommen; Peter Hunzinger, der Oberst, Ztaberl von Wien, Cunrad der Magdeburger, Balthasar Löffler und der tapfere Muckerle, wohlbestallte Hauptleute, erwarten ihn zum Gespräch. – Gott straf’ mein’ Zeel’, er hat einen schönen Harnisch und einen Helm wie der König Franz; aber zein Gaul dürfte besser zein, Mordblei! er ist an allen vieren steif!“
„Dos ist holt, sog’ ich, weil er den gonzen Sommer g’stonden ist in Mömpelgard beim Herzog.“
Die Männer belächelten den Witz des Wieners, doch hüteten sie sich, ihre Freude laut werden zu lassen, denn der Ritter hielt nicht allzu ferne. Noch immer machte er aber keine Miene, abzusteigen und sich ihnen zu nahen; er sprach mit dem Knecht, schlug dann das Visier auf und zeigte ein schönes, freundliches Gesicht. „Steht dort nicht Hans der Spielmann?“ rief er mir lauter Stimme. „Erlaubet, daß er ein wenig zu mir trete.“
Der Oberst nickte dem Pfeifer zu, er ging, und der Junker schwang sich vom Pferde. „Willkommen in Württemberg, edler Herr“, rief der Mann von Hardt, indem er den Handschlag des Junkers treuherzig erwiderte. „Bringt Ihr gute Botschaft? Ich seh’s Euch an den Augen an, es steht gut mit dem Herzog.“
„Komm! tritt hier ein wenig auf die Seite“, sagte Georg von Sturmfeder mit freudiger Hast. „Wie steht es auf Lichtenstein? Denkt sie an mich? Hast du einen Brief, ein paar Zeilen? O, gib schnell! Was läßt sie mir sagen, guter Hans?“
Der Pfeifer lächelte schlau über die Ungeduld des liebenden Jünglings; „einen Brief hab’ ich nicht, keine Zeile. Sie ist gesund und der alte Herr auch; das ist alles, was ich weiß.“
„Wie?“ unterbrach ihn Georg; „keinen Gruß? keine Botschaft? So hat sie dich gewiß nicht ziehen lassen!“
„Als ich vorgestern Abschied nahm, sagte das Fräulein: [313] ‚Sag’ ihm, er soll sich sputen, daß er einziehet in Stuttgart‘; sie wurde gerade so rot wie Ihr jetzt, als sie dies sprach.“
Der junge Mann errötete voll freudiger Gefühle, sein Auge glänzte und ein freundliches Lächeln zeigte, daß er den Sinn dieser Worte verstanden habe.
„Bald, bald werden wir einziehen, so Gott will“, sagte er. „Aber wie lebten sie diesen langen Sommer; nur dreimal kam uns Botschaft von ihnen zu! Warst du oft auf Lichtenstein, Hans? War sie traurig? Was sprach sie?“
„Lieber Herr“, antwortete der Mann von Hardt, „geduldet Euch noch, auf dem Marsch will ich Euch ein langes und breites erzählen, für jetzt nur so viel: Sobald der Alte hört, daß Ihr auf Stuttgart ziehet, will er von Lichtenstein aufbrechen und Euch die Braut zuführen. Denn er zweifelt nicht, daß Ihr die Stadt überwältiget. Habt Ihr Heimsheim?“
„Wir haben es; ich jagte mit zwölf Reitern in die Thore, ehe sie sich’s versahen. Die Besatzung war zwar etwas stärker als wir, aber mutlos und unzufrieden. Ich handelte mit ihnen in des Herzogs Namen, da glaubten sie, er liege mit vielen Truppen noch im Hinterhalt und ergaben sich. So weit wären wir nun in Württemberg, aber wie ist der Weg weiterhin?“
„Offen, bis ins Herz offen. Ich bringe Euch wichtige Nachricht vom Ritter von Lichtenstein; daß die gewaltigen Herren aus dem Lande sind, wisset Ihr –“
„Sie halten einen Bundestag in Nördlingen[Hauff 1], ist’s nicht so? Freilich wissen wir’s, denn auf diese Nachricht brach der Herzog aus Baden auf.
Nun, und wenn die Katzen fort sind, tanzen die Mäuse auf dem Tisch! Die Besatzungen sind überall unbesorgt; an den Herzog denkt kein Bündler mehr, sie sind nur aufmerksam auf den Bundestag, welchen Herrn wir bekommen werden: den Österreicher, den Bayer, den Prinzen Christophel, oder ob uns der Städtebund, Augsburg und Aalen, Nürnberg und Bopfingen regieren werde.“
„Welche Augen sie machen werden“, rief Georg lächelnd, „wenn der Stuhl schon besetzt ist, um welchen sie streiten!
‚Der Frosch hüpft wieder in sein Pfuhl,
Wenn er auch säß’ auf einem goldnen Stuhl.‘
sagts Sprichwort; sie werden ihre Büchsen auf die Schulter nehmen und ’s Regieren sein lassen.“
„Und die Württemberger? wie denken sie jetzt vom Herzog? glaubst du, er wird viel Anhang finden? Werden sie uns zu Hülfe ziehen?“
„Was Bürger und Bauern sind, ja. Von der Ritterschaft weiß ich’s nicht, und der alte Herr zuckte die Achsel, wenn ich ihn fragte, und murmelte ein paar Flüche. Ich fürchte, es steht hier nicht alles, wie es soll. Aber Bürger und Bauern, die sind für den Herzog. Es sind allerlei sonderbare Zeichen geschehen, die das Volk aufmuntern. So ist neulich im Remsthal ein Stein vom Himmel gefallen, drauf war ein Hirschgeweih eingegraben und die Worte: ‚Hie gut Württemberg allweg‘, und auf der andern Seite soll man auf lateinisch gelesen haben: ‚Herzog Ulerich soll leben!‘“[Hauff 2].
„Vom Himmel gefallen, sagst du?“
„So sagt man. Die Bauern hatten große Freude dran, aber die bündischen Herren wurden zornig, nahmen die Schulzen gefangen und wollten ihnen abpressen, woher der Stein des Anstoßes komme. Und als man bei hoher Strafe verbot, vom Herzog zu sprechen, da lachten die Männer und sagten, jetzt träumen wir von ihm. Alles wünscht ihn zurück, denn sie wollen sich lieber von ihrem anerkannten Herrn drücken, als von Fremden die Haut abziehen lassen.“
„Gut; der Herzog und seine Reiter können in wenigen Stunden hier sein. Sein Plan ist, sich gerade durchs Land nach Stuttgart zu schlagen. Ist die Hauptstadt unser, so fällt uns auch das Land zu. Und wie ist es mit den Landsknechten dort? Wollen sie mitziehen?“
„Fast hätte ich die vergessen“, sagte Hans; „sie werden ungeduldig werden, wenn wir sie zu lange warten lassen. Gehet doch recht klug mit ihnen um, es sind stolze Gesellen und lassen sich Hauptleute schelten; aber haben wir die fünfe gewonnen, so [315] sind zwölf Fähnlein des Herzogs. Besonders mit dem Oberst, dem langen Peter, müßt Ihr gar höflich sein.“
„Welcher ist der lange Peter?“
„Der dicke Mann, der unter der Eiche sitzt. Er hat einen steifen Schnauzbart und einen vornehmen Hut auf dem Kopf. Der ist der Höchste unter ihnen.“
„Ich will mit ihm reden, wie du sagst“, antwortete der junge Mann und ging mit dem Pfeifer zu den Landsknechten. Die lange Unterredung der beiden hatte sie schon etwas unmutig gemacht, und der kleine Muckerle schoß stechende Blicke auf den Gesandten des Herzogs. Als dieser aber mit edlem Anstand und freiem, siegendem Blick unter sie trat, wurden sie schüchtern und verlegen, und als er sie endlich mit höflichen, schmeichelhaften Worten anredete, wurden ihre tapferen Herzen von der Anmut Georgs von Sturmfeder für des Herzogs Sache gewonnen.
„Wohlerfahrner Oberst“, sprach er, „tapfere Hauptleute der versammelten Landsknechte, der Herzog von Württemberg hat sich den Grenzen seines Landes genaht, hat die Stadt Heimsheim erobert und ist willens, auf gleiche Weise sein ganzes Herzogtum wieder an sich zu bringen –“
„Gott straf’ mein’ Zeel’, er hat recht; thät’z auch zo machen –“
„Er hat den tapfern Arm und die fürtreffliche Kriegskunst der Landsknechte erprobt, als sie noch gegen ihn standen, er versieht sich zu ihnen, daß sie ihm mit gleichem Mute jetzt beistehen werden, und verspricht ihnen mit seinem fürstlichen Wort, die Bedingungen zu halten, die sie ihm angeboten haben.“
„Ein frommer Herr“, murmelten sie untereinander mit beifälligem Nicken – „ein Goldgülden des Monats – und Mordblei – täglich vier Maß Wein für die Hauptleut’!“
Der Oberst stand auf, entblößte sein kahles Haupt zum Gruß und sprach, von manchem Räuspern der Verlegenheit unterbrochen: „Wir danken Euch, hochedler Herr, wollen’z thun, wollen mitziehen – wir wollen dem Schwäbischen Bund heimgeben, waz er unz gethan, zo wollen wir. Die allerbesten und tapfersten wie auch fürtrefflichsten Leute haben zie fortgeschickt, als brauchten zie keine Landsknechte mehr. Da steht zum Beispiel der Hauptmann [316] Löffler. Wenn’z einen tapferern Landsknecht gibt in der Christenheit, zo laß ich mir die Haut vom Leib schälen und laß mich braten wie eine Zau. Da steht der Staberl von Wien; zo einen hat die Zonne noch nie beschienen und der Mond. – Da ist dann der Magdeburger, wie der, ficht keiner in der Türkei – und der Muckerle da, man zollt ihm’z nicht anzehen; aber daz ist der beste Schütz mit der Donnerbüchs und trifft auf vierzig Gäng’ inz Schwarze. – Von mir mag ich nicht reden, Eigenlob stinkt; aber Bassa manelka in Spanien und Holland hab’ ich gedient und Canto cacramento in Italia und Deutschland, Mordblei! In jedem Heere kennt man den langen Peter. Gott straf’ mein’ Zeel’, wenn ich und die andern hinter den schwäbischen Hund, wollt’ zagen Bund, komme, diavolo maledetto! da werden zie daz Haazenpanier ergreifen und mit den Absätzen hinter sich hauen!“
Es war dies die längste Rede, die der lange Peter in seinem Leben gehalten hat, und noch in späten Jahren, als er längst bei Pavia den Ruhm der deutschen Landsknechte mit dem Tod besiegelt hatte, führten seine Genossen, wenn sie den jüngeren Kameraden vom langen Peter erzählten, diesen Moment als einen der erhabensten seines Lebens auf. Wie er dagestanden sei, auf das lange Schwert gestützt, den großen Hut mit der Hahnenfeder kühn auf das Ohr gerückt, die rechte Hand in die Seite gestemmt und die Beine ausgespreizt, da habe ihm nichts gefehlt als ein besseres Wams und eine Gnadenkette, um ihn für einen echten Oberst und wahrhaften Feldherrn zu halten.
Die Hauptleute luden jetzt den Junker von Sturmfeder ein, eine Musterung über das neugeworbene Heer zu halten. Der dumpfe Schall der ungeheuern Trommeln tönte durchs Thal und weckte die Schläfer aus ihrer Ruhe. Noch schien Frondsbergs kriegerischer Geist und sein strenger Ordnungssinn über ihnen zu schweben, denn in wenigen Augenblicken hatten sie sich zu drei großen Kreisen gebildet, die je aus vier Fähnlein bestanden. Einem Auge, das an die schnelle, taktmäßige Bewegung, die schöne Haltung und die gleiche Farbe der Regimenter unserer Zeit gewöhnt ist, möchte wohl jener Anblick überraschend, ja lächerlich erschienen sein. Die Landsknechte waren nach ihrem Geschmack [317] gekleidet, doch hatte die Mode der Zeit im Schnitt ein wenig Gleichförmigkeit in ihren Anzug gebracht. Sie trugen gewöhnlich enge Wämser von Leder oder auch Lederwesten mit Ärmeln von grobem Tuch. Die Lenden staken in ungeheuer weiten Pluderhosen, die, am Knie zugebunden, durch ihre Litzenschwere noch etwas tiefer herunterhingen. Die vollen Waden umgaben grobe Strümpfe von hellen Farben, und die Füße waren mit groben Bundschuhen von ungefärbtem Leder bekleidet. Ein Hut, eine Tuch- oder Ledermütze, eine erbeutete oder für eigene Rechnung gekaufte Blechhaube bedeckte den Kopf, und die bärtigen Gesichter dieser Männer, die oft zwanzig Jahre unter allen Heeren und Himmelsstrichen Europas dienten, hatten einen kühnen, martialischen Ausdruck. Ihre Bewaffnung bestand in einem langen Dolch und einer Hellebarde; ein Teil war auch mit Donnerbüchsen bewaffnet, die man mit Lunten losbrannte.
So standen sie mit ausgespreizten Beinen, Fuß an Fuß geschlossen, wie ein festes Bollwerk, und Georgs kriegerischen Sinn erfreute der Anblick dieser kampfgeübten Männer, die wohl zu wissen schienen, daß sie vereinzelt nichts, aber in Massen verbunden auch einer zahlreichen Schar von Feinden furchtbar seien.
Die Hauptleute hatten den Kriegesbrauch und das Kommandowort ihrer früheren Anführer wohl im Gedächtnis behalten; sie traten daher mit dem jungen Ritter in einen dieser Kreise, und der tiefe, weittönende Baß des langen Peters befahl: „Gebt acht, ihr Leut’! kehrt euch um!“
Schnell hatten sich die Kreise nach innen gekehrt und vernahmen nun die Reden ihrer Hauptleute, die ihnen jene Aufforderung des Herzogs von Württemberg auseinandersetzten. Ein freudiges Gemurmel zeigte, daß sie mit diesen Bedingungen zufrieden seien und Ulerich von Württemberg so eifrig dienen wollten, als sie vorher gegen ihn gedient hatten. Die Hauptleute ließen jetzt auch einige Übungen machen, und Georg bewunderte die Geschicklichkeit der Landsknechte und glaubte fest, man werde es in der Kriegskunst auf Erden schwerlich noch viel weiter bringen. Er täuschte sich! Doch sein Irrtum ist so verzeihlich als jener unserer Großväter, welche die Heroen des großen Friederich [318] für unübertrefflich hielten und den gottlosen Spott ihrer Enkel über Zopf- und Gamaschendienst nicht ahneten. Und wird nicht eine Zeit kommen, wo man auch über die guten alten Zeiten von 1829 lächeln wird. Freilich, so schlanke Taillen wie heutzutage sah man bei den Landsknechten und ihren Hauptleuten Anno 1519 nicht. Doch hätten jene martialischen Figuren einem ganzen heutigen Heere mit Normalbärten aushelfen können.
Etwa nach einer Stunde meldeten die Vorposten, daß man unten im Thale, von der Gegend von Heimsheim her, Waffen blinken sehe, und wenn man das Ohr auf die Erde lege, seien die Tritte vieler Rosse deutlich zu vernehmen.
„Das ist der Herzog“, rief Georg, „führt mein Pferd vor, ich will ihm entgegenreiten.“
Der junge Mann galoppierte durch das Thal hin, und die Hauptleute und ihre Gesellen blickten ihm nach und bewunderten die Kraft und Gewandtheit, mit welcher er in der schweren Rüstung aufs Pferd gesprungen war, lobten seinen Anstand und seine Haltung, solange sie ihn noch sehen konnten. Bald mischte sich sein Helmbusch mit den Büschen und Lanzenspitzen, die man unten im Thal bemerkte. Sie kamen näher, jetzt sah man Helme blinken, jetzt wurden die Reiter bis um die Brust sichtbar, jetzt erschienen sie auf einmal auf einer kleinen Anhöhe und man konnte die ganze Schar übersehen. Der Pfeifer von Hardt schaute mit blitzenden Augen in die Ferne. Seine Brust hob und senkte sich, die Freude schien ihn des Atems zu berauben, sprachlos nahm er den Obersten an der Hand und deutete auf die Reiterschar.
„Welcher ist der Herzog“, fragte dieser, „ist’z der auf dem Mohrenschimmel?“
„Nein, das ist der edle Herr von Hewen; seht Ihr das Banner von Württemberg? Wie, seh’ ich recht? Bei Gott, der Junker von Sturmfeder darf es tragen!“
„Daz ist eine große Ehr’! Mordblei, ist erst fünfundzwanzig und darf die Fahne tragen! In Frankreich darf das nur der Connetable[2] thun, der erste Mann nach dem König Franz. Dort [319] heißt man’z Ohrenflamme und ist aus lauter Gold. Aber welcher ist der Herzog Ulerich?“
„Seht Ihr den im grünen Mantel mit den schwarz und roten Federn auf dem Helm? Er reitet neben dem Banner und spricht mit dem Junker, er reitet einen Rappen und zeigt gerade mit dem Finger auf uns – seht, das ist der Herzog.“
Die Reiterschar mochte ungefähr vierzig Pferde betragen; sie bestand meist aus Edelleuten und ihren Dienern, die dem Herzog in seine Verbannung nachgezogen waren oder, von seinem Einfall benachrichtigt, an der Grenze seines Landes sich an ihn angeschlossen hatten. Sie waren alle wohlberitten und bewaffnet. Georg von Sturmfeder trug Württembergs Panier, neben ihm ritt ganz geharnischt der Herzog. Als dieser Zug jetzt den Landsknechten etwa auf zweihundert Schritte nahe war, erhob der lange Peter seine Stimme und sprach: „Gebt acht, ihr Leut’. Wann Zeine Durchlaucht nahe ist und ich meinen Hut vom Scheitel reiße, zo schreiet: ‚Vivat Ulericus!‘ schwenket die Fähnlein in der Luft; und ihr Trommler, rasselt auf euren Fellen, daß euch das Donnerwetter! schlagt den Wirbel wie beim Sturm auf eine Festung, Bassa manelka, haut drauf und wenn der Schlegel bricht – zo begrüßen die tapfern Landsknecht’ einen Fürsten.“
Diese kurze Anrede that ihre vollkommene Wirkung; die kriegerische Schar murmelte das Lob des Herzogs, sie schüttelten ihre Hellebarden, stampften ihre Büchsen klirrend auf den Boden, und die Trommler faßten ihre Schlegel krampfhaft in die Hand, und als jetzt Georg von Sturmfeder, der Bannerträger von Württemberg, ansprengte und hinter ihm hoch zu Roß, erhaben wie in den Tagen seiner Herrschaft, mit kühnen, gebietenden Blicken Herzog Ulerich von Württemberg sich zeigte, da entblößte der lange Peter ehrfurchtsvoll sein Haupt, die Trommeln rasselten wie zum Sturm einer Feste, die Fähnlein neigten sich zum Gruß, und die Landsknechte riefen ein tausendstimmiges „Vivat Ulericus!“
Der Bauersmann von Hardt war still in der Ferne gestanden, [320] hatte nicht auf diese kriegerischen Grüße gehört, seine ganze Seele schien nur in seinem Auge zu liegen, das trunken an seinem Herrn hing. Der Herzog hielt den Rappen an, blickte um sich, und es war tiefe Stille unter den vielen Menschen. Da trat der Bauer vor, kniete nieder, hielt ihm den Bügel zum Absteigen und sprach: „Hie gut Württemberg alleweg!“
„Ha! bist du es, Hans, mein Geselle im Unglück, der mir den ersten Gruß von Württemberg bringt? Meine Edeln habe ich hier erwartet, daß sie mich begrüßen bei meinem ersten Schritt auf württembergischem Grund, meinen Kanzler und meine Räte, wo sind die Hunde? Die Stände meiner Landschaft, wo blieben sie, will man mich nicht wiedersehen in der Heimat? Ist keiner von allen da, mir den Bügel zu halten, als der Bauer?“
Seine Begleiter drängten sich staunend um den Herzog her, als sie ihn also sprechen hörten. Sie wußten nicht, war es Ernst oder bitterer Scherz über sein Unglück; sein Mund schien zu lächeln, aber sein Auge blitzte mutig, und seine Stimme klang ernst und befehlend. Sie sahen einander wegen dieser düstern Laune zweifelhaft an, aber der Pfeifer von Hardt erwiderte seinem Fürsten:
„Diesmal ist’s nur der Bauer, der Euch auf Württembergs Boden hilft, aber verachtet nicht ein treues Herz und eine feste Hand. Die andern werden schon auch kommen, wenn sie hören, daß der Herr Herzog wieder im Lande sei.“
„Meinst du?“ sprach Ulerich bitter lachend, indem er sich vom Pferde schwang. „Sie werden auch kommen. Bis jetzt haben wir wenig Kunde davon; aber ich will anklopfen an ihren Thüren, daß sie merken sollen, es ist der alte Herr, der in sein Haus will!“
„Sind dies die Landsknecht’, die mir dienen wollen?“ fuhr er fort, indem er aufmerksam das kleine Heer betrachtete; „sie sind nicht übel bewaffnet und sehen männlich aus. Wieviel sind es?“
„Zwölf Fähnlein, Euer Durchlaucht“, antwortete der Oberst Peter, der noch immer mit gezogenem Hut vor ihm stand und hie und da verlegen den ungarischen Bart zwirbelte. „Lauter geübte Leut’; Gott straf’ mein’ Zeel’, thut mir leid, wenn ich geflucht hab’, der König in Frankreich hat sie nicht besser.“
[321] „Wer bist denn du?“ fragte ihn der Herzog, der die große dicke Figur mit dem langen Hieber und dem roten Gesicht verwundert anschaute.
„Ich bin eigentlich ein Landsknecht meines Zeichenz, man nennt mich den langen Peter, jetzt aber wohlbestallter Oberst verzammelter –“
„Was, Oberst! diese Narrheit muß aufhören. Ihr mögt mir wohl ein tapferer Mann sein, aber zum Hauptmann seid Ihr nicht gemacht. Ich selbst will Euer Oberst sein, und zu Hauptleuten werde ich einige meiner Ritter machen.“
„Bassa manelk – thut mir leid, wenn ich geflucht hab’, aber erlaubt, Herr Herzog, einem alten Kerl ein Wort, daz ist gegen unzern Pakt mit dem Goldgülden monatlich und den vier Maaz Wein tagtäglich. Da steht zum Beispiel der Staberl aus Wien, ’z gibt keinen Tapferern unter dem Mond –“
„Schon gut, Alter, schon gut! Auf die Goldgülden und den Wein soll mir’s nicht ankommen. Wer bisher Hauptmann war, soll es richtig bekommen; nur den Befehl müßt Ihr abgeben. Habt Ihr Pulver und Kugeln?“
„Das will ich meenen!“ sagte der Magdeburger, „wir haben noch von Euer Durchlaucht eigenem Pulver und Blei, was wir in Tübingen mitgenommen. Wir haben Munition auf achtzig Schuß für den Mann.“
„Gut; Georg von Hewen und Philipp von Rechberg, ihr teilt euch in die Knechte, jeder nimmt sechs Fähnlein. Ihr da, die ihr euch Hauptleute nennet, könnet bei den einzelnen Fähnlein bleiben und den beiden Herren an die Hand gehen. Ludwig von Gemmingen, seid so gut und nehmet den Oberbefehl über das Fußvolk. Jetzt geradenwegs auf Leonberg. Freu’ dich, mein treuer Bannerträger“, sagte Ulerich, als er sich aufs Pferd schwang, „so Gott will, ziehen wir morgen in Stuttgart ein.“
Die Reiterschar, den Herzog an der Spitze, zog fürder. Der lange Peter stand noch immer unverrückt auf dem Platz, den Hut mit der stolzen Hahnenfeder in der Hand, und schaute den Reitern nach.
[322] „Daz ist einmal ein Fürst!“ sprach er zu den Hauptleuten, die neben ihm standen. „Waz der für eine gewaltige Stimme hat und wie er greulich mit den Augen funkelt, daz ez einem angst und bange wird. Hu, ich meine, er woll’ mich mit Haut und Haar verschlucken, alz er mich fragte: ‚Wer bist denn du?‘“
„Mir wor’s g’rod, wie wenn einer siedend Wasser über mein’ Leib schütten thät? In Wien ist doch auch ’n Kaiser, aber der thut nit so g’waltig wie der do!“
„Also Hauptleut’ sind wer g’wesen“, sprach der Hauptmann Muckerle, „die Herrlichkeit hat nit lang dauert.“
„Narr! daz ist mir recht. ‚Würde bringt Bürde‘, zagt ein Sprichwort. Die anderen haben oft nicht recht gehorcht, wenn wir befohlen haben; Diavolo, hat doch erst heute einer mich ausgelacht. Hat allez einen besseren Schick, wenn’z die Herren anführen; den Goldgülden und die vier Maaz haben wir ja doch, und daz bleibt die Hauptzache.“
„Dat meen’ ich ooch! und dat haben wer dem langen Peter tu verdanken. Er soll leben!“
„Dank’ schön! aber daz zag’ ich, der Herr wird dem Bund aufzünden, Mordblei! Wenn der erst ein Schwert in die Hand nimmt, der jagt die Städtler allein auz dem Land! Und zeine Räte und Kanzler und die Landschaft! Habt ihr gehört, wie greulich er über die geflucht hat? Ich möcht’ in keinez Haut stecken.“
Das Wirbeln der Trommeln unterbrach das Gespräch dieser tapferen Krieger; diese Töne erschollen nicht mehr auf ihren Befehl, aber der lange Peter war in seinen vielen Feldzügen so sehr an den Wechsel von Glück und Unglück, von Hoheit und Niedrigkeit gewöhnt worden, daß er über den Sturz seines Regiments nicht trauerte. Gelassen nahm er die Hahnenfeder von dem großen Hut, legte die rote Schärpe und den langen Hieber, die Zeichen seiner Würde, ab und ergriff eine Hellebarde. „Gott straf’ mein’ Zeel’, ez ist schwer für einen Kerl wie ich, zwölf Fähnlein zu regieren“, sagte er, als er sich wieder als guter Landsknecht in die Reihen seiner Kameraden stellte. „Aber bei Sankt Petruz, dem trefflichen Landsknecht – er muß jetzt auch Oberst zein in den himmlischen Heerscharen, Kyrie Eleyzon! – der Mensch muß [323] allez probieren auf Erden.“ Die Landsknechte schüttelten ihm die Hand und bestätigten es; es that seinem tapferen Herzen wohl, zu hören, er habe sein Kommando trefflich verwaltet. Die drei Ritter, ihre Anführer, saßen auf und stellten sich zu ihren Fähnlein, die Landsknechte richteten sich in gewohnter Ordnung zum Marsch, und Ludwig von Gemmingen ließ die Trommeln rühren zum Aufbruch.
- ↑ Anfang der 21. Romanze „Aus dem Jugendleben des Herzogs Christoph von Wirtemberg“.
- ↑ Der Connetable (aus dem mittellatein. comes stabuli, d. h. Stallmeister) [319] bekleidete in Frankreich die höchste Reichswürde und war oberster Befehlshaber des Heeres. Er trug die sogenannte Oriflamme, die Kriegsfahne der französischen Könige.
Anmerkungen (Hauff)
- ↑ [434] Der Schwaben- und Frankenbund hielt in diesem Sommer einen Bundestag in Nördlingen. Auch die Herzogin Sabina und der Herzog von Bayern fanden sich dort ein, um hauptsächlich über Württemberg zu entscheiden. Sattler II, § 15.
- ↑ [434] Die Regentschaft mußte zu jener Zeit viel seltsamer, leichtfertiger und böser Reden hören. Der Keller in Göppingen berichtete einmal, man habe auf der Straße zwischen Grunbach und Heppach ein Kieselstein gefunden, auf dessen einer Seite ein Hirschgeweih mit der Unterschrift: „Hie gut Württemberg alleweg“, auf der andern Seite ein Jagdhorn mit den Worten: „Vive Dux Ulrice“ zu sehen waren. Vergleiche Pfaffs Gesch. von Württemb. I, 306.
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