Lichtenstein/Erster Teil/V

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Kapitel IV Lichtenstein von Wilhelm Hauff
Erster Teil, Kapitel V
Kapitel VI
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[79]

V.


 „– Ist’s kein Wahn?
 Will der Holde, Vielgetreue,
 Dem ich Herz und Leben weihe,
 Heute noch zu Gruß und Kusse nahn?“
 F. Haug.[1]


Georg wurde am anderen Morgen durch ein bescheidenes Pochen an seiner Thüre erweckt. Er schlug die Vorhänge seines Bettes zurück und sah, daß die Sonne schon ziemlich hoch stehe. Es wurde wieder und stärker gepocht, und sein freundlicher Wirt, schon völlig im Putz, trat ein. Nach den ersten Erkundigungen, wie sein Gast geschlafen habe, kam Herr Dieterich gleich auf die Ursache seines frühen Besuches. Der Große Rat hatte gestern abend noch beschlossen, die Ankunft der Bundesgenossen auch durch einen Tanz zu feiern, der am heutigen Abend auf dem Rathause abgehalten werden sollte. Ihm, als dem Ratschreiber, kam es zu, alles anzuordnen, was zu dieser Festlichkeit gehörte, er mußte die Stadtpfeifer bestellen, die ersten Familien feierlich und im Namen des Rates dazu einladen, er mußte vor allem zu seinen liebsten Mühmchen eilen, um ihnen dieses seltene Glück zu verkündigen.

Er erzählte dies alles mit wichtiger Miene seinem Gaste und versicherte ihn, daß er vor dem Drang der Geschäfte nicht wisse, wo ihm der Kopf stehe. Doch Georg hatte nur für eines Sinn; er durfte hoffen, Marien zu sehen und zu sprechen, und darum hätte er gerne Herrn Dieterich für seine gute Botschaft an das freudig pochende Herz gedrückt.

„Ich sehe es Euch an“, sagte dieser, „die Nachricht macht Euch Freude, und die Tanzlust leuchtet Euch schon aus den Augen. Doch Ihr sollt ein paar Tänzerinnen haben, wie Ihr sie nur wünschen könnt; mit meinen Bäschen sollt Ihr mir tanzen, denn ich bin ihr Führer bei solchen Gelegenheiten und werde es schon zu machen wissen, daß Ihr und kein anderer zuerst sie aufziehen sollet; und wie werden sie sich freuen, wenn ich ihnen einen so [80] flinken Tänzer verspreche!“ Damit wünschte er seinem Gast einen guten Morgen und ermahnte ihn, wenn er ausgehe, sein Haus zu merken und das Mittagessen nicht zu versäumen.

Herr Dieterich hatte als sehr naher Verwandter schon so frühe am Tag Zutritt im Hause des Herrn von Besserer, besonders heute, da ihn seine vielen Geschäfte bei diesem Morgenbesuche entschuldigten.

Er fand die Mädchen noch beim Frühstück. Wohl hätte dort manche unserer heutigen Damen ein elegantes Dejeuner von gemaltem Porzellain und den nach den schönsten antiken Vasen geformten Schokoladebecher vermißt. Aber, wenn es wahr ist, daß natürliche Anmut und Würde auch im geringsten Kleide sich dem Auge nicht verhüllen, so dürfen wir schon mit mehr Mut gestehen, daß Marie und die fröhliche Bertha an jenem Morgen ein Biersüppchen verspeisten. Ob aber dieses Geständnis der ästhetischen Haltung dieser Damen nicht Eintrag thut? Es mag sein; wer übrigens Marien und Bertha in dem weißen Morgenhäubchen, in dem reinlichen Hauskleide gesehen hätte, würde gewiß auch wie Vetter Kraft Verlangen getragen haben, dieses Frühstück mit den holden Mädchen zu teilen.

„Ich sehe dir es an, Vetter“, begann Bertha, „du möchtest gar zu gerne von unserer Suppe kosten, weil dir deine Amme heute einen Kinderbrei vorgesetzt hat: aber schlage dir diese Gedanken nur gleich aus dem Sinne; du hast Strafe verdient und mußt fasten –“

„Ach, wie wir so sehnlich auf Euch gewartet haben“, unterbrach sie Marie.

„Jawohl“, fiel ihr Bertha in die Rede, „aber bilde dir nur nicht ein, daß wir eigentlich dich erwarteten; nein, ganz allein deine Neuigkeiten.“

Der Ratsschreiber war schon gewohnt, von Bertha so empfangen zu werden; er wollte daher, um sie zu versöhnen, daß er nicht gestern abend noch ihre Neugierde befriedigt habe, seine Nachrichten in desto längerem Strome geben; aber Bertha unterbrach ihn: „Wir kennen“, sagte sie, „deine breiten Erzählungen und haben auch das meiste vom Erker aus selbst mit angesehen; von eurem [81] Trinkgelage, wo es arg genug hergegangen sein soll, will ich auch nichts wissen, darum antworte mir auf meine Frage.“ Sie stellte sich mit komischem Ernst vor ihn hin und fuhr fort: „Dieterich von Kraft, Schreiber eines wohledlen Rates, habt Ihr unter den Bündischen keinen jungen, überaus höflichen Herrn gesehen, mit langem, hellbraunem Haar, einem Gesicht, nicht so milchweiß wie das Eure, aber doch nicht minder hübsch, kleinem Bart, nicht so zierlich wie der Eure, aber dennoch schöner, hellblauer Schärpe mit Silber …“

„Ach, das ist kein anderer als mein Gast“, rief Herr Dieterich, „er ritt einen großen Braunen, trug ein blaues Wams, an den Schultern geschlitzt und mit Hellblau ausgelegt?“

„Ja, ja, nur weiter“, rief Bertha, „wir haben unsere eigenen Ursachen, uns nach ihm zu erkundigen.“

Marie stand auf und suchte ihr Nähzeug in dem Kasten, indem sie den beiden den Rücken zukehrte; aber die Röte, die alle Augenblicke auf ihren Wangen wechselte, ließ ahnen, daß sie kein Wort von Herrn Dieterichs Erzählung verlor.

„Nun, das ist Georg von Sturmfeder“, fuhr der Ratschreiber fort, „ein schöner, lieber Junge. Sonderbar, auch ihr seid ihm gleich beim Einzug aufgefallen“ – und nun erzählte er, was am Gastmahl vorgegangen sei, wie ihm der hohe Wuchs, das Gebietende und Anziehende in des Jünglings Mienen gleich anfangs aufgefallen, wie ihn der Zufall zu seinem Nachbar gemacht, wie er ihn immer lieber gewonnen und endlich in sein Haus geführt habe.

„Nun, das ist schön von dir, Vetter“, sagte Bertha, als er geendet hatte, und reichte ihm freundlich die Hand, „ich glaube, es ist das erste Mal, daß du es wagst, Gäste zu haben. Aber das Gesicht der alten Sabine hätte ich sehen mögen, als Junker Dieter so spät noch einen Gast brachte.“

„O, sie war wie der Lindwurm gegen Sankt Georg; aber als ich ihr ganz verblümt zu verstehen gab, es könne wohl geschehen, daß ich bald eine meiner schönen Basen heimführen werde …“

„Ach, geh doch!“ entgegnete Bertha, indem sie ihm hocherrötend ihre Hand entreißen wollte; aber Herr Dieterich, dem [82] sein Mühmchen noch nie so hübsch als in diesem Augenblicke geschienen hatte, drückte die weiche Hand fester, und Mariens ernsteres Bild verlor von Sekunde zu Sekunde an Gehalt, und die Wagschale der fröhlichen Bertha, die jetzt in holder Verschämtheit vor ihm saß, stieg hoch in den Augen des glücklichen Ratsschreibers.

Marie hatte indes schweigend das Gemach verlassen, und Bertha ergriff mit Freuden diese Gelegenheit, ein anderes Gespräch einzuleiten.

„Da geht sie nun wieder“, sagte sie und sah Marien nach, „und ich wollte darauf wetten, sie geht in ihre Kammer und weint. Ach, sie hat gestern wieder so heftig geweint, daß ich auch ganz traurig geworden bin.“

„Was hat sie nur?“ fragte Dieterich teilnehmend.

„Ich habe so wenig wie früher die Ursache ihrer Thränen erfahren“, fuhr Bertha fort, „ich habe gefragt und immer wieder gefragt, aber sie schüttelt dann nur den Kopf, als wenn ihr nicht zu helfen wäre; ‚der unselige Krieg!‘ war alles, was sie mir zur Antwort gab.“

„So ist der Alte noch immer entschlossen, mit ihr nach Lichtenstein zurückzugehen?“

„Jawohl“, war Berthas Antwort, „du hättest nur hören sollen, wie der alte Mann gestern beim Einzug auf die Bündischen schimpfte. Nun – er ist einmal seinem Herzog mit Leib und Seele ergeben, darum mag es ihm hingehen; aber sobald der Krieg erklärt ist, will er mit ihr abreisen.“

Herr Dieterich schien sehr nachdenklich zu werden; er stützte den Kopf auf die Hand und hörte seiner Muhme schweigend zu.

„Und denke“, fuhr diese fort, „da hat sie nun gestern nach dem Einritte der Bündischen so heftig geweint. Du weißt, sie war zwar vorher schon immer ernst und düster, und ich habe sie an manchem Morgen in Thränen gefunden; aber als habe schon dieser Einzug über das ganze Schicksal des Krieges entschieden, so untröstlich geberdete sie sich. Ich glaube, Ulm liegt ihr nicht so am Herzen, aber ich vermute“, setzte sie geheimnisvoll hinzu, „sie hat eine heimliche Liebe im Herzen.“

[83] „Ach freilich, ich habe es ja schon lange gemerkt“, seufzte Herr Dieterich, „aber was kann ich denn davor?“

„Du? was du davor kannst?“ lachte Bertha, auf deren Gesicht bei diesen Worten alle Trauer verschwunden war; „nein! du bist nicht schuld an ihrem Schmerz. Sie war schon so, ehe du sie nur mit einem Auge gesehen hast!“

Der ehrliche Ratsschreiber war sehr beschämt durch diese Versicherung. Er glaubte in seinem Herzen nicht anders, als der Abschied von ihm gehe der armen Marie so nahe, und fast schien ihr wehmütiges Bild in seinem wankelmütigen Herzen wieder das Übergewicht zu bekommen. Bertha aber ließ nicht ab, ihn mit seiner thörichten Vermutung zu höhnen, bis ihm auf einmal der Zweck seines Besuches wieder einfiel, den er während des Gespräches ganz aus den Augen verloren hatte. Sie sprang mit einem Schrei der Freude auf, als ihr der Vetter die Nachricht von dem Abendtanz mitteilte.

„Marie, Marie!“ rief sie in hellen Tönen, daß die Gerufene, bestürzt und irgend ein Unglück ahnend, herbeisprang. „Marie, ein Abendtanz auf dem Rathaus!“ rief ihr die beglückte Bertha schon unter der Thüre entgegen.

Auch diese schien freudig überrascht von dieser Nachricht. „Wann? Kommen die Fremden dazu?“ waren ihre schnellen Fragen, indem ein hohes Rot ihre Wangen färbte und aus dem ernsten Auge, das die kaum geweinten Thränen nicht verbergen konnte, ein Strahl der Freude drang.

Bertha und der Vetter waren erstaunt über den schnellen Wechsel von Schmerz und Freude, und der letztere konnte die Bemerkung nicht unterdrücken, daß Marie eine leidenschaftliche Tänzerin sein müsse. Doch wir glauben, er habe sich hierin nicht weniger geirrt, als wenn er Georg für einen Weinkenner hielt.

Als der Ratsschreiber sah, daß er jetzt, wo die Mädchen sich in eine wichtige Beratung über ihren Anzug verwickelten, eine überflüssige Rolle spielte, empfahl er sich, um seinen wichtigeren Geschäften nachzugehen. Er beeilte sich, seine Anordnungen zu treffen, und die hohen Gäste und die angesehensten Häuser zu laden. Überall erschien er als ein Bote des Heils, denn wie die [84] Sage erzählt, ist die Freude am Tanzen nicht erst in unseren Tagen über die Mädchen gekommen.

Auch seine Anordnungen waren bald getroffen. Es war noch nicht zum Grundsatz geworden, daß man nur in einer langen Reihe von Zimmern, bei flimmernden Lustres, umgeben von jenen unzähligen, unwesentlichen Dingen, welche die Mode als notwendig preist, fröhlich sein könne. Der Rathaussaal gab hinlänglichen Raum, und die kunstlosen Lampen, die an den Wänden aufgehängt waren, hatten bisher Helle genug verbreitet, die schönen Jungfrauen von Ulm in ihrer Pracht zu sehen.

Doch nicht seine Anordnungen allein waren dem Ratsschreiber gelungen, er hatte nebenbei auch manche geheime Nachricht erspäht, die bis jetzt nur der engere Ausschuß des Rates mit den Bundesobersten teilte.

Zufrieden mit dem Erfolg seiner vielen Geschäfte kam er gegen Mittag nach Hause, und sein erster Gang war, nach seinem Gaste zu sehen. Er traf ihn in sonderbarer Arbeit. Georg hatte lange in einem schöngeschriebenen Chronikbuch, das er in seinem Zimmer gefunden hatte, geblättert. Die reinlich gemalten Bilder, womit die Anfangsbuchstaben der Kapitel unterlegt waren, die Triumphzüge und Schlachtenstücke, welche, mit kühnen Zügen entworfen, mit besonderem Fleiße ausgemalt, hin und wieder den Text unterbrachen, unterhielten ihn geraume Zeit. Dann fing er an, erfüllt von den kriegerischen Bildern, die er angeschaut hatte, seinen Helm und Harnisch und das vom Vater ererbte Schwert zu reinigen und blank zu machen, indem er zu großem Ärgernis der Frau Sabine bald lustige, bald ernstere Weisen dazu sang.

So traf ihn sein Gastfreund. Schon unten an der Treppe hatte er die angenehme Stimme des Singenden vernommen; er konnte sich nicht enthalten, noch einige Zeit an der Thüre zu lauschen, ehe er den Gesang unterbrach.

Es war eine jener ernsten, beinahe wehmütig-tönenden Weisen, wie sie durch ihren innern Wert erhalten und fortgetragen bis auf unsere Tage herabkamen. Noch heute leben sie in dem Munde der Schwaben, und oft und gerne haben wir, ergriffen [85] von ihrer einfachen Schönheit, von den gehaltenen Klängen ihrer vollen Akkorde, an den lieblichen Ufern des Neckars sie belauscht.

Der Sänger begann von neuem:

[2]„Kaum gedacht
War der Lust ein End’ gemacht.
Gestern noch auf stolzen Rossen,
Heute durch die Brust geschossen,
Morgen in das kühle Grab.

Doch was ist
Aller Erden Freud’ und Lüst’.
Prangst du gleich mit deinen Wangen,
Die wie Milch und Purpur prangen,
Sieh’, die Rosen welken all’.

Darum still
Geb’ ich mich, wie Gott es will.
Und wird die Trompete blasen,
Und muß ich mein Leben lassen,
Stirbt ein braver Reitersmann.“

„Wahrlich, Ihr habt eine schöne Stimme“, sagte Herr von Kraft, als er in das Gemach eintrat, „aber warum singet Ihr so traurige Lieder? Ich kann mich zwar nicht mit Euch messen, aber was ich singe, muß fröhlich sein, wie es einem jungen Mann von achtundzwanzig geziemt.“

Georg legte sein Schwert auf die Seite und bot seinem Gastfreunde die Hand. „Ihr mögt recht haben“, sagte er, „was Euch betrifft; aber wenn man zu Feld reitet wie wir, da hat ein solches Lied große Gewalt und Trost, denn es gibt auch dem Tode eine milde Seite.“

„Nun, das ist ja gerade, was ich meine“, entgegnete der Schreiber des Großen Rates, „wozu soll man das auch noch in schönen Verslein besingen, was leider nur zu gewiß nicht ausbleibt. Man soll den Teufel nicht an die Wand malen, sonst kommt er, sagt ein Sprüchwort; übrigens hat es damit keine Not, wie jetzt die Sachen stehen.“

[86] „Wie? ist der Krieg nicht entschieden?“ fragte Georg neugierig. „Hat der Württemberger Bedingungen angenommen?“

„Dem macht man gar keine mehr“, antwortete Dieterich mit wegwerfender Miene, „er ist die längste Zeit Herzog gewesen, jetzt kommt das Regieren auch einmal an uns. Ich will Euch etwas sagen“, setzte er wichtig und geheimnisvoll hinzu, „aber bis jetzt bleibt es noch unter uns; die Hand darauf. Ihr meint, der Herzog habe 14,000 Schweizer? Sie sind wie weggeblasen. Der Bote, den wir nach Zürch und Bern geschickt haben, ist zurück; was von Schweizern bei Blaubeuren und auf der Alb liegt – muß nach Haus.“

„Nach Haus zurück?“ rief Georg erstaunt, „haben die Schweizer selbst Krieg?“

„Nein“, war die Antwort, „sie haben tiefen Frieden, aber kein Geld; glaubt mir, ehe acht Tage ins Land kommen, sind schon Boten da, die das ganze Heer nach Haus zurückrufen.“

„Und werden sie gehen?“ unterbrach ihn der Jüngling, „sie sind auf ihre eigene Faust dem Herzog zu Hülfe gezogen, wer kann ihnen gebieten, seine Fahnen zu verlassen?“

„Das weiß man schon zu machen; glaubt Ihr denn, wenn an die Schweizer der Ruf kommt, bei Verlust ihrer Güter und bei Leib- und Lebensstrafe nach Haus zu eilen[Hauff 1], sie werden bleiben? Ulerich hat zu wenig Geld, um sie zu halten, denn auf Versprechungen dienen sie nicht.“

„Aber ist dies auch ehrlich gehandelt“, bemerkte Georg, „heißt das nicht dem Feinde, der in ehrlicher Fehde mit uns lebt, die Waffen stehlen und ihn dann überfallen?“

„In der Politica, wie wir es nennen“, gab der Ratsschreiber zur Antwort und schien sich dem unerfahrenen Kriegsmann gegenüber kein geringes Ansehen geben zu wollen. „In der Politica wird die Ehrlichkeit höchstens zum Schein angewandt; so werden die Schweizer z. B. dem Herzog erklären, daß sie sich ein Gewissen daraus machen, ihre Leute gegen die Freien Städte dienen zu lassen; aber die Wahrheit ist, daß wir dem großen Bären mehr Goldgülden in die Tatze drückten als der Herzog.“

„Nun, und wenn die Schweizer auch abziehen“, sagte Georg, [87] „so hat doch Württemberg noch Leute genug, um keinen Hund über die Alb zu lassen.“

„Auch dafür wird gesorgt“, fuhr der Schreiber in seiner Erläuterung fort, „wir schicken einen Brief an die Stände von Württemberg und ermahnen sie, das unleidliche Regiment ihres Herzogs zu bedenken, demselben keinen Beistand zu thun, sondern dem Bunde zuzuziehen.“[Hauff 2]

„Wie?“ rief Georg mit Entsetzen, „das hieße ja den Herzog um sein Land betrügen; wollt Ihr ihn denn zwingen, der Regierung zu entsagen und sein schönes Württemberg mit dem Rücken anzusehen?“

„Und Ihr habt bisher geglaubt, man wolle nichts weiter als etwa Reutlingen wieder zur Reichsstadt machen? Von was soll denn Hutten seine 42 Gesellen und ihre Diener besolden? Wovon denn Sickingen seine 1000 Reiter und 12,000 zu Fuß, wenn er nicht ein hübsches Stückchen Land damit erkämpft? Und meint Ihr, der Herzog von Bayern wolle nicht auch sein Teil? Und wir? Unsere Markung grenzt zunächst an Württemberg –“

„Aber die Fürsten Deutschlands“, unterbrach ihn Georg ungeduldig, „meint Ihr, sie werden es ruhig mit ansehen, daß Ihr ein schönes Land in kleine Fetzen reißet? Der Kaiser, wird er es dulden, daß Ihr einen Herzog aus dem Lande jagt?“

Auch dafür wußte Herr Dieterich Rat. „Es ist kein Zweifel, daß Karl seinem Vater als Kaiser folgt; ihm selbst bieten wir das Land zur Obervormundschaft an, und wenn Österreich seinen Mantel darauf deckt, wer kann dagegen sein? Doch, sehet nicht so düster aus; wenn Euch nach Krieg gelüstet, da kann Rat dazu werden. Der Adel hält noch zum Herzog, und an seinen Schlössern wird sich noch mancher die Zähne einbrechen. Wir verschwatzen übrigens das Mittagsmahl, kommt bald nach, daß wir erfahren, was Frau Sabina uns gekocht hat.“ Damit verließ der Schreiber des Großen Rates von Ulm so stolzen Schrittes, als wäre er selbst schon Obervormund von Württemberg, das Zimmer seines Gastes.

Georg sandte ihm nicht die freundlichsten Blicke nach. Zürnend schob er seinen Helm, den er noch vor einer Stunde mit so [88] freudigem Mute zu seinem ersten Kampf geschmückt hatte, in die Ecke; mit Wehmut betrachtete er sein altes Schwert, diesen treuen Stahl, den sein Vater in manchem guten Streite geführt, den er sterbend seinem verwaisten Knaben als einziges Erbe vom Schlachtfeld gesendet hatte. „Ficht ehrlich!“ war das Symbolum, das der Waffenschmied in die schöne Klinge gegraben hatte, und er sollte sie für eine Sache führen, die ihre Ungerechtigkeit an der Stirne trug? Wo er der Kriegskunst erfahrener Männer, der Tapferkeit des Einzelnen die Entscheidung zutraute, da sollten geheime Ränke, die Politica, wie Herr Dieterich sich ausdrückte, entscheiden? Wo ihn der fröhliche Glanz der Waffen, die Aussicht auf Ruhm gelockt hatte, da sollte er nur den habgierigen Planen dieser Menschen dienen? Ein altes Fürstenhaus, dem seine Ahnen gerne gedient hatten, sollte er von diesen Spießbürgern vertreiben sehen? Unerträglich wollte ihm auch der Gedanke scheinen, von diesem Kraft sich belehren lassen zu müssen.

Doch dem Unmut über seinen gutmütigen Wirt konnte er nicht lange Raum geben, wenn er bedachte, daß ja jene Plane nicht in seinem Kopfe gewachsen seien; und daß Menschen, wie dieser politische Ratsschreiber, wenn sie einmal ein Geheimnis, einen großen Gedanken in Erfahrung gebracht haben, ihn hegen und pflegen wie ihren eigenen; daß sie sich mit dem adoptierten Kinde brüsten, als wäre es Minerva und aus ihrem eigenen harten Kopfe entsprungen.

Mit milderen Gedanken kam er zu seinem Gastfreund, als man ihn zu Tisch rief.

Ja, die ganze Ansicht der Dinge wurde ihm nach einigen Stunden bei weitem erträglicher, als er sich erinnerte, daß ja auch Mariens Vater dieser Partei folge; es war ihm, als möchte die Sache doch nicht so schwarz sein, welcher Männer, wie Frondsberg, ihre Dienste geliehen.

Schnell fertig ist die Jugend mit dem Wort,
Das schnell sich handhabt wie des Messers Schneide, –
– Gleich heißt Ihr alles schändlich oder würdig,
Bös oder gut. –[3]

[89] Dieses wahre Wort des Dichters möge die Gesinnung Georgs bezeichnen, die Gesinnung Georgs, der vielleicht allzu schnell seine Ansicht über jene Dinge änderte. Und wie die düsteren Falten des Unmuts auf einer jugendlichen Stirne sich schneller glätten, wie selbst schmerzliche Eindrücke in des Jünglings Seele von freundlichen Bildern leicht verdrängt werden, so erhellte auch Georgs Seele der freudige Gedanke an den Abend.

Man hat uns erzählt, daß unter die schönsten Stunden im Leben der Liebe die gehören, wo die Erwartung sich an schöne Erinnerungen knüpft. Der Geist seie da ahnungsvoller, das Herz gehobener. So mochte auch Georg fühlen. Er träumte von den schönen Augenblicken, wo es ihm vergönnt sein werde, die Geliebte zu sehen, sie zu sprechen, ihre Hand zu fassen und in ihrem Auge zu lesen.



  1. Joh. Christoph Friedr. Haug (1761–1829), Bibliothekar zu Stuttgart, ist besonders als Epigrammdichter bekannt.
  2. Vgl. „Gedichte“, oben, S. 20.
  3. Schiller, „Wallensteins Tod“ 2. Aufzug, 2. Auftritt.

Anmerkungen (Hauff)

  1. [166] Die Eidgenossen verboten zuerst nur die Werbungen des Herzogs in ihren Landen, wie aus Sattler, Beilage Nr. 8 zum zweiten Teil der Herzoge erhellt. Nachher riefen sie ihre Leute ganz zurück, und zwar auf die Vorstellungen des Schwäbischen Bundes.
  2. [166] Ein gedrucktes Schreiben „des Bundes zu Schwaben an gemeine Landschaft zu Württemberg“ dieses Inhaltes vom 24. Mart. 1519 findet sich in der Beilage Nr. 12 bei Sattler.
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