Lichtenstein/Erster Teil/VIII
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„Im stillen Klostergarten
Eine bleiche Jungfrau ging;
Der Mond beschien sie trübe,
An ihrer Wimper hing
Die Thräne zarter Liebe.“
L. Uhland.[1]
Ulm glich in den nächsten Tagen einem großen Lager. Statt der friedlichen Landleute, der geschäftigen Bürger, die sonst ehrbaren und ruhigen Schrittes ihrem Gewerbe nach durch die Straßen gingen, sah man überall nur wunderliche Gestalten mit Sturmhauben und Eisenhüten, mit Lanzen, Armbrüsten und schweren Büchsen. Statt der Ratsherren, in ihrer einfachen, schwarzen Tracht, zogen stolze Ritter mit wehenden Helmbüschen, ganz mit Stahl bedeckt, begleitet von einer großen Schar bewaffneter Dienstleute, über die Plätze und Märkte. Noch lebhafter war dies kriegerische Bild vor den Thoren der Stadt; auf einem Anger an der Donau übte Sickingen seine Reiterei, auf einem großen Blachfelde gegen Söflingen hin pflegte Frondsberg sein Fußvolk zu tummeln.
An einem schönen Morgen, etwa drei bis vier Tage, nachdem Marie von Lichtenstein mit ihrem Vater Ulm verlassen hatte, [110] sah man eine ungeheure Menge Menschen aus allen Ständen auf jener Wiese versammelt, um diesen Übungen Frondsbergs zuzusehen. Sie betrachteten diesen Mann, dem ein so großer Ruf vorangegangen war, vielleicht mit nicht geringerem Interesse als wir, wenn wir die kaiserlichen oder königlichen Söhne des Mars die Dienste eines Feldherrn verrichten sahen. Knüpft sich ja doch gerade an die Person eines ausgezeichneten Führers das Interesse, das dem ganzen Heere gilt, ja wir meinen oft die Schlachten, von denen uns die Sage oder öffentliche Blätter erzählen, um so deutlicher zu verstehen, wenn wir uns die Gestalt des Heerführers vor das Auge zurückrufen können.
So mochte es wohl auch damals den Bewohnern von Ulm zu Mut sein, wenn sie ihre engen Straßen verließen, um den Mann des Tages in seinem Handwerk zu sehen. Die Geschicklichkeit, mit der er sein Fußvolk, das sonst in zerstreuten Haufen gefochten hatte, zu geschlossenen Massen vereinigte, die Schnelligkeit, womit sie sich nach seinem Winke nach allen Seiten schwenkten oder in furchtbare, von Picken und Donnerbüchsen starrende Kreise zusammenzogen, seine mächtige Stimme, die selbst die Trommeln übertönte, seine erhabene, kriegerische Gestalt, dies alles gewährte ein so neues, anziehendes Bild, daß auch die bequemsten Bürger es nicht scheuten, einen langen Vormittag auf dem Anger zu stehen und unbeweglich dieses Schauspiel zu genießen.
Der Feldhauptmann schien an diesem Morgen noch freundlicher und fröhlicher zu sein als sonst. Mochte ihn der warme Anteil, den die guten Ulmer an ihm nahmen, und der auf allen Gesichtern geschrieben stand, erfreuen? Mochte ihm hier außen in dem schönen Morgen unter seinen Waffenübungen wohler sein als in den engen, kalten Straßen der Stadt? Er blickte so freundlich auf die Menge hin, daß jeder glaubte, von ihm besonders beachtet und begrüßt zu werden, und der Ausruf: „Ein wackerer Herr, ein braver Ritter“, jedem seiner Schritte folgte.
Besonders freundlich schien er immer an einer Stelle zu sein; wenn er vorübersprengte, so durfte man gewiß sein, daß er dort mit dem Schwert oder der Hand herüber grüßte und traulich nickte.
[111] Die Hintersten stellten sich auf die Zehen, um den Gegenstand seiner freundlichen Winke zu sehen; die Näherstehenden sahen sich fragend an und verwunderten sich, denn keiner der versammelten Bürger schien dieser Auszeichnung würdig. Als Frondsberg wieder vorübersprengte und die Zeichen seiner Gnade wiederholte, gaben wohl hundert Augen recht genau acht, und es fand sich, daß die Grüße einem großen, schlanken, jungen Mann gelten mußten, der in der vordersten Reihe der Zuschauer stand. Das Wams von feinem Tuch und Seidenschlitzen, die hohen Barettfedern, mit welchen der Morgenwind spielte, sein langes Schwert und eine Feldbinde oder Schärpe zeichneten ihn auf den ersten Blick vor seinen Nachbarn aus, die minder geschmückt als er, auch durch untersetztere Figuren und breite Gesichter sich nicht zu ihrem Vorteil von ihm unterschieden.
Der Jüngling schien aber zum Ärgernis der guten Spießbürger nicht sehr erfreut über die hohe Gnade, die ihm vor ihren Augen zu teil ward. Schon seine Stellung, das Haupt gesenkt, die Arme über die Brust gekreuzt, schienen nicht anständig genug für einen feinen Junker, wenn er von einem alten Kriegshelden gegrüßt wurde. Überdies errötete er bei jedem Gruß des Feldhauptmanns, dankte nur durch ein leichtes Neigen und sah ihm mit so düsteren Blicken nach, als gälte es ein langes Scheiden, und dieser Gruß wäre der letzte eines lieben Freundes gewesen.
„Ein sonderbarer Kauz der Junker dort“, sagte der Obermeister aller Ulmer Weber zu seinem Nachbar, einem wackeren Waffenschmied; „ich gäbe mein Sonntagswams um einen solchen Gruß von dem Frondsberger, und dieser da muckt nicht darüber. Hieß’ es nicht in der ganzen Stadt, was hat der Meister Kohler mit dem Frondsberg; waren ja neulich miteinander wie zwei Brüder? O, die kennen einander schon lange, hieß’ es dann, und sind gute Freunde von alters her. Ich kann mich ordentlich ärgern, daß ein so gescheuter und gewaltiger Herr solch einen Laffen all’ Paternosterlang grüßt!“
Der Waffenschmied, ein kleiner, alter Kerl, hatte ihm seinen Beifall zugenickt: „Gott straf’ mich, Ihr habt recht, Meister [112] Kohler! Stehen nicht dort ganz andere Leut’, die er grüßen könnte; ist nicht der Herr Bürgermeister auf dem Platz, und steht dort nicht mein Gevatter, der Herr von Besserer, am Eck? Ich wollt’ dem Junker den Kopf beugen lernen, wenn ich Herr wäre; aber glaubt mir, der da beugt seinen Nacken nicht, und wenn der Kaiser selbst käme. Er muß auch etwas Rechtes sein, denn der Ratsschreiber, mein Nachbar, der sonst allen Gästen feind ist, hat ihn in seiner Behausung.“
„Der Kraft?“ fragte der Weber verwundert, „ei, ei! aber halt, dahinter steckt ein Geheimnis. Das ist gewiß so ein junger Potentat oder gar des Bürgermeisters von Köln sein Sohn, der auch unter dem Heer mitreiten soll. Steht nicht dort des Kraften alter Johann?“
„Weiß Gott, er ist’s“, fiel der Waffenschmied ein, den die Vermutungen des Webers neugierig gemacht hatten; „er ist’s, und ich will ihn beichten lassen, trotz dem Probst von Elchingen.“ Aber so klein auch der Raum zwischen den beiden Bürgern und dem alten Diener des Kraftischen Hauses war, so konnte doch der Schmied nicht zu ihm durchkommen, so dicht standen die Zuschauer. Endlich drang die gewichtige Miene des Obermeisters aller Weber durch, denn er war reich und angesehen in der Stadt; er erwischte den alten Johann und zog ihn zu dem Schmied. Doch auch der alte Johann konnte wenig Bescheid geben, er wußte nichts, als daß sein Gast ein Herr von Sturmfeder sei. „Übrigens muß er nicht ‚weit her‘ sein“, setzte er hinzu, „denn er reitet ein Landpferd und hat keine Dienstleute mit sich; meinem Herrn aber wird der Gast übel bekommen, denn unsere alte Sabine, die Amme, ist wie ein Drache, daß er die Hausordnung stört und ungefragt, nur so mir nichts dir nichts, ein fremdes Menschenkind mit Stiefel und Sporen ins Haus schleppt.“
„Nichts für ungut“, fiel ihm der Obermeister in die Rede, „Euer Herr, Johann, ist ein Narr! Die alte Hexe – Gott verzeih’ mir’s – hätte ich schon lange auf die Straße geworfen, wo sie hingehört. Hat der Herr doch sein gutes Alter, und soll sich behandeln lassen, als läge er noch in den Windeln.“
„Ihr habt gut reden, Meister Kohler“, antwortete der alte [113] Diener, „aber das versteht Ihr doch nicht recht. Auf die Gasse werfen? Wer soll denn nachher haushalten?“
„Wer?“ schrie der erhitzte Weber; „wer? Ein Weib soll er nehmen, eine Hausfrau wie ein anderer Christ und Ulmer Bürger auch; was hat er nötig als Junggeselle zu leben, und allen Mädchen in der Stadt nachzulaufen? Hab’ ich ihn nicht neulich angetroffen, wie er meiner Katharine schön gethan hat? Schiff und Geschirr hätte ich ihm mögen an den Kopf werfen, dem gestrengen Herrn; so aber – seine Mutter selig hat manch schönes Tafelstück bei mir weben lassen, die brave Frau – so mußt’ ich meine Mütze abziehen und sagen: ‚Gehorsamen guten Abend, und was befehlen Euer Wohledlen!‘ Daß dich der –“
„Ei, schau einer!“ sagte Johann mit unmutigem Gesicht; „ich habe immer gedacht, ein Herr wie der Ratsschreiber, mein Herr, könne in allen Ehren mit Eurem Töchterlein ein Wort wechseln, ohne daß die böse Welt –“
„So? ein Wort wechseln, und abends nach der Vesperglock’ im März? Er heiratet sie doch nicht, und meint Ihr, meines Kindes guter Ruf müsse nicht so rein sein wie Eures Herrn seine weiße Halskrause? Das könnt’ ich brauchen!“
Der Obermeister hatte während seinen eifrigen Reden den alten Johann an der Brust gepackt und seine Stimme so erhoben, daß die Umstehenden aufmerksam wurden; der Meister Schmied hielt es daher für das Beste, den Erzürnten mit Gewalt wegzuziehen, und er verhütete so zwar weitere Streitigkeiten, doch konnte er nicht verhüten, daß es schon um Mittag in der ganzen Stadt hieß: Herr von Kraftens Johann habe noch in seinen alten Tagen eine Liebschaft mit des Obermeisters Töchterlein und seie von dem erzürnten Vater auf der Wiese darüber zur Rede gestellt worden.
Die Übungen des Fußvolkes waren indes zu Ende gegangen, das Volk verlief sich, und auch den jungen Mann, der die unschuldige Ursache zu jenem Streit gewesen war, sah man seine Schritte der Stadt zuwenden; sein Gang war langsam und ungleich, sein Gesicht schien bleicher als sonst, seine Blicke suchten noch immer den Boden oder schweiften mit dem Ausdruck von [114] Sehnsucht oder stillem Gram nach den fernen blauen Bergen, den Grenzmauern von Württemberg.
Noch nie hatte sich Georg von Sturmfeder so unglücklich gefühlt als in diesen Stunden. Marie war mit ihrem Vater abgereist; sie hatte ihn noch einmal beschwören lassen, seinem Versprechen treu zu sein, und wie unglücklich machte ihn dieses Versprechen! Wohl hatte es ihn damals nicht geringen Kampf gekostet, es zu geben; aber der betäubende Schmerz des Abschiedes, der Gram des geliebten Mädchens hatten überwunden. Doch jetzt, wo er mit festerem Blicke seinen Umgebungen, seiner Zukunft ins Auge sah, wie traurig, wie schwierig erschien ihm seine Lage! Nichts davon zu sagen, daß alle seine goldenen Träume, alle jene kühnen Hoffnungen von Ruhm und Ehre mit einemmal verschwanden, nichts davon zu sagen, daß auch sein Ziel, das so nahe lag, Marien durch Kriegsdienste zu verdienen, ungewiß in die Weite hinausgerückt war, – er sollte auf die Gefahr hin, von Männern, deren Achtung ihm teuer war, verkannt zu werden, diese Fahnen verlassen, gerade in einem Augenblick, wo man der Entscheidung entgegenging. Von Tag zu Tag, so lange es ihm nur möglich war, verschob er diese Erklärung; wo sollte er Gründe, wo Worte hernehmen, vor dem alten, tapfern Degen Breitenstein, seinem väterlichen Freunde, seinen Abzug zu rechtfertigen; mit welcher Stirne sollte er vor den edlen Frondsberg treten? Ach, jene freundlichen Grüße, womit er den Sohn seines tapfern Waffengenossen zu freudigem Kampfe aufzumuntern schien, hatten ihn mit tausend Qualen gefoltert. An seiner Seite war sein Vater gefallen, er hatte gehört, wie der Sterbende den Ruhm seines Namens und ein leuchtendes Beispiel als einziges Erbe dem unmündigen Knaben zusandte; dieser Mann war es, der ihm jetzt so liebevoll die Schranken öffnete, und auch ihm mußte er in so zweideutigem Lichte erscheinen.
Er hatte sich unter diesen trüben Gedanken langsam dem Thore der Stadt genähert, als er sich plötzlich am Arm ergriffen fühlte; er sah sich um, ein Mann, dem Anschein nach ein Bauer, stand vor ihm.
[115] „Was willst du“, fragte Georg, etwas unwillig, in seinen Gedanken unterbrochen zu werden.
„Es kommt darauf an, ob Ihr auch der Rechte seid“, antwortete der Mann. „Sagt einmal, was gehört zu Licht und Sturm?“
Georg wunderte sich ob der sonderbaren Frage und betrachtete jenen genauer. Er war nicht groß, aber kräftig; seine Brust war breit, seine Gestalt gedrungen. Das Gesicht, von der Sonne braun gefärbt, wäre flach und unbedeutend gewesen, wenn nicht ein eigener Zug von List und Schlauheit um den Mund und aus den grauen Augen Mut und Verwegenheit geleuchtet hätten. Sein Haar und Bart war dunkelgelb und gerollt; er trug einen langen Dolch im ledernen Gurt, in der einen Hand hielt er eine Axt, in der andern eine runde, niedere Mütze von Leder, wie man sie noch heute bei dem schwäbischen Landvolk sieht.
Während Georg diese flüchtigen Bemerkungen machte, wurden auch seine Züge lauernd beobachtet.
„Ihr habt mich vielleicht nicht recht verstanden, Herr Ritter“, fuhr jener nach kurzem Stillschweigen fort; „was paßt zu Licht und Sturm, daß es zwei gute Namen gibt?“
„Feder und Stein!“ antwortete der junge Mann, dem es auf einmal klar wurde, was unter jener Frage verstanden sei; „was willst du damit?“
„So seid Ihr Georg von Sturmfeder“, sagte jener, „und ich komme von Marien von –“
„Um Gotteswillen, sei still, Freund, und nenne keine Namen“, fiel Georg ein, „sage schnell, was du mir bringst.“
„Ein Brieflein, Junker!“ sprach der Bauer, indem er die breiten, schwarzen Kniegürtel, womit er seine ledernen Beinkleider umwunden hatte, auflöste und einen Streifen Pergament hervorzog.
Mit hastiger Freude nahm Georg das Pergament; es waren wenige Worte mit glänzendschwarzer Tinte geschrieben; den Zügen der Schrift sah man aber an, daß sie einige Mühe gekostet haben mochten, denn die Mädchen von 1519 waren nicht so flink mit der Feder, um ihre zärtlichen Gefühle auszudrücken, als die [116] in unseren Tagen, wo jede Dorfschöne ihrem Geliebten zum Regiment eine Epistel, so lange als die 3. St. Johannis, schreiben kann. Die Chronik, woraus wir diese Historie genommen, hat uns jene Worte aufbewahrt, welche Georgs gierige Blicke aus den verworrenen Zügen des Pergamentes entzifferten:
„Bedenk Deinen Eid. – Flieh bei Zeit.
Gott Dein Geleit. – Marie Dein in Ewigkeit.“
Es liegt ein frommer, zarter Sinn in diesen Worten; und wer sich ein liebendes Herz dazu denkt, wie es mit diesen Zeilen in die Ferne fliegen möchte, ein Auge voll Zärtlichkeit, umflort von einem Schleier stiller Thränen, einen holden Mund, der das Blättchen noch einmal küßt, verschämte Wangen, die bei diesem geheimnisvollen Gruße erröten, – wer dies hinzudenkt, der wird es Georg nicht verargen, daß er einige Augenblicke wie trunken war. Ein freudiger, glänzender Blick nach den fernen blauen Bergen hin dankte der Geliebten für ihren tröstenden Spruch; und wahrlich, er war auch zu keiner andern Zeit nötiger gewesen als gerade jetzt, um den gesunkenen Mut des jungen Mannes zu erheben. Wußte er doch, daß ein Wesen, das teuerste, was für ihn auf der Erde lebte, ihn nicht verkannte. Der Schluß jener Zeilen erhob sein Herz zur alten Freudigkeit, er bot dem guten Boten die Hand, dankte ihm herzlich und fragte, wie er zu diesen Zeilen gekommen sei.
„Dacht’ ich’s doch“, antwortete dieser, „daß das Blättchen keinen bösen Zauberspruch enthalten müsse, denn das Fräulein lächelte so gar freundlich, als sie es mir in die rauhe Hand drückte. Es war vergangenen Mittwoch, daß ich nach Blaubeuren kam, wo unser Kriegsvolk stand. Es ist dort in der Klosterkirche ein prächtiger Hochaltar, worauf die Geschichte meines Patrons, des Täufers Johannes, vorgestellt ist. Vor sieben Jahren, als ich in großer Not und einem schmählichen Ende nahe war, gelobt ich alle Jahre um diese Zeit eine Wallfahrt dahin. So hielt ich es alle Jahre seit der Zeit, daß mich der Heilige durch ein Wunder von Henkers Hand errettet hat. Wenn ich nun mein Gebet verrichtet hatte, ging ich allemal zum Herrn Abt, um ihm ein paar [117] schöne Gänse oder ein Lamm zu bringen, oder was er sonst gerade gerne hat. – Aber ich mache Euch Langeweile mit meinem Geschwätz, Junker?“
„Nein, nein, erzähle nur weiter“, antwortete Georg, „komm, setze dich zu mir auf jene Bank.“
„Das würde sich schön schicken!“ entgegnete der Bote, „wenn ein Bauer an des Junkers Seite sitzen wollte, den der Oberfeldhauptmann vor aller Augen so oft grüßte; erlaubt mir, daß ich mich vor Euch hinstelle.“
Georg ließ sich auf einen Steinsitz am Wege nieder, der Bauer aber fuhr, auf seine Axt gestützt, in seiner Erzählung fort: „Ich hatte diesmal bei den unruhigen Zeiten wenig Lust zur Wallfahrt, aber ‚gebrochener Eid, thut Gott leid‘ heißt es, und so mußte ich mein Gelübde vollbringen. Wie ich vom Gebet aufstund, um dem Abt zu bringen, was recht ist, sagte mir einer der Pfaffen, daß ich diesmal nicht zu Seiner Ehrwürden könne, weil viele Herren und Ritter dort zu Besuch seien. Ich bestand aber doch darauf, denn der Abt ist ein leutseliger Herr und hätte mir’s nicht verziehen, wenn ich ihn nicht heimgesucht hätte. Wenn Ihr je ins Kloster hinauskommt, so vergesset nicht, nach der Treppe zu schauen, die vom Hochaltar zum Dorment[2] führt. Sie geht durch die dicke Mauer, welche die Kirche ans Kloster schließt, und ist lang und schmal. Dort war es, wo mir das Fräulein begegnet ist. Es kommt mir nämlich ein feines Weibsbild im Schleier mit Brevier und Rosenkranz die Treppe herab entgegen; ich drücke mich an die Wand, um sie vorbeizulassen, sie aber bleibt stehen und spricht: ‚Ei, Hans, woher des Wegs?‘“
„Woher kennt Euch denn das Fräulein?“ unterbrach ihn Georg.
„Meine Schwester ist ihre Amme und –“
„Wie, die alte Rose ist Eure Schwester?“ rief der junge Mann.
„Habt Ihr sie auch gekannt?“ sagte der Bote, „ei, seh doch einer! aber daß ich weiter sage: ich hatte eine große Freude, sie wiederzusehen, denn ich besuchte meine Schwester häufig in Lichtenstein, [118] und habe das Fräulein gekannt, als man sie noch in ihres Vaters Schwertkuppel gehen lernte. Aber ich hätte sie kaum wiedererkannt, so groß war sie geworden, und die roten Wangen sind auch weg wie der Schnee am ersten Mai. Ich weiß nicht, wie es ging, aber mich dauerte ihr Anblick in der Seele, und ich mußte fragen, was ihr fehle und ob ich ihr nicht etwas helfen könne. Sie besann sich eine Weile und sagte dann: ‚Ja, wenn du verschwiegen wärest, Hans, könntest du mir wohl einen großen Dienst leisten!‘ Ich sagte zu, und sie bestellte mich bis nach der Vesper.“
„Aber wie kommt sie nur in das Kloster?“ fragte Georg; „sonst darf ja doch kein Weiberschuh über die Schwelle.“
„Der Abt ist mit ihrem Vater befreundet, und da so viel Volk in Blaubeuren liegt, so ist sie dort besser aufgehoben als im Städtchen, wo es toll genug zugeht. Nach der Vesper, als alles still war, kam sie ganz leise in den Kreuzgang. Ich sprach ihr Mut zu, wie es eben unsereins versteht, da gab sie mir dies Blättchen und bat mich, Euch aufzusuchen.“
„Ich danke dir herzlich, guter Hans“, sagte der Jüngling. „Aber hat sie dir sonst nichts an mich aufgetragen?“
„Ja“, antwortete der Bote, „mündlich hat sie mir noch etwas aufgetragen: Ihr sollt Euch hüten, man habe etwas mit Euch vor.“
„Mit mir?“ rief Georg; „das hast du nicht recht gehört, wer und was soll man mit mir vorhaben?“
„Da fragt Ihr mich zu viel“, entgegnete jener, „aber wenn ich es sagen darf, so glaube ich, die Bündischen. Das Fräulein setzte noch hinzu, ihr Vater habe davon gesprochen, und hat nicht der Frondsberg Euch heute zugewinkt und Euch geehrt wie des Kaisers Sohn, daß sich jedermann darob verwunderte? Glaubt nur, es hat allemal etwas zu bedeuten, wenn solch ein Herr so freundlich ist.“
Georg war überrascht von der richtigen Bemerkung des schlichten Bauers; er entsann sich auch, daß Mariens Vater tief in die Geheimnisse der Bundesobersten eingedrungen sei und vielleicht etwas erfahren habe, was sich zunächst auf ihn bezöge. Aber er mochte sinnen wie er wollte, so konnte er doch nichts erfinden, [119] was zu dieser geheimnisvollen Warnung Mariens gepaßt hätte. Mit Mühe riß er sich aus diesem Gewebe von Vermutungen, indem er den Boten fragte, wie er ihn so schnell gefunden habe?
„Dies wäre ohne Frondsberg so bald nicht geschehen“, antwortete er; „ich sollte Euch bei Herrn Dieterich von Kraft aufsuchen. Wie ich aber die Straße hereinging, da sah man viel Volk auf den Wiesen. Ich dachte, eine halbe Stunde mache nichts aus, und stellte mich auch hin, um das Fußvolk zu betrachten. Wahrlich, der Frondsberg hat es weit gebracht. – Nun, da war mir’s, als hörte ich nahe bei mir Euren Namen nennen, ich sah mich um, es waren drei alte Männer, die sprachen von Euch und deuteten auf Euch hin, ich aber merkte mir Eure Gestalt und folgte Euren Schritten, und weil ich meiner Sache doch nicht ganz gewiß war, so gab ich Euch das Rätsel von Sturm und Licht auf.“
„Das hast du klug gemacht“, sagte Georg lächelnd; „aber dennoch komme in mein Haus, daß man dir etwas zu essen reiche; wann kehrst du wieder heim?“
Hans bedachte sich eine Weile; endlich aber sagte er, indem ein schlaues Lächeln um seinen Mund zog: „Nichts für ungut, Junker, aber ich habe dem Fräulein versprechen müssen, nicht eher von Euch zu weichen, als bis Ihr dem bündischen Heer Valet gesagt habt!“
„Und dann?“ fragte Georg.
„Und dann gehe ich stracks nach Lichtenstein und bringe ihr die gute Nachricht von Euch; wie wird sie sich sehnen! Alle Tage steht sie wohl im Gärtchen auf dem Felsen und sieht ins Thal hinab, ob der alte Hans noch nicht kommt!“
„Die Freude soll ihr bald werden“, antwortete Georg, „vielleicht reite ich schon morgen, und dann schreibe ich vorher noch ein Brieflein.“
„Aber greifet es doch klug an“, sagte der Bote, „das Pergament darf nicht breiter sein als jenes, das ich brachte. Denn ich muß es wieder im Kniegürtel verstecken. Man weiß nicht, was einem in so unruhiger Zeit begegnen kann, und dort sucht es niemand.“
[120] „Es sei so“, antwortete Georg, indem er aufstand. „Für jetzt lebe wohl, um Mittag komme zu Herrn von Kraft, nicht weit vom Münster. Gib dich für meinen Landsmann aus Franken aus, denn die Ulmer sind den Württembergern nicht grün.“
„Sorgt nicht, Ihr sollt zufrieden sein“, rief Hans dem Scheidenden zu. Er sah dem schlanken Jüngling nach und gestand sich, daß das holde Pflegekind seiner Schwester keine üble Wahl getroffen habe, wenn auch die rosigen Wangen des Kindes bei der ersten Liebe der Jungfrau etwas von ihren blühenden Farben verloren hatten.
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