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Lichtenstein/Erster Teil/VII

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Kapitel VI Lichtenstein von Wilhelm Hauff
Erster Teil, Kapitel VII
Kapitel VIII
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[99]

VII.


 „Und wie ein Geist schlingt um den Hals
 Das Liebchen sich herum:
 ‚Willst mich verlassen, liebes Herz,
 Auf ewig?‘ und der bittre Schmerz
 Macht’s arme Liebchen stumm.“
 Schubart.[1]


Sinnend und traurig saß Georg am Mittag nach dem festlichen Abend in seinem Gemach. Er hatte Breitenstein besucht und wenig Tröstliches für seine Hoffnungen erfahren. Der Kriegsrat hatte sich an diesem Morgen versammelt, und unwiderruflich war der Krieg beschlossen worden. Zwölf Edelknaben waren, die Absagebriefe des Herzogs von Bayern, der Ritterschaft und gesamter Städte an ihre Lanzen geheftet, zum Göcklinger Thor hinausgejagt, um die Feindesbotschaft dem Württemberger nach Blaubeuren zu bringen. Auf den Straßen rief man einander fröhlich diese Nachricht zu, und die Freude, daß es jetzt endlich ins Feld gehen werde, stand deutlich auf allen Gesichtern geschrieben. Nur Einen traf diese Kunde wie das schreckliche Machtwort seines Schicksals. Der Gram trieb ihn aus dem Kreise der fröhlichen Gesellen, die jetzt den Weinstuben zuzogen, um in lautem Jubel das Geburtsfest des Krieges zu begehen und das Los künftiger Siege im Würfelspiel zu belauschen. Ach! ihm waren ja schon die Würfel [100] gefallen! ein blutiges Schlachtfeld dehnte sich zwischen ihm und seiner Liebe aus, sie war ihm auf lange, vielleicht auf ewig verloren.

Eilige Tritte, welche die Treppe heraufstürmten, weckten ihn aus seinem Brüten. Der Ratsschreiber steckte den Kopf in die Thüre. „Glück auf, Junker!“ rief er, „jetzt hebt der Tanz erst recht an. Aber Ihr wißt es vielleicht noch gar nicht? der Krieg ist angekündigt, schon vor einer Stunde sind unsere Absageboten ausgeritten.“

„Ich weiß es“, antwortete sein finsterer Gast.

„Nun, und hüpft Euch das Herz nicht freier? Habt Ihr auch gehört – nein, das könnt Ihr nicht wissen“, fuhr Dieterich fort, indem er zutraulich näher zu ihm trat, „daß die Schweizer bereits abziehen?“

„Wie, sie ziehen?“ unterbrach ihn Georg, „also hat der Krieg schon ein Ende?“

„Das möchte ich nicht gerade behaupten“, fuhr der Ratsschreiber bedenklich fort, „der Herzog von Württemberg ist noch ein junger, mutiger Herr und hat noch Ritter und Dienstleute genug. Zwar wird er wohl keine offene Feldschlacht mehr wagen, aber er hat feste Städte und Burgen. Da ist einmal der Höllenstein und darin Stephan von Lichow, ein Mann wie Eisen. Da ist Göppingen, das Philipp von Rechberg auch nicht auf den ersten Stückschuß ergeben wird; da ist Schorndorf, Rothenberg und Asperg, da ist vor allem Tübingen, das er tüchtig befestigt hat. Es wird noch mancher ins Gras beißen, bis Ihr Eure Rosse im Neckar tränket.

Nun, nun!“ fuhr er fort, als er sah, daß seine Nachrichten die finstere Stirne seines schweigenden Gastes nicht aufheitern konnten. „Wenn Ihr diese kriegerischen Botschaften nicht freundlich aufnehmet, so schenkt Ihr vielleicht einem friedlicheren Auftrag ein geneigtes Ohr. Sagt einmal, habt Ihr nicht irgendwo eine Base?“

„Base? ja, warum fragt Ihr?“

„Nun sehet, jetzt erst verstehe ich die verwirrten Reden, die vorhin Bertha vorbrachte. Als ich aus dem Rathaus kam, winkte [101] sie mir hinauf und befahl mir, meinen Gast heute nachmittag in ihren Garten an der Donau zu führen. Marie habe Euch etwas sehr Wichtiges an Eure Base, die sie sehr gut kenne, aufzutragen. Ihr müßt mir schon den Gefallen thun, mitzugehen. Solche Geheimnisse und Aufträge sind zwar gewöhnlich nicht weit her und ich wollte wetten, sie geben Euch ein Müsterlein für den Webstuhl oder eine Probe feiner Wolle, oder ein tiefes Geheimnis der Kochkunst, oder gar ein paar Körnlein von einer seltenen Blume mit, denn Marie ist eine große Gärtnerin – doch, wenn Ihr gestern an dem Mädchen Gefallen gefunden habt, gehet Ihr wohl selbst gerne mit.“

Mitten in den schmerzlichen Gedanken an die Scheidestunde mußte Georg über die List der Mädchen lachen; freundlich bot er dem guten Boten die Hand und schickte sich an, ihn in den Garten zu begleiten.

Dieser lag an der Donau, ungefähr zweitausend Schritte unter der Brücke; er war nicht groß, zeugte aber von Sorgfalt und Fleiß. Die schönen Obstbäume waren zwar noch nicht belaubt, und die in wunderlichen Formen abgestochenen Beete hatten noch keine Blumen, aber ein langer Taxusgang, der an dem Ufer des Flusses sich hinzog und in eine geräumige Laube endete, gab durch sein helles Grün einen lebhaften Anblick und hinlänglichen Schutz gegen die einem weißen Hals und schönen Armen so gefährlichen Strahlen der Märzsonne. Dort, auf dem breiten, bequemen Steinsitze, wo die Lücken der Laube eine freie Aussicht die Donau hinauf und hinab gewährten, hatten die Mädchen unter mancherlei Gesprächen der jungen Männer geharrt.

Marie saß traurig, in sich gekehrt; sie hatte den schönen Arm auf eine Lücke der Laube aufgestützt und das von Gram und Thränen müde Köpfchen in die Hand gelegt. Ihr dunkles, glänzendes Haar hob die Weiße ihres Teint um so mehr heraus, als stiller Kummer ihre Wangen gebleicht und schlaflose Nächte dem lieblichen blauen Auge seinen sonst so überraschenden Glanz geraubt und ihm einen matteren, vielleicht nur um so anziehenderen Schimmer von Melancholie gegeben hatten. Das vollendete Bild fröhlichen Lebens, saß die frische, runde, rosige Bertha neben ihr. Wie [102] ihre gelblichen Locken mit Mariens dunklen Haaren, ihr rundes, frisches Gesichtchen mit den ovalen, schärferen Formen ihrer Base, wie ihre freundlichen, beweglichen hellbraunen Augen in auffallendem Kontrast stunden mit dem sinnenden, geistvollen Blick Mariens: so wurde auch jede ihrer raschen, lebhaften Bewegungen zum Gegensatz gegen jene stille Trauer.

Bertha schien ihre rosigste Laune hervorgeholt zu haben, um ihre Base zu trösten oder doch ihren großen Schmerz zu zerstreuen. Sie erzählte und schwatzte, sie lachte und ahmte die Gebärde und Sprache vieler Leute nach, sie versuchte alle jene tausend kleinen Künste, womit die Natur ihre fröhliche Tochter ausstattete; aber wir glauben, daß sie wenig ausrichtete, denn nur hie und da gleitete ein wehmütiges, schnell verschwebendes Lächeln über Mariens feine Züge hin.

Endlich ergriff sie, als gar nichts mehr helfen wollte, ihre Laute, die in der Ecke stand. Marie besaß auf diesem Instrument große Fertigkeit, und Bertha hätte sich sonst nicht leicht bewegen lassen, vor der Meisterin zu spielen. Doch heute hoffte sie durch ihr Geklimper wenigstens ein Lächeln ihrer Base zu entlocken. Sie setzte sich mit großem Ernste nieder und begann:

„Fragt mich jemand, was ist Minne?
Wüßt’ ich gern auch darum meh(r).
Wer nun recht darüber sinne
Sag’ mir, warum thut sie weh?
Minne ist Liebe, thut sie wohl;
Thut sie weh, heißt sie nicht Minne.
O, dann weiß ich, wie sie heißen soll.“[2]

„Wo hast du dies alte, schwäbische Liedchen her?“ fragte Marie, die der einfachen Musik und dem lieblichen Text gerne ihr Ohr lieh.

„Nicht wahr, es ist hübsch? aber es kommt noch viel hübscher, wenn du hören willst“, antwortete Bertha; „das hat mich in Nürnberg ein Meistersänger, Hans Sachs[3], gelehrt, es ist übrigens [103] nicht von ihm, sondern von Walther von der Vogelweide, der wohl vor dreihundert Jahren gelebt und geliebt hat. Höre nur weiter:

Ob ich recht erraten könne,
Was die Minne sei? so sprecht ja;
Minne ist zweier Herzen Wonne;
Teilen sie gleich, so ist sie da.
Doch – soll ungeteilt sein,
So kann ein Herz allein sie nicht enthalten;
Willst du mir helfen, traute Jungfrau mein?

Nun, hast du geteilt mit dem armen Junker?“ fragte die schelmische Bertha ihre errötende Base. „Vetter Kraft möchte gerne auch mit mir teilen, einstweilen kann er aber seinen ganzen Part allein tragen. Doch du wirst mir wieder ernst, ich muß schon noch ein Liedchen des alten Herrn Walthers singen:

Ich weiß nicht, wie es damit geschah,
Meinem Auge ist’s noch nie geschehen,
Seit ich sie in meinem Herzen sah,
Kann ich sie auch ohne Augen sehen;
Da ist doch ein Wunder mit geschehen,
Denn wer gab es, daß es ohne Augen
Sie zu aller Zeit mag sehen?

Wollt ihr wissen, was die Augen sein,
Womit ich sie sehe durch alle Land,
Es sind die Gedanken des Herzens mein,
Damit schau’ ich durch Mauer und Wand,
Und hüten diese sie noch so gut,
Es schauen sie mit vollen Augen
Das Herz, der Wille und mein Mut.“[4]

Marie lobte das Lied des Herrn Walther von der Vogelweide als einen guten Trost beim Scheiden; Bertha bestätigte es. „Ich weiß noch einen Reim“, sagte sie lächelnd, und sang:

„Und zog sie auch weit in das Schwabenland,
Seine Augen schauen durch Mauer und Wand,

[104]

Seine Blicke bohren durch Fels und Stein,
Er schaut durch die Alb nach dem Lichtenstein!“

Als Bertha noch im Nachspiel zu ihrem Liedchen begriffen war, ging die Gartenpforte; Männertritte tönten den Gang herauf, und die Mädchen standen auf, die Erwarteten zu empfangen.

„Herr von Sturmfeder“, begann Bertha nach den ersten Begrüßungen, „verzeihet doch, daß ich es wagte, Euch in meines Vaters Garten einzuladen; aber meine Base Marie wünscht Euch Aufträge an eine Freundin zu geben. – Nun, und daß wir andern nicht zu kurz kommen“, setzte sie zu Herrn Kraft gewandt hinzu, „so wollen wir eines plaudern und den Abendtanz von gestern mustern.“ Damit ergriff sie ihres Vetters Hand und zog ihn mit sich den Gang hinab.

Georg hatte sich zu Marie auf die Bank gesetzt. Sie lehnte sich an seine Brust und weinte heftig. Die süßesten Worte, die er ihr zuflüsterte, vermochten nicht, ihre Thränen zu stillen. „Marie“, sagte er, „du warst ja sonst so stark, wie kannst du nun gerade jetzt allen Glauben an ein besseres Geschick, alle Hoffnung aufgeben?“

„Hoffnung?“ fragte sie wehmütig, „mit unserer Hoffnung, mit unserem Glück ist es für ewig aus.“

„Siehe“, antwortete Georg, „eben dies kann ich nicht glauben; ich trage die Gewißheit unserer Liebe in mir so innig, so tief, und ich sollte jemals glauben, daß sie untergehen könne?“

„Du hoffst noch? So höre mich ganz an. Ich muß dir ein tiefes Geheimnis sagen, an dem das Leben meines Vaters hängt. Mein Vater ist so sehr ein bitterer Feind des Bundes, als er ein Freund des Herzogs ist; er ist nicht nur deswegen hier, um sein Kind heimzuholen, nein, er sucht die Plane des Bundes zu erforschen und mit Geld und Rede zu verwirren. Und glaubst du, ein so bitterer Gegner des Bundes werde seine einzige Tochter einem Jüngling geben, der in unserem Verderben sich emporzuschwingen sucht? Einem, der sich an Menschen anschließt, die kein Recht, sondern nur Raub suchen?“

„Dein Eifer führt dich zu weit, Marie“, unterbrach sie der [105] Jüngling; „du mußt wissen, daß mancher Ehrenmann in diesem Heere dient.“

„Und wenn dies wäre“, fuhr jene eifrig fort, „so sind sie betrogen und verführt, wie auch du betrogen bist.“

„Wer sagt dir dies so gewiß“, entgegnete Georg, welcher errötete, die Partei, die er ergriffen, von einem Mädchen so erniedrigt zu sehen, obgleich er ahnete, daß sie so unrecht nicht habe; „wer sagt dir dies so gewiß? Kann nicht dein Vater auch verblendet und betrogen sein? Wie mag er nur mit so vielem Eifer die Sache dieses stolzen, herrschsüchtigen Mannes führen, der seine Edlen ermordet, der seine Bürger in den Staub tritt, der an seiner Tafel das Mark des Landes verpraßt und seine Bauern verschmachten läßt?“

„Ja, so schildern ihn seine Feinde,“ antwortete Marie, „so spricht man von ihm in diesem Heere, aber frage dort unten an den Ufern des Neckars, ob sie ihren angestammten Fürsten nicht lieben, wenngleich seine Hand zuweilen schwer auf ihnen ruht. Frage jene Männer, die mit ihm ausgezogen sind, ob sie nicht freudig ihr Blut für den Enkel Eberhards geben, ehe sie diesem stolzen Herzog von Bayern, diesen räuberischen Edlen, diesen Städtlern ihr Land abtreten.“[5]

Georg schwieg eine Zeitlang nachdenklich; „aber wie entschuldigen denn diese warmen Verteidiger den Mord des Hutten?“ fragte er.

„Ihr sprecht immer von eurer Ehre“, antwortete Marie, „und wollt nicht leiden, daß ein Herzog seine Ehre verteidige? Hutten ist nicht meuchelmörderisch gefallen, wie seine Anhänger in alle Welt ausgeschrieen haben, sondern im ehrlichen Kampfe, worin der Herzog selbst sein Leben einsetzte. Ich will nicht alles verteidigen, was er that; aber man soll nur auch bedenken, daß ein junger Herr, wie der Herzog, von schlechten Räten umgeben, nicht immer weise handeln kann. Aber er ist gewiß gut, und wenn du wüßtest, wie mild, wie leutselig er sein kann!“

„Es fehlt nur noch, daß du ihn auch den schönen Herzog [106] nennst“, sagte Georg bitter lächelnd, „du wirst reichen Ersatz finden für den armen Georg, wenn er es der Mühe wert hält, mein Bild aus deinem Herzen zu verdrängen.“

„Wahrlich, dieser kleinlichen Eifersucht habe ich dich nicht fähig gehalten“, antwortete Marie, indem sie sich mit Thränen des Unmuts, im Gefühl gekränkter Würde abwandte. „Glaubst du denn, das Herz eines Mädchens könne nicht auch warm für die Sache ihres Vaterlandes schlagen?“

„Sei mir nicht böse“, bat Georg, der mit Reue und Beschämung einsah, wie ungerecht er sei, „gewiß, es war nur Scherz!“

„Und kannst du scherzen, wo es unser ganzes Lebensglück gilt?“ entgegnete Marie; „morgen will der Vater Ulm verlassen, weil der Krieg entschieden ist; wir sehen uns vielleicht lange, lange nicht mehr, und du magst scherzen? Ach, wenn du gesehen hättest, wie ich so manche Nacht mit heißen Thränen zu Gott flehte, er möge dein Herz hinüber auf unsere Seite lenken, er möge uns vor dem Unglück bewahren, auf ewig getrennt zu sein, gewiß, du könntest nicht so grausam scherzen!“

„Er hat es nicht zum Heil gelenkt“, antwortete Georg, düster vor sich hinblickend.

„Und sollte es nicht noch möglich sein“, sprach Marie, indem sie seine Hand faßte und mit dem Ausdruck bittender Zärtlichkeit, mit der gewinnenden Sanftmut eines Engels ihm ins Auge sah, „sollte es nicht noch möglich sein? Komm mit uns, Georg, wie gerne wird der Vater einen jungen Streiter seinem Herzog zuführen. Ein Schwert wiegt viel in solchen Zeiten, sagte er oft, er wird es dir hoch anschlagen, wenn du ihm folgst, an seiner Seite wirst du kämpfen, mein Herz wird dann nicht zerrissen, nicht geteilt sein zwischen jenseits und diesseits; mein Gebet, wenn es um Glück und Sieg fleht, wird nicht zitternd zwischen beiden Heeren irren!“

„Halt ein!“ rief der Jüngling und bedeckte seine Augen, denn der Sieg der Überzeugung strahlte aus ihren Blicken, die Gewalt der Wahrheit hatte sich auf ihren süßen Lippen gelagert. „Willst du mich bereden, ein Überläufer zu werden? Gestern zog ich mit dem Heere ein, heute wird der Krieg erklärt, und morgen soll ich [107] zu dem Herzog hinüberreiten? Kann dir meine Ehre so gleichgültig sein?“

„Die Ehre?“ fragte Marie, und Thränen entstürzten ihrem Auge; „sie ist dir also teurer als deine Liebe? wie anders klang es, als mir Georg ewige Treue schwur. Wohlan! sei glücklicher mit ihr als mit mir! Aber möge dir, wenn dich der Herzog von Bayern auf dem Schlachtfeld zum Ritter schlägt, weil du in unsern Fluren am schrecklichsten gewütet, wenn er dir ein Ehrenkettlein umhängt, weil du Württembergs Burgen am tapfersten gebrochen, möge dir der Gedanke deine Freude nicht trüben, daß du ein Herz brachst, das dich so treu, so zärtlich liebte!“

„Geliebte!“ antwortete Georg, dessen Brust widerstreitende Gefühle zerrissen, „dein Schmerz läßt dich nicht sehen, wie ungerecht du bist. Doch es sei! daß du siehest, daß ich den Ruhm, der mir so freundlich winkte, der Liebe zum Opfer zu bringen weiß, so höre mich: Hinüber zu euch darf ich nicht. Aber ablassen will ich von dem Bunde, möge kämpfen und siegen wer da will – mein Kampf und Sieg war ein Traum, er ist zu Ende!“

Marie sandte einen Blick des Dankes zum Himmel und belohnte die Worte des jungen Mannes mit süßem Lohne. „O glaube mir“, sagte sie, „ich fühle, wie viel dich dieses Opfer kosten muß. Aber siehe mir nicht so traurig an dein Schwert hinunter; wer frühe entsagt, der erntet schön, sagt mein Vater, es muß uns doch auch einmal die Sonne des Glückes scheinen. Jetzt kann ich getrost von dir scheiden; denn wie auch der Krieg sich enden mag, du kannst ja frei vor meinen Vater treten, und wie wird er sich freuen, wenn ich ihm sage, welch schweres Opfer du gebracht hast!“

Berthas helle Stimme, die der Freundin ein Zeichen gab, daß der Ratsschreiber nicht mehr zurückzuhalten sei, schreckte die Liebenden auf. Schnell trocknete Marie die Spuren ihrer Thränen und trat mit Georg aus der Laube.

„Vetter Kraft will aufbrechen“, sagte Bertha, „er fragt, ob der Junker ihn begleiten wolle?“

„Ich muß wohl, wenn ich den Weg nach Hause nicht verfehlen soll“, antwortete Georg; so teuer ihm die letzten Augenblicke vor einer langen Trennung von Marie gewesen wären, so kannte [108] er doch die strenge Sitte seiner Zeit zu gut, als daß er ohne den Vetter, als Landfremder, bei den Mädchen geblieben wäre.

Schweigend gingen sie den Garten hinab, nur Herr Dieterich führte das Wort, indem er in wohlgesetzten Worten seinen Jammer beschrieb, daß seine Base morgen schon Ulm verlassen werde. Aber Bertha mochte in Georgs Augen gelesen haben, daß ihm noch etwas zu wünschen übrigbleibe, wobei der uneingeweihte Zeuge überflüssig war; sie zog den Vetter an ihre Seite und befragte ihn so eifrig über eine Pflanze, die gerade zu seinen Füßen mit ihren ersten Blättern aus der Erde sproßte, daß er nicht Zeit hatte, zu beobachten, was hinter seinem Rücken vorgehe.

Schnell benützte Georg diesen Augenblick, Marien noch einmal an sein Herz zu ziehen, aber das Rauschen von Mariens schwerem seidenen Gewande, Georgs klirrendes Schwert weckten den Ratsschreiber aus seinen botanischen Betrachtungen; er sah sich um, und o Wunder! er erblickte die ernste, züchtige Base in den Armen seines Gastes.

„Das war wohl ein Gruß an die liebe Base in Franken?“ fragte er, nachdem er sich von seinem Erstaunen erholt hatte.

„Nein, Herr Ratsschreiber“, antwortete Georg, „es war ein Gruß an mich selbst, und zwar von der, die ich einst heimzuführen gedenke. Ihr habt doch nichts dagegen, Vetter?“

„Gott bewahre! ich gratuliere von Herzen“, antwortete Herr Dieterich, der von dem ernsten Blick des jungen Kriegsmannes und von Mariens Thränen etwas eingeschüchtert wurde. „Aber der Tausend, das heiß’ ich veni, vidi, vici; ich scherwenzte schon ein Vierteljahr um die Schöne und habe mich kaum eines Blickes erfreuen können. Und heute muß ich nun gar den Marder selbst herausführen, der mir das Täubchen vor dem Mund wegstiehlt.“

„Verzeihe den Scherz, Vetter, den wir uns mit dir machten“, fiel ihm Bertha ins Wort, „sei vernünftig und laß dir die Sache erklären.“ Sie sagte ihm, was er zu wissen brauchte, um gegen Mariens Vater zu schweigen. Mehr durch die freundlichen Blicke Berthas besänftigt, versprach er zu schweigen, unter der Bedingung, setzte er schalkhaft hinzu, daß sie etwa auch einen solchen Gruß an ihn bestelle.

[109] Bertha verwies ihm, wiewohl nicht allzu strenge, seine unartige Forderung und fragte ihn neckend an der Gartenthüre noch einmal um die Naturgeschichte des ersten Veilchens, das die Sonne hervorgelockt hatte. Er war gutmütig genug, eine lange und gelehrte Erklärung darüber zu geben, ohne weder durch Mariens leises Weinen, noch durch Georgs klirrendes Schwert sich unterbrechen zu lassen. Ein dankender Blick Mariens, ein freundlicher Handschlag von Bertha belohnte ihn dafür beim Scheiden, und noch lange wehten die Schleier der schönen Bäschen über den Gartenzaun hin den Scheidenden nach.



  1. Vierte Strophe aus Christian Friedr. Daniel Schubarts (1739–91) Kaplied: „Auf, auf! ihr Brüder, und seid stark etc.“
  2. Diese und die folgende Strophe beginnen das Lied Walthers von der Vogelweide: „Saget mir ieman, waz ist minne?“ (Bei Lachmann, S. 69.)
  3. Hans Sachs (1494–1576) hatte sich 1516 in Nürnberg als Schuhmachermeister niedergelassen.
  4. Dritte und vierte Strophe von Walthers Lied:
    „Summer unde winter beide sint etc.“ (Lachmann, S. 99.)
  5. Vgl. Anmerkung (18).
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