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Lichtenstein/Zweiter Teil/IX

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Kapitel VIII Lichtenstein von Wilhelm Hauff
Zweiter Teil, Kapitel IX
Kapitel X
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[257]

IX.


 „Herrengunst, Aprilenwetter,
 Frauenlieb’ und Rosenblätter,
 Würfel, Karten, Federspiel,
 Verkehren sich oft, wer’s glauben will.“
 Altes Sprichwort.


Als Georg die Thüre öffnete, richtete sich aus einer sehr gebückten Stellung die hagere, knöcherne Gestalt der Frau Rosel auf. Es war dies eine jener alten Dienerinnen, die, wenn sie von früher [258] Jugend an in einer Familie bleiben, sich einbürgern, in die Familie verwachsen und gleichsam ein notwendiger Zweig davon werden. Sie hatte ihre Nützlichkeit besonders nach dem Tode der Frau von Lichtenstein erprobt, wo sie Marie mit großer Sorgfalt pflegte und aufzog. Sie war so von einer Zofe zur Kindsfrau, von der Kindsfrau zur Haushälterin, von diesem Posten zu Mariens Oberhofmeisterin und Vertrauten avanciert. Sie hatte aber wie ein kluger Feldherr sich den Rücken gesichert, sie hatte jene Posten, aus denen sie in die höheren Stellen vorgerückt war, nicht wieder besetzen lassen, sondern verwaltete sie alle zusammen, wie sie behauptete, mit großer Gewissenhaftigkeit, und weil es doch sonst niemand verstehe. Sie hatte durch diesen Kunstgriff und durch ihre lange Dienstzeit die Zügel der häuslichen Regierung an sich gebracht, das Gesinde ging und kam nach ihrem Blick und sie gab zu verstehen, daß sie beim Herrn alles gelte, obgleich seine ganze Gnade nur darin bestand, daß er sie nicht in Gegenwart der übrigen auszankte.

Mit dem Fräulein lebte sie in neuern Zeiten nicht mehr im besten Verhältnis. Sie hatte in den Tagen der Kindheit und ersten Jugend ihr ganzes Vertrauen besessen; noch in Tübingen war sie wenigstens halb ins Geheimnis ihrer Liebe gezogen, und Frau Rosel nahm wirklich so thätigen Anteil an allem, was ihr Fräulein betraf, daß sie gesagt hätte: „Wir lieben den Herrn von Sturmfeder aufs zärtlichste, oder – uns will das Herz beinahe brechen, weil wir scheiden müssen.“

Diesem Vertrauen machten aber zwei Dinge ein Ende. Das Fräulein bemerkte, daß Frau Rosel zu gerne schwatze, sie war ihr auf der Spur, daß sie sogar von ihrem Verhältnis zu Georg geplaudert habe. Sie war daher von jetzt an kälter gegen die Alte, und Frau Rosel merkte den Augenblick, warum dies so geschehe. Als aber bald darauf die Reise nach Ulm angetreten wurde, als Frau Rosel, obgleich sie sich einen neuen Rock von Fries und eine köstliche Haube von Brokat hierzu verfertigt hatte, auf höheren Befehl in Lichtenstein bleiben mußte, da wurde die Kluft noch weiter, denn die Alte glaubte, das Fräulein habe es beim Vater dahin gebracht, daß sie nicht nach Ulm mitreisen dürfe.

[259] Das Vertrauen wurde nicht hergestellt, als Marie von Ulm zurückkehrte. Frau Rosel zwar, die gerner mit der Herrschaft als dem Gesinde lebte, suchte einigemal Erkundigungen über Herrn Georg einzuziehen und so das alte Verhältnis wieder anzuknüpfen, doch Mariens Herz war zu voll, die Amme ihr zu verdächtig, als daß sie etwas gesagt hätte. Als daher der geächtete Ritter nächtlicherweile ins Schloß kam, als das Fräulein so geheimnisvoll Speisen für ihn bereitete und, wie Frau Rosel glaubte, mit ihm allein war, als sie auch hier nicht mehr ins Geheimnis gezogen wurde, da schüttete sie ihr Herz gegen die Frau Wirtin in Pfullingen aus, und es war Georg nicht so ganz zu verdenken, daß er jenen Worten traute, kannte er ja doch Frau Rosel nur als Vertraute ihres Fräuleins, wußte er ja doch nicht, wie dieses Verhältnis indessen so anders sich gestaltet habe.

Frau Rosel war im Sonntagsstaat mit ihrer Dame diesen Morgen in die Kirche gewallfahrtet. Sie hatte ihre Sünden, worunter Neugierde ziemlich weit obenan stand, dem Priester gebeichtet, auch Absolution dafür erhalten und war mit so viel leichterem Herz und Gewissen auf den Lichtenstein zurückgekehrt, als sie vorher schwer und unter der Last der Sünden seufzend hinabgestiegen war. Die salbungsvollen Worte des Paters mochten aber doch nicht so tief gedrungen sein, um ihre Sünden mit der Wurzel auszurotten, denn als sie in ihr Kämmerlein hinaufstieg, um Rosenkranz und Sonntagsschmuck abzulegen, hörte sie ihr Fräulein und eine tiefe Männerstimme heftig miteinander sprechen, es wollte ihr sogar bedünken, ihr Fräulein weine.

„Sollte er wohl bei Tag hier sein, weil der Alte ausgeritten?“ dachte sie; die natürliche Menschenliebe und ein zartes Mitgefühl zog ihr Auge und Ohr ans Schlüsselloch und sie vernahm in abgebrochenen Worten den Streit, dessen Zeugen auch wir gewesen sind.

Der junge Mann hatte die Thüre so rasch geöffnet, daß sie nicht mehr Zeit gehabt hatte, sich zu entfernen, sondern kaum noch aus ihrer gebückten Stellung am Schlüsselloch auftauchen konnte. Doch sie wußte sich zu helfen in solchen mißlichen Fällen, sie ließ Georg nicht an sich vorüber, ließ beide nicht zum Wort [260] kommen, sie ergriff die Hände des jungen Mannes und überströmte ihn mit einem Schwall von Worten:

„Ei, du meine Güte! hätt’ ich g’laubt, daß meine alten Augen den Junker von Sturmfeder noch schauen würden. Und ich mein’, Ihr sind noch schöner worden und größer, seit ich Euch nimmer sah! Hätt’ ich das gewußt! Steh da, wie ein Stock an der Thür, denke, ei! wer spricht jetzt mit der gnädigen Fräulein? Der Herr ist’s nicht; von den Knechten ist’s auch keiner! Ei, was man nicht erlebt! jetzt ist’s der Junker Georg, der da drin spricht!“

Georg hatte sich während dieser Reden der Frau Rosel vergeblich von ihr loszumachen gesucht. Er fühlte, daß es sich nicht gezieme, vor ihr zu zeigen, daß er auf Marien zürne, und doch glaubte er keinen Augenblick mehr bleiben zu können. Er rang endlich eine Hand aus der knöchernen Faust der Alten, aber indem er sie frei fühlte, hatte sie auch schon Marie ergriffen, hatte sie, ohne auf Frau Rosels höhnisches Lächeln zu achten, an ihr Herz gedrückt; er war bei dieser Bewegung einem ihrer Blicke begegnet, die ihn auf ewig zu bannen schienen. Jetzt aber erwachte in ihm ein neuer Kampf, eine neue Verlegenheit. Er fühlte seinen Unmut schwinden, er fühlte, daß es Marie nicht so bös mit ihm gemeint habe – wie sollte er aber jetzt mit Ehren zurückkehren? Wie sollte er so ganz ungekränkt scheinen? Wäre er mit Marien allein gewesen, so war es vielleicht noch eher möglich, aber vor diesem Zeugen, vor der wohlbekannten Frau Rosel umzukehren, sich durch einen Händedruck, durch einen Blick erweichen lassen und gefangen geben? Er schämte sich vor diesem Weib, weil er sich vor sich selbst schämte, und wir haben gehört, daß dieses Gefühl der Scham, die Ungewißheit, wie man, ohne zu erröten, zurückkehren könne, schon oft aus einer kurzen Trennung in Unmut eine dauernde gemacht und die schönsten Verhältnisse gebrochen habe.

Frau Rosel hatte sich einige Augenblicke an der Angst, an dem Gram ihres Fräuleins geweidet, dann aber siegte die ihr angeborne Gutmütigkeit über die kleine Schadenfreude, die in ihr aufgestiegen war. Sie faßte die Hand des Junkers fester: „Ihr werdet uns doch nicht schon wieder verlassen wollen, nachdem Ihr kaum ein Stündchen auf dem Lichtenstein verweilt habt? Ehe Ihr [261] etwas zu Mittag gegessen, läßt Euch die alte Rosel gar nicht weiter, das ist gegen alle Sitte des Schlosses. Und den Herrn habt Ihr wahrscheinlich auch noch nicht begrüßt?“

Es war schon ein großer Gewinn für Mariens Sache, daß Georg sprach: „Ich habe ihn schon gesprochen, dort stehen noch die Becher, die wir zusammen leerten.“

„Nun?“ fuhr die Alte fort, „da werdet Ihr wohl noch nicht von ihm Abschied genommen haben?“

„Nein, ich sollte ihn im Schloß erwarten.“

„Ei, wer wird dann gehen wollen“, sagte sie und drängte ihn sanft in das Zimmer zurück, „das wär’ mir eine schöne Sitte. Der Herr könnte ja wunder meinen, was für einen sonderbaren Gast er beherbergte. Wer bei Tag kommt“, setzte sie mit einem stechenden Blick auf das Fräulein hinzu, „wer beim hellen Tag kommt, hat ein gut Gewissen und darf sich nicht wegschleichen wie der Dieb in der Nacht.

Marie errötete und drückte die Hand des Jünglings, und unwillkürlich mußte dieser lächeln, wenn er an den Irrtum der Alten dachte und die strafenden Blicke sah, die sie auf Marien warf.

„Ja, ja, wie ich sagte“, fuhr Frau Rosel fort, „braucht Euch nicht wegzustehlen wie der Dieb in der Nacht. Wäre vielleicht besser gewesen, Ihr wäret schon früher gekommen; im Sprichwort heißt es: ‚Sieh für dich, Irren ist mißlich‘ und ‚Wer will haben Ruh’, bleib bei seiner Kuh!‘ Aber ich will nichts gesagt haben.“

„Nun ja“, sagte Marie, „du siehst, er bleibt da; was willst du nur mit deinen Reden und Sprüchlein? Du weißt selbst, sie passen nicht immer.“

„So? aber bisweilen treffen sie doch einen, dem es nicht lieb ist; aber ‚Reu’ und guter Rat ist unnütz nach geschehener That.‘ Ich weiß schon, Undank ist der Welt Lohn, ich kann ja schweigen; ‚Wer will haben gute Ruh’, der seh’ und hör’ und schweig’ dazu.‘“

„Nun, so schweige immerhin“, entgegnete das Fräulein etwas gereizt, „übrigens wirst du wohlthun, wenn du den Vater nicht geradezu merken läßt, daß du Herrn von Sturmfeder schon kennst; es wäre möglich, er könnte glauben, er sei wegen uns nach Lichtenstein gekommen.“

[262] Frau Rosel kämpfte zwischen guter und böser Laune. Es that ihr wohl, daß man sie brauche, daß man Stillschweigen von ihr erbitten müsse; auf der andern Seite war sie noch unwill darüber, daß das Fräulein in neuerer Zeit so wenig Vertrauen in sie gesetzt habe. Sie murmelte daher nur einige unverständliche Worte vor sich hin, indem sie die Stühle wieder an die Wände stellte, die Becher von dem Tisch nahm und die Flecken abwischte, die der Wein auf der Schieferplatte, womit der Tisch eingelegt war, zurückgelassen hatte. Marie gab Georg, der sich an ein Fenster gestellt hatte und noch nicht völlig mit sich und der Geliebten ausgesöhnt schien, einen Wink, den er nicht unbeachtet ließ. Ihm selbst war viel daran gelegen, daß Mariens Vater noch nichts um ihre Liebe wußte, er fürchtete, jener möchte es als einziges Motiv seines Übertritts zu Württemberg ansehen, er möchte ihn darum weniger günstig beurteilen, als er bisher gethan. Dies erwägend, näherte sich Georg der alten Frau Rosel; er klopfte ihr traulich auf die Schultern, und ihre Züge hellten sich zusehends auf. „Man muß gestehen“, sagte er freundlich, „Frau Rosalie hat eine schöne Haube; aber dies Band paßt doch wahrlich nicht dazu, es ist alt und verschossen.“

„Ei was!“ sagte die Alte etwas ärgerlich, denn sie hatte sich wohl auf eine freundlichere Rede gefaßt gemacht, „was kümmert Euch meine Haube, ein jeder fege vor seiner Thür. ‚Sieh auf dich und auf die Deinen, darnach schilt mich und die Meinen.‘ Ich bin ein armes Weib und kann nicht Staat machen wie eine Reichsgräfin. ‚Wenn alle Leute wären gleich, und wären alle sämtlich reich, und wären all’ zu Tisch gesessen, wer wollt’ auftragen Trinken und Essen?‘“

„Nun, so habe ich’s nicht gemeint“, sagte Georg besänftigend, indem er eine Silbermünze aus seinem Beutelein zog; „aber mir zu Gefallen ändert Frau Rosalie schon ihr Band; und daß meine Forderung nicht gar zu unbillig klingt, wird sie diesen Dickthaler nicht verschmähen!“

Wer hat nicht an einem Oktobertag trotz Sturm und Wolken die Sonne durchdringen und Gewölk und Nebel verjagen sehen? So ging es auch am Horizont der Frau Rosel freundlich auf. Die [263] artige Weise des Junkers, ihr Lieblingsname Rosalie, der ihr viel wohltönender dünkte als das verdorbene Rosel, und endlich der Dickthaler mit dem Krauskopf des Herzogs und dem Wappen von Teck – wie konnte sie so vielen Reizen widerstehen? „Ihr seid doch der alte freundliche Junker!“ sagte sie, indem sie, sich tief verneigend, den Thaler in die ungeheure lederne Tasche an ihrer Seite gleiten ließ und den Saum von Georgs Mantel zum Munde führte. „Gerade so wußtet Ihr es in Tübingen zu machen. Stand ich am Jörgenbrunnen, ging ich von der Burgsteig hinab auf den Markt, richtig rief es hinter mir: ‚Guten Morgen, Frau Rosalie, und wie geht es dem Fräulein?‘ und wie oft und reich habt Ihr mich dort beschenkt; wenigstens zwei Dritteile von dem Rock, den ich hier trage, verdank ich Eurer Gnade!“

„Laß das, gute Frau“, unterbrach sie Georg. „Und was den Herrn betrifft, so wirst du –“

„Was meint Ihr!“ erwiderte sie, indem sie die Augen halb zudrückte. „Habe Euch in meinem Leben nicht gesehen. Nein, da könnt Ihr Euch drauf verlassen. ‚Was ich nicht weiß, macht mich nicht heiß‘, und ‚Was mich nicht brennt, das blase ich nicht!‘“

Sie verließ bei diesen Worten das Zimmer und stieg in den ersten Stock hinab, um dort in der Küche ihr Regiment zu verwalten.

Dankbar und freudig zog sie den Thaler aus der Ledertasche und besah ihn hin und her; sie pries bei sich die Freigebigkeit des wackern Junkers und bedauerte ihn im stillen, daß seine Liebe so schlecht vergolten werde, denn daß es ihr Fräulein mit einem andern habe, war ihr ausgemachte Sache. Vor der Küche stand sie gedankenvoll still. Sie war im Zweifel mit sich, ob sie der Sache ihren Lauf lassen solle, oder ob es nicht besser wäre, dem Junker einige Winke über den nächtlichen Besucher zu geben. „Doch, kommt Zeit, kommt Rat, vielleicht sieht er es selbst und braucht mich nicht dazu. Überdies – ‚Ein Rater in zweier Feinde Mitten, kann es leicht mit beiden verschütten‘; man kann warten und zusehen, denn ‚Hitz’ im Rat, Eil’ in der That, gebären nichts als Schad’‘. ‚Wer will haben gute Ruh’, der seh’ und hör’ und – schweig’ dazu!‘“

[264] Solchen Rat pflog mit sich selbst Frau Rosel vor der Küche; die Liebenden aber, denen diese Beratung galt, hatten sich nach ihrem Abzug bald wieder gefunden. Georg vermochte nicht den bittenden Blicken Mariens zu widerstehen; und als sie mit den süßesten Tönen der Liebe ihn fragte, ob er ihr wieder gut sei, da vermochte er nicht nein zu sagen, und der Friede war, was selten der Fall ist, in kürzerer Zeit wieder geschlossen, als die Fehde begonnen hatte.

Mit hohem Interesse hörte Marie auf Georgs fernere Erzählung, und es gehörte der feste Glaube des jungen Mannes an die Geliebte und sein Vertrauen in das Wort des Geächteten dazu, um nicht von neuem außer Fassung zu kommen. Denn als er beschrieb, wie er auf den Ritter getroffen und sich mit ihm geschlagen habe, da errötete sie, sie richtete sich stolzer auf und drückte die Hand des Geliebten, sie gestand ihm, daß er einen wichtigen Kampf bestanden habe, denn jener Mann sei ein tapferer Kämpe. Und als er erzählte, wie sie hinabgestiegen in die Nebelhöhle, wie sie den Geächteten besuchten, wie er tief unter der Erde in ärmlicher Umgebung doch so groß und erhaben geschienen, da stürzten Thränen aus ihren Augen, sie blickte hinauf zum Himmel, als bete sie im stillen, er möchte das traurige Geschick dieses Mannes wenden, und als er fortfuhr und sagte, was sie gesprochen, und wie der Mann der Höhle sich seinen Freund genannt, wie er sich zu Württembergs Sache, zu der Sache der Unterdrückten und Vertriebenen mit Wort und Handschlag verpflichtet habe, da strahlte Mariens Auge von wunderbarem Glanze, sie sah Georg lange an, er glaubte eine Begeisterung in ihrem Auge, in ihren Zügen zu lesen, die nicht die Freude, daß er ihres Vaters Partie ergriffen habe, allein vorbrachte.

„Georg!“ sagte sie, „es werden viele sein, die dich einst um diese Nacht beneiden werden. Du darfst es dir auch zur Ehre rechnen, denn glaube mir, nicht jeden hätte Hans zu dem Vertriebenen geführt.“

„Du kennst ihn“, erwiderte Georg, „du weißt um sein Geheimnis? O sag mir doch, wer ist er? Ich habe selten einen Mann gesehen, dessen Auge, dessen Miene, dessen ganzes Wesen mich so [265] beherrscht hätte wie dieser. Wo lagen seine Besitzungen, wo ist das Schloß, aus dem er vertrieben ist? Er sagt, er wolle jetzt keinen andern Namen haben als ‚der Mann‘, aber sein Arm, dessen Stärke ich gefühlt, sein heller Blick verbürgte mir, daß er einst einen berühmten Namen in der Welt gehabt haben müsse.“

„Er hatte einen Namen“, antwortete Marie, „einen, der sich mit den besten messen konnte. Aber wenn er dir ihn nicht selbst gesagt hat, so darf ich ihn auch nicht nennen; das wäre gegen mein Wort, das ich darauf gegeben. Herr Georg muß sich also schon noch gedulden“, setzte sie lächelnd hinzu, „so hart es ihn auch ankommt, denn er ist ein neugieriger Herr.“

„Mir kannst du es ja doch sagen“, unterbrach sie Georg; „sind wir nicht eins? Darf das eine ein Geheimnis haben, ohne daß es der andere Teil wissen muß? Schnell! antworte, wer ist der Mann in der Höhle?“

„Werde nicht böse, siehe, wenn es nur mein Geheimnis wäre, so müßtest du es auch wissen und könntest es mit Recht verlangen, aber so – ich weiß zwar, daß es bei dir so sicher wäre als bei mir, aber ich darf nicht.“

Sie sprach noch, als die Thüre aufsprang und eine Dogge von ungeheurer Größe hereinstürzte.[Hauff 1] Georg fuhr unwillkürlich auf, denn einen Hund von solcher Größe und Stärke hatte er nie gesehen. Der Hund stellte sich ihm gegenüber, schaute ihn mit rollenden Augen an und fing an zu murren. Es tönte aus seiner breiten Brust herauf dumpf und hohl wie ein nahender Sturm und die wohlgeordnete Reihe scharfer Zähne, die er vorwies, zeigten ihn als einen Kämpfer, dessen Zorn man nicht reizen dürfe. Ein Wort von Marie reichte hin, ihn ruhig und besänftigt zu ihren Füßen zu legen. Sie streichelte seinen schönen Kopf, aus welchem die klugen Augen noch immer bald nach ihr, bald nach dem Junker spähten: „Er hat Menschenverstand!“ sagte sie lächelnd. „Er kommt, um mich zu warnen, daß ich den Mann in der Höhle nicht verraten soll.“

„Ein herrlicher Hund, wie ich nie einen gesehen! wie er den Kopf so stolz aus dem goldenen Halshand hervorträgt, als gehöre er einem Kaiser oder König!“

[266] „Er gehört ihm, dem Vertriebenen“, erwiderte Marie, „und weil ich auf dem Sprung war, den Namen seines Herrn zu nennen, kam er, mich zu warnen.“

„Warum aber führt der Ritter seinen Hetzer nicht mit sich? wahrlich, ein Arm wie der seine, unterstützt von einem solchen Tier, darf sechs Mörder nicht fürchten.“

„Das Tier ist wachsam“, antwortete sie, „aber wild. Wenn er es in der Höhle unten hätte, so hätte er zwar einen sicheren Schutz; wie aber, wenn durch Zufall ein Mensch in jene Höhle käme? Sie ist so groß, daß man den Mann nicht darin ahnen kann, aber die Dogge würde ihn verraten. Sie würde knurren und anschlagen, sobald sie Tritte hörte, und sein Aufenthalt wäre entdeckt. Darum hat er ihm befohlen, als er wegging, hier zu bleiben, er versteht dies Gebot, und ich sorge für ihn. Er hat ordentlich das Heimweh nach seinem Herrn, und die Freude solltest du sehen, wenn es Nacht wird; er weiß, daß dann sein Herr bald ins Schloß kommt, und wenn die Zugbrücke niederfällt und die Schritte des Mannes auf dem Hofe tönen, da ist er nicht mehr zu halten, er würde sechsfache Ketten zerreißen, um bei ihm zu sein!“

„Ein schönes Bild der Treue! doch ein schöneres noch ist der Mann, dem dieser Hund gehört. Hing er doch ebenso treu an seinem Herrn und ließ sich verbannen und ins Elend jagen; es ist thöricht von mir“, setzte Georg hinzu, „ich weiß, Neugierde steht einem Mann nicht an, aber wissen möchte ich, wer er ist?“

„So gedulde dich doch bis es Nacht wird! Wenn der Mann kommt, will ich ihn fragen, ob du es wissen darfst; ich zweifle nicht, er wird es erlauben.“

„Es ist noch lange bis dahin, und jeden Augenblick muß ich an ihn denken; wenn du mir es nicht sagst, so muß ich mich an den Hund wenden, vielleicht ist er gütiger als du.“

„Versuche es immer“, rief Marie lächelnd, „wenn er sprechen kann, so soll er es nur gestehen.“

„Hör einmal, du ungeheurer Geselle“, wandte sich Georg zu dem Hund, der ihn aufmerksam ansah, „sage mir, wie heißt dein Herr?“

[267] Der Hund richtete sich stolz auf, riß den weiten Rachen auf und brüllte in schrecklichen Tönen „U–u–u!“

Marie errötete. „Laß doch die Possen“, sagte sie und rief den Hund zu sich, „wer wird mit Hunden sprechen, wenn man in menschlicher Gesellschaft ist!“

Georg schien nicht darauf zu hören. „U! hat er gesagt, der gute Hund? der ist darauf geschult, ich wollte alles wetten! es ist nicht das erstemal, daß man ihn fragt: wie heißt dein Herr?“

Kaum hatte Georg die letzten Worte gesprochen, so fing der Hund mit noch greulicheren Tönen als vorher sein U–u–u! zu heulen an. Aufs neue errötete Marie, sie hieß beinahe unwillig den Hund schweigen, er legte sich ruhig zu ihren Füßen.

„Da haben wir’s“, rief Georg lachend, „der Herr heißt U! und fing das sonderbare Wort auf dem Ringe, den mir der Ritter gab, nicht auch mit U an? Ungeheuer! heißt dein Herr vielleicht Uffenheim? oder Uxküll? oder Ulm? oder vielleicht gar –“

„Unsinn! der Hund hat gar keinen anderen Laut als U; wie magst du dir nur Mühe geben, daraus etwas zu folgern; doch hier kommt der Vater den Berg herauf; willst du, daß es ihm verborgen bleibe, so nimm dich zusammen und verrate dich nicht. Ich gehe jetzt, denn es ist nicht gut, wenn er uns beisammen antrifft.“

Georg gelobte es; er umarmte noch einmal die Geliebte und versah sich von ihrem süßen Mund auf viele Stunden, um wenigstens an der Erinnerung sich zu erfreuen, wenn die Gegenwart des Vaters jede zärtlichere Annäherung unmöglich machte. Der Hund des Herrn U – sah verwundert auf die liebliche Gruppe; doch, sei es, daß er wirklich Menschenverstand hatte, oder daß er bei seinem Herrn schon Ähnliches erlebt hatte und einsah, daß der Junker das Fräulein nicht umbringen wolle, er machte keine Miene, seiner Dame zu Hülfe zu kommen, und erst der Hufschlag, der von der Brücke heraufscholl, schreckte die Errötende aus den Armen des glücklichen Jünglings.




Anmerkungen (Hauff)

  1. [299] Diesen merkwürdigen Hund beschreibt Tethinger als einen Liebling Ulerichs ausführlich. A. a. O., S. 1, 58.
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