Lichtenstein/Zweiter Teil/VIII

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Kapitel VII Lichtenstein von Wilhelm Hauff
Zweiter Teil, Kapitel VIII
Kapitel IX
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[247]

VIII.


 „– Und der Graf, gerührt von solches
 Hohen Opfers hohem Geiste
 Bei der Freude süßer Regung,
 Kann der Freundschaft mildem Taue,
 Der durchs Herz ihm, der durchs Auge
 Schon ihm schleicht, nicht widerstehen.“
 P. Conz.[1]


Als die beiden Männer in dem weiten Saale von Lichtenstein allein waren, trat der Alte dicht vor Georg hin und schaute ihn an, als messe er prüfend seine Züge. Ein Strahl von Begeisterung und Freude drang aus seinen Augen, die Melancholie seiner Stirne war verschwunden, er war heiter, fröhlich sogar, wie der Vater, der einen Sohn empfängt, der von langen Reisen zurückkehrt. Endlich stahl sich eine Thräne aus seinem glänzenden Auge, aber es war eine Thräne der Freude, denn er zog den überraschten Jüngling an sein Herz.

„Ich pflege nicht weich zu sein“, sprach er nach dieser feierlichen Umarmung zu Georg, „aber solche Augenblicke überwinden die Natur, denn sie sind selten. Darf ich denn wirklich meinen alten Augen trauen? Trügen die Züge dieses Briefes nicht? Ist dieses Siegel echt und darf ich ihm glauben? doch – was zweifle ich! Hat nicht die Natur Euch ihr Siegel auf die freie Stirne gedrückt? Sind die Züge nicht echt, die sie auf den offenen Brief Eures Gesichtes geschrieben? Nein, Ihr könnet nicht täuschen – die Sache meines unglücklichen Herrn hat einen Freund gefunden?“

„Wenn Ihr die Sache des vertriebenen Herzogs meinet, so habt Ihr recht gesehen, sie hat einen warmen Anhänger gefunden. Der Ruf bezeichnete mir längst den Herrn von Lichtenstein als einen treuen Freund des Herzogs, und ich wäre vielleicht auch ohne den Rat jenes unglücklichen Mannes, der mich zu Euch schickte, gekommen, Euch zu besuchen.“

„Setzet Euch zu mir, junger Freund“, sagte der Alte, dessen Augen immer noch mit Liebe auf dem Jüngling zu ruhen schienen; [248] „setzet Euch hier und höret, was ich sage. Ich liebe es sonst nicht, wenn die Leute ihre Farbe ändern, ich habe in meinem langen Leben gelernt, daß man die Überzeugung eines jeden ehren müsse, und daß ein Mann, wenn er nur sonst reine Absichten hat, nicht gerade deswegen zu verdammen sei, weil er anderer Meinung ist als wir. Aber wenn man seine Farbe mit so uneigennützigen Absichten ändert wie Ihr, Georg von Sturmfeder, wenn man dem Glück den Rücken kehrt, um sich an das Unglück anzuschließen, da hat die Änderung großen Wert, denn sie trägt das Gepräge einer edlen That an der Stirne.“

Georg errötete über sich selbst, als er hörte, wie der Lichtensteiner seine uneigennützigen Absichten pries. War es denn nicht auch die schöne Tochter, was ihn zu der Fahne des Vaters führte? Und mußte er nicht in der Achtung dieses Mannes sinken, wenn über kurz oder lange dieses Motiv seines Übertrittes ans Licht kam? „Ihr seid zu gütig“, antwortete er; „die Absichten eines Menschen liegen oft tiefer verborgen, als man auf den ersten Anblick glaubt; seid versichert, daß mein Übertritt zu Eurer Sache zwar zum Teil von dem empörten Gefühl des Rechtes geleitet wurde; doch könnte es auch einen irdischeren Beweggrund geben, Herr Ritter; und ich möchte nicht, daß Ihr mich für zu gut hieltet, es würde mir um so weher thun, wenn Ihr nachher ungünstiger von mir urteiltet.“

„Ich liebe Euch um dieser Offenheit willen nur noch mehr“, entgegnete der Herr des Schlosses und drückte seinem Gast die Hand. „Doch traue ich meiner Erfahrung und meiner Kenntnis der Gesichter, und von Euch will ich kühn behaupten, daß, wenn Euch auch noch eine andere Absicht leitet, als das Gefühl des Rechtes, diese Absicht doch keine schlechte sein kann. Wer Schlechtes im Schilde führt, ist feig, und wer feig ist, wagt es nicht, den Truchseß, den Herzog von Bayern und den Schwäbischen Bund vor den Kopf zu stoßen und so aufzutreten, wie Ihr aufgetreten seid.“

„Was wisset Ihr von mir“, rief Georg mit freudigem Erstaunen; „habt Ihr denn je von mir gehört vor diesem Augenblick?“

[249] Der Diener, welcher bei diesen Worten die Thüre öffnete, unterbrach die Antwort des alten Herrn; er setzte Wildbret und volle Becher vor Georg hin und schickte sich an, den Gast zu bedienen. Doch ein Wink seines Herrn entfernte ihn aufs neue. „Verschmähet diesen Morgenimbiß nicht“, sagte er zu dem jungen Mann; „den ersten Becher sollte zwar die Hausfrau kredenzen, wie es die angenehme Sitte heischt; aber die meinige ist schon lange tot, und meine einzige Tochter, Marie, die an ihrer Stelle das Hauswesen versiehet, ist ins Dorf hinabgegangen, um am hohen Feste eine Predigt zu hören und die Messe. Nun, Ihr fragtet mich, ob ich noch nie von Euch gehört hatte? Ihr seid ja jetzt unser, daher darf ich Euch wohl sagen, was man sonst verschweigt. Ich war zur Zeit, als Ihr in Ulm einrücktet, in jener Stadt, um meine Tochter abzuholen, die sich dort aufhielt, hauptsächlich aber, um manches zu erfahren, was für den Herzog zu wissen wichtig war; Gold öffnet alle Pforten“, setzte er lächelnd hinzu, „auch die des hohen Rates, und so hörte ich täglich, was die Bundesobersten beschlossen. Als der Krieg erklärt wurde, war ich genötigt, abzureisen; ich hielt aber treue Männer in jener Stadt, die mir auch das Geheimste berichteten, was vorging.“

„War nicht einer davon der Pfeifer von Hardt“, fragte Georg, „den ich bei dem Geächteten traf?“

„Und der Euch über die Alb führte? Jawohl! Diese brachten immer Kundschaft. So erfuhr ich denn auch, daß man beschloß, einen Späher hinter den Rücken des Herzogs zu schicken, etwa in die Gegend von Tübingen, um dem Bunde sogleich Nachricht von unseren Schritten zu erteilen. Ich erfuhr auch, daß die Wahl auf Euch gefallen sei. Nun muß ich Euch redlich gestehen, Ihr und Euer Name war mir ziemlich gleichgültig, nur bedauerte ich Euch, als ich hörte, daß Ihr noch solch ein junges Blut seid, denn sobald Ihr über die Alb kamet als Kundschafter, wäret Ihr ohne Gnade und Barmherzigkeit totgeschlagen und unter die Erde gesetzt worden, wo keine Sonne und kein Mond hinscheint. Um so überraschender war mir und vielen Männern die Nachricht, wie Ihr es ausgeschlagen, und wie tapfer Ihr vor jenen Herren gesprochen. Auch daß Ihr absagtet und auf vierzehn Tage Urfehde [250] schwören mußtet, erfuhr ich. Und wie freut es mich, daß Ihr nun gar unser Freund geworden seid!“

Die Wangen des jungen Mannes glühten, sein Auge strahlte vor Freude, brach ja doch dieser Augenblick alle Schranken, welche die Verhältnisse zwischen ihm und Marie gezogen hatten. Sein langer Wunsch, dessen Erfüllung oft so weit in die Ferne hinausgerückt schien, war in Erfüllung gegangen, er hatte unbewußt Mariens Vater für sich gewonnen. „Ja, ich habe ihnen abgesagt“, antwortete Georg, „weil ich ihr Wesen nicht mehr leiden mochte, ich bin Euer Freund geworden, doch wäre es möglich, ich hätte mich nicht so bald zu Eurer Sache bekannt; aber als ich unten in der Höhle neben jenem geächteten Mann saß, als ich bedachte, wie man mit den Edeln und selbst mit dem Herrn des Landes umgehe, wie seine gewaltigen Reden so mächtig an meiner Brust anklopften: da war es mir auf einmal hell und klar, hieher müsse ich stehen, hier müsse ich streiten. Und glaubt Ihr, es werde bald etwas zu thun geben? Denn ich bin nicht zu Euch herübergeritten, um die Hände in den Schoß zu legen!“

„Das konnte ich mir denken“, sagte der Ritter lächelnd; „vor vierzig Jahren hatte ich auch so rasches Blut, und es ließ mich nicht lange auf einem Fleck. Wie die Sachen stehen, wißt Ihr; man kann sagen, eher schlimm als gut. Sie haben das Unterland, sie haben den ganzen Strich von Urach herauf. Auf eines kommt alles an: hält Tübingen fest, so siegen wir.“

„Die Ehre von vierzig Rittern bürgt dafür“, rief Georg mit Unmut, „das Schloß ist stark, ich habe kein stärkeres gesehen, Besatzung ist hinlänglich da, und vierzig Männer von Adel werden sich so leicht nicht ergeben. Es kann nicht sein, es darf nicht sein. Haben sie nicht des Herzogs Kinder bei sich und den Schatz des Hauses? Sie müssen sich halten.“

„Wohl, wenn sie alle dächten wie Ihr. Es kommt gar viel auf Tübingen an. Wenn der Herzog Entsatz bringen kann, so hat er an Tübingen einen festen Punkt, von wo aus er sein Land wiedererobern kann; es sind große Kriegsvorräte dort, es ist ein großer Teil des Adels; solange sie zu seiner Partie halten, ist [251] Württemberg nur dem Boden nach gewonnen, dem Geiste nach ist es noch des Herzogs! Aber ich fürchte, ich fürchte!“

„Wie? Unmöglich können sich die Vierzig ergeben!“

„Ihr habt noch wenig erfahren in der Welt“, erwiderte der Alte, „Ihr wißt nicht, welche Lockungen und Schlingen manchen ehrlichen Mann straucheln machen können. Und es ist mancher in der Burg, dem der Herzog zu viel getraut hat. Er merkt auch wohl, daß es nicht ganz lauter und rein hergeht, denn er schickte den Ritter Marx Stumpf von Schweinsberg an sie mit einem beweglichen Schreiben[Hauff 1], das Schloß nicht zu übergeben, sondern ihm Gelegenheit zu machen, in dasselbe zu kommen, weil er dort zu sterben bereit sei, wenn es Gott über ihn verhänge.“

„Der arme Herr!“ rief Georg bewegt. „Aber ich kann nicht glauben, daß der Landesadel so schändlich freveln könne; sie werden ihn einlassen in die Burg, er wird ihren Mut aufs neue beseelen, er wird Ausfälle machen, er wird sie schlagen, die Belagerer, trotz Bayern und Frondsberg, wir werden uns an ihn anschließen, wir werden fechtend durch das Land ziehen und diese Bündler verjagen.“

„Marx Stumpf ist noch nicht zurück“, sagte der Ritter von Lichtenstein mit besorgter Miene; „auch haben sie seit gestern das Schießen eingestellt. Sonst hörte man jeden Stückschuß hier auf dem Lichtenstein, aber seit gestern ist es still wie im Grabe.“

„Vielleicht schweigt das Geschütz wegen des Festes; gebt acht, sie werden morgen oder am Ostermontag wieder donnern lassen, daß es durch Eure Felsen hallt.“

„Was da!“ entgegnete jener. „Wegen des Festes? Seinem Herzog treu zu dienen ist auch ein frommer Dienst; und es wäre den Heiligen im Himmel vielleicht lieber, sie hörten den Donner der Feldschlangen von Tübingens Wällen, als daß sie die Ritter müßig sehen. Müßiggang ist aller Laster Anfang! Aber wenn nur der Stumpf in das Schloß kommt, der wird sie aufrütteln aus ihrem Schlummer.“

„Der Herzog hat den Ritter von Schweinsberg nach Tübingen [252] geschickt, sagt Ihr? Der Herzog will ins Schloß, weil die Besatzung seit einigen Tagen zu wanken scheint? Da kann also Ulerich nicht bis Mömpelgard entflohen sein, wie die Leute sagen; da ist er vielleicht in der Nähe? O, daß ich ihn sehen könnte, daß ich mich mit ihm nach Tübingen schleichen könnte!“

Ein sonderbares Lächeln zog flüchtig über die ernsten Züge des Alten; „Ihr werdet ihn sehen, wenn es Zeit ist“, sagte er. „Ihr werdet ihm angenehm sein, denn er liebt Euch schon jetzt. Und ist das Glück gut, so sollt Ihr auch mit ihm nach Tübingen kommen, Ihr habt mein Wort drauf. – Doch jetzt muß ich Euch bitten, Euch ein Stündchen allein zu gedulden. Mich ruft ein Geschäft, das aber bald abgethan sein wird. Nehmt Euch meinen Wein zum Gesellschafter, schauet Euch um in meinem Haus, ich würde Euch einladen, auf die Jagd auszureiten, wenn ein solches Vergnügen zum Karfreitag paßte.“

Der alte Herr drückte seinem Gast noch einmal die Hand und verließ das Zimmer; bald nachher sah ihn Georg aus dem Schlosse dem Wald zureiten.

Als sich der junge Mann allein gelassen sah, fing er an, seinen Anzug ein wenig zu besorgen, der durch den Ritt in der Nacht, durch seinen Aufenthalt in der Höhle etwas außer Ordnung gekommen war. Wer je unter solchen Umständen in die Nähe der Geliebten kam, wird es ihm nicht übelnehmen, wenn er vor einem kleinen Spiegel von poliertem Metall, den er in diesem Gemach vorfand, und der wohl zu Mariens Gerätschaften gehören mochte, Bart und Haare ordnete, das Wams ein wenig reinigte und jede Spur von Unordnung aus seinem Anzug zu verbannen suchte. Er erging sich dann in dem großen Zimmer und suchte unter den vielen Fenstern eines auf, von welchem er auf den Felsenweg hinabschauen konnte, den Marie von der Kirche im Thal heraufkommen mußte.

Es waren fröhliche Gedanken, die sich in bunter Menge an seiner Seele vorüber drängten, schnell und flüchtig wie ein Zug heller Wölkchen, die am blauen Gewölb des Himmels dahingleiten. Dies war die Burg, die er seit mehr als einem Jahre im Wachen geträumt, in Träumen klar gesehen hatte; dies die Berge, [253] die Felsen, von denen sie ihm so oft erzählte, dies die Gemächer ihrer Kindheit! Es hat etwas Anziehendes, in den Zimmern zu verweilen, wo die Geliebte groß geworden ist. Man träumt sich um Jahre zurück, man sieht sie als kleines Mädchen in diesen Kammern, in diesen Gängen sich umtreiben. Man geht um einige Jahre vorwärts, man sieht sie noch klein, aber verständig der Mutter jene kleinen Künste der Haushaltung abspähen, die sie viele Jahre nachher als Hausfrau nötig hat. Doch in dem kleinen Köpfchen gestaltet sich schon jetzt ein eigenes Hauswesen; es ist vielleicht jene Ecke, dachte Georg lächelnd, wo sie in kindischer Geschäftigkeit, was sie von den Brosamen der Küche erbeutete, zu Speisen von eigener Erfindung bereitete, wo sie das hölzerne Wesen, das ein Knecht kunstreich schnitzelte, und die Amme mit einigen bunten Fetzen behängt hat, für ein wackeres Kind hält und es mit wichtiger Miene zu füttern gedenkt.

Und dann jene anmutsvolle Stufe zwischen Kind und Jungfrau! Wo ist wohl das stille Plätzchen, wo das fünfzehnjährige Fräulein, wenn sie in Garten und Feld nach Kinderweise getobt hatte, sich ernst und feierlich hinsetzte, die Kunkel zur Hand nahm und goldene Fäden zog, während ihr der Vater von der Mutter und von den Tagen seiner Jugend erzählte oder durch weise Lehren und gewichtige Sprüche den Geist der Jungfrau zu erheben suchte?

Wo ist das Lieblingsfenster, wohin sie sich, immer höher und schöner heranwachsend, gerne setzte und mit unbewußter dunkler Sehnsucht in die Ferne sah, über das Leben und ihre eigene Zukunft nachsann und sich in freundliche Träume versenkte?

Es war ihm so heimisch, so wohl in diesem Hause, es war ihr Geist, der hier waltete, der ihn umschwebte, den er, ob sie auch fern war, freundlich begrüßte; dieses Gärtchen auf einem schmalen Raum am Felsen hatte sie besorgt und gepflegt, diese Blumen, die in einem Topf auf dem Tische standen, hatte sie vielleicht heute schon gepflückt! Er ging hin, diese Zeichen ihres freundlichen Sinnes zu begrüßen.

Er beugte sich herab über die Blumen, er führte die duftenden Veilchen zum Mund. In diesem Augenblick glaubte er [254] ein Geräusch vor der Thüre zu vernehmen; er sah sich um – sie war es, es war Marie, die staunend und regungslos, als traue sie ihren Augen nicht, an der Thüre stand. Er flog zu ihr hin, er zog sie in seine Arme, und seine Lippen erst schienen sie zu überzeugen, daß es nicht der Geist des Geliebten sei, der ihr hier erscheine. Wie viel hatten sie sich zu fragen, bei weitem mehr, als sie nur antworten konnten. Es gab Augenblicke, wo sie, wie aus einem Traum erwacht, sich ansahen, sich überzeugen mußten, ob sie denn wirklich sich wieder haben.

„Wie viel habe ich um dich gelitten“, sagte Marie, und ihre Wangen straften sie nicht Lügen; „wie schwer wurde mir das Herz, als ich aus Ulm scheiden mußte. Zwar hattest du mir gelobt, vom Bunde abzulassen, aber hatte ich denn Hoffnung, dich so bald wiederzusehen? – und dann, wie mir Hans die Nachricht brachte, daß du mit ihm nach Lichtenstein kommen wolltest, aber du seiest überfallen, verwundet worden; das Herz wollte mir bald brechen, und doch konnte ich nicht zu dir, konnte dich nicht pflegen!“

Wie beschämt war Georg, wenn er an seine thörichte Eifersucht zurückdachte, wie fühlte er sich so klein und schwach Mariens zarter Liebe gegenüber. Er suchte sein Erröten zu verbergen, er erzählte, oft unterbrochen von ihren Fragen, wie sich alles so gefügt habe, wie er dem Bunde abgesagt, wie er über die Alb gezogen sei, wie er überfallen worden, wie er der Pflege der Pfeifersfrau sich entzogen habe, um nach Lichtenstein zu reisen.

Georg war zu ehrlich, als daß ihn Mariens Fragen nicht hin und wieder in Verlegenheit gesetzt hätten; besonders als sie mit Verwunderung fragte, warum er denn so tief in der Nacht erst nach Lichtenstein aufgebrochen sei, wußte er sich nicht zu raten. Die schönen, klaren Augen der Geliebten ruhten so fragend, so durchdringend auf ihm, daß er um keinen Preis eine Unwahrheit zu sagen vermocht hätte.

„Ich will es nur gestehen“, sagte er mit niedergeschlagenen Augen, „die Wirtin in Pfullingen hat mich bethört; sie sagte mir etwas von dir, was ich nicht mit Gleichmut hören konnte.“

„Die Wirtin? von mir?“ rief Marie lächelnd; „nun was [255] war denn dies, daß es dich noch in der Nacht die Berge herauftrieb?“

„Laß es doch! ich weiß ja, daß ich ein Thor war. Der geächtete Ritter hat mich ja schon längst überzeugt, daß ich völlig unrecht hatte.“

„Nein, nein“, entgegnete sie bittend, „so entgehest du mir nicht; was wußte die Schwätzerin wieder von mir; gestehe nur gleich –“

„Nun, lache mich nur recht aus; sie erzählte: du habest einen Liebsten und lassest ihn, wenn der Vater schlafe, alle Nacht in die Burg.“

Marie errötete; Unwille und die Lust, über diese Thorheit zu lachen, kämpften in ihren schönen Zügen. „Nun, ich hoffe“ sagte sie, „du hast ihr darauf geantwortet, wie es sich gehört, und aus Unmut über eine solche Verleumdung ihr Haus verlassen? Dachtest vielleicht, du könntest unser Schloß noch erreichen und hier übernachten?“

„Ehrlich gestanden, das dachte ich nicht. Siehe, ich war noch halb krank, ich glaubte ihr auch anfangs gewiß nicht, aber deine Amme, die alte Frau Rosel, wurde aufgeführt, sie hatte es der Wirtin gesagt, sie hatte mich selbst mit ins Spiel gebracht und bedauert, daß ich um meine Liebe betrogen sei, da – o, sieh nicht weg, Marie, werde mir nicht bös! Ich schwang mich aufs Pferd und ritt vors Schloß herauf, um ein Wort mit dem zu sprechen, der es wage, Marien zu lieben.“

„Das konntest du glauben?“ rief Marie, und Thränen stürzten aus ihren Augen. „Daß Frau Rosel solche Sachen aussagt, ist unrecht, aber sie ist ein altes Weib, klatscht gerne; daß die Frau Wirtin solche Sachen nachsagt, nehme ich ihr nicht übel, denn sie weiß nichts Besseres zu thun; aber du, du, Georg, konntest nur einen Augenblick so arge Lügen glauben, du wolltest dich überzeugen, daß –“ von neuem strömten ihre Thränen, und das Gefühl bitterer Kränkung erstickte ihre Stimme.

Georg zürnte sich selbst, daß er so thöricht hatte sein können, aber er fühlte auch, daß, wenn er ein großes Unrecht an der Geliebten begangen hatte, es nur die Liebe war, die ihn verleitete. [256] „Verzeihe mir nur diesmal“, bat er; „siehe, wenn ich dich nicht so lieb gehabt hätte, ich hätte gewiß nicht geglaubt; aber wenn du wüßtest, was Eifersucht ist!“

„Wer recht liebt, kann gar nicht eifersüchtig sein“, sagte Marie unmutig; „aber schon in Ulm hast du etwas Solches gesagt, und schon damals hat es mich recht tief betrübt. Aber du kennst mich gar nicht, wenn du mich recht gekannt hättest, wenn du mich geliebt hättest wie ich dich, wärest du nie auf solche Gedanken gekommen.“

„Nein! ungerecht mußt du doch nicht werden“, rief Georg und faßte ihre Hand; „wie kannst du mir vorwerfen, daß ich dich nicht liebe wie du mich? Hätte es denn nicht möglich sein können, daß ein Würdigerer als ich erschienen, daß der arme Georg durch irgend einen bösen Zauber aus deinem Herzen verdrängt worden wäre; es ist ja doch alles möglich auf der Erde!“

„Möglich?“ unterbrach ihn Marie, und jener Stolz, den Georg oft mit Lächeln an der Tochter des Ritters von Lichtenstein betrachtet hatte, schien sie allein zu beseelen. „Möglich? wenn Ihr nur einen Augenblick so Arges von mir für möglich gehalten hättet, ich wiederhole es, Herr von Sturmfeder! so habt Ihr mich nie geliebt; ein Mann muß sich nicht wie ein Rohr hin und her bewegen lassen, er muß feststehen auf seiner Meinung, und wenn er liebt, so muß er auch glauben.“

„Diesen Vorwurf habe ich von dir am wenigsten verdient“, sagte der junge Mann, indem er unmutig aufsprang; „wohl bin ich ein Rohr, das vom Winde hin und her bewegt wird, und mancher wird mich darum verachten. –“

„Es könnte sein!“ flüsterte sie, doch nicht so leise, daß es sein Ohr nicht erreichte und seinen Unmut zum Zorn anblies.

„Auch du wirst mich also darum verachten, und doch bist du es, was mich hin und her bewegt! Ich habe dich auf bündischer Seite gesucht, ich war selig, als ich dich dort fand. Du batest mich, davon abzulassen, ich ging; ich that noch mehr; ich kam zu euch herüber, es kostete mich beinahe das Leben, und doch ließ ich mich nicht abschrecken; ich ergriff Württembergs Partei, ich kam zu deinem Vater, er nahm mich wie einen Sohn auf und freute sich, [257] daß ich sein Freund geworden – aber seine Tochter schilt mich ein Rohr, das vom Winde hin und her bewegt wird! Aber noch einmal will ich mich – zum letztenmal – von dir bewegen lassen; ich will fort, weil du meine Liebe so vergiltst, noch in dieser Stunde will ich fort!“

Er gürtete unter den letzten Worten sein Schwert um, ergriff sein Barett und wandte sich zur Thüre.

„Georg!“ rief Marie mit den süßesten Tönen der Liebe, indem sie aufsprang und seine Hand faßte; ihr Stolz, ihr Zorn, jede Wolke des Unmuts war verschwunden, selbst die Thränen hemmten ihren Lauf, und nur bittende Liebe blickte aus ihrem Auge, „um Gotteswillen, Georg! ich meinte es nicht so böse; bleibe bei mir, siehe, ich will alles vergessen, ich schäme mich, daß ich nur so unwillig werden konnte.“

Aber der Zorn des jungen Mannes war nicht so schnell zu besänftigen, er sah weg, um nicht durch ihre Blicke, durch ihr bittendes Lächeln gewonnen zu werden, denn sein Entschluß stand fest, das Schloß zu verlassen. „Nein!“ rief er, „du sollst das Rohr nicht mehr zurückwenden. Aber deinem Vater kannst du sagen, wie du seinen Gast aus seinem Hause vertrieben hast;“ die runden Fensterscheiben zitterten vor seiner Stimme, sein Auge blickte wild umher, er entriß seine Hand der Geliebten, gefolgt von ihr schritt er fort, er riß die Thüre auf, um auf ewig zu fliehen, als ihn auf der Schwelle eine Erscheinung fesselte, die wir im nächsten Kapitel näher beschreiben werden.



  1. Aus dem Gedicht: „Serlo. Historische Romanze.“ (Gedichte, neue Sammlung, 1824.)

Anmerkungen (Hauff)

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