Longchamp (Illustrirte Zeitung, 1843)

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Titel: Longchamp
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aus: Illustrirte Zeitung, Nr. 1 vom 1. Juli 1843, S. 9–10
Herausgeber: Johann Jacob Weber
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Entstehungsdatum: 1843
Erscheinungsdatum: 1843
Verlag: J. J. Weber
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Erscheinungsort: Leipzig
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Quelle: MDZ München, Commons
Kurzbeschreibung: Über die Pariser Abtei Longchamp und die alljährlich stattfindenen Frühjahrs-Modefahrten „promenades de Longchamp“ vor Ostern.
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Longchamp.

Wem wäre nicht, dem Namen nach wenigstens, Longchamp bekannt – dieser Sammelpunkt der vornehmen Welt in Paris, wo es zum guten Tone gehört, sich am Mittwoch, am Donnerstag und am Freitag in der Osterwoche dort zu zeigen, und dabei den Luxus so weit zu treiben, wie Mittel und Kräfte nur irgend gestatten. Weniger bekannt ist die Geschichte dieser jährlichen Promenade und doch liefert die wechselnde Gestaltung der einzigen Mode ein Bild von den Phasen der neueren Sittengeschichte Frankreichs, dessen Hauptzüge hervorgehoben zu werden verdienen.

Beim Boulognergehölz unterhalb von Paris, am rechten Ufer der Seine liegt in einem Winkel, den der Fluß dort bildet, eine schmale Ebene, die von ihrer Gestalt den Namen Longchamp (longus campus) erhielt, weshalb dieser auch nicht Longchamps geschrieben werden darf, wie es der Syntax und der Etymologie zum Trotz in der Regel geschieht. Hier errichtete die Prinzessin Isabelle von Frankreich im Jahre 1250 der Humilité de Notre-Dame ein Nonnenkloster. „Ich will durch eine fromme Stiftung mein Seelenheil sichern,“ schrieb sie dem Kanzler der Universität. „Mein Bruder, König Ludwig IX., gewährt mir 30,000 Livres. Soll ich ein Kloster oder ein Hospital errichten?“ Der Kanzler entschied für ein Clarissinnenkloster. Die Revolution gab ihm Unrecht. Ein Hospital hätte sie bestehen lassen, das Kloster hob sie auf.

Der Obelisk von Luxor am Wege nach Longchamp.

Der königliche Ursprung des Klosters von Longchamp sicherte ihm die Gunst der Monarchen. „Der heilige Ludwig“ besuchte es oft; Isabelle selbst beschloß ihr Leben in [10] demselben; Margarethe und Johanne von Brabant, Blanka von Frankreich, Johanna von Navarra und noch 12 andere Prinzessinnen nahmen dort den Schleier; König Philipp der Lange starb 1321 in seinen Mauern. Solche fürstliche Frömmigkeit und die wunderbaren Heilkräfte, welche man den Gebeinen der daselbst ruhenden Isabelle beimaß, die Papst Leo X. deshalb 1521 selig sprach, machten Longchamp in der ersten Periode seines Modebesuchs zu einem Wallfahrtsort für fromme Büßer und gläubige Kranke aus den höhern Ständen.

Von anderer Art war der Besuch in Longchamp unter Heinrich IV. Dieser Enkel „des heiligen Ludwig“ wählte eine zweiundzwanzigjährige Nonne, Catharine von Verdun, zu seiner Geliebten und machte ihren Bruder zum ersten Präsidenten des Parlaments von Paris. Welchen Einfluß dies auf die Moral des Klosters hatte, zeigt ein Schreiben des heiligen Vincent de Paula an den Kardinal Mazarin, worin der fromme Stifter der Lazaristen unterm 25. Oct. 1652 sagt: „Seit 200 Jahren ist dieses Kloster auf dem Wege zum gänzlichen Untergang aller Zucht und zur vollständigen Verderbniß aller Sitten. Die Sprachzimmer stehen Jedem offen, selbst jungen Männern ohne Begleitung ihrer Eltern. Die Nonnen tragen unbescheidene Kleider, goldene Uhren. Als der Krieg sie zwang, in die Stadt zu flüchten, überließen sie sich Aergernissen aller Art, gingen allein und insgeheim zu Denen, die sie zu sehen wünschten, in Haus.....“

Unter Ludwig XV. nahm der Besuch von Longchamp seine jetzige Gestalt ein. Eine berühmte Sängerin, Demoiselle Le Maure, verließ im Jahre 1727 zum großen Bedauern des Publikums die Bühne und ging dort ins Kloster. Allein sie konnte das Singen nicht lassen. Bald perlten ihre Silbertöne in der Kirche von Longchamp; die Nonnen nahmen Unterricht im Gesang bei ihr; man rief Opernsängerinnen zur Hülfe, und es dauerte nicht lange, so strömte ganz Paris in der Charwoche wie zum Concert nach Longchamp hinaus. Auf solche Weise gewöhnte das Publikum sich mehre Jahre hindurch an diese Besuche und als endlich der Zudrang zu groß und das Aergerniß, welches die frivolen Weltkinder dabei gaben, so arg wurde, daß der Erzbischof von Paris diese Musikfeste verbot, setzte man dennoch die einmal liebgewordene Promenade in der Charwoche fort, und feierte gleichsam ein Frühlingsfest zu Ehres des wärmeren Sonnenscheins und der leichteren Toilette, des jungen Grüns und der neuesten Mode.

In den Jahren 1750 – 1760 erreichte Longchamp seinen Glanzpunkt. Die Tage der Promenaden dort waren die Hauptfeste der Pariser. In Neapel oder Madrid stieg der König aus frommer Demuth während der Osterwoche in keinen Wagen; in Paris dagegen fuhr man gerade dann in den glänzendsten und kostbarsten Equipagen. Da die Schauspielerinnen an diesen Tagen nicht auf der Bühne glänzen konnten, so stellten sie ihre Netze auf der Promenade von Longchamp aus. Jede Ausschweifung des Luxus und der Sittenverderbniß trug sich dort zur Schau. Vergebens suchte der Erzbischof von Paris im Jahre 1776 dem Aergerniß Einhalt zu thun; kein Minister hatte mehr den Muth oder die Kraft, gegen eine Mode einzuschreiten, die damals den Hof wie den Herrscher beherrschte.

Die Revolution stürtze auch den Thron dieser Göttin. Wie konnte man Longchamp besuchen? Die Pferde waren ja für die Armeen requirirt und den Wagen wären die Karren mit Guillotinenopfern begegnet! Erst als im Jahre 1797 das Directorium am Ruder war, fing man wieder an, die Lehre zu predigen, daß der Luxus der Reichen eine Wohlthat für die Armen sei. Am „ci-devant“ Gründonnerstag erschienen die „Bürgerinnen“ Tallien, Recamier u.A. in Longchamp, und am Stillfreitag fanden sich schon 2000 Wagen ein. Seitdem hat diese Mode keine Unterbrechung mehr erlitten. Selbst als die Pferde der Kosaken die Bäume der Champs Elysées benagten, und das Beil feindlicher Sappeure das Gehölz von Boulogne lichtete, fuhr, ritt und ging man in gewohnter Weise nach Longchamp.

Wie immer beschäftigte man sich auch in diesem Jahre schon mehre Monate vorher mit Zurüstungen für die drei Tage von Longchamp. Fashionable Adlige und fashionable Börsenmänner ließen sich neue Wagen erbauen; Elegants sorgten für englische Reitpferde; Modehändler boten ihre ganze Erfindungskraft auf und lieferten Stoffe und Kleider mit orientalischen, spanischen, chinesischen, burggrafischen und andern Tagesnamen. Leider verdarb das kalte Wetter am Mittwoch manche Freude, allein am Donnerstag war der Zudrang bedeutend, und am Freitag erschien bei hellem Sonnenschein das Fest in vollem Glanz. Zwei Wagenreihen reichten vom Place de la Concorde bis

Longchamp.

zur Porte Maillot. Mitten auf der Chaussee sah man wappengeschmückte Kutschen, reiche Equipagen der Chaussée d’Antin und einige Theaterdamen, hübsch genug, um einen Wagen und 2000 Franken Nadelgeld zu besitzen. Um sie herum courbettirten „Sportsmen“ in Röcken von „Londoner Rauchtuch“; Commis hatten zu thun, den Uebermuth ihrer Miethpferde zu zügeln; niedliche Comptoirdamen erschienen als Amazonen in Kasimir mit Goldknöpfen; Müssige und Neugierige füllten die Nebenwege und vervollständigten das Schauspiel.

So ist Longchamp, so war es und so wird es bleiben. Wie könnte eine solche Mode abkommen? Die Coketterie der Frauen, der Stolz der Reichen, das Interesse der Gewerbetreibenden: das sind die Säulen, auf denen sie ruht. Sie ist dauernd wie diese.