Zum Inhalt springen

Ludwig Kossuth

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Textdaten
<<< >>>
Autor: W.
Illustrator: {{{ILLUSTRATOR}}}
Titel: Ludwig Kossuth
Untertitel:
aus: Die Gartenlaube, Heft 14, S. 236–237
Herausgeber: Adolf Kröner
Auflage:
Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1894
Verlag: Ernst Keil’s Nachfolger in Leipzig
Drucker: {{{DRUCKER}}}
Erscheinungsort: Leipzig
Übersetzer:
Originaltitel:
Originalsubtitel:
Originalherkunft:
Quelle: Scans bei Commons
Kurzbeschreibung:
Eintrag in der GND: {{{GND}}}
Bild
[[Bild:|250px]]
Bearbeitungsstand
korrigiert
Dieser Text wurde anhand der angegebenen Quelle einmal Korrektur gelesen. Die Schreibweise sollte dem Originaltext folgen. Es ist noch ein weiterer Korrekturdurchgang nötig.
Um eine Seite zu bearbeiten, brauchst du nur auf die entsprechende [Seitenzahl] zu klicken. Weitere Informationen findest du hier: Hilfe
Indexseite
[236]

Ludwig Kossuth.


Am 20. März 1894 ist zu Turin der einstige Diktator von Ungarn, der berühmte Führer der magyarischen Unabhängigkeitspartei, als ein 92jähriger Greis gestorben. Obwohl im Jahre 1867 auch ihm Amnestie zu teil wurde, obwohl wiederholt Abordnungen ihn zur Rückkehr nach Ungarn aufforderten und obwohl sein Herz heiß nach dem geliebten Vaterlande verlangte, hat er es doch nicht über sich vermocht, von der Gnade Gebrauch zu machen, die ihm angeboten wurde.

Ludwig Kossuth wurde am 16. September 1802 in Monok im Zempliner Komitat geboren. Sein Vater war ein in geordneten Verhältnissen lebender ungarischer Adliger, seine Mutter, eine Deutsche, war eine edle gemütvolle Frau, und Briefe Kossuths an sie bezeugen, daß er eine innige, ja schwärmerische Verehrung für sie hegte. In den Tagen der Trauer und in den Stunden des Glückes schrieb er ihr, denn sie liebte ihren Sohn über die Maßen und war das einzige Wesen auf Erden, das immer zu seiner Sache hielt.

In seinem dreiundzwanzigsten Lebensjahre kam Kossuth nach der ungarischen Hauptstadt, um hier die Rechte zu hören. Er wurde bald ein gesuchter Advokat in Sátoralja-Ujhely, doch bekam er die kleinen Chicanem denen er ausgesetzt war, satt und siedelte nach Pest über. Seine glänzenden Fähigkeiten wurden bald bemerkt und er wurde vom Baron Wesselényi nach Preßburg gerufen, wo ihm die Redaktion eines kleinen Blättchens, der „Landtagszeitung“, übertragen wurde. Obwohl dieses „Organ“ in kaum hundert Exemplaren erschien und, nebenbei bemerkt, geschrieben wurde, erregten doch die kurzen politischen Betrachtungen desselben großes Aufsehen. Diese Aufsätze vertraten die liberalen Ideen und waren geistvoll und mutig geschrieben. Die Regierung unterdrückte das kleine Blatt, Kossuth wurde des Hochverrats beschuldigt, 1837 angeklagt und nach einer langwierigen Untersuchung 1839 zu vier Jahren Kerker verurteilt. Fast zwei Jahre blieb er in der Festung Munkacs eingekerkert, und in dieser Zeit mag sich wohl der Haß in ihm festgesetzt haben, der ihn Zeit seines Lebens nicht mehr verließ. Schon 1841 begann Kossuth in dem von ihm gegründeten ersten ungarischeu Tageblatte „Pesti Hirlap“ [237] den erbitterten Kampf gegen Oesterreich. Sein glänzender Stil, das Pathos seiner Worte gewannen ihm einen großen Anhang, die Jugend des Landes stand hinter ihm, und es war ihm ein Leichtes, auch im Reichstage, in den er 1847 als Vertreter des Pester Komitates eintrat, eine führende Rolle zu erlangen. Seine Reden waren Ereignisse, Zeitgenossen erzählen Wunder von der außerordentlichen Macht seiner Beredsamkeit. Er begeisterte die Kühlsten, veranlaßte die Besonnensten zu Ausschreitungen und ermutigte Tausende zu Tollkühnheiten.

Am 3. März 1848 hielt er in Preßburg eine denkwürdige Rede, welche auch den ersten Erfolg seiner Politik bedeutete. Infolge seines Antrages wurde eine Abordnung des ungarischen Reichstages nach Wien entsendet, welche vom Kaiser ein selbständiges ungarisches Ministerium verlangte. Der Kaiser erfüllte den Wunsch und schon am 17. März 1848 war das erste unabhängige ungarische Ministerium gebildet, dessen Finanzportefeuille Kossuth übertragen wurde. Aber diese Zeit des Entgegenkommens war bald vorüber. Im September 1848 löste die Wiener Regierung den ungarischen Reichstag auf, eine tiefe Erregung bemächtigte sich des Landes jenseit der Leitha, Krawalle entstanden hier und dort, dann brach der helle Aufruhr aus. Kossuth trat an die Spitze des „Landesverteidigungsausschusses“ und war schon im Oktober 1848 thatsächlich Gouverneur von Ungarn, obwohl dies erst später förmlich ausgesprochen wurde.

Das ungarische Heer erlitt Niederlagen, die Hauptstadt wurde erobert und der Reichstag setzte seine Sitzungen in Debreczin fort. Kossuth zwang den Reichstag mit Gewalt nach seinem Willen. Er ließ keine fremden Zeitungen in die Stadt gelangen und der Taumel einer falschen Siegesnachricht, doch noch mehr eine überwältigende Rede Kossuths bewogen den Reichstag von Debreczin am 14. April 1849 auszusprechen, daß Ungarn unabhängig und das Haus Habsburg des ungarischen Thrones verlustig sei. Kossuth wurde Gouverneur und hielt am 5. Juni seinen Einzug in die vom General Görgey wiedereroberte Hauptstadt. Dieser Tag war wohl der glänzendste seines Lebens. Die Straßen waren bekränzt, von Fenstern und Balkonen ergoß sich ein Blumenregen auf ihn herab und aus allen Kehlen tönten dem Liebling des Volkes jauchzende „Eljen“ zu.

Ludwig Kossuth.
Nach einer Photographie von M. Schemböhe in Turin.

Kossuth vertraute auf die Kraft des magyarischen Volkes und auf die Fähigkeiten seiner Generale. Das Volk blieb ihm treu, die Generale verließen ihn, eine Niederlage folgte der anderen und Kossuth – flüchtete. Am 11. August 1849 übertrug er Görgey seine Würde als Gouverneur, vergrub einige Tage später die ungarische Krone und die Kroninsignien in der Nähe won Orsova und ging hinüber in die Türkei, von wo er nach England flüchten wollte. Doch er wurde erkannt, verhaftet und in Widdin, später in der Festung Schumla eingeschlossen. Im August 1851 brachte man ihn mach Kutahia in Kleinasien, woselbst er mit seiner ganzen Familie lebte. Oesterreich forderte seine Auslieferung, doch Frankreich und Nordamerika traten für ihn ein, und schließlich mußte die Türkei infolge eines Drucks von seiten der letztgenannten Mächte Kossuth freilassen, welcher wohl im September 1851 in Pest in effigie gehenkt wurde, doch zur selben Zeit wohlbehalten in England eintraf.

Nun beginnnen die Kossuthschen Wanderpredigten. Er traf in England ein, ohne englisch sprechen zu können. Doch in wenigen Wochen hatte er die Sprache in seiner Gewalt und seine Reden begeisterten die Briten, welche sonst nicht allzuleicht zu erregen sind. Die Engländer rühmten nicht nur die makellose Aussprache Kossuths, sondern auch seine poetische Ausdrucksweise, die bei Politikern in England nicht häufig anzutreffen war. In Nordamerika fand Kossuth noch glühendere Verehrer. Es ist Thatsache, daß in zahlreichen Städten der Union dem Verbannten Kinder mit der Bitte entgegengetragen wurden, er möchte sie segnen. 1853 kehrte er nach England zurück und war hier als Schriftsteller für die hervorragendsten englischen Zeitschriften thätig. Kossuth schildert in seinen „Memoiren“ den Aufenthalt in London als wenig erfreulich. Seine Freunde behaupten sogar, er habe mit Nahrungssorgen kämpfen müssen. Das letztere ist freilich eine Uebertreibung, die sich aus den Berichten über Kossuths Londoner Aufenthalt im Jahrgang 1868 der „Gartenlaube“ leicht widerlegen läßt.

Auch von London aus war Kossuth bemüht, seinen Plänen im Ungarn zur Durchführung zu verhelfen. Er unterhielt Verbindungen mit hervorragenden Persönlichkeiten, sandte Briefe ins Land und suchte auch Verbündete im Ausland. Sowohl Napoleon III. als auch später Viktor Emanuel versprachen ihm Hilfe – doch beide Monarchen wußten ihre Versprechungen rechtzeitig zurückzuziehen.

Seit einer Reihe von Jahren lebte Kossuth in Turin. In seiner Heimat hat sein Name immer einen romantischen Klang behalten. Die Alten erzählen noch heute den Kindern von der glanzvollen Erscheinung des ehemaligen Diktators, seiner bestrickenden Beredsamkeit und von der Begeisterung, die er allenthalben hervorzurufen verstand, und die Bilder Kossuths, welche in den ungarischen Bauernstuben neben den Heiligenbildern hängen, umgiebt wie diese ein Glorienschein. W.