Ludwig Spohr (Gartenlaube 1884)

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Titel: Ludwig Spohr
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aus: Die Gartenlaube, Heft 14, S. 242–243
Herausgeber: Ernst Ziel
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Erscheinungsdatum: 1884
Verlag: Ernst Keil’s Nachfolger in Leipzig
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Erscheinungsort: Leipzig
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[242] Ludwig Spohr. Die Wiederkehr des hundertsten Geburtstages Nicolo Paganini’s hat die Erinnerung an diesen Wundermann auf der G-Saite von Neuem belebt. In der Gedächtnißskizze, die wir unlängst in der „Gartenlaube“ (1884, Nr. 7) dem großen Künstler widmeten, wurde hervorgehoben, welche Begeisterung Paganini überall in Europa durch seine unbegreifliche Kunstfertigkeit erregte, wie man unaufhörlich Gold und Lorbeeren an das Piedestal dieses „Gottes der Violine“ heranschleppte, um mit Castelli zu reden, und wie er zuweilen an einem einzigen Concertabende eine Summe einnahm, die dem Jahresgehalte eines Ministers gleich kommt. Sicherlich war es ein kühnes Wagniß für einen einfachen deutschen, mit der Kunst der Reclame und mit der halsbrecherischen Geigengymnastik des bewunderten Italieners unbekannten Künstler, sich mit Paganini zu messen, eine Concertreise Paganini’s in dessen eigenem Vaterlande zu durchkreuzen und sogar mit dem großen Virtuosen in Mailand in dem nämlichen Concerte aufzutreten. Und wer war dieser deutsche Künstler, welcher der blendenden Anziehungskraft des Italieners Paganini gegenüber den Ruhm der deutschen Kunst aufrecht erhielt? Wer war es, der durch die wunderbare Kraft und Seele seiner Bogenführung, durch die Würde, Innigkeit und klassische Hoheit seines Vortrages sich ruhmvoll neben der glänzenden Virtuosität Paganini’s behauptete? Es war Ludwig Spohr, dessen hundertjährigen Geburtstag die musikalische Welt am 5. April feiert.

Ludwig Spohr stand damals, als er sich im Jahre 1817 neben Paganini in Mailand hören ließ, im dreiunddreißigsten Lebensjahre und war ebenso alt wie sein großer italienischer College. In diesem für den Ruhm noch so jugendlichen Alter galten beide Künstler schon für die hervorragendsten Meister der Violine; aber freilich hatten sie Beide auch gleich früh angefangen zu lernen und zu üben, und die Geige war ihnen ein vertrautes Instrument schon zu einer Zeit, in welcher andere Knaben noch kaum den hölzernen Säbel regieren können, den man ihnen zum Spielen gegeben. Wie Paganini, so war auch Spohr die Liebe zur Musik angeboren, oder sie war ihm wenigstens anerzogen worden; sein Vater, der als Arzt in Braunschweig prakticirte, aber bald nach der Geburt seines [243] Sohnes nach Seesen zog, spielte vortrefflich Flöte, während die Mutter eine schöne Gesangstimme besaß, und wenn die Eltern am Abende mit einander musicirten, so lauschte der junge Ludwig andächtig den harmonischen Klängen. Auf einer kleinen, werthlosen Geige, die ihm der Vater auf einem Jahrmarkte gekauft, machte der künftige Meister seine ersten musikalischen Versuche, und als er größer geworden und einige Jahre der Braunschweiger Hofcapelle angehört, konnte er bereits im Jahre 1804, dank seinen durch eine geniale und rasche Auffassung unterstützten Studien, seine erste größere Kunstreise durch Deutschland unternehmen. Leipzig, die Metropole der deutschen Concertmusik, wurde die Wiege seines Ruhmes. Die Blicke der Welt wurden auf ihn gelenkt durch die glänzende Kritik der „Allgemeinen Musikalischen Zeitung“ in Leipzig, in welcher der tonangebende aller damaligen Musikkenner, Rochlitz, über Spohr schrieb:

„Herr Spohr kann Alles! Was vorerst Richtigkeit des Spiels in weitester Bedeutung heißt, ist hier, gleichsam als sicheres Fundament, nur vorausgesetzt; vollkommene Reinheit, Sicherheit, Präcision, die ausgezeichnetste Fertigkeit, alle Arten des Bogenstrichs, alle Verschiedenheiten des Geigentons, die ungezwungenste Leichtigkeit in der Handhabung von diesem Allem, selbst bei den größten Schwierigkeiten – das macht ihn zu einem der geschicktesten Virtuosen. Aber die Seele, die er seinem Spiele einhaucht, der Flug der Phantasie, das Feuer, die Zartheit, die Innigkeit des Gefühls, der feine Geschmack, und nun seine Einsicht in den Geist der verschiedensten Compositionen und seine Kunst, jede in diesem ihren Geiste darzustellen, das macht ihn zum wahren Künstler.“

Das war der Virtuose Spohr. Ebenso früh aber wie das Talent der Reproduction regte sich in Spohr das selbstschöpferische Talent, der Schaffenstrieb, und das ist diejenige Seite seines Wesens, mit welcher er weit über Paganini hinausreicht. Paganini theilte das tragische Geschick aller großen Virtuosen, die nichts Anderes sein können als Virtuosen; Spohr’s Compositionen auf dem Gebiete der Symphonie und des Oratoriums, seine Concerte für Violine und seine Opern haben ihn überlebt, und von den letzteren steht die im Jahre 1823 erschienene „Jessonda“ noch heute auf dem Repertoire fast aller Opernbühnen. Man hat Spohr als Componist eine gewisse Weichlichkeit zum Vorwurf gemacht, die ihre Ursache in einer reichlichen Anwendung chromatischer Fortschreitungen findet; im Leben, in seinem Charakter war ihm dafür jeder Ansatz zur Weichlichkeit um so fremder, und was uns den Menschen Spohr zu einer fast noch sympathischeren Figur macht als den Künstler und Componisten, das ist die ehrliche Geradheit seines Wesens, seine kühne Ueberzeugungstreue auch in politischen Dingen. Mit dem vollen sittlichen Ernst des deutschen Mannes trat er überall für die Wahrheit und Freiheit ein, unbekümmert darum, ob seine Offenheit an „höherer Stelle“ Anstoß errege; alles Kleinliche war ihm dabei verhaßt, und seine Bescheidenheit war so groß wie seine Verdienste.

In Kassel, wo Spohr seit 1822 als Capellmeister thätig war, lebt im Gedächtniß der Bevölkerung noch manche charakteristische Aeußerung des alten Spohr. An einem heißen Sommerabend schritt der Meister mit einem Wintermantel bekleidet über die Straße.

„Sind Sie krank, lieber Capellmeister?“ erkundigte sich ein ihm begegnender Bekannter theilnehmend.

„Gott sei Dank, nein,“ lächelte Spohr, „weshalb fragen Sie?“

„Weil Sie sich derartig eingehüllt haben.“

„Ach so,“ erwiderte der Componist. „Ja, sehen Sie, ich gehe zum Theater, um die Festoper zum Geburtstag des Kurfürsten zu dirigiren, und ich nehme Anstand, mich so“ – dabei schlug er den Mantel zurück und zeigte seine mit Orden bedeckte Brust – „öffentlich auf der Straße zu zeigen.“

Unter den Orden aber, die seine Brust schmückten, befanden sich einige, die den höchsten Ehrgeiz hätten befriedigen müssen, wie der preußische Orden pour le mérite. – Solche freimüthige Aeußerungen erregten oft in Hofkreisen Entsetzen, und Spohr’s entschiedene liberale Gesinnung brachte ihn in der kleinen von einem reactionären Geist durchwehten Residenz in manche Collision, die von einer mißgünstig gesinnten Hofclique ausgebeutet wurde. Auf dem blanken Schild seiner Mannes- und Künstlerehre vermochten seine Gegner keinen Flecken zu erspähen, aber die Verleumdung ruhte nicht und sie erreichte es endlich, daß der Mann, der die hervorragendste Zierde der Kasseler Künstlerwelt bildete, im Jahre 1857 plötzlich pensionirt wurde – gegen seinen Willen und, was dieser Maßregel ein besonders häßliches Gepräge giebt, mit einer geringeren Pensionssumme, als ihm contractlich zustand.

Das Bild dieses edlen deutschen Mannes heute in die Erinnerung unserer Leser zurückzurufen, erschien uns als eine Ehrenpflicht gegen Ludwig Spohr, wenn die „Gartenlaube“ auch schon in einem früheren Jahrgange (1861, Nr. 6) den Lebensgang und die Verdienste Spohr’s in einem anschaulichen Charakterbilde dargestellt hat. Indem wir die älteren Anhänger der „Gartenlaube“ auf den damals veröffentlichten, mit Spohr’s wohlgetroffenem Portrait geschmückten Artikel verweisen, glauben wir diese Skizze nicht besser abschließen zu können als mit den Worten, in denen jener Artikel Spohr’s Person und Wirken kennzeichnete: „Er hat in seinem ganzen Leben keine einzige gemeine Notenzeile hingeschrieben und keine einzige gemeine Handlung begangen.“