Luise Fuhrmann
[548a] Luise Fuhrmann, die jüngst verstorbene Oberin des Viktoria-Pflegehauses im Friedrichshain, Berlin, ist nicht minder berechtigt als manche bekannte Namen, unter die besten Pioniere der Frauenarbeitsbewegung gezählt zu werden, denn ihrem aufopfernden und unermüdlichen Streben entsprang die Pflegeorganisation des weltbekannten großen Krankenhauses und die Schule, welche jährlich eine Anzahl vortrefflich gebildeter Pflegeschwestern in den öffentlichen und Privatdienst entsendet. Luise Fuhrmann selbst hatte sich ihre Kenntnisse vormals mühsam erwerben müssen; sie war Erzieherin in England, aber zugleich eine so hervorragend begabte und tüchtige Persönlichkeit, daß die damalige Kronprinzessin Viktoria sie veranlaßte, sich dem Pflegeamt zu widmen, um dann, in den besten englischen Spitälern gründlich vorgebildet, 1882 die Leitung des damals noch kleinen und wenig vermögenden Viktoriahauses zu übernehmen. Bald zeigte es sich, daß zur Erreichung größerer Resultate der Anschluß an ein großes Krankenhaus nötig sei, und deshalb ergriff die Vorsteherin mit Freuden die sich darbietende Gelegenheit, mit ihren Schwestern die Pflege in dem großen städtischen Krankenhaus im Friedrichshain zu übernehmen, wo man vorher mit den ewig wechselnden, unzuverlässigen Privatpflegerinnen schlechte Erfahrungen gemacht hatte. Nun begann unter der Leitung der hochbegabten Oberin mit dem sicheren Blick und der unverwüstlichen Arbeitskraft eine neue Aera des Wohlbefindens für die Kranken, der vortrefflichsten Organisation für das Ganze. Staunend sahen im Anfang die vorhandenen, gegen die kleine Schar der Eindringlinge feindseligen Wärterinnen, wie diese im voraus verspotteten „feinen Damen“ arbeiten konnten, wie es überall hell und behaglich wurde, wie die Oberin das Größte und das Kleinste in unermüdlicher Pflichttreue und warmer Menschenliebe besorgte. Solchem ungewöhnlichen Streben fehlte denn auch der Erfolg nicht: längst ist das Spital im Friedrichshain als Musteranstalt bekannt, seine Pflegeschule wird von allen Seiten in Anspruch genommen und sieht ihr Arbeitsfeld sich stets erweitern, kann aber trotz der Zahl von 200 Schwestern den von Städten und Privaten ergehenden Forderungen häufig nicht genügen. Das körperliche und geistige Wohl der Schwestern lag der Oberin stets nahe am Herzen, sie sorgte dafür in mütterlicher Treue und hat noch die Genugthuung erlebt, daß der Verein eine Altersversorgung für seine Invaliden gründete. Der am 31. Mai d. J. erfolgte Tod dieser seltenen, für ihre Pflicht begeisterten, hochbefähigten Frau, im Alter von erst 52 Jahren, bedeutet für die Anstalt einen schweren Verlust, aber keine Veränderung der Richtung. Nach wie vor können Schülerinnen sich bei der provisorischen Vertreterin, Oberschwester Fräulein Lina Quinke, Berlin NO., Landsberger Allee 19, melden, und im Interesse der leidenden Menschheit sowohl als der vielen nach einem Beruf sich sehnenden Mädchen ist zu wünschen, daß dies recht zahlreich geschehe. Bn.