Zum Inhalt springen

Lungenentzündung und Lungenschwindsucht

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Textdaten
<<< >>>
Autor: Carl Ernst Bock
Illustrator: {{{ILLUSTRATOR}}}
Titel: Wie heilt die Natur?
Untertitel:
aus: Die Gartenlaube, Heft 13, S. 198–199
Herausgeber: Ernst Keil
Auflage:
Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1862
Verlag: Verlag von Ernst Keil
Drucker: {{{DRUCKER}}}
Erscheinungsort: Leipzig
Übersetzer:
Originaltitel:
Originalsubtitel:
Originalherkunft:
Quelle: Scans bei Commons
Kurzbeschreibung:
Eintrag in der GND: {{{GND}}}
Bild
[[Bild:|250px]]
Bearbeitungsstand
fertig
Fertig! Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle Korrektur gelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Um eine Seite zu bearbeiten, brauchst du nur auf die entsprechende [Seitenzahl] zu klicken. Weitere Informationen findest du hier: Hilfe
Indexseite
[198]

Wie heilt die Natur?

Lungenentzündung und Lungenschwindsucht.

Nicht etwa ganz absonderliche, neue und unbegreifliche, überirdische Vorgänge kommen im kranken Körper zu Stande, um eine Krankheit desselben ganz oder theilweise zu tilgen. Nein! es sind hier ganz dieselben chemisch-physikalischen Processe und ganz nach denselben Gesetzen thätig, welche auch im gesunden Körper angetroffen werden. Auch führen dieselben Processe nicht etwa immer zum Heile, sondern leider oft genug auch zum Unheile, und ganz derselbe Proceß, welcher bei der einen Krankheit nützt, schadet bei mancher anderen. So ist es z. B. in vielen Fällen zur Wiederherstellung der Gesundheit durchaus erforderlich, daß das aus dem Blute Ausgeschwitzte fest wird und fest bleibt (wie bei Wunden, Knochenbrüchen, Absperrung von Zerstörungsprocessen etc.), während in vielen andern Fällen dieses Festwerden das kranke Organ verhärten und dadurch zeitlebens zum Wirken untauglich machen würde.

Es ist sonach die Aufgabe eines wissenschaftlich gebildeten Arztes, bei jedem Krankheitsprocesse (den er natürlich zuvörderst auch richtig zu erkennen im Stande sein muß) denjenigen Vorgang anzuregen und zu unterstützen, der, wie ihm die Wissenschaft gelehrt hat, gerade bei dieser vorhandenen Krankheit möglich und heilsam ist. Hätten sich z. B. erstarrte Blutbestandtheile in Canälen oder andern Hohlräumen (wie in der Lunge bei Lungenentzündung) angehäuft und verstopften dieselben, so müßten diese erstarrten Massen dadurch zur Entfernung geschickt gemacht werden, daß man ihr Zerweichen und Zerfließen begünstigte, während man in den Fällen, wo das Erstarrte, wenn es zum Heile führen soll, in ein festes Gewebe sich umwandeln muß (wie bei Verletzungen), es vom Erweichen und Zerfließen abzuhalten hat.

Je nachdem nun ein krankhafter Zustand dieses oder jenes Organ, oder aber das Blut betrifft, danach sind die Heilvorgänge verschiedene, sowie auch in demselben erkrankten Theile nach der verschiedenen Art der Erkrankung verschiedene Heilungsprocesse auftreten können. – Bei den Blutkrankheiten sind die Heilvorgänge der Wissenschaft noch am wenigsten bekannt, und deshalb muß der Arzt hier vorzugsweise die Apparate und Processe beaufsichtigen und fördern, welche dem Blutleben (der Verjüngung und Mauserung desselben) dienen, wie den Verdauungs-, Athmungs-, Circulations- und Blutreinigungsproceß. – Es versteht sich übrigens wohl ganz von selbst, daß zur Unterhaltung der Naturheilungsprocesse, gerade so wie zur Erhaltung des Lebens (des Stoffwechsels) überhaupt, die der Außenwelt angehörenden ganz unentbehrlichen sogenannten Lebensbedingungen (wie Nahrung, Wasser, Lust, Wärme und Licht) vorhanden sein müssen.

Betrachten wir zunächst einmal im Allgemeinen die Vorgänge, welche bei der Heilung örtlicher Krankheiten vorzugsweise in Betracht kommen. – Am häufigsten dient dem Heilen: eine widernatürliche Blutanhäufung in den feinsten Blutgefäßen (Haarröhrchen), welche stets mit Austritt (Ausschwitzung, Exsudation) einer Flüssigkeit aus dem Blutstrome (durch die Haargefäßwand hindurch) verbunden ist, die entweder bald nach ihrem Austritte erstarrt oder flüssig (wässerig, eiterig) bleibt. Dieses Ausgeschwitzte ist es z. B., welches, wenn es zu Festem und Neugewebe wird, Zerstörungsprocesse vom Umsichgreifen abhält, Blutungen abwendet, von außen eingedrungene fremde Körper oder im Innern erzeugte feindliche Massen durch Absperrung unschädlich macht, Wundes zum Vernarben bringt, Getrenntes wieder vereinigt, Zerstörtes mehr oder weniger vollständig ersetzt etc. Dagegen fördert das flüssige Ausgeschwitzte die Erweichung und das Zerfließen, dadurch aber die Entfernung des verstopfenden Starren, bewirkt ferner die Ausstoßung nachteiliger Stoffe und von außen eingedrungener Körper, bildet bisweilen eine schützende Decke und kann durch Verdünnung concentrirte Schädlichkeiten weniger schädlich oder sogar unschädlich machen etc.

Der Aufsaugungsproceß ist insofern von großer Wichtigkeit für viele Heilungen, als durch denselben Flüssiges und Verflüssigtes, was sich an unrechten Stellen befindet, weggeschafft werden kann. Dieses Hinwegschaffen geschieht entweder mit Hülfe der Lymphgefäße (Saugadern) oder der Blutgefäße. Die letzteren nehmen aber nur das in sich auf, was dem Blute in seiner chemischen Zusammensetzung unähnlich ist (besonders Krankhaftes und Giftiges), die Saugadern führen dann noch das fort, was die Blutgefäße übrig ließen (also vorzugsweise Blutähnliches). Durch den Aufsaugungsproceß werden z. B. krankhafte wässerige und entzündliche (eiterige) Flüssigkeiten aus Herzbeutel, Brustfell und Lunge, Bauchfell, Gelenken etc. fortgeschafft; es wird ausgetretenes Blut ganz oder theilweise wieder entfernt; Geschwülste schwinden oder verkleinern sich mittels des Aufsaugungsprocesses, ja sogar abnorme Knochenmasse kann allmählich aufgesogen werden.

Gewebsneubildungen (wie die Neubildung von lockerem oder festerem Fasergewebe, von Knorpel- und Knochengewebe etc.) können in vielen Krankheitsfällen zu einem glücklichen Ausgange führen, indem sie z. B. tödtliche Durchbohrungen von Organen aufhalten, Zerstörungen Grenzen setzen, Schädliches einkapseln, Wunden und Geschwüre heilen u. s. f. Es gehen diese Neubildungen hauptsächlich aus dem erstarrten Ausgeschwitzten hervor und zwar beim Vorhandensein des gehörigen Wärmegrades (der normalen Körperwärme), während bei zu niedriger oder zu hoher Temperatur dieses Ausgeschwitzte andere, oft nachtheilige Umwandlungen eingeht. – Beispiele mögen das Gesagte beweisen und gleichzeitig den Leser mit der Art und Weise, wie die Natur bei den verschiedenen Krankheiten heilt oder überhaupt verfährt, bekannt machen.

Unter den Lungenkrankheiten sind es besonders die Entzündung und die Schwindsucht (Tuberculose), welche am häufigsten die Menschen und zwar in allen Lebensaltern und Weltgegenden heimsuchen. Diese Krankheiten sind es nun aber auch, bei denen der Naturheilungsproceß Großes leistet, sogar dann, wenn er vom Laien und Arzte noch nebenbei mißhandelt wird.

Bei der gewöhnlichen Lungenentzündung schwitzt aus den die Luftbläschen netzartig umspinnenden Haarröhrchen, in welchen sich eine widernatürliche Menge Blutes aufgestaut hat, eine dickliche, klebrige Flüssigkeit in die Höhlen der Luftbläschen heraus, welche allerdings manchmal (aber nicht immer) zum Theile ausgehustet wird, zum allergrößten Theile aber gerinnt (fest wird) und nun, die Lungenbläschen vollständig ausstopfend, diese zur Aufnahme von Luft (zum Athmen) gänzlich untauglich macht. Würde ein großer Theil der Lungen in dieser Weise gleichzeitig erkranken, dann tritt unabänderlich der Tod durch Erstickung ein, mag nun der Allopath mit seinen Aderlässen oder der Homöopath mit seinem Aconit gegen das Uebel loswirthschaften oder nicht. Sind dagegen kleinere Portionen der einen oder der andern Lunge entzündet, dann heilt die Natur, und zwar ohne Aderlaß und Aconit, überhaupt ohne Arzt und Arznei, diese Entartung der Lunge auf folgende Weise: das in den Bläschenhöhlen geronnene Ausgeschwitzte (aus Faserstoff) wird mit Blutwasser durchtränkt, erweicht und zerfließt endlich zu einer dicken, eiterigen Flüssigkeit, von welcher ein Theil ausgehustet wird (doch nicht immer), ein anderer aber aufgesogen und in’s Blut zurückgeführt wird. Das Zerfließen jenes ausgeschwitzten und erstarrten Blutbestandtheils, welches übrigens sehr langsam (in Monaten), doch auch ziemlich schnell (in wenig Tagen) vor sich gehen kann, kommt nur beim Vorhandensein der nöthigen Feuchtigkeit und Wärme zu Stande. Deshalb ist auch das Einathmen von feuchtwarmer Luft (die man durch Entwickelung von Wasserdämpfen im warmen Krankenzimmer erzielen kann) für die Heilung der Lungenentzündung von großem Werthe. Unter den allopathischen Arzneien ist aber keine, die diesen, Verflüssigungsproceß anregen oder unterstützen könnte.

Von den Homöopathen behaupten einige, daß Phosphor die Zertheilung des Ausgeschwitzten befördere, während andere zu demselben Zwecke für den Schwefel schwärmen, gerade als ob diese Heilkünstler jemals durch diese beiden Mittel einen der entzündlichen Ausschwitzung in der Lunge ähnlichen Zustand erzeugt hätten, wie es doch ihr Aehnlichkeitsgesetz verlangt. – Herr Dr. Clotar Müller in Leipzig schreibt dagegen: „Das Hauptmittel, um das in die Lungen ausgeschwitzte Entzündungsproduct durch Aufsaugung zu entfernen oder dessen eitriges Zerfließen zu verhindern, ist Schwefel.“ Dieser Arzt weiß also nicht einmal, daß das erstarrte Ausgeschwitzte in den Lungenbläschen, um durch Aufsaugung oder Aushusten entfernt werden zu können, erst eitrig zerfließen muß.

Aus dieser kurzen Beschreibung des zur Genesung führenden Verlaufes einer Lungenentzündung wird der Leser sich nun wohl selbst entnehmen können, daß es bei dieser Krankheit die Hauptaufgabe des [199] Arztes ist, die Entfernung des in die Luftbläschen Ausgeschwitzten zu fördern, demnach also vor allen Dingen das Zerfließen desselben zu unterstützen (und zwar, wie oben schon gesagt wurde, durch feuchte Wärme). Natürlicher Weise müßte der Arzt zuvörderst diese Lungenaffection auch richtig erkennen können, und dies ist nur mit Hülfe des Beklopfend und Behorchens des Brustkastens möglich, da Lungenentzündungen sehr oft ohne große Athembeschwerden, Brustschmerz, Husten und Auswurf verlaufen, diese Krankheitserscheinungen übrigens auch anderen Lungenleiden zukommen können.

Gar nicht selten geht das in die Lungenbläschen Ausgeschwitzte, anstatt zu einer eitrigen Flüssigkeit zu zerfließen und dann entfernt zu werden, eine Umwandlung zu einer schwieligen, knorpelharten Masse ein, und dann bleibt das erkrankte Lungenstück zeitlebens verhärtet und zum Athmen untauglich. An einer solchen Verhärtung kann nun recht leicht der Arzt insofern mit Schuld haben, als er den Kranken nicht gehörig warm hielt; das kommt aber vor, wenn der Arzt mit dem Horchen und Klopfen (also mit der physikalischen Untersuchungsweise) nicht gehörig vertraut ist.

Bei der Lungenschwindsucht – welche in einer Ablagerung von eigenthümlich käsiger, entweder sich verhärtender oder zu Eiter zerfließender Masse (Tuberkelstoff) in das Lungengewebe besteht, wodurch das kranke Lungenstück zerstört wird (s. Gartenl. 1854. Nr. 15.) – zeigt sich der Heilungsproceß in ganz anderer Weise, als bei der Lungenentzündung. Im Umkreise der Tuberkelmasse nämlich, sowohl innerhalb als außen an der Oberfläche der Lunge, wird aus dem Blute eine schnell gerinnende (faserstoffige) Flüssigkeit ausgeschwitzt, welche sich nach ihrer Gerinnung allmählich zu einem dichten faserigen und schwieligen Gewebe umwandelt. Dieses Neugewebe bildet nun innerhalb der Lunge rings um die noch feste oder schon zu Eiter und Jauche zerflossene Tuberkelmasse eine fast unzerstörbare Grenze, welche das Vorwärtsschreiten des Zerstörungsprocesses in der Lunge (die Schwindsucht) verhindert. Gleichzeitig bedingt dieser heilsame Ausschwitzungsproceß auch noch eine vollständige Verstopfung und Umwandlung der Blutgefäße der erkrankten Lungenportion zu soliden Strängen, so daß nun, auch wenn diese Gefäße durch die Tuberkeljauche zerfressen würden, doch kein tödtlicher Blutsturz zu Stande kommen kann. Ebenso wird ein Durchbruch einer mit Eiter erfüllten Tuberkelhöhle (Vomica) der Lunge nach dem Brunstfellsacke hin (was stets tödtlich abläuft) dadurch verhindert, daß mit Hülfe des außen an der Lunge aus dem Ausgeschwitzten hervorgegangenen Fasergewebes eine Verwachsung der kranken Lunge mit der knöchernen Brustwand zu Stande kommt.

Hiernach wird der Leser hoffentlich einsehen können, daß bei der Lungenschwindsucht die Lunge nicht so lange und ununterbrochen fort zerfressen wird, bis nichts mehr zum Zerfressen da ist, und daß ein Mensch, dessen Lungen theilweise von der Schwindsucht schon zerstört sind, doch recht gut uralt werden kann, wenn er sich nur davor in Acht nimmt, daß nicht immer ein noch gesundes Stück seiner Lunge von frischer Tuberkelablagerung befallen und zerstört wird. Daß ein Lungenschwindsüchtiger, dem ein Viertel oder Drittel seiner Lunge abhanden gekommen ist, einige Beschwerden davon hat (wie Kurzatmigkeit, Husten, Auswurf), dürfte sich wohl von selbst verstehen und sollte einen vernünftigen Arzt und Kranken nicht zu allen nur möglichen Heilversuchen veranlassen. Die noch gesunde Lunge wolle man schützen, nicht aber die kranke wieder gesund machen, denn das ist unmöglich. Bock.