MKL1888:Abrasion
[3] ✽ Abrasion (lat., „Abschabung“), die abtragende Thätigkeit, welche das Meer vermöge der Brandungswelle auf das Festland an der Küste ausübt. Die mechanische Wirkung der Brandungswoge auf die Gestaltung der Meeresküste ist von verschiedenen Umständen abhängig und richtet sich 1) nach der Höhe und Stärke der Wellen, welche durch herrschende Windrichtung und Windstärke bedingt werden, nach dem Abstand zwischen Ebbe und Flut und dem etwanigen Vorhandensein von Eisschollen; 2) nach der vertikalen und horizontalen Gliederung der Küste, der Zusammensetzung, Lagerung und Festigkeit des Gesteins. Das Meer wirkt zernagend in dem ganzen Raum, an welchem es brandet, mit den Gezeiten verschiebt sich aber die Angriffslinie der Brandungswelle innerhalb gewisser Grenzen, welche nach unten bis unter das Niveau von Niedrigwasser reichen, nach oben über die gewöhnliche Fluthöhe hinausgehen, weil beim Zusammentreffen von Sturm und Hochwasser das Meer noch in größern Höhen anbrandet. Im stärksten Maß geht die Zerstörung zwischen der halben Fluthöhe und der obern Brandungsgrenze vor sich. In höhern Breiten treten Eisschollen als sekundäres Agens der zerstörenden Wirkung der Meereswellen hinzu. An Flachküsten geht der größere Teil der lebendigen Kraft der Welle durch Reibung an der Strandoberfläche verloren, am größten ist ihre Wirkung, wenn sich eine steile oder senkrechte Felswand weichen oder stark zerklüfteten Gesteins dem Angriff darbietet. Im letztern Fall bildet sich durch die Ausnagung des Wassers an gezeitenlosen Küsten in der Höhe des Meeresniveaus eine Hohlkehle, welche gegen das Land einspringt. An Küsten, welche dem Wechsel der Gezeiten ausgesetzt sind, ist die Angriffsfläche nach oben und nach unten ausgedehnter. Durch die Unterhöhlung verlieren die höhern überragenden Felsmassen ihre Stütze und brechen ab. Die auf den Boden der Hohlkehle niederfallenden Felsblöcke werden durch die Brandung zerkleinert, zu Sand zerrieben und durch den rückfließenden Unterstrom der Welle ins Meer geführt. So schafft sich die Brandung durch A. auf der Felsunterlage einen sanft gegen das Land ansteigenden Strand, der mit dem abradierten Detritus, Sand und Kies bedeckt ist. Je länger dieser Prozeß andauert, und je weiter die Strandterrasse landwärts sich vorschiebt, desto mehr wird die Kraft der Brandungswelle durch Reibung verbraucht. Erfolgt keine Veränderung in dem gegenseitigen Niveau von Meeresspiegel und Land, so tritt ein stationärer Zustand ein, jede Verschiebung aber im Stand von Land und Meer bietet der Abrasionswelle neue Angriffspunkte. Senkt sich der Meeresspiegel gleichmäßig (negative Strandlinienschiebung), so wird mit dem Aufsteigen der Küste der soeben gebildete Brandungsstrand wieder modifiziert werden; nur bei ungleichförmigem, von Ruhepausen unterbrochenem Sinken können Strandterrassen und -Linien entstehen, die bei fortgesetzter Erniedrigung des Meeresniveaus als gehobene erscheinen. Eingreifender sind die Veränderungen bei positiver Verschiebung der Strandlinie, wenn der Meeresspiegel im Verhältnis zum Land ansteigt. Die Strandfläche erweitert sich in diesem Falle landeinwärts entweder ebenmäßig oder in Stufen. Dabei bildet sich eine sanft ansteigende Felsfläche, die Abrasionsfläche. Nach der Ansicht F. v. Richthofens sollen auf diese Weise ganze Gebirge weggehobelt worden sein. Meistens wird die Fläche durch die von der Brandung zerkleinerten Abrasionstrümmer bedeckt sein, die sich während der Transgression des Meers als Sedimente auf dem Boden ablagerten. Vgl. Boguslawski-Krümmel, Handbuch der Ozeanographie, Bd. 2 (Stuttg. 1887).
[2] Abrasion (vgl. Bd. 17) bezeichnet nicht nur die abtragende Thätigkeit, welche das Meer vermöge der Brandungswelle auf das Festland an der Küste ausübt, sondern auch die mechanisch abnutzende Wirkung, welche durch bewegte Luft mit Hilfe fester Gesteinspartikel von einer gewissen Härte auf Steine hervorgerufen wird. Dieselbe Wirkung wird als Erosion (s. d., Bd. 17) bezeichnet, wenn ein andres Agens, wie z. B. rinnendes Wasser oder strömendes Eis, dabei beteiligt ist. Das Phänomen der A. läßt sich künstlich nachahmen, so daß man die Intensität derselben durch Messung bestimmen kann. Dieselbe ist je nach den Bedingungen, unter denen das Experiment vollzogen wird, eine ganz verschiedene und hängt in erster Linie von der Härte und äußern Beschaffenheit des zum Abradieren verwandten Materials sowie von der Stärke des bewegenden Luftzugs ab. Zahlreiche Versuche, welche man mit Gesteinsmaterial von verschiedener Natur angestellt hat, haben als allgemeines Resultat ergeben, daß die A. direkt proportional ist der Menge des Sandes, welche zum Abradieren verwandt wird, sowie der Stärke des Windes, welcher der Sand treibt. Im einzelnen gestalten sich die Verhältnisse folgendermaßen: Ein geglätteter Stein widersteht der A. besser als einer mit rauher Oberfläche, ebenso ein trockner besser als einer, der von Wasser durchzogen ist. Die A. wirkt um so energischer, je senkrechter die der A. ausgesetzte Gesteinsfläche zur Richtung des abradierenden Materials steht; dieselbe nimmt sehr schnell an Intensität ab, sobald die Neigung unter 60° beträgt. Sind die Sandkörner durch die auf ein Gestein ausgeübte A. bereits abgerundet, so wirken sie fernerhin nicht mehr so energisch, als wenn sie ihre eckige Form bewahrt haben. Pulverisierter Kalk übt keine A. auf Quarz aus; bei Kalk gegen Kalk oder Quarz gegen Quarz ist die Wirkung die gleiche. Die größte Abnutzung wird durch Quarzpulver auf ein Kalkgestein hervorgerufen. Bei gleicher Härte widerstehen homogene Gesteine oder heterogene, aus kleinen Gesteinselementen zusammengesetzte der A. besser als klastische Gesteine aus grobem oder verschiedenartigem Material. Für jeden festen Körper kann man den absoluten Wert des Widerstandes gegen die A. durch eine Zahl ausdrücken, wenn man als Einheit den Widerstand annimmt, welchen eine Quarzfläche leistet, die senkrecht zur optischen Achse steht. In der Natur kann man das Produkt der A. überall da beobachten, wo die Bedingungen für die Wirkung derselben erfüllt sind, nämlich wo Sand in genügender Menge vorhanden ist oder stets von neuem gebildet wird und der Wind vorherrschend in einer bestimmten Richtung weht. Bei einer Geschwindigkeit von weniger als 4 m in der Sekunde bleiben selbst Sandkörner, die nur 0,25 mm im Durchmesser haben, unbeweglich liegen. Um Sandkörner von 0,5 mm Durchmesser zu transportieren, muß die Geschwindigkeit des Windes 7–8 m in der Sekunde erreichen. Mit zunehmender Windstärke setzen sich auch die größern und schwerern Sandkörner in Bewegung und streichen ganz nahe über den Boden hin. Treffen sie auf ein Geröllstück, so abradieren sie die ihnen zugekehrte Seite, die mit der Zeit kleine Rinnen, Streifen, Schrammen oder auch polierte Flächen erkennen läßt, während die andern Seiten gewöhnlich eckig bleiben, doch kommen auch Fälle vor, in denen alle Seiten geglättet sind. Die geglättete Seite ist meistens nach einer bestimmten Himmelsgegend gerichtet, die mit der Richtung des vorherrschenden Windes übereinstimmt. Sehr häufig finden sich derartig geformte Steine, sogen. Dreikanter oder Pyramidalgeschiebe, in ehemalig vergletscherten Gebieten. Ihre Bildung hat jedoch mit den eiszeitlichen Gletschern nichts zu thun; es sind durch den Wind erzeugte Sandschliffe, deren Form durch die Lage, Größe und etwanige Umhüllung des Geröllstückes bedingt wird.