MKL1888:Begierde

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Meyers Konversations-Lexikon
4. Auflage
Seite mit dem Stichwort „Begierde“ in Meyers Konversations-Lexikon
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Band 2 (1885), Seite 614
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Begierde. In: Meyers Konversations-Lexikon. 4. Auflage. Bibliographisches Institut, Leipzig 1885–1890, Band 2, Seite 614. Digitale Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/wiki/MKL1888:Begierde (Version vom 01.05.2022)

[614] Begierde (lat. Cupido), Richtung des Strebens auf einen als begehrenswert vorgestellten Gegenstand. Durch diese Art ihrer Entstehung aus einer Vorstellung unterscheidet sich die B. von dem Trieb, einem Begehren, welches zu äußern Handlungen drängt, dem aber keine Kenntnis des Gegenstandes, welcher ihm zur Befriedigung dient, vorausgeht, welches vielmehr als ein in den Einrichtungen des leiblichen Organismus unmittelbar begründetes (sinnlicher Trieb) oder unter bildenden Umständen und geistigen Einflüssen gewordenes (geistiger Trieb) Streben zu betrachten ist. Von dem Wollen (s. d.), das aus der Vorstellung der Erreichbarkeit des Begehrten entspringt, wie von dem Wunsch, welcher trotz der Gewißheit der Unerreichbarkeit desselben fortbesteht, unterscheidet sich die B. dadurch, daß sie über Erreichbarkeit oder Unerreichbarkeit ihres Begehrten gar nicht reflektiert. Unter den verschiedenen Einteilungen der Begierden ist die wichtigste die in sinnliche und geistige Begierden, von denen die letztern wieder in unmittelbare und mittelbare zerfallen. Die sinnliche B. hat zum Gegenteil den Abscheu (Antipathie, Widerwille); beiden geht eine Vorstellung des Objekts voraus, das im erstern Fall als angenehm, im letztern als unangenehm gedacht wird. Äußere Wahrnehmungen sowohl als reproduzierte Vorstellungen eines sinnlich angenehmen Gegenstandes erregen die B. nach seinem Genuß. Mit der äußern oder innern Wahrnehmung des Gegenstandes ist seine Bedeutung, ist die Vorstellung von dem Genuß, den er gewährt, und somit ein vorläufiges Gefühl seiner Annehmlichkeit verbunden, welches erregend auf das entsprechende Organ wirkt. Der ganze Vorgang des sinnlichen Begehrens und Verabscheuens ist leiblicher und geistiger Natur zugleich. Die leiblichen Organe spielen einerseits dabei eine wesentliche Rolle, anderseits geht nicht bloß der ganze Prozeß von der Vorstellung des Begehrten oder einer solchen Wahrnehmung aus, die den sinnlichen Genuß von fern zeigt, sondern wir sind uns auch dieses Vorganges bewußt, woraus zu schließen ist, daß auch dem, was daran leibliches Geschehen ist, ein geistiges Geschehen innerhalb des Bewußtseins entspricht.